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ÖVP-Grüne: Wird Kurz die Angriffe auf den Sozialstaat fortsetzen?

Die gute Nachricht ist: Die FPÖ ist nicht mehr in der Regierung – und damit sind auch rechtsextreme Netzwerke wieder weiter vom Staat weg. Die schlechte Nachricht: Ob die zentralen politischen Projekte von Sebastian Kurz und seinen Großspendern wie das Zerschlagen der Sozialversicherung, die Abschaffung der Notstandshilfe und der Aufbau eines Niedriglohnsektors mit den Grünen fortgesetzt werden, ist nicht klar. Denn: Obwohl fertig, wird das Koalitionsabkommen vor der Öffentlichkeit verborgen. Nur die Ressortaufteilung gibt erste Hinweise. 

Es gibt ein paar österreichische Institutionen, die dem ÖVP-Obmann Sebastian Kurz ein Dorn im Auge sind: Das starke öffentliche Gesundheitssystem, die Notstandshilfe und die Sozialpartnerschaft zum Beispiel. Wenn der baldige Kanzler „Reformen“ sagt, dann meint er: Gewerkschaften schwächen, Arbeitslose dem Billiglohnsektor ausliefern und Krankenkassen gegenüber privaten Versicherungsanbietern schwächen. Kurz hat wie alle Neoliberalen Europas gelernt: Sozialabbau macht man nicht auf einmal und frontal, sondern in kleinen Dosen. Dann fällt es kaum auf und das Ergebnis ist ähnlich. Nebenbei hält man die Medien mit dem Migranten-Trick außer Atem, so dass nicht mehr viel Zeit und Platz für Themen abseits von Migration und Integration bleibt.

Und so hat Kurz es die letzten eineinhalb Jahre auch gemacht. Die zentrale Frage ist jetzt also: Schafft es Kurz in der Koalition mit Werner Koglers Grünen, die Notstandshilfe abzuschaffen, das Gesundheitssystem weiter zu privatisieren und Arbeitslose einem Niedriglohnsektor auszuliefern? Das 200 Seiten starke Regierungsprogramm ist unter Verschluss – es soll erst 2 Tage vor dem Kongress der Grünen vorgestellt und inszeniert werden. Ein erster Hinweis darauf, dass die Grünen fürchten, als Steigbügelhalter von Sebastian Kurz kritisiert zu werden. Die Diskussion über das Programm der Koalition soll jedenfalls kurz gehalten werden.

Finanz- und Wirtschaftspolitik fest in ÖVP-Hand

Was wissen wir über die Machtverteilung in der neuen Regierung? Finanz- (Kurz-Intimus Gernot Blümel) und Wirtschaftsministerium (Margarete Schramböck) sind in den Händen der ÖVP. Die steirische Consulting-Unternehmerin Christine Aschbacher wird Familienministerin. Eine Überraschung ist, dass sie auch die Arbeitsagenden aus dem Sozialministerium bekommt und damit oberste Chefin des AMS werden soll. Das abgespeckte Sozialministerium soll von dem Grünen Rudi Anschober geführt werden.

Die ÖVP-Minister pflegen gute Kontakte zu Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung. Und die sind dafür bekannt, dass sie seit Jahren weniger Rechte für Arbeitnehmer und niedrigere Löhne fordert. So ist etwa die neue Wirtschaftsministerin Schramböck durch den Sager: „Vier Stunden Arbeitsweg sind ok, es gibt ja Facebook, um Beziehungen zu halten“ in die Kritik geraten. Damals wollte sie die Zumutbarkeitsgrenze für Arbeitswege auf 20 Stunden pro Woche erhöhen. Wer sich weigert, dem soll Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe gestrichen werden, forderte Schramböck.

Wirtschaftsministerin Schramböck auf die Frage, ob Anfahrtswege von vier Stunden nicht zu wenig Zeit für Freundschaften und Beziehungen lassen.

Auch die neue Arbeitsministerin Aschbacher scheint mehr den Wirtschaftsinteressen verpflichtet zu sein: Sie stammt aus steirischen Unternehmerfamilie, zuletzt arbeitete sie als Unternehmensberaterin in der Agentur „Aschbacher Advisory“. Aschbacher gilt als politisch unbedeutend und loyal, dürfte also den Angriffen von Sebastian Kurz auf die Notstandshilfe und Arbeitnehmer nicht im Weg stehen.

Geht der Abbau des Sozialstaates weiter?

Seit Sebastian Kurz ÖVP-Obmann ist, lässt er ausrechnen, wie man die Notstandshilfe streichen und durch ein Hartz IV-Modell nach deutschem Vorbild ersetzen kann. Ohne Ibiza wäre die Abschaffung der Notstandshilfe wohl das nächste große Projekt von schwarz-blau gewesen. Das haben auch seine Großspender erwartet – neben einem Milliarden-Steuerzuckerl für Konzerne.

Zu Beginn von Schwarz-Blau kündigte Kurz an: „Die Notstandshilfe wird es in der derzeitigen Form nicht mehr geben.“ (Sebastian Kurz in der ZIB, 5. Jänner 2018).

Davon wird er auch in dieser Regierung nicht ablassen. Und Schramböck eignet sich ausgezeichnet als Ministerin, um das Projekt Niedriglohn-Sektor fortzuführen. Dass die Grünen das Wirtschafts-Diktat in der Krankenkasse der Arbeitnehmer beenden können und Kürzungen in der öffentlichen Gesundheitsversorgung verhindern, ist zu bezweifeln. Hier hat die schwarz-blaue Vorgänger Regierung schon zu viel Vorarbeit geleistet.

Integration: Geht der Migranten-Trick weiter?

Dazu bekommt die ÖVP das Innenministerium (Karl Nehammer), das Außenministerium (Alexander Schallenberg) und das Integrationsministerium (Susanne Raab). Und damit die drei zentralen Ministerien für Migration, Integration und die Migrationsdebatte. Sie kann also über ihre Ministerien steuern, wann Migration Thema in den Medien sein wird. Wenn Stimmung gegen Migranten gebraucht wird, um etwa Kürzungen bei Arbeitslosen zu rechtfertigen, wird der Innenminister einen Migranten finden, der ein Red Bull gestohlen hat oder eine angebliche Fluchtwelle belegen, die zwar nie kommt, aber über die wir lange diskutieren können.

Der neue Innenminister Karl Nehammer kann nicht nur die Migrations-Debatte gute beeinflussen, er kann auch den Geheimdienst wieder unter ÖVP-Kontrolle bringen.

Die neue Integrationsministerin Raab sprach sich noch als Spitzenbeamtin im Außenministerium für Ein-Euro Jobs aus. Für die ÖVP ist Migration und Integration (neben der Stimmungsmache) vor allem unter dem Aspekt des Lohndrucks interessant. Ob die Grünen an dem Kurs etwas ändern konnten, damit Migranten in Österreich nich ausgebeutet werden, lässt sich aus der Ressortaufteilung nicht vermuten.

Fortschritte bei Umwelt und Justiz

Die Lichtblicke der neuen Regierung dürften Umwelt und Justiz sein: Leonore Gewessler und Alma Zadic von den Grünen sind die einzigen, die mit der bisherigen Kurz-Politik brechen könnten. Zadic ist Anwältin und war bei der Aufarbeitung des BVT-Skandals im Untersuchungsausschuss aktiv. Unklar ist, ob sie den Geldmangel in der Justiz samt verschleppter Verfahren und Personalmangel beheben kann. Aber zumindest sorgt eine Grüne Justizministerin dafür, dass die Causa Ibiza juristisch geklärt wird.

Elisabeth Köstinger hat sich bisher nicht durch Umweltpolitik hervorgetan. Als Landwirtschaftsministerin bediente sie eher Interessen der Großbauern als Klimaschutz und Umwelt.

Für Umwelt- und Infrastrukturministerin wird die früher Geschäftsführerin der Umweltorganisation „Global-2000″ zuständig sein. Das sind die Schlüsselthemen grüner Politik schlechthin. Die bisherige Kurz-Regierung hat keine Umweltpolitik gemacht – stattdessen Umwelt-NGOs geschwächt. Den Kurs kann sie mit den Grünen wohl nicht fortsetzen. Bei den Verhandlungen hatte es Kurz besonders auf die Bahn abgesehen: Kurz wollte scheinbar Teile aus der ÖBB lösen und privatisieren, was die Grünen offenbar verhindern konnten. Ein gutes öffentliches Schienensystem scheint ihnen wichtig.

Wenn die Ministerien für Energie und Landwirtschaft aber weiter in der Hand der ÖVP sind, bleibt der Umwelt-Spielraum der Grünen dennoch beschränkt. Denn besonders im Landwirtschaftsministerium herrschen die Klientelinteressen der ÖVP-Großbauern über den Klima-, Arten- und Landschaftsschutz – worunter besonders Klein- und Biobauern leiden. Dafür zuständig wird weiterhin die Kurz-Vertraute Elisabeth Köstinger sein.

Kogler hält Regierungspakt vor seiner Partei geheim

Grünen Chef Werner Kogler bekommt, wie schon sein Vorgänger Heinz-Christian Strache, neben dem Vizekanzleramt die Agenden Beamte und Sport. Seine Hauptaufgabe ist es, Sebastian Kurz in den großen Linien der Koalitionsarbeit etwas entgegenzuhalten. Wie gut es ihm gelingt, die Angriffe von Sebastian Kurz auf die Notstandshilfe und die Sozialpartnerschaft zu verhindern, ist völlig unklar. Die Postenbesetzung deutet darauf hin, dass Kurz seine Angriffe Schritt für Schritt fortsetzen wird. Alle relevanten Ministerien, um Arbeitsrechte abzubauen, die Notstandshilfe zu streichen und einen Niedriglohnsektor in Österreich zu etablieren, liegen in ÖVP-Hand. Verbesserungen bei der Klimapolitik wird es wohl geben. Ob sie ohne Energie und Landwirtschaft aber weit genug gehen, um das Schlimmste zu verhindern, wissen wir auch nicht.

Denn Grünen-Chef Kogler hält die 200 Seiten Koalitionspakt vor seiner Partei geheim. Die darf erst wenige Stunden vor der Abstimmung über die Koalition davon erfahren. Bis dahin werden Ministerien besetzt und Posten vergeben, inhaltliche Diskussionen werden von Kurz und Kogler währenddessen verhindert.

Wie sollen wir in Österreich die Teuerung bzw. ihre Folgen bekämpfen?

Maximal 4 Antwortmöglichkeiten

  • Steuern auf Arbeit senken, dafür Steuern auf Millionenvermögen erhöhen 23%, 82 Stimmen
    23% aller Stimmen 23%
    82 Stimmen - 23% aller Stimmen
  • Übergewinnsteuer für Energieunternehmen und Banken 20%, 70 Stimmen
    20% aller Stimmen 20%
    70 Stimmen - 20% aller Stimmen
  • Energiepreise stärker regulieren 16%, 58 Stimmen
    16% aller Stimmen 16%
    58 Stimmen - 16% aller Stimmen
  • Mehrwertsteuer auf Lebensmittel streichen 14%, 49 Stimmen
    14% aller Stimmen 14%
    49 Stimmen - 14% aller Stimmen
  • Mieterhöhungen für die nächsten zwei Jahre stoppen 11%, 38 Stimmen
    11% aller Stimmen 11%
    38 Stimmen - 11% aller Stimmen
  • Ganztagesschulen kostenlose machen 8%, 29 Stimmen
    8% aller Stimmen 8%
    29 Stimmen - 8% aller Stimmen
  • Höchstzinsen für Häuselbauerkredite einführen 5%, 17 Stimmen
    5% aller Stimmen 5%
    17 Stimmen - 5% aller Stimmen
  • Mindestzinsen für bestimmte Sparprodukte einführen 4%, 15 Stimmen
    4% aller Stimmen 4%
    15 Stimmen - 4% aller Stimmen
Stimmen insgesamt: 358
Voters: 107
13. Mai 2024
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Patricia Huber

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