Höhere Gewinne machen und dafür weniger Steuern zahlen? Seit den 1980er Jahren ist das Realität für Unternehmen in Österreich. Ihr Gewinn-Anteil am Volkseinkommen wächst. Gleichzeitig leisten sie weniger Beitrag zum Gemeinwohl. Das ist ungerecht – und schadet am Ende der Wirtschaft: Denn große Unternehmen horten ihr Geld statt es zu investieren und Arbeitsplätze zu schaffen. Der Unternehmensberater Martin Winkler sagt: Unternehmen müssen höhere Steuern zahlen, wenn wir einen funktionierenden Staat mit leistungsfähiger Wirtschaft wollen.
Die Regierung will die Körperschaftssteuer für Unternehmen (KöSt) senken. Der Beitrag von Unternehmen zu den Staatsausgaben sinkt noch weiter. Warum also überhaupt die KöSt senken? ÖVP und FPÖ argumentieren das mit niedrigen Steuern in anderen Ländern. Dabei wurde die KöSt in Österreich schon mehrmals gesenkt:
Lag der höchste KöSt-Satz 1972 noch bei 55 Prozent, hat man ihn mittlerweile auf 25 Prozent zusammengestaucht.
Ab 2022 soll sie – so liest man –nur noch 21 Prozent betragen. Unternehmer werden sich freuen. WKÖ un IV ebenso. Aber ist das langfristig wirtschaftlich gesund? Wohl kaum.
Erfolgreiche Unternehmen profitieren von flächendeckender Kinderbetreuung, guten Schulen, Universitäten, Fachhochschulen, von modernen Straßen, von digitaler Infrastruktur und von moderner Gesundheitsversorgung. Doch sie tragen immer weniger zu deren Finanzierung bei: Niedrigere Unternehmenssteuern bedeuten nämlich weniger Geld für die öffentliche Hand.
Die Lücke füllten über lange Jahre die steigenden Staatsschulden unseres Landes. Unternehmen haben unterdessen ihre Ersparnisse in Staatsanleihen angelegt. Für sie ein gutes Geschäft. Die Kehrseite: Die Zinsenlast und die Rückzahlung der Staatsschuld engen letztlich den Spielraum des Staates wieder ein.
Die KöSt-Senkungen der Vergangenheit wurden immer als „Steuer-Erleichterungen“ verkauft. Dadurch hätten Unternehmen mehr Geld, um Arbeitsplätze zu schaffen und zu investieren.
Tatsächlich ist die Investitionsquote aber gesunken. Lag sie 1970 noch bei 60 Prozent des BIP, ist sie auf mittlerweile 26 Prozent abgerutscht. Das ist weniger als die Hälfte dessen, was Unternehmen noch vor wenigen Jahrzehnten an Investitionen beigetragen haben.
Die wichtigste Maßzahl für den Erfolg einer Volkswirtschaft ist das Bruttoinlandsprodukt, kurz: BIP. Es misst den Gesamtwert aller Güter, also aller Waren und Dienstleistungen, die während eines Jahres in einem Land hergestellt wurden – nach Abzug aller Vorleistungen.
Wenn wir uns nun dieses BIP – also das Volkseinkommen – in den letzten Jahren ansehen, sehen wir:
Seit Mitte der 1970er-Jahre sinken die Lohnanteile am Volkseinkommen – während die Gewinnanteile von Unternehmen stetig ansteigen. Das Stück vom Kuchen, das den Beschäftigten bleibt, wird also immer kleiner.
Offenbar hat sich die Macht des Unternehmenssektors erhöht.
Die Unternehmen haben trotz steigender Gewinne und sinkender Steuern ihre Investitionen zurückgefahren. Das Ergebnis: Unternehmen wurden zu Geldsammelstellen. Sie horten ihr Geld.
Wir sind durch die erfolgreichen politischen Interventionen von WKÖ und IV in der Situation, dass Unternehmungen als Gesamtsektor eine positive Sparquote aufweisen. Damit pervertiert sich jegliche volkswirtschaftliche Logik.
Warum: Wenn die Ersparnisse der privaten Haushalte nicht von Unternehmen als Schuldner in Investitionen umgewandelt werden, dann fehlt am Ende die Basis für wirtschaftliches Wachstum.
Rechnen wir die öffentlichen Ausgaben in Österreich aus 2017 zusammen, ergibt sich eine Summe von fast 182 Milliarden Euro für den gesamten öffentlichen Sektor (inkl. Sozialversicherungen). Was müsste passieren, damit Unternehmen einen gerechten Beitrag leisten?
Rein rechnerisch müssten sie über 83 Milliarden Euro an Steuern und Abgaben leisten. Tatsächlich ist ihr Beitrag aber viel niedriger.
Unternehmen zahlen um rund 10 Milliarden Euro zu wenig Steuern.
Das ist das Ergebnis, wenn man neben der Körperschaftssteuer und den sonstigen Unternehmenssteuern, die gesamte Einkommenssteuer, die gesamten Kapitalertragssteuern, die gesamten Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung und auch Teile der Umsatzsteuer den Unternehmen zurechnet. Anders ausgedrückt:
Die Wirtschaft müsste deutlich mehr höhere Steuerbeiträge leisten, wenn wir eine einkommensneutrale Staatsfinanzierung wollen.
Statt also Steuern für Unternehmen zu senken, sollte man sie erhöhen. Das sind für manche ungemütliche Nachrichten, aber die Wahrheit gehört auf den Tisch. Nur so können wir mittel- und langfristig das Wirtschaftswachstum und Investitionen sichern. Und davon hätten alle etwas.
Die Wirtschaftsverbände verordnen gerne bittere Medizin und schwingen die Peitsche – aber nur gegen andere. Nicht für den Unternehmenssektor. WKÖ und IV betreiben in Österreich Lobbying für Unternehmen und ihre Interessen. Unter dieser Regierung wird die Wunschliste besonders eifrig abgearbeitet. Die KöSt-Senkung ist nur eines von vielen Beispielen.
Wenn neben den Haushalten in einer Volkswirtschaft auch noch die Unternehmen sparen, dann zwingt das den Staat in den dauerhaften Schuldenturm. Wer dann auch noch den Sparstift beim Staat ansetzt, der zieht der Volkswirtschaft endgültig den Stecker. Bei Ökonomen im Land müssten die Alarmglocken läuten.
Die Unternehmen brauchen aber gerade jetzt einen leistungsfähigen Staat. Es war der ehemalige Nationalbank-Präsident Claus Raidl, der darauf hingewiesen hat, dass es mehr Erwerbsbeteiligung von Frauen braucht. Aus ökonomischer Sicht: um den Fachkräftemangel aufzuhalten. In zehn Jahren geht der stärkste Jahrgang der Babyboomer in Pension. Bis dahin braucht es massive Investitionen in unsere Kindergärten und längere Öffnungszeiten – vor allem im ländlichen Raum. Wir brauchen flächendeckende Ganztagsschulen. Zudem brauchen wir Investitionen, um bei der digitalen Revolution vorne dabei sein zu können.
Das alles muss bezahlt werden und zwar mit Steuergeld. Dieses Steuergeld müssen abhängig Beschäftigte und Unternehmen gemeinsam aufbringen – und zwar zu fairen Anteilen.
Martin Winkler ist langjähriger Unternehmensberater in der Industrie, für Banken und Notenbanken und Gründer von Respekt.net.
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