Als „Systemerhalter:innen“ wurden die Pflegekräfte und Handelsangestellten in den letzten zwei Jahren beklatscht – sie waren es, die in der Krise die Supermärkte und Krankenhäuser am Laufen gehalten haben. Doch nicht nur die entsprechende Wertschätzung der Regierung ist ausgeblieben, sondern auch die Gewalt am Arbeitsplatz hat zugenommen, wie eine aktuelle Studie im Auftrag der Gewerkschaft GPA zeigt.
Im Auftrag der Gewerkschaft für Privatangestellte hat das Institut für empirische Sozialforschung GmbH (IFES) 1.000 Beschäftigte nach ihren Erfahrungen mit Gewalt und Aggression am Arbeitsplatz befragt. Es zeigt sich, dass für Angestellte mit Kund:innenkontakt – wie etwa im Gesundheits- und Pflegebereich sowie im Handel – in den letzten zwei Jahren nicht nur Stress und Überbelastung deutlich zugenommen haben, sondern sie auch in größerem Ausmaß von Gewalt und Aggression betroffen sind. Der akute Personalmangel verschärft die Situation zusätzlich.
Mehr als jede zweite Person im Gesundheitsbereich erlebt verbale Gewalt
Über die Hälfte der Befragten hat verbale Übergriffe wie Anschreien am Arbeitsplatz wahrgenommen, 6 Prozent sogar oft und 16 Prozent gelegentlich. Über ein Drittel (38%) gibt an, in den letzten zwei Jahren selbst von verbaler Gewalt betroffen gewesen zu sein. Besonders dramatisch ist die Situation im Gesundheits-, Pflege- und Sozialbereich. Dort waren über die Hälfte der Befragten selbst verbaler Gewalt ausgesetzt, jede zehnte Person sogar „oft“. Auch körperliche Übergriffe sind in keinem anderen Bereich so häufig: 15 Prozent der Mitarbeiter:innen im Gesundheits- und Pflegebereich waren in den letzten zwei Jahren von Handgreiflichkeiten oder Tätlichkeiten betroffen. Ein Drittel von ihnen ist der Meinung, dass Konflikte am Arbeitsplatz in den letzten beiden Jahren häufiger geworden sind.
Die Konflikte gehen dabei nicht nur von Kolleg:innen oder Vorgesetzten aus, sondern insbesondere auch von Patient:innen, Klient:innen oder Kund:innen. Spürbar ist das unter anderem im Zusammenhang mit Corona-Maßnahmen geworden. Als etwa Begleitpersonen nicht mit ihren Angehörigen ins Krankenhaus durften, stieß das Personal vermehrt auf Unverständnis. Gerade im Eingangsbereich kam es deshalb immer wieder zu kritischen Situationen, Gewaltandrohungen und Übergriffen, wie Ilse Kalb, stv. Betriebsratsvorsitzende im Hanusch Krankenhaus erzählt. Inzwischen mussten mehrere Securitys eingestellt werden und auch der Zutritt zu den Pavillons ist eingeschränkt und wird verstärkt kontrolliert.
Konflikte im Supermarkt und Gewandgeschäften
Auch im Handel erleben die Angestellten häufig verbale Gewalt. Deutlich mehr als ein Drittel (42%) war selbst davon betroffen (oft: 3%, gelegentlich: 15%, selten: 24%). Jede 15. Angestellte erlebte körperliche Übergriffe (3 % gelegentlich, 4% selten).
Dabei hatten nicht nur die Corona-Maßnahmen wie Maskenpflicht oder 3G-Nachweise, Konfliktpotenzial. Auch die allgemeine Lebens- und Arbeitssituation der Kund:innen spielt eine Rolle. Die Corona-Krise hat für viele Menschen die Einkommenssituation verschärft, psychische Probleme haben zugenommen und auch die Sorgen über die Gesundheit naher Bezugspersonen war für viele eine Belastung. Auch das sei ein Grund, warum es verstärkt zu Aggressionen und verbaler Gewalt in den Betrieben und Geschäften gekommen ist.
„Wir appellieren an die Kundinnen und Kunden, gegenüber den Beschäftigten mehr Respekt aufzubringen“, sagt die Vorsitzende der Gewerkschaft GPA, Barbara Teiber. Denn diese seien schließlich jene, die dafür sorgen, dass das Geschäft am Laufen bleibt.
Besonders Frauen und Jüngere sind von Übergriffen betroffen
Die Studie zeigt darüber hinaus, dass Frauen häufiger von verbaler Gewalt betroffen sind (40%) als Männer (35%). Die Übergriffe gehen dabei in 77 Prozent der Fälle von Männern aus. Auch Personen bis 35 Jahre erleben öfter gewaltvolle Situationen. Fast jede zweite Person hat verbale Gewalt erlebt, bei den älteren ist es ein Drittel.
Diese Tendenz zeigt sich auch in den Fragen zu sexueller Belästigung. Jede:r Sechste (16%) hat sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz schon einmal mitbekommen, 12 Prozent der Frauen und 3 Prozent der Männer waren selbst betroffen. Bei den Jungen sind es 13 Prozent, bei den über 35-jährigen 5 Prozent. In fast 80 Prozent der Fälle geht die Belästigung von einem Mann aus.
Arbeitsdruck und Personalmangel verstärken die Konflikte
Ein weiteres deutliches Ergebnis betrifft Konfliktverstärker. So sind zwei Drittel der Befragten der Meinung, dass Arbeitsdruck und Personalmangel Konflikte verstärken.
75 Prozent der Befragten sagen, dass es nicht ausreichend Personal im Betrieb gibt, um Stresssituationen zu vermeiden.
Aber auch zwischen den Kolleg:innen gibt es Konflikte, die unter anderem deshalb zugenommen haben, weil die Arbeitsbelastung durch Personalmangel, Stress und überlanges Arbeiten besonders hoch war.
Auch Corona an sich war in einigen Fällen ein Konfliktthema. Während 60 Prozent von sachlichen Gesprächen zu den Corona-Maßnahmen berichten, erlebten 21 Prozent Streit oder heftige Diskussionen. Bei einem Prozent kam es sogar zu Handgreiflichkeiten.
In all diesen Fällen müssen die Angestellten vor Gewalt geschützt werden, wie GPA-Vorsitzende Barbara Teiber betont:
„Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verdienen Respekt und müssen bei ihrer Tätigkeit vor allen Formen der Gewalt geschützt werden. Die Verantwortung dafür trägt der/die Arbeitgeber:in. Er oder sie trifft die Verpflichtung, geeignete Schutzmaßnahmen zu treffen.“
Dazu gehören etwa Maßnahmen wie Notknöpfe und Notfallpläne, Bodenmarkierungen, Glasbarrieren, aber auch Schulungen oder Informationskampagnen. Nicht zuletzt ist ausreichend Personal ein wichtiger Faktor zur Gewaltprävention. Die Gewerkschaft fordert deshalb die Regierung auf, ausreichend finanzielle Mittel gegen den akuten Personalmangel im Gesundheits- und Pflegebereich zur Verfügung zu stellen.
Hilfe bei Gewalt am Arbeitsplatz |
Auf der Internetseite www.gpa.at/sicher-ohne-gewalt finden sich rechtliche und individuelle Ratschläge für die unterschiedlichen Gewalterfahrungen. |