In den 1970er Jahren hat das Parlament große Reformen beschlossen, die Österreich verändert haben. Gleichzeitig gab es in den Parteiklubs kaum Mitarbeiter:innen – ganz anders heute. Wir haben mit dem ehemaligen Bundespräsident Heinz Fischer anlässlich der Neueröffnung des Parlaments über “Profi”- und “Amateur”-Parlamente gesprochen und über das Arbeiten in der Politik ganz generell. Dort bekommt man nämlich “oft eines auf die Rübe”, wie Fischer sagt. Wir wollten wissen, wie er Österreichs Neutralität angesichts vieler Krisen bewertet und was er mitunter von den “Klima-Klebern” hält. Hier das Interview!
Kontrast.at: Das Parlament wurde generalsaniert und jetzt neu eröffnet. Das stößt auf viel Interesse auch in der Bevölkerung. Wie findest du das neue Haus als langjähriger Abgeordneter und Nationalratspräsident? Wirst du wehmütig?
Heinz Fischer: Ich habe mir das neue Haus bisher zweimal angeschaut, aber noch nicht sehr erschöpfend. Natürlich ist das ein Neubeginn. Unser Parlament befindet sich jetzt auf der Höhe der Zeit, auch was die Technik und die Technologie betrifft.
Das Parlament hat in den 1980er und 1990er Jahren stark an Raummangel gelitten, weil sich die Art der parlamentarischen Arbeit sehr verändert hat. Konkreter gesagt: intensiviert hat. Und da ist jetzt eine richtige Antwort gegeben worden. Das ist schon ein Schritt nach vorne.
Kaum Mitarbeiter:innen – das Hohe Haus war bis in die 1970er hinein fast ein “Amateur-Parlament”
Ist heute mehr zu tun im Parlament als in den 80er und 90er Jahren?
Fischer: Das kann man nicht mit ja oder nein beantworten. Was ich meine, wird deutlich, wenn ich sage: Als ich 1972 angefangen habe, im Parlament zu arbeiten – Leopold Figl war damals Nationalratspräsident – waren die Abgeordneten praktisch ohne Mitarbeiter. Als ich 1962 als Jurist im Parlamentsklub der SPÖ begonnen habe, bestand der Klub aus dem Klubobmann, aus einem einzigen Klubsekretär (das war damals Leopold Gratz), drei Sekretärinnen, einem Kraftfahrer und einem sogenannten Bürodiener, der Kaffee gemacht und die Post geholt hat. Das waren fünf Personen! (Die Parlamentsklubs der Parteien beschäftigen heute etwa zehn Mal so viel Personal, Anm.)
Heute sind die Parlamentsfraktionen um ein Vielfaches größer und jeder Abgeordnete hat einen eigenen Mitarbeiter. Heute wird ein viel größeres Volumen an Arbeit geleistet. Es gibt viel mehr schriftliche Anfragen an die Regierung. Die Zahl der Ausschusssitzungen hat zugenommen, es gibt viel mehr internationale Aktivitäten und jede Partei hat Sprecher für alle möglichen Politikbereiche. Das hat es früher alles nicht gegeben. Insofern arbeitet man heute im Parlament wesentlich mehr als früher.
Als ich im Parlament begonnen habe, hatten die Abgeordneten nicht einmal eigene Schreibtische, sondern nur ein Postfach. Viele Abgeordnete hatten einen Beruf außerhalb des Parlaments als Angestellte, in den Interessenvertretungen oder als Landwirte.
Man kann sagen: Heute haben wir ein “Profi-Parlament”, während wir bis in die 70er Jahre ein “Amateur-Parlament” hatten.
Gleichzeitig gibt es die demokratiepolitische Diagnose, dass das Parlament geschwächt ist gegenüber der Regierung. Dass das Parlament nicht das Zentrum der politischen Macht im Staat ist, das es eigentlich sein sollte.
Fischer: Die Regierung hat schon eine starke Stellung gegenüber dem Parlament – weniger rechtlich als faktisch. Rechtlich kann der Nationalrat die Regierung jederzeit mit einfacher Mehrheit stürzen. Die Regierung kann das Parlament nicht auflösen – das kann das Parlament nur selbst durch einen Beschluss.
Faktisch ist zwar das Parlament stärker geworden in seiner Wirkungsmacht, aber die Regierung ist auch stärker geworden. Und wenn ich geschildert habe, wie sich die Zahl der Mitarbeiter:innen im Parlament vergrößert hat, dann muss dem die Schilderung folgen, wie sehr sich auch die Zahl der Regierungsmitarbeiter:innen, der Pressemitarbeiter:innen in der Regierung und die Büros der Minister:innen vergrößert haben.
Macht kann man ja nicht in Zentimetern oder in Kilogramm oder in Sekunden messen. Aber wenn man “Macht” definiert als die Möglichkeit der Einflussnahme auf die Abläufe in der Politik, dann hat natürlich die Regierung mit den großen Ressorts und mit der Verwaltung mehr unmittelbare Macht als der Gesetzgeber. Die Verwaltung eines Landes ist eine noch größere und vielfältige Aufgabe als die Aufgabe des Parlaments, die allgemeinen Normen zu setzen.
In der Umsetzung von Aufgaben, in der finanziellen Macht und in der ökonomischen Macht hat die Regierung sicher ein Übergewicht.
Vertrauen in Politik nimmt ab – nicht nur wegen Krisen, sondern auch wegen Skandalen und Denkweisen von Politiker:innen
Ist das nicht auch ein bisschen paradox: Sowohl im Parlament als auch in der Regierung arbeiten viel mehr Leute, es hat eine Professionalisierung gegeben und gleichzeitig hat das Vertrauen in diese Institutionen abgenommen. Sind die Profis zu weit weg von der Bevölkerung?
Fischer: Die Popularität einer Regierung oder des Parlaments hängt in hohem Maße davon ab, wie die Befindlichkeit im Land ist. Ob sich ein Land in einer positiven Phase befindet, ob die Einkommen steigen, ob sich das Bildungssystem gut entwickelt, ob die soziale Gesetzgebung fair ist. Ein Musterbeispiel ist da sicher die Regierung Kreisky, wo eine große Mehrheit in der Bevölkerung den Eindruck hatte, dass da etwas weitergegangen ist. Da wurde eine attraktive Außenpolitik gemacht, man war wirklich um soziale Gerechtigkeit bemüht und um die Entsorgung altmodischer Vorschriften. Daraus entsteht Popularität.
Momentan herrscht Krieg auf dem europäischen Kontinent, die Nachwirkungen der Pandemie stecken uns noch in den Gliedern – auch im psychologischen Sinn – und es besteht große Unsicherheit, ob wir in Bezug auf die Klimapolitik auf dem richtigen Weg sind. Das alles drückt auf die Stimmung und gedrückte Stimmung drückt auf die Popularität.
Dazu kommen noch die spezifischen Probleme der derzeitigen Regierung. Die Ereignisse, die in letzter Zeit sichtbar geworden sind – der Ibiza-Skandal und die ÖVP-Chats. Diese inakzeptable Denkweise und Terminologie, die Art wie man sich anderen Menschen oder der Kirche gegenüber geäußert hat – das drückt natürlich die Stimmung. Das geht zulasten der Popularität der Demokratie und der Politik.
Stichwort Klimapolitik: Du warst Präsident der Naturfreunde in Österreich, hast die Hainburg-Besetzung miterlebt, die Zwentendorf-Volksabstimmung. Wie stehst du heute zur Klimabewegung und Aktionsformen wie den sogenannten Klima-Klebern?
Fischer: Seit mehr als 50 Jahren gibt es die Diskussion über Umwelt, Naturschutz und die Grenzen des Ausbeutens unserer Naturreserven. Da war der Club of Rome federführend. Ich war mehr als 20 Jahre lang Präsident der österreichischen Naturfreunde. Wir waren nicht nur Bergkraxler, sondern haben uns auch mit Klima- und Umweltpolitik beschäftigt. Wir haben auch maßgeblich dazu beigetragen, dass nicht jeder Bach in Tirol und in Osttirol zu einem Kraftwerkszufluss wurde.
Es wird immer deutlicher, dass wir in Bezug auf Klimaerwärmung und Umweltschäden auf einem Pfad sind, der in allergrößte und schwierigste Probleme hineinführt.
Diese Erkenntnis ist am Anfang bestritten worden, aber mittlerweile von einer enormen Mehrheit der Wissenschaft bestätigt. Die Politik ist nicht schnell genug in der Lage, sich darauf einzustellen und umzustellen.
Natürlich ist das schmerzlich, wenn man Maßnahmen treffen muss, durch die der Energiekonsum gedrosselt wird. Aber wir dürfen nicht nachlassen und das Ideal ist eine sozial verträgliche Umweltpolitik. Wir müssen uns auch dafür einsetzen, dass das auch in China, in Indien und in Brasilien geschieht. An erster Stelle stehen die nachhaltigen Entwicklungsziele der UNO – 17 Zielsetzungen (Sustainable Development Goals, SDGs), die von den Vereinten Nationen einstimmig beschlossen wurden. Das ist wie ein Weltregierungs-Programm im Kampf gegen die Armut, für die Gesundheit der Menschen, für Mindestsozialstandards und für den Schutz der Gewässer.
Ich würde mir wünschen, dass die Sozialdemokratie und diese Ziele immer näher zusammen kommen und Verbündete sind.
Milliarden-Vermögen einzelner sind ein Machtfaktor, der Demokratie aushöhlen kann
Wird man zur Erreichung dieser Ziele nicht auch an das große Vermögen heran müssen?
Fischer: Es ist unübersehbar, dass eine gerechtere Verteilung zu den großen Zielen zählt. Den Kampf gegen die Armut wird man nicht gewinnen können, wenn man nicht auch die ganz großen Vermögen und Einkommen heranzieht, die ja auch noch steuerlich begünstigt sind. Man braucht eine Substanz, aus der heraus man den Kampf gegen die Armut führen kann oder die Bildungschancen verbessern kann. Das Schließen der Kluft zwischen Arm und Reich ist auch ein Ziel in den UN-Entwicklungszielen.
Das wäre auch für die Demokratie relevant, weil Vermögen ja nicht nur mit Luxus verbunden ist, sondern auch mit politischem Einfluss …
Fischer: Die dutzendfachen Milliardenvermögen sind natürlich auch ein Machtfaktor, der durch Einfluss auf Medien usw., die demokratische Spielregeln in der Praxis unterhöhlen und Politik beeinflussen kann.
Du warst immer ein starker Befürworter der Neutralität – gerade auch im Kontext des EU-Beitritts Österreichs. Aktuell ist die Debatte über die Neutralität im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg wieder aufgeflammt. Wie bewertest du die Neutralität in der jetzigen Lage? Warum ist sie für die sozialdemokratische Außen- und Friedenspolitik so wichtig?
Fischer: Die Neutralität ist generell für Außen- und Friedenspolitik wichtig, nicht nur für eine sozialdemokratische. Aber die Sozialdemokrat:innen bemühen sich eben in überdurchschnittlichem Maße um eine friedliche Außenpolitik und um Friedenspolitik. In der Zeit der großen Blöcke – Ost und West – war die Neutralität für Österreich wirklich eine sehr gute Lösung, die sich mit der Zeit immer fester im Bewusstsein der Bevölkerung verankert hat – so ähnlich wie das auch in der Schweiz schon viel länger und viel früher der Fall war.
Es nützt ganz einfach der Friedenspolitik, wenn nicht alle Länder in NATO oder Warschauer Pakt, in Ost oder West eingeteilt sind.
Wir haben das auch gelebt. Österreich hat einen Namen gehabt, als Land, das wirklich friedlich denkt und friedlich handelt.
Es ist kein Zufall, dass der zweite europäische Sitz der UNO in Wien ist. Damals gab es harte Konkurrenz, aber auch harten Widerstand der ÖVP gegen den Bau der UNO City. Die ÖVP hat den Bau wütend bekämpft, das Volksbegehren dagegen ist bis heute das Volksbegehren mit den meisten Unterschriften, über eine Million. Aber schließlich hat sich diese Politik durchgesetzt.
Dass die neutralen Länder Schweden und Finnland sich jetzt entschlossen haben, einen Beitrittsantrag zur NATO zu stellen, hat natürlich auch in Österreich Aufmerksamkeit gefunden. Aber in Österreich gibt es nach wie vor eine solide Mehrheit für die Neutralität. Die Bevölkerung ist nicht dafür, dass wir unsere Neutralität über Bord werfen und gegen eine NATO-Mitgliedschaft eintauschen. Es ist auch falsch, zu sagen, dass uns die Neutralität keine Sicherheit gibt. Natürlich kann Österreich nicht dadurch geschützt werden, dass man an der Grenze ein Taferl mit “neutral” hinstellt. Aber eine Neutralitätspolitik macht es wirklich viel, viel unwahrscheinlicher, dass ein Land dieses neutrale Österreich militärisch angreift.
Kriege haben immer einen langen Vorlauf und die Situation zwischen Russland und der Ukraine war schon Jahrzehnte lang eine sehr schwierige und spannungsgeladene. In der Ukraine hat es einen russischen Flügel und einen pro-westlichen Flügel gegeben, die haben sich bekämpft. Sie haben sich am Maidan gegenseitig beschossen. Österreich zählt nicht in eine Gruppe solcher Staaten, die so umstritten und und so umkämpft sind. Ich glaube, dass der Westen sich freut, dass Österreich ihm keine Sorgen macht und ich glaube, dass der frühere Osten froh ist, dass Österreich keine Probleme macht.
Die Neutralität – verbunden mit einem vernünftig ausgerüsteten Bundesheer – ist, glaube ich, ein Optimum an Sicherheit, das ein Land seinen Bürgern verschaffen kann.
“In der Politik kriegt man oft eine auf die Rübe, aber das darf einen nicht abschrecken”
Ich komme jetzt zum Schluss. Wir haben in den sozialen Medien, auf Twitter und auf Facebook gefragt, was die Leute von dir wissen wollen. Wir haben drei Fragen ausgewählt. Die erste Frage lautet: Hast du jemals darüber nachgedacht, 2022 noch einmal als Bundespräsidentschaftskandidat anzutreten?
Fischer: Also mein liebes Kind, ich bin heuer 85 und die Periode des Bundespräsidenten dauert sechs Jahre. Dann bin ich 91, da wird wohl niemand ernsthaft solche Gedanken hegen…
Joe Biden ist auch nicht wesentlich jünger…
Na, der ist noch unter 80 und ich bin in sechs Jahren über 90!
Zweite Frage: Was würdest du einem jungen Menschen mitgeben, der politisch etwas bewegen will?
Fischer: Ich würde ihm sagen, das Wichtigste ist, dass du eine solide Berufsausbildung hast, dass du auf eigenen Beinen stehst und nicht von der Politik abhängig bist.
Dass du die Menschen gern hast, weil wenn du keine positive Beziehung zu deinen Mitmenschen hast, kannst du auch nicht als Politiker wirksam werden. Das spürt man, wenn ein Politiker Berührungsängste hat und sich in einen Elfenbeinturm verschanzt. Du musst dich wohlfühlen, wenn du etwas für andere Menschen tun kannst und du musst die beruflichen Fähigkeiten haben, das aus eigener Kraft heraus zu tun und und mit neuen Ideen in die politische Arena hineingehen.
Die letzte Frage: Bist du angesichts der aktuellen Lage manchmal froh, nicht mehr aktiv in der Politik zu sein?
Fischer: Nein, das kann ich nicht sagen! Politik ist die Auseinandersetzung mit schwierigen Problemen und manchmal auch unerfreulichen Situationen. Es gibt diesen Spruch: “Wenn du keine Hitze verträgst, gehe nicht in die Küche.” So ist es in der Politik auch. Ein Politiker kann auch nicht Distanz halten zu allem, was schlecht ist auf der Welt. Er muss bereit sein, für etwas zu kämpfen und Missstände zu überwinden. Er muss auch in der Lage sein, unpopuläre Positionen einzunehmen, zum Beispiel in der Flüchtlingspolitik. Da kriegt man oft eine auf die Rübe, aber das darf einen nicht abschrecken.
Leider, lieber Heinz, ist unter den Pseudoprofis nichts besser geworden: im Gegenteil. Ihr Pseudoprofis kennt nur die Zerstörung der Gemeinkultur; weil Staat sind wir ja längst keiner mehr. Der Staat seid ja ihr Mitläufer und die euch steuernde Industrie.
Ich bin Sozialdemokrat, 53, und habe die letzten Jahre in Kyiv gelebt. Die Aussagen unseres Altbundespräsidenten zum Ukrainekrieg stossen mich ab und zeugen von erschütternder Unkenntnis der Lage vor Ort. Es gab zu keinem Zeitpunkt russische und ukrainische Flügel, die sich gegenseitig am Maidan beschossen hätten, sondern waren das von Moskau gesteuerte Söldner, die auf Ukrainer damals genauso geschossen haben wie sie es tausendfach heute tun. Sie übernehmen unreflektiert und ausnahmslos die russische Sicht der Dinge, die Sichtweise eines neofaschistischen Regimes. Wir Sozialdemokraten sollten in der Lage sein, faschistoide Regime zu erkennen und zu bekämpfen, egal, woher sie kommen. Russland lebt den Totalitarismus-Faschismus des 21. Jahrhunderts, Genossen, und ich bin erschüttert, dass ihr das nicht erkennt und das ‘Nie Wieder’ nur mehr eine leere Worthülse ist. Wacht auf, die 70er und 80er sind vorbei.
Und wo uns das “Profi”-Parlament, bestehend aus dem Volk entkoppelten Günstlingen, Anwälten und Großindustriellen hinführt, sieht man recht deutlich. Bitte zurück zur Expertenregierung und zum “Amateur”-Parlament. Denn die Kompetenz im jeweiligen Resort, sowie die direkten Stimmen aus dem Volk sind exakt das, was heute schmerzlich fehlt.
so ein Blödsinn es war besser es sind keine verrückten weiber in der Politik gewesen , alles was dise jetzigen weiber anrichten ist ja abscheulich siehe bearbock oder auch die wagner Herr und co.