Österreichs Regierung fordert nach der Corona-Pandemie den Druck auf Arbeitslose zu erhöhen und Langzeitarbeitslosen die Bezüge zu kürzen. Die Professorin für Politikwissenschaft Barbara Prainsack will in die andere Richtung gehen. Staaten sollen Geld in ihre Bürger:innen investieren, ein Grundeinkommen für ein würdiges, bescheidenes Leben betrachtet sie als Menschenrecht. Ihre These: Ohne Existenzängste leben Menschen gesünder und zufriedener – arbeiten gehen sie trotzdem, denn das hängt wesentlich davon ab, was die Arbeit den Menschen zurückgibt.
Nach den Kündigungen in der Corona-Krise sind viele Menschen nicht in ihre alten Jobs zurückgekehrt. In den USA hat dieses Phänomen mittlerweile einen Namen, es heißt “Great Resignation”. Befragungen zeigen, dass ein großer Teil der Beschäftigten bereit ist, finanzielle Verluste hinzunehmen, bevor sie in schlechte Arbeitsverhältnisse zurück müssen. Für die Politikwissenschafterin und Autorin Barbara Prainsack ist das ein Grund, warum sie ein Bedingungsloses Grundeinkommen für alle Menschen befürwortet. Denn Arbeit soll nicht krank und unglücklich machen, eine bedingungslose Existenzsicherung würde die Verhandlungsposition der Arbeitssuchenden verbessern – und damit die Arbeitsbedingungen für alle. Ob Menschen arbeiten gehen oder nicht, hängt davon ab, wie die Arbeit gestaltet ist und was sie den Menschen „zurückgibt“ an Sinn und Geld, erklärt Prainsack im Interview. Mit einem bedingungslose Einkommen über der Schwelle der Armutsgefährdung, in Österreich sind das rund 1.300 Euro, würden die Menschen jedenfalls gesünder und zufriedener leben – arbeiten würden sie nicht weniger, ist die Politikwissenschafterin überzeugt.
Kontrast.at: Es gibt viele verschiedene Modelle vom Bedingungslosen Grundeinkommen. Können Sie uns einen Überblick verschaffen?
Prainsack: Das Modell, für das ich mich ausspreche, ist ein solidarisches. Ich sehe das Grundeinkommen weder als Ersatz oder als Alternative zur Erwerbsarbeit noch zum Sozialstaat. Ich nenne es das Butterbrot-Modell: Das Grundeinkommen ist die Butter, das Brot sind öffentliche Leistungen wie das öffentliche Gesundheitssystem, das Bildungssystem, der öffentliche Wohnbau oder der öffentliche Verkehr. Und auch viele Sozialleistungen, die weiter bestehen bleiben. Ich verstehe das Grundeinkommen als eine Stärkung des Sozialstaates.
Was die genaue Ausgestaltung betrifft, gibt es in Österreich zwei Hauptzugänge zum Grundeinkommen: Der eine Zugang geht auf Götz Werner zurück, den dm-Gründer. In dem Modell sollen Erwachsene 1.000 Euro und Kinder 500 Euro im Monat erhalten – was in Summe in Österreich 96 Milliarden Euro jährlich ausmachen würde. Das Einkommen der Menschen würde anfangs um das Grundeinkommen reduziert werden, auch damit es zu keiner Inflation kommt.
Gleichzeitig soll Erwerbsarbeit von allen Abgaben befreit, im Gegenzug aber der Konsum besteuert werden – dafür aber ordentlich, nämlich mit etwa 100 Prozent. Dazu kommen Vermögenssteuern und Erbschaftssteuern. Das Gros der Finanzierungslast wäre in diesem Modell von der Konsumsteuer getragen. Das Modell wird in Österreich von der Generation Grundeinkommen unterstützt.
Ein anderes Modell, das in Österreich auch sehr wichtig ist, ist das sogenannte Linzer Modell. Dafür hat Paul Ettl von der Gemeinwohl Akademie in Linz sehr detaillierte Berechnungen vorgelegt. In dem Modell kommt das Grundeinkommen von 1.000 Euro zum Einkommen dazu. Die Einkommenssteuern werden nicht abgeschafft, sondern sogar erhöht: Bei sehr hohen Einkommen würde das Grundeinkommen durch die Einkommenssteuer zum großen Teil wieder wegversteuert werden. Die kleinen Einkommen würden es sehr stark spüren und hätten deutlich mehr Geld, die mittleren würden es ein bisschen spüren, die großen würden es praktisch nicht spüren. Zusätzlich kommen auch in dem Modell Vermögenssteuern dazu.
Kontrast.at: Wie hoch soll so ein Grundeinkommen sein?
Prainsack: Ein Grundeinkommen sollte genau über der Armutsgefährdungsschwelle liegen, nicht höher, aber auch nicht darunter.
Kontrast.at: In Finnland gab es ein großes Experiment zum Grundeinkommen. Können Sie etwas zu den Ergebnissen sagen?
Prainsack: In Finnland hat man 2.000 zufällig ausgewählten arbeitslosen Finninnen und Finnen zwei Jahre lang jeden Monat steuerfrei und ohne Bedingungen 560 Euro ausgezahlt. Die Frage war: Finden die schneller in den Arbeitsmarkt zurück, weil sie das Geld auch dann nicht verlieren, wenn sie eine Arbeit finden und ein Einkommen aus dieser Erwerbsarbeit haben. Und da gab es keinen signifikanten Unterschied zwischen den beiden Gruppen. Insofern gilt das Experiment als “gescheitert”, weil das Grundeinkommen den Einstieg in die Erwerbsarbeit nicht beschleunigt hat.
Die Studie ist aber auf jeden Fall einen zweiten Blick wert.
Die Arbeitslosen sind mit dem Grundeinkommen gesünder geworden. Es sind zum Teil chronische Beschwerden verschwunden. Ähnliche Resultate hat man auch bei den Versuchen zum Grundeinkommen in Kanada und in anderen Ländern gefunden. Das ist nicht nur eine ethische Frage, sondern auch volkswirtschaftlich relevant.
In mehreren Studien haben viele Leute berichtet, dass sie eine Zeit gebraucht haben, um den Druck und die Existenzängste loszuwerden. Und dann haben sie völlig neue Projekte begonnen, aber da war das Experiment schon wieder zu Ende. Ähnliche Erfahrungen hat der Karl Immervoll mit seinem Grundeinkommens-Projekt im Waldviertel gemacht. Auch bei ihm in Heidenreichstein konnten langzeitarbeitslose Menschen das Selbstbewusstsein aufbauen, überhaupt wieder unter Leute zu gehen und sich zum Beispiel in Vereinen zu engagieren – oder einen passenden Job zu finden.
Experimente zum Grundeinkommen |
In Finnland fand das größte europäische Experiment zum bedingungslosen Grundeinkommen statt. 2000 zufällig ausgewählte arbeitslose Finninnen und Finnen hatten zwei Jahre lang jeden Monat steuerfrei und ohne Bedingungen 560 Euro bekommen, statt der normalen Arbeitslosenhilfe. Das Experiment, das von Januar 2017 bis Dezember 2018 lief und den finnischen Staat etwa 20 Millionen Euro gekostet hatte, brachte gemischte Resultate. Die meisten Bezieher:innen waren nach den zwei Jahren, in denen sie bedingungslos Geld bekommen hatten, gesünder und zufriedener als die Kontrollgruppe. Allerdings fanden sie nicht häufiger einen neuen Job. In Kanada wurde das Grundeinkommen in den 1970er Jahren mit dem sogenannten Mincome-Experiment getestet. In Dauphin, einer 10.000-Einwohner-Stadt, nahm die gesamte Bevölkerung am Experiment teil: 2.218 Personen in insgesamt 706 Haushalten erhielten Zahlungen, andere fungierten als Kontrollgruppe. Als die konservative Partei in die Regierung kam, brach sie den Versuch vorzeitig ab. 2017 startete die kanadische Provinz Ontario erneut ein Grundeinkommen für 4.000 Bürger:innen – Alleinstehende bekamen knapp 11.000 Euro im Jahr, Paare 15.500 Euro. Als die Konservativen die Regierung übernahmen brachen sie auch diesen Versuch ab. Trotz allem sind die Ergebnisse beider Versuche spannend: Die Empfänger:innen des Grundeinkommens hatten weniger psychische Probleme, tranken weniger Alkohol und rauchten weniger. Die Gesundheitskosten sind gesunken. |
Kontrast.at: In Österreich geht die Diskussion eigentlich in eine andere Richtung. Die Kanzlerpartei ÖVP will das Arbeitslosengeld für Langzeitarbeitslose kürzen, weil sie glauben, so ihren Arbeitswillen zu erhöhen.
Prainsack: Es ist traurig, dass die Debatte in diese Richtung geht. Ich glaube, wir wären besser durch die Pandemie gekommen und hätten vielleicht auch jetzt nicht die Probleme mit der Impfquote, wenn alle Menschen das Gefühl hätten, dass sie bedingungslos aufgefangen werden. Wir hören das auch in unseren Corona-Studien an der Universität Wien immer wieder, dass Leute frustriert darüber sind , dass sie selbst nicht unterstützt wurden oder dass Andere nicht ausreichend unterstützt werden, während ihnen aber Solidarität mit anderen und die Einhaltung komplexer Regeln abverlangt wird. Es ist vertrauensschaffend, wenn man weiß, die eigene Existenz ist bedingungslos abgesichert. Und Vertrauen bringt die Impfraten hoch, wie wir jetzt in Dänemark oder Norwegen sehen.
Wenn man es ganz brutal ausdrückt, kann man sagen: Bevor die Leute verhungern, gehen sie arbeiten. Aber wenn es nicht ums Verhungern geht, sieht man das gerade am Phänomen der “Great Resignation” – Leute gehen nach der Corona-Krise oft nicht mehr in ihre schlecht bezahlten oder aus anderen Gründen ungeliebten Jobs zurück. Weil die Tätigkeit demütigend ist, weil es viel Stress bedeutet oder weil es schrecklich schlecht bezahlt ist.
In den USA gibt es ein natürliches Experiment, das diese Vorstellungen widerlegt, dass die Leute schneller wieder arbeiten gehen, wenn man sie mehr drangsaliert. In manchen Bundesstaaten der USA sind die coronabedingten Sonderzahlungen an Arbeitslose seit Juni ausgesetzt, in anderen seit September. Das Interessante ist: Der Unterschied zwischen diesen Bundesstaaten war minimal, was die Rückkehr in die Erwerbsarbeit betraf.
Kontrast.at: Das heißt, die Leute hatten genug Geld gespart, um noch eine Zeit lang nicht zu arbeiten?
Prainsack: Manche schon aber Befragungen zeigen, dass ein großer Teil der unselbständig Beschäftigten bereit ist, finanzielle Verluste hinzunehmen, bevor sie nicht in schlechten Arbeitsverhältnissen arbeiten müssen. Auch wenn das Armut bedeutet. Da geht es auch um die Freiheit von sehr krank machenden Arbeitsbedingungen. Das muss nicht an einem besonders schrecklichen Chef liegen, es kann auch sein, dass ich zu lange pendeln muss oder der Job so stressig ist, dass ich nicht mehr schlafen kann.
Ob Menschen arbeiten gehen oder nicht, hängt davon ab, wie die Arbeit gestaltet ist und was sie den Menschen „zurückgibt“ an Sinn und Geld.
In einer Umfrage in Deutschland im Jahr 2016 gaben weniger als 5 Prozent der Befragten an, ihre Erwerbsarbeit an den Nagel zu hängen, wenn sie ein Grundeinkommen von 1.000 Euro pro Monat erhielten. Allerdings glaubten über 20 Prozent, dass die anderen aufhören würden zu arbeiten.
Kontrast.at: Hat das bedingungslose Grundeinkommen in der Corona-Krise an Zustimmung gewonnen?
Prainsack: Wir haben beim Corona-Panel erhoben, dass die Zustimmung zum bedingungslosen Grundeinkommen zwischen April und August 2020 um sieben Prozentpunkte gestiegen war. Wir werden es jetzt wieder erheben, um zu schauen, ob das ein nachhaltiger Effekt war oder nicht. Das Interessante daran ist: Wer hat die Meinung geändert? Das sind mehrheitlich nicht die Leute, die selbst profitiert hätten, sondern es sind hauptsächlich Leute gewesen, die von sich selbst sagen: Ich komme mit meinem Haushaltseinkommen gut aus und bin relativ gut abgesichert. Das interpretiere ich als Solidarität mit jenen, denen es schlechter geht. Wir sehen auch sonst in unseren Daten, dass die Solidarität in Österreich seit Beginn der Pandemie gestiegen ist – trotz aller Warnung vor Spaltung.
Kontrast.at: Das Bedingungslose Grundeinkommen ist in der Sozialdemokratie ein umstrittenes Konzept. Man hört dort oft, es ist ein neoliberales Konzept, das auf Milton Friedman zurückgeht und gegen den Sozialstaat gerichtet ist …
Prainsack: Es stimmt natürlich, dass es eine libertäre Tradition des Grundeinkommens gibt.
Aber ich vertrete ein Konzept von Grundeinkommen, in der die Erwerbsarbeit weiterhin eine wichtige Rolle in der Gesellschaft spielt. Auch die Mitbestimmung und das Miteigentum der arbeitenden Menschen an den Produktionsmitteln im weitesten Sinne sind mir wichtig. Aber genau das würde durch ein Grundeinkommen gestärkt werden. Zudem haben die Erwerbsbiografien sich verändert. Die Leute sind unselbständig beschäftigt, dann vielleicht kurz arbeitslos, machen eine Ausbildung und versuchen dann sich selbständig zu machen – das ist alles mit hohem bürokratischen Aufwand verbunden, wenn man man einmal staatliche Unterstützung in der Existenzsicherung braucht. Das würde dann wegfallen, weil alles unkompliziert aus einem Topf kommt.
Wichtig ist auch, dass die unbezahlte Arbeit endlich als Arbeit wahrgenommen wird. Mit dem bedingungslosen Grundeinkommen sagt man auch Menschen, die familiäre Pflegearbeit übernehmen oder hauptsächlich die Kinderbetreuung machen: Eure Arbeit ist etwas wert. Wenn man sich fürchtet, dass das Grundeinkommen zu einer Art Herdprämie werden könnte und man vor allem Frauen aus der Erwerbsarbeit drängt – was ich für ein wichtiges Problem halte – muss man mit anderen Politik-Instrumenten gegensteuern. Man kann viel machen, zum Beispiel eine Jobgarantien für Eltern nach der Kinderbetreuungszeit, einen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung und den Ausbau der professionellen Pflege von kranken und hochbetagten Menschen. Ich bin zwar gegen eine generelle Jobgarantie, aber für bestimmte Gruppen wäre es sinnvoll.
Kontrast: Wie soll sich ein Staat das leisten können?
Prainsack: Finanziert wird das durch die Bereitschaft des Staates, Geld in seine Bevölkerung zu investieren. In der Finanzkrise ist eine enorme Verflechtung von Regierungen, Banken und Zentralbanken auf Kosten der Allgemeinheit sichtbar geworden. Da gab es Milliarden an Hilfszahlungen – allerdings floss das Geld nicht an die Bürger oder in die Verbesserung öffentlicher Infrastrukturen wie Straßen, Krankenhäuser oder Schulen. Es ging an Banken, die es zur Stützung ihrer zerrütteten Bilanzen verwendeten.
Warum wird der Schutz eines spekulativen Finanzsektors in vielen Ländern als eine Kernaufgaben des Staates gesehen, aber nicht die Existenzsicherung seiner Bürgerinnen und Bürger durch ein bedingungsloses Grundeinkommen?
Kontrast.at: Wer macht die ungeliebten Arbeiten, wenn es ein Grundeinkommen gibt?
Prainsack: Tätigkeiten, die wirklich fast niemand machen will, wie Bahnhofstoiletten reinigen – die werden entweder automatisiert oder deutlich besser bezahlt. Das ist das Modell der Müllabfuhr – und das wird es hoffentlich auch in anderen Bereichen geben.
Kontrast.at: Sie sagen, das Grundeinkommen würde die Verhandlungsmacht von Menschen auf Arbeitssuche stärken. Andere fürchten, dass es eine Art Stilllegungsprämie werden könnte. Zwei Drittel der Leute haben dann gute Jobs und arbeiten rund um die Uhr, die anderen sind die meiste Zeit arbeitslos, aber mit dem Grundeinkommen ruhig gestellt – ohne Perspektive auf Arbeit.
Prainsack: Wenn man das Grundeinkommen so konzipiert, dass es eine Stilllegungsprämie wird, dann könnte das passieren. Man kann nicht einfach Geld regnen lassen, man muss das durch andere Maßnahmen begleiten. Für bestimmte Personengruppen muss es Jobgarantien geben, die müssen ein Recht auf Arbeit haben.
Das Grundeinkommen in meiner Vision ist eine Ermächtigung zur Erwerbsarbeit. Die Absicherung soll die Verhandlungsmacht gegenüber dem Arbeitgeber stärken und den Menschen die Existenzängste nehmen. Das AMS würde es trotz Grundeinkommen weitergeben, aber es würde zum Teil neue Dinge tun. Sie würden Leute bei der Jobsuche unterstützen, aber keine Sanktionen mehr verhängen.
Man kann auch staatliche Anreize für Kooperativen und Vereine schaffen, die im Sozial- oder Umweltbereich positive Dinge tun. Viele Menschen möchten das heute schon tun, können es sich aber nicht leisten.
Kontrast.at: Wie sehen Sie das Grundeinkommen im Verhältnis zu einer Arbeitszeitverkürzung?
Prainsack: Ich glaube, dass wir eine Arbeitszeitverkürzung brauchen, aber nicht um Arbeit umverteilen zu können. Die Arbeit wird uns nicht ausgehen, und auch die Arbeitsplätze nicht, wenn es Investitionen in gute Jobs gibt. Die Arbeitszeitverkürzung brauchen wir für die Gesundheit der Menschen. Das ist einer der Gründe, warum Leute nach der Corona-Krise nicht sofort in ihre stressigen Jobs zurückkehren, die sagen: Ich bin jetzt draufgekommen, wie wertvoll Zeit mit meinen Kinder und meine Gesundheit sind, oder wie gern ich in der Natur bin. Ich kann besser arbeiten wenn ich auch für diese Dinge mehr Zeit habe. Auch dafür brauchen wir eine Arbeitszeitverkürzung.
Das wollen auch die meisten Leute, das haben meine Kolleg:innen im Corona-Panel erforscht. Das heißt nicht, dass die Leute weniger arbeiten wollen, aber sie wollen kürzer arbeiten. Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde das unterstützen, weil viele Leute dann auch wirklich kürzer arbeiten könnten. Sie könnten dann auch besser und erholter arbeiten. Weil die meisten Leute wollen ihre Arbeit gut machen, sind aber oft zu gestresst oder erschöpft dafür. Die Arbeitszeitverkürzung sollte mit dem Grundeinkommen mitgedacht werden, aber die Arbeitszeitverkürzung brauchen wir in jedem Fall.
Kontrast.at: Ist dann nicht die Gefahr, dass die Löhne bei der Arbeitszeitverkürzung sinken und es eine allgemein finanzierte Arbeitszeitverkürzung wäre?
Prainsack: Ich habe kein Problem damit, dass es eine allgemein finanzierte Arbeitszeitverkürzung wäre. Das Grundeinkommen wäre ja auch in gewisser Weise eine allgemein finanzierte Unternehmens-Subvention. Ich habe nur ein Problem damit, wenn große Konzerne profitieren. Aber das muss man ohnehin angehen. Die Großen profitieren auch von den Corona-Hilfen übermäßig. Das muss man über andere Instrumente lösen, über andere Besteuerungs-Modelle und strengere Regelwerke. Da kann man nicht sagen, weil die Großkonzerne profitieren würden, wollen wir kein Grundeinkommen. Das wäre das Kind mit dem Bade ausschütten. Wir sagen auch nicht: Weil die Großkonzerne profitieren, wollen wir keine Corona-Hilfen haben. Das wäre absurd.
Kontrast.at: Welche Rolle spielt das Grundeinkommen für die Klimabewegung?
Prainsack: Es gibt konkrete Berechnungen, was uns ein Grundeinkommen ökologisch bringen würde. Etwa Studien, die zeigen, dass eine verkürzte Wochenarbeitszeit zu einem reduzierten CO2-Austoß führt, weil weniger Leute pendeln und so weiter. Aber es gibt viele Leute, die aus solchen Motiven für ein Grundeinkommen sind. Manche argumentieren, dass Leute mit einem Grundeinkommen überhaupt umweltverträglicher leben würden, weil exzessiver Konsum aus Frust auch ein Resultat der derzeitigen stressigen Lebensformen sind. Ich glaube nicht, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen nur positive Effekte hätte; aber ich glaube, dass die positiven Effekte die negativen überwiegen.
Barbara Prainsack ist Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Wien. Sie ist Mitglied des Austrian Corona Panel Project (ACPP), das die Einstellung der Österreicher:innen zu den Corona-Maßnahmen und anderen Fragen während der Corona-Krise untersucht. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen Medizin- und Gesundheitspolitik, Vergleichende Forschungspolitik sowie Institutionen und Politik der Solidarität. Die Politikwissenschafterin wurde im September 2021 als Mitglied des Covid-19 Beraterstabes von Bundesminister Mückstein als Teil des Obersten Sanitätsrates bis Ende 2022 bestellt.
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