Etwas läuft schief in der Landwirtschaft: 80 Prozent der öffentlichen Förderungen für Landwirte und Landwirtinnen gehen an 20 Prozent der größten Agrarunternehmen. Nur 3 Prozent aller Betriebe bewirtschaften 50 Prozent der europäischen Landwirtschaftsflächen. Das geschieht unter enormen Belastungen für Umwelt und Tiere.
Europas kleine Landwirtinnen und Landwirte geben immer öfter auf. In Frankreich begeht jeden zweiten Tag ein Bauer oder eine Bäuerin Selbstmord. Wie können wir unsere Landwirtschaft wieder so umgestalten, dass sie für LandwirtInnen, KonsumentInnen, Umwelt und Tiere wieder erträglich ist? KONTRAST hat mit Christian Rehmer über Auswege aus der derzeitigen Landwirtschaft, über Laborfleisch und die Profiteure der Agrarindustrie gesprochen. Rehmer ist Experte für Landschaftsnutzung und Naturschutz sowie Leiter des Referats Agrarpolitik der Naturschutz-Organisation „BUND“.
KONTRAST: Das Agrarbudget in der EU ist hoch und macht mit 58 Milliarden Euro einen großen Teil des gesamten EU-Budgets aus. Trotzdem gibt es ein Bauernsterben, trotzdem klagen viele Bauern, dass sie von der Landwirtschaft nicht leben können.
Cristian Rehmer: Die 58 Milliarden – demnächst werden es 54 Milliarden sein – sind grundsätzlich nicht dafür da, das Einkommen der Bauern zu generieren. Sie sind auch nicht dafür gedacht, den Strukturwandel oder das Höfesterben zu stoppen. Die Höhe der Förderungen richtet sich nach der Fläche des Betriebes. Bei kleinen Betrieben mit wenig Fläche machen die Subventionen aus Brüssel, Berlin oder Wien nur fünf oder zehn Prozent des Jahreseinkommens aus – bei anderen, größeren Betrieben kann das bis zur Hälfte ausmachen. Für die Mehrheit der Bauern und Bäuerinnen ist es also nur ein Beibrot und kann das Höfesterben gar nicht aufhalten.
Sie sind kein besonderer Fan der Flächenförderung in der Landwirtschaft?
Rehmer: Fest steht: Diese Flächenförderung ist weder effektiv in dem Sinne, dass sie leistet, was sie soll, zum Beispiel Betriebe unterstützt, die es wirklich nötig haben oder bestimmte Ziele unterstützt im Bereich von Umwelt und Klima – dafür ist sie nicht effektiv. Zweitens ist sie auch noch absolut ungerecht.
Es ist so, dass europaweit ungefähr 80 Prozent der Gelder an 20 Prozent der Betriebe gehen.
Das sieht in den einzelnen Mitgliedsstaaten teilweise ein bisschen anders aus. In Deutschland ist es so, dass 69 Prozent an 20 Prozent der Betriebe gehen und in Österreich ist es noch ein bisschen besser – 58 Prozent der Gelder gehen an 20 Prozent der Betriebe. Logischerweise an die Betriebe, die viel Fläche haben, weil es wird ja nach Fläche bezahlt. Das heißt, man hat einen Anreiz, besonders viel Fläche zu haben, zu bewirtschaften und auch immer mehr davon zu bekommen. Nicht unbedingt ein Anreiz, die Flächen besonders nachhaltig zu bewirtschaften oder sonstige Zusatzleistungen im Bereich Natur- oder Klimaschutz zu erbringen.
Was sind die Effekte davon, dass nach Größe gefördert wird und es damit die Tendenz zu immer größerer industriellerer Landwirtschaft gibt? Das hat ja auch ökologische Folgen.
Rehmer: Große Betriebe haben viele Vorteile: Sie können ihre Maschinen besser ausnutzen. Wenn du jetzt einen Traktor kaufst und der kostet dich zwischen 100.000 Euro und 500.000 Euro und du hast nur zwei, drei Hektar, dann ist das quasi Geldverschwendung. Wenn du 50 Hektar hast, dann ist das vielleicht grad noch okay, aber wenn du 500 oder 1.000 Hektar hast, dann kannst du den viel besser ausnutzen. Dann kann der schön vor sich hinfahren und du hast die Maschine ideal ausgenutzt. Wenn du dann auch noch die Strukturen so machst, dass er nicht ständig kleine Kurven fahren muss, nicht ständig um irgendeinen Baum oder Teich herumfahren muss, dann bekommt man weitere Effizienzsteigerungen.
Das hat zur Folge, dass die großen Landwirtschaftsbetriebe die Landschaft immer weiter ausgeräumt haben. Jede kleine Struktur, die wichtig ist für die Biodiversität, wurde bei Seite geschafft. Wege wurden überfahren, kleine Gewässer wurden zugeschüttet und so weiter, sodass alles monoton und gut bearbeitbar ist. Kleine Landwirtinnen und Landwirte haben nicht nur diese Effizienznachteile, sondern werden dann auch noch schlechter gefördert. Das ist ein Teufelskreis.
Und was könnte man dagegen machen?
Rehmer: Zum einen könnte man die Förderungen so ändern, dass das Höfesterben zumindest verlangsamt wird, wenn nicht sogar gestoppt. Außerdem sollte man diese pauschalen Flächenprämien schrittweise abbauen und stattdessen andere Dinge fördern. Verstehen Sie mich nicht falsch: Das Geld soll schon im ländlichen Raum und in der Landwirtschaftspolitik bleiben. Aber lasst uns statt der Flächenförderung andere Prämien aufbauen, mit denen man ganz gezielt die Leistungen der Bäuerinnen und Bauern für die Gesellschaft honorieren kann. Also zum Beispiel dafür, dass sie ihre Tiere besser halten, die Umwelt und das Klima schützen, Moore wieder vernässen und ähnliches.
Im Gesamtverhältnis fließen drei Viertel des Geldes in die erste Säule der pauschalen Flächenprämien. Ein Viertel der Gelder fließt in die zweite Säule. Das ist in den einzelnen Mitgliedsstaaten etwas unterschiedlich. In Österreich fließen ungefähr 60 Prozent der Gelder in die erste Säule, 40 Prozent in die zweite Säule. In Deutschland ist das Verhältnis 4:1.
Ist das die Lösung, dass die Landwirtschaft wieder kleinteiliger wird? Große Agrarbetriebe wird man nur schwer zerschlagen können.
Rehmer: Das stimmt! Uns muss aber auch klar sein, dass auch Großbauern, wenn sie wollen, kleinere Einheiten machen können und so die Biodiversität fördern könnten. Selbst wenn man 1.000 Hektar hat, kann man das in kleinere Einheiten einteilen.
Überall dort, wo bestimmte Strukturen der Agrarlandschaft aufeinanderstoßen, findet die meiste Biodiversität statt. Ganz egal, ob eine Wiese an ein Weizenfeld oder ein Weizenfeld an ein Maisfeld stößt – Biodiversität mag Abwechslung, Struktur und nicht Monotonie. Das heißt, selbst ein Großbetrieb könnte an der Stelle etwas tun. Er muss sich dafür nicht aufsplittern und wieder ein Kleinbetrieb werden. Er kann einfach dafür sorgen, dass die Ackerstrukturen so gestaltet werden, dass es auch gut für die Biodiversität ist. Und das wiederum könnte man anregen mit der EU-Agrarpolitik, indem man bestimmte Förderprämien für kleine Einheiten erfindet.
Man hat ja grundsätzlich, wenn man mit Bauern und Bäuerinnen spricht, oft das Gefühl, sie würden es gerne anders machen, aber sie sehen wenige Möglichkeiten. Was ist die Ursache? Ist das nur die Landwirtschaftsförderung oder sind das auch Marktmechanismen?
Rehmer: Welche Macht haben Bäuerinnen und Bauern in der Wertschöpfungskette? In der Regel ist es so, dass der Bauer oder die Bäuerin in der Mitte von zwei mächtigen Blöcken ist. Der vorgelagerte Bereich, also die, die etwa Saatgut, die Agro-Chemikalien, die Maschinen produzieren, ist sehr, sehr stark konzentriert und mächtig. Und der nachgelagerte Bereich, also die, die Ware aufnehmen – Handel, Zwischenhandel, Verarbeiter und so weiter bis zum Supermarkt – ist noch mächtiger. Und der Bauer ist derjenige dazwischen, der am wenigsten Macht hat und meistens auch schlecht organisiert ist. Für ihn bleiben deswegen am Ende nur die Krümel des Kuchens übrig. Deshalb stehen Bäuerinnen und Bauern auch in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis zu den Zahlungen aus Brüssel, weil sie sonst nicht über die Runden kommen.
Was verdient ein Bauer denn im Schnitt?
Rehmer: Das landwirtschaftliche Durchschnittseinkommen ist nicht besonders toll. In Deutschland sind es 36.000 Euro im Jahr. In Österreich ist es, soweit ich weiß, noch weniger. Das ganze natürlich ohne 13. und 14. Gehalt oder gesetzlichen Urlaubsanspruch. Das landwirtschaftliche Einkommen ist im Verhältnis zu einem Facharbeiter oder einer Facharbeiterin nicht besonders hoch. Gleichzeitig hat man definitiv keine 40-Stunden-Woche, schon gar nicht, wenn man Tiere hält. Da ist es klar, dass man relativ wenig Ambitionen hat, an diesem einfachen Geld, das aus Brüssel kommt, etwas zu ändern. Umfragen sagen aber: Noch lieber wären den Landwirtinnen und Landwirten faire Erzeugerpreise. Sie würden dafür sogar auf die Subvention durch die Allgemeinheit verzichten.
Wie sehr würde sich der Warenkorb für Nahrungsmittel verteuern, wenn es faire Preise gäbe?
Rehmer: Für die Rohstoffe einer Semmel bekommt der Bauer oder die Bäuerin zwei Cent. Das heißt, wenn sie das Doppelte bekommen würden, wären es vier Cent. Das macht jetzt für die Kundinnen und Kunden, die beim Bäcker 40, 50 Cent bezahlen, kaum einen Unterschied.
Wenn wir von einem fairen Preis reden, sollten wir auf die Frage achten: Haben wir eine faire Verteilung der Gewinne in der Wertschöpfungskette? Es kann ja nicht sein, dass einer in der Wertschöpfungskette besonders große Gewinne einfährt und einer so gut wie keine oder nicht einmal kostendeckende Preise hat.
Das heißt, die Bauern und Bäuerinnen erzielen so geringe Einkommen, dass sie EU-Subventionen benötigen, gleichzeitig machen die Lebensmittelindustrie und die Handelsketten mit ihren Produkten gute Gewinne?
Rehmer: Ja, der Lebensmittelhandel ist eigentlich immer sehr stabil mit seinen Gewinnen. Es ist ja in Ordnung, dass die mit ihrem Geschäft Gewinne machen, so wie alle anderen auch. Die Frage ist, ob sie dabei ihre Marktmacht missbrauchen. Und das ist dann wiederum eine Frage, wo der Staat aktiv werden sollte. Denn wenn große Teile des Marktes von drei oder vier Akteuren beherrscht werden, können die ganz anders auf kleinere Teile des Marktes einwirken, als wenn es eine große Verteilung gäbe.
Der Preisdruck der Supermarktketten ist ja gerade beim Fleisch enorm. Wie wirkt sich das aus?
Rehmer: Es werden auf engen Raum möglichst viele Tiere gehalten. In manchen EU-Ländern wie in Deutschland und Spanien ist das besonders krass. Dort ist die Tierhaltung in manchen Regionen so dicht, dass sich das massiv auf die Wasserqualität auswirkt. Offiziell darf man Leitungswasser mit einer Nitratbelastung von 50mg/Liter trinken. Andere Studien sagen aber, eigentlich wäre 25 mg/Liter die Höchstgrenze. Diesen Wert überschreiten in Deutschland die Hälfte aller Grundwasser-Messstationen. Das wirkt sich konkret auf uns aus. Dass es den Tieren dabei auch nicht sonderlich gut geht, liegt auf der Hand. Kühe fressen für gewöhnlich Gras und kein Soja aus Südamerika, das sie bekommen, um die Milchproduktion zu steigern.
Wie kann man das ändern?
Rehmer: Der Mensch, der Tiere hält, möchte am Ende des Jahres Geld haben, um davon leben und seinen Kindern Weihnachtsgeschenke kaufen zu können. Das heißt, wir als Gesellschaft müssen dann auch bereit sein, bessere Tierhaltung besser zu bezahlen. Allerdings kann man es nicht nur dem Verbraucher, der Verbraucherin als Verantwortung aufbürden.
Rund 20, 30 Prozent der Gesellschaft sagt: Okay, ich gebe für Qualitätsprodukte mehr aus. Aber die anderen nicht. Einige wollen es nicht und andere können es nicht. Das heißt, wenn wir einen Transformationsprozess möchten, dann muss das auch von der Politik, beispielsweise mit Steuermitteln, unterstützt werden.
Gut wäre es, wenn die Tierhaltung auf dem Produkt im Supermarkt gekennzeichnet wird, ähnlich wie bei Eiern. Ein europäisches Kennzeichen etwa für bestimmte Haltungsbedingungen von Tieren. Damit man überall in Europa weiß: Das war ein Tier in Haltungsstufe eins, zwei oder drei.
Wirken sich auch Entwicklungen wie Laborfleisch auf die Fleischindustrie aus?
Rehmer: Das ist hoch spannend. Es wird die Zeit kommen, wo Laborfleisch günstiger ist als konventionelles Fleisch. In Singapur sind schon die ersten Labor-Chicken Nuggets zugelassen. Und das sage ich gerne auch Bäuerinnen und Bauern: Dagegen hast du mit Billigproduktion keine Chance. Du musst Qualitätsproduktion machen. Du musst dich stolz hinstellen können und sagen, wie gut du dein Tier gehalten hast, wie gut es dem im Leben ergangen ist und dass es dann auch legitim ist, ihm sein Leben zu nehmen. Die Qualität des Lebens dieses Tieres – das ist das, was du verkaufst! Wenn es nur das Stück Fleisch ist, hast du keine Chance. Die meisten verschließen aber die Augen davor. Und ich glaube, wenn wir zehn oder 20 Jahre in die Zukunft denken, dann kann das ganz schön fatal sein für einige Tierhalterinnen und Tierhalter, weil sie dann ganz einfach keine Chance mehr haben auf dem Markt.
Es gibt ja die Diskussion, ob die Förderungen für Landwirte und Landwirtinnen auch an die Arbeitsbedingungen in den Landwirtschaftsbetrieben gebunden sind. Da ist Österreich zum Beispiel dagegen.
Rehmer: Warum?
Gute Frage. Ich glaube, weil die Landwirtschaftsministerin aus der Landwirtschaftskammer kommt und dort die Unterstützung dafür nicht da ist.
Rehmer: Der Deutsche Bauernverband ist auch dagegen und beeinflusst hinter den Kulissen die Agrarpolitik. Das dürfte in Österreich nicht anders sein. Ich persönlich finde diese Ablehnung falsch. Das Thema ist vor allem ein Problem von Südeuropa und Osteuropa, aber nicht nur. In Südeuropa geht es da vor allem um die Beschäftigung von illegalen Migrantinnen und Migranten. Nicht, dass sie illegal im Land sind ist das Problem, sondern dass man sie dadurch ausbeuten kann.
Das sind menschenunwürdige Bedingungen, die man grundsätzlich schon nicht akzeptieren kann. Und noch weniger kann man akzeptieren, dass dann so ein Arbeitgeber auch noch mit Steuergeld gepeppelt wird.
Deswegen finde ich den Vorschlag der sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament, die Zahlungen an die Einhaltung von Sozialstandards zu koppeln, absolut richtig. Dass bestimmte arme Länder da ein Problem damit haben, kann ich ja ein Stück weit verstehen, auch wenn ich es nicht richtig finde. Aber wenn so reiche Länder wie Deutschland und Österreich das nicht unterstützen, finde ich das falsch!
58 Milliarden Euro fließen im Jahr in die Agrarpolitik. Gleichzeitig ist es für viele Bäuerinnen und Bauern trotzdem nicht leicht, ihre Landwirtschaft so zu betreiben, dass es für Umwelt, Tiere, für sie selbst und ihre ErntehelferInnen erträglich ist. Das ist ja einigermaßen absurd.
Rehmer: Ja, das kann man so sagen! Aber das ist ein sehr großer Haufen Geld, der von sehr vielen mächtigen Kräften beschützt wird. Und das sind jetzt nicht nur die Bauernverbände, die übrigens sehr oft nicht Bäuerinnen und Bauern vertreten, sondern die Interessen der Lebensmittelindustrie. Sondern natürlich auch die Politik. Alle Politikerinnen und Politiker finden es toll, wenn sie Geld verteilen können, vor allem im ländlichen Raum.
Konservative Wahlen werden im ländlichen Raum gewonnen. Die meisten Abgeordneten und KommissarInnen der EU werden von Konservativen gestellt. Da gibt es dann wenig Ambitionen, am Status quo etwas zu ändern.
Dieses System ist doch Quatsch, so kann man doch nicht weitermachen! Das ist eine Erkenntnis, die schon Kolleginnen und Kollegen vor 20, 30 Jahren hatten. Selbst da war das schon Quatsch. Und es ändert sich immer nur in kleinen Schritten. Deswegen ist es wichtig, die Möglichkeiten, die es gibt, gut auszunutzen und weiter darüber zu diskutieren, wie es besser gemacht werden kann. Und natürlich auch bei dem einen oder der anderen Politiker und Politikerin nachzufragen: Warum hast du denn so entschieden und nicht anders?
Christian Rehmer ist Diplom-Ingenieur (FH) für Landschaftsnutzung und Naturschutz und Leiter des Referats Agrarpolitik der Naturschutz-Organisation „BUND“.
Da läuft nichts falsch. Das ist die Logik der Wertschöpfungskette. Um am Ende einen akzeptablen Preis zu bekommen, kommt es zumindest am Anfang zur Ausbeutung von Menschen, anderen Lebewesen bzw. der unbelebten Natur. Gilt auch für unsere Landwirtschaft, auch für ÖKO und BIO.