Ich möchte meine persönliche Geschichte mit euch teilen, wie ich es in dieser Form auch noch nie getan habe. Denn bei Diskussionen über die Mindestsicherung und die Notstandshilfe sprechen wir nur über Zahlen. Denn es ist schwer, Armut ein Gesicht zu geben. Zu groß ist die Scham, zu groß das Gefühl bloßgestellt zu werden. Zu groß die Angst, als schwach wahrgenommen zu werden. Als Mitleidshascherin abgestempelt zu werden.
Doch hinter den Zahlen stecken immer Schicksale, Erfahrungen und Menschen. Genauso wie ich hinter einer dieser Zahlen steckte.
Ich bin die meiste Zeit meines Lebens mit meiner alleinerziehenden Mutter aufgewachsen. Meine Familie ist nicht ursprünglich aus Österreich. Und es wird die wenigsten wundern, dass man nicht die besten Voraussetzungen am Arbeitsmarkt hat, wenn man eine alleinerziehende Mutter ist, die noch dazu kein akzentfreies Deutsch spricht. Dementsprechend waren die Jobs meiner Mutter: Sie arbeitete bei Sembella, wo sie Matratzen vernähte. Sie arbeitete bei Trodat, wo sie am Band Stempel schnitt. Sie arbeitete bei McDonalds, sie arbeitete beim Burger King. Ich erinnere mich noch an den Geruch ihrer Kleidung, wenn sie spät abends nach Hause kam. Der Geruch der Fritteusen und des Fettes. Oftmals verlor sie auch ihren Job, wie das halt so üblich ist in diesen Branchen. Ich begleitete sie dann zu ihren Amtswegen und füllte ihre Formulare aus. Ich war gerade mal 8 oder 9 Jahre alt. Ich half ihr beim Verfassen von Bewerbungsunterlagen. Ich lernte die österreichische Bürokratie schon sehr bald kennen.
Ich erinnere mich an sehr viele unangenehme Situationen und vor allem an Scham. Viele dieser Situationen fanden in der Schule statt.
Eines Tages mussten wir in der Klasse reihum sagen, welchen Beruf unsere Eltern ausübten. Ich schämte mich und erfand Berufe, von denen ich mir wünschte, dass meine Eltern ihnen nachgehen würden. Ich erinnere mich an Skiwochen und Paris-Tage. Ich erinnere mich aber nur durch die Erzählungen meiner KlassenkamaradInnen daran.
Denn ich selber konnte daran nicht teilnehmen. Stattdessen habe ich Erinnerungen daran, nach der Schule arbeiten gewesen zu sein, während andere Ausflüge machten. Damit begann ich ab meinem 16. Lebensjahr. In der Arbeit im Internetcafé erledigte ich auch meine Hausaufgaben und lernte für Schularbeiten, wenn mal nicht so viele KundInnen da waren. Es kam aber auch oft vor, dass ich meine Hausübungen erst nachts nach der Arbeit erledigen konnte.
Ich erinnere mich, wie unsere Therme ausfiel und wir es uns nicht leisten konnten, diese reparieren zu lassen. Ein ganzes Jahr lang hatten wir keine Heizung und kein Warmwasser. Wir saßen mit Jacken und Decken in der Wohnung. Die Heizstrahler setzten wir nur in der Nacht ein, weil sie zu viel Strom verbrauchten. Geduscht haben wir, indem wir Wasser aufkochten. Ein ganzes Jahr lang. Bis schließlich eine neue Regelung den Vermieter für die Funktionsfähigkeit der Therme verantwortlich machte.
Ich erinnere mich an all die Zeiten, in denen ich meine FreundInnen nicht zu mir nach Hause einlud, weil ich mich dafür schämte, dass unsere Wohnung so klein war, dass wir nicht die schönsten Möbel hatten und, dass ich kein eigenes Zimmer hatte. Größer als 45 Quadratmeter waren die Wohnungen nie, in denen wir wohnten – auch nicht als wir noch zu dritt lebten.
Ich erinnere mich an Weihnachten. Das war die schlimmste Zeit im Jahr. Ich beobachtete die NachbarInnen aus unserem Fenster, wie sie Besuch erhielten, die mit vollen Taschen und Geschenken ankamen. Ich erinnere mich an die Geschichten meiner FreundInnen, die oftmals völlig beiläufig über ihre Urlaubspläne erzählten, während ich selber noch nie Urlaub gemacht hatte, bis ich 18 war.
Aber meine Kindheit ist vorbei, alles was bleibt sind die Erinnerungen daran. Ich wünschte, dass Kinder heute mit anderen Erinnerungen aufwachsen könnten. Ich wünschte mir, dass wir sorglose Kinder aufwachsen sehen könnten. Kinder, die sich keine Gedanken darüber machen müssten, was sie abends essen sollen, weil der Kühlschrank Mitte des Monats bereits leer ist. Kinder, die an ihren Geburtstagen lachen und fröhlich sein könnten. Schlicht: Kinder, die das Recht haben einfach nur Kind sein zu dürfen.
ja, kommt mir bekannt vor, bin in NÖ aufgewachsen ca 1952 wars so. das Leben ist manchmal hart, kaum zum Derbeißen, Spruch aus kalter Zeit, Leute als Nachbarn gestern so wie heute. Leider, die haben nichts dazugelernt.
Danke fürs Teilen und Sichtbarmachen! Ich bin davon überzeugt, Erfahrungen wie die Ihren tragen zu einem Aufmerken bei.
Ja, solche bedauernswerte Fälle gibts zuhauf und werden bei dieser Regierung sprunghaft mehr. Den Armen nehmen, den Reichen geben. Ich hoffe bis zur nächsten Wahl hat das jeder begriffen!
Ich bin 1946 geboren. Mein Vater war Endländer. Meine Mutter wurde von meiner Großmutter aus dem Haus geworfen, weil, wie sie meinte, so ein britischer Balg käme ihr nicht ins Haus. Mutter wurde dann bald Lungenkrank und musste mit knapp dreißig Jahren in Rente gehen.Ich habe Armut kennen gelernt. Ich kann verstehen und nachempfinden was Frau Gazal Sadeghi erlebt hat.