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Muss objektiver Journalismus alle Meinungen abbilden?

Muss objektiver Journalismus alle Meinungen abbilden?

Foto: Unsplash/Jason Rosewell

Kontrast Redaktion Kontrast Redaktion
in Medien
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27. Juli 2018
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Objektiver Journalismus bedeutet nicht zwangsläufig, „alle Seiten“ zu Wort kommen zu lassen. Wichtiger wären Fakten und Hintergrund-Informationen. Wenn Journalisten nur Meinungen und Behauptungen aneinander reihen, bekommen falsche und gefährliche Aussagen mehr Raum als ihnen zusteht.

Journalisten lassen in einer Debatte gerne „alle Seiten“ zu Wort kommen und stellen Standpunkte als gleichwertig dar. Es ist der Versuch ausgewogen zu berichten, der letztendlich zu verzerrten Darstellungen führt. „False balanced journalism“ nennt man dieses Medienphänomen. In der Praxis heißt das: Meinungen und bloße Behauptungen bekommen gleich viel Raum wie Fakten. In den USA müssen Wissenschafter, die ihr gesamtes Leben der Erforschung des Klimawandels widmen, mit Klimawandel-Leugner in Medien diskutieren, deren Argumente sich auf ihr Gefühl oder aus den Kontext genommenen Teilergebnissen von Studien stützen. Beide Seiten können zum Beispiel in TV-Debatten ihre Argumente vorbringen und bekommen gleich viel Raum. Egal ob die Argumente wahr sind oder nicht. Objektiver oder ausgewogener Journalismus ist das nicht.

Objektiver Journalismus: Fakten in der Defensive

In solchen Diskussionen sind dann jene, die mit Fakten argumentieren, damit beschäftigt, Behauptungen zu korrigieren und Unwahrheiten zu entkräften. Sie müssen Fakten abrufen. Jene, die bloß mit Behauptungen, dubiosen Internetquellen und Geschichten vom Hören-Sagen aufwaten, geben die Themen vor – bis sie korrigiert werden. Dann wechseln sie das Thema. Raum bekommen beide Seiten, gleich viel. Und überzeugen konnten nicht automatisch jene da, die das Faktenwissen mit sich bringen. Denn in solchen Diskussionen zählen auch Auftreten, Rhetorik und Verständlichkeit. Behauptungen emotionalisieren öfter als Fakten – sie sprechen z.B. Ängste an und beeinflussen, wie wir ein Thema wahrnehmen und was wir als Wahrheit ansehen wollen.

Wer emotionalisiert, wird verbreitet

Das Problem mit dem „false balanced journalism“ hat sich in den letzten Jahren zugespitzt: Zum Beispiel verbreiten sich Falschmeldungen viel schneller. Soziale Medien und die Bandbreite an Medien erlauben jenen, die Falschmeldungen produzieren, ihre Bilder, Schlagzeilen, Schuldzuweisungen und Warnungen an Massen von Lesern zu bringen. Und wir teilen solche Meldungen. Eine Studie hat gezeigt: Falschmeldungen verbreiten sich sechs Mal schneller als echte Nachrichten. Warum eigentlich? Dahinter stecken zwei psychologische Phänomene:

  1. Meldungen, die sich nicht an Fakten halten, beinhalten meist überraschende „Informationen“. Dinge, die wir so noch nie gehört haben, erregen unsere Aufmerksamkeit. Somit werden wir angespornt, diese „Neuigkeiten“ auch mit anderen zu teilen.
  2. Falschmeldungen thematisieren häufig Negatives. Menschen gewichten negative Informationen stärker. Das ist evolutionär bedingt: Es war wichtiger, seine Sippe vor Raubtieren zu warnen, als die Nachricht von einem schönen Sonnenuntergang zu verbreiten. Und auch heute wird eine vermeintliche Bombendrohung schneller geteilt als andere News.

Objektiver Journalismus steht damit vor einer großen Herausforderung.

Beispiel Impfen: Gegenteilige Meinungen sind nicht gleich viel wert

Fakten sind manchmal trocken oder setzen gewisses Wissen voraus, um sie verstehen zu können. Fehlt dieses Wissen, nimmt man sich nicht die Zeit, die Fakten zu überprüfen, oder sind Gegenbehauptungen einfach emotionalisierender, können Falschbehauptungen die Deutungshoheit bekommen. So führen beispielsweise Interviews und Gastbeiträge von Impfgegnern dazu, dass wir 2018 darüber diskutieren, ob man sich impfen lassen soll oder nicht. Die Folge: Als ausgestorben geltende Krankheiten kehren zurück.

Ein frühes Beispiel ist der vormals britische Arzt. 1998 hat Andrew Wakefield eine Pressekonferenz abgehalten. Er hat behauptet, es gäbe einen kausalen Zusammenhang zwischen der MMR-Impfung (Mumps-Masern-Röteln) und Autismus bei Kindern. Fachjournalisten sind auf diese Behauptung nicht näher eingegangen. Sie wussten, dass es nicht stimmte. Doch es gab auch andere. Impfgegner wie Wakefield und andere haben gezielt fachfremde Journalisten angesprochen: Sie sollten die unterdrückte Minderheitsmeinung abbilden. Der Effekt war gewaltig. Der britische Arzt und Journalist Ben Goldacre hat 2002 untersucht, wie sich die Debatte zum Thema Impfen entwickelt hat. Die Erkenntnis: 10% der Beiträge zum Thema „Wissenschaft“ haben sich dem Thema MMR-Impfungen gewidmet. 8 von 10 dieser Beiträge waren jedoch von Journalisten verfasst worden, die keine Fachexpertise hatten. Sie haben die Annahme vertreten, dass  zwei gegensätzliche Ansichten den gleichen Informationswert haben müssen.

Wakefield wurde übrigens mit einem Berufsverbot in Großbritannien belegt.

Plötzlich werden Menschenrechte infrage gestellt

Doch nicht nur Falschmeldungen sind problematisch. Aufmerksamkeit findet, wer provoziert, wer aufregt, wer Likes – aber auch Dislikes – erntet. Das gilt für Forenbeiträge, Facebook- und Twitter-Timelines ebenso wie für TV-Talk-Runden und Interviews in Printmedien. Provokateure in Talkshows versprechen Klicks und gute Quoten. Sie werden als Diskussionspartner legitimiert. So passiert es schon mal, dass ein Rechtsextremist wie Martin S. bei „Talk im Hangar“ (Servus TV) lange Monologe darüber halten darf, wie gefährlich Migranten seien. Die Erklärung des Sendungsverantwortlichen Michael Fleischhacker: Er will „die ganze Bandbreite des Denkbaren abbilden„.

Auch wenn Clickbait wohl ein Motiv war, die Rechtfertigung ist erneut: Alle müssen zu Wort kommen.

Am Ende stellen renommierte Zeitungen sogar die Menschenrechte infrage. So hat z.B. „die Zeit“ darüber diskutieren lassen, ob man Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken lassen sollte oder nicht. Ist das ausgewogener, objektiver Journalismus? „Eine solche Debatte ist nicht ausgewogen, sondern zynisch und verantwortungslos„, findet die IT-Kolumnistin und Autorin Ingrid Brodnig.

Was bedeutet objektiver Journalismus - eine Diskussion auf Twitter

Salami-Taktik: Die Grenze des Sagbaren verschiebt sich

Sollen Mindestsicherungs-Bezieher überhaupt wählen dürfen? Ist Belästigung vielleicht einfach Flirten? Soll man 2018 Listen von gläubigen Juden in Niederösterreich anfertigen? Steckt George Soros hinter einer großen Migrations-Verschwörung? Die Grenze des Sag- und Denkbaren verschiebt sich. Was vielleicht vor fünf Jahren noch als indiskutabel gegolten hat, ist heute Thema in Nachrichtensendungen und Talk-Runden. Journalisten kommt daher große Verantwortung zu. Denn sie entscheiden, wen sie abbilden und zu Wort kommen lassen. Sie bestimmen, was wir als objektiven Journalismus präsentiert bekommen.

Rechte Medien wollen Kritik an „false balance“ nicht zulassen

Die Kritik an der „false balance“ im Journalismus stößt rechten Medien sauer auf. Das FPÖ-nahe Magazin „Wochenblick“ hat Ingrid Brodnig für ihre Argumente attackiert. Sogar FPÖ-Vizekanzler Strache verbreitet die Agitation gegen Brodnig. Es ist nicht der erste Angriff: Nachdem Brodnig 2016 über das Magazin berichtet hat, hat „Wochenblick“ die Journalistin mehrmals angegriffen und in Artikeln beschimpft. Das Magazin „Wochenblick“ verstößt übrigens gegen den Ehrenkodex der österreichischen Presse.

Zum Weiterlesen:

So erkennst du Falschmeldungen im Netz (Kontrast)

Dossier: FPÖ-Angriffe auf Journalisten (Kontrast)

Falschmeldungen verbreiten sich sechs Mal schneller als wahre Nachrichten! (Kontrast)

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xx1xx
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3. Dezember 2020 14:57

Es ist ein Angriff auf die Bildung und Wissenschaft, wenn Medien dazu missbraucht werden über wissenschaftlich erfassbare Inhalte abzustimmen.

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Privatstiftungen sollten ursprünglich einem gemeinnützigen Zweck dienen, etwa in den Bereichen Soziales, Bildung oder Kultur. Doch heute sind sie vor allem ein beliebtes Werkzeug, um Vermögen zu sichern und Steuern zu vermeiden. Sie sind besonders beliebt bei den Reichsten der Reichen – auch weil sie kaum von den Steuerbehörden kontrolliert werden. Zitat: Privatstiftungen sind eine Rechtsform, die beinahe ausschließlich von den Reichsten der Reichen genutzt wird. 40 Prozent aller Privatstiftungen befinden sich im unmittelbaren Umfeld der 60 reichsten Familien. Sie werden von Superreichen benutzt, um ihr Vermögen vor Steuerbehörden zu verschleiern. Auch deshalb weil drei Viertel aller Privatstiftungen überhaupt noch nie von den Steuerbehörden kontrolliert worden sind. Stephan Pühringer

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