Welchen Weg hat so ein Smartphone zurückgelegt, bis es unter dem Weihnachtsbaum landet? Unter welchen Arbeitsbedingungen haben Menschen es hergestellt, transportiert und verkauft? Wir haben drei Stationen eines verschenkten Smartphones nachgezeichnet und uns die beteiligten Unternehmen näher angesehen.
Die Herstellung in Shanghai – 1.800 Schrauben pro Tag
Apple gehört mit einem jährlichen Umsatz von etwa 51 Milliarden Dollar zu den Riesen unter den Weltkonzernen. Der Erfolg des Konzerns basiert jedoch nicht nur auf technologischen Entwicklungen und Marketing, sondern auch auf Lohndumping – beispielsweise in China.
Ein Undercover-Fließbandarbeiter, Dejian Zeng, dokumentierte 2017 die Arbeits- und Lebensbedingungen in einer Fabrik in Shanghai und der dazugehörigen ArbeiterInnenunterkunft. Dort arbeiten 70.000 ChinesInnen sechs Tage die Woche rund um die Uhr für den Apple-Zulieferer Pegatron. Dejian Zeng verschraubte Lautsprecher. „Eine Schraube. Alle 23 Sekunden. 1.800 Stück pro Tag“ – etwas Monotoneres hat er nie zuvor gemacht. Rasch stellten sich gesundheitliche Beschwerden und Erschöpfung ein.
72 Stunden Wochenarbeitszeit – 455 Euro Lohn
Schutzbrillen oder Ohrstöpsel gegen den Fabriklärm gab es vom Arbeitgeber nicht, die Verpflegung in den viel zu kurzen Pausen war dürftig. Die NGO China Labour Watch wirft dem Apple-Zulieferer Pegatron vor, Hungerlöhne an jene chinesischen ArbeiterInnen zu zahlen. Sie rechnet vor, dass ArbeiterInnen mehrheitlich über 80 Überstunden pro Monat leisten und dennoch weniger als 700 Dollar (das entspricht 594 Euro) verdienen. Dejian Zeng arbeitete wöchentlich 72 Stunden. Die Kosten für die Fabrikunterkunft und die Verpflegung wurden vom Lohn abgezogen – ihm blieben 455 Euro.
Nicht nur Hungerlöhne in der Produktion sorgen für Empörung – auch die Steuertricks des Konzerns wurden schon öffentlich kritisiert. In Europa drückte Apple mithilfe von zwei Gesellschaften, Apple Sales International (ASI) und Apple Operations Europe, 2014 seine Steuerquote auf 0,005 Prozent und schummelte gigantische Gewinne am Fiskus vorbei. Die EU-Kommission warf Apple vor, mit Absprachen gegen EU-Recht verstoßen zu haben. Der Konzern kommt nun der Forderung nach 13 Milliarden Euro Steuernachzahlung nach.
Dauerüberwachung und Leistungsdruck – Bestellen bei Amazon
Ist das Handy fertig, steht es zum Verkauf frei. Der Anteil der Weinachtseinkäufe, die online abgewickelt werden, wird zunehmend größer. Für viele ist die erste Anlaufstelle Amazon.
Der Umsatz von Amazon belief sich im Jahr 2016 weltweit auf knapp 136 Milliarden Dollar. 2017 heuert der Konzern in Deutschland 13.000 ArbeiterInnen für das Weihnachtsgeschäft an – sie sind befristet beschäftigt. Doch auch abseits des Handelshöhepunkts am Jahresende werden für einen Großteil nur befristete Verträge ausgestellt. Das erschwert die langfristige Lebensplanung der MitarbeiterInnen. Diese klagen über permanente Überwachung an den Standorten, über Leistungsdruck, körperliche Beschwerden und Unterentlohnung. Leistungsvorgaben, beispielsweise beim Verpacken von Produkten, sind unrealistisch hoch angesetzt – werden sie nicht erreicht, ermahnt ein „Leader“ oder „Manager“ die Angestellten zur Leistungssteigerung.
Von den Pausen während der Schichten bleibt nicht viel – der Weg zur Kantine ist lang. „Meist bleiben nur 10 Minuten in denen man sein Essen runterschlingen muss, und dann schnell zurück in die Halle“, berichtet ein Amazon-Mitarbeiter in einem Leipziger Werk.
Macht ein Arbeiter Fehler, wird das ganze Team bestraft
Das firmeneigene „Bonussystem“ spielt zudem die Angestellten gegeneinander aus. Mehr Lohn gibt es nur, wenn Produktivitätsvorgaben eingehalten werden. Herangezogen werden aber die Leistungen einer ganzen Abteilung. Einen „Healthbonus“ gibt es nur, wenn das ganze Team keine Fehlzeiten aufweist.
Muskel- und Skeletterkrankungen sowie psychische Krankheiten sind häufig. Im November 2017 haben an sechs deutschen Amazon-Standorten die MitarbeiterInnen gestreikt. Seit rund viereinhalb Jahren kämpfen MitarbeiterInnen und die Gewerkschaft Verdi um einen Kollekivvertrag für die Beschäftigten. Amazon jedoch verweigert Gespräche.
Besonders hart trifft es LeiharbeiterInnen aus dem Ausland. Damit das Weihnachtsgeschäft für die KundInnen reibungslos abläuft, werden sie über dubiose Subfirmen an den Konzern vermittelt. Sie wohnen und arbeiten unter widrigen Bedingungen.
Auch Amazon gehört zu jenen Konzernen, die mit Firmenkonstruktionen ihre Steuerpflicht minimieren. Das Unternehmen verkleinert seine Gewinne künstlich durch Tochtergesellschaften, die hohe Gebühren für die Nutzung von Patenten und Markenrechten verrechnen und so die Gewinne schmälern. Seit 1. Mai 2015 zahlt Amazon zwar Steuern auf die in Deutschland gemachten Gewinne, die Beiträge sind dennoch bescheiden.
Das Paket direkt vor die Haustüre – Dank 15-Stunden-Tag für Zusteller
Nun ist das begehrte Smartphone bestellt, bezahlt und muss nur noch geliefert werden. An dieser Stelle kommen PaketzustellerInnen ins Spiel. In der Weihnachtszeit nimmt die Arbeitsbelastung für Zusteller zu. Noch vor zwei Jahren wurden in Österreich jährlich etwa 80 Millionen Pakete ausgeliefert – 10 Millionen davon zur Weihnachtszeit. Mittlerweile dürfte diese Zahl weiter in die Höhe geschnellt sein.
Die Konkurrenz zwischen den Zulieferfirmen ist hart. Das Interesse der großen Händler ist es, den Preis, den sie pro Paket bezahlen müssen, zu drücken. Der Druck, zu immer niedrigeren Löhnen Pakete auszuliefern, wird größer.
In Österreich gibt es etwa 2.200 aktive Kleintransport-Unternehmen. Davon sind 1.750 sogenannte EPUs, also Ein-Personen-Unternehmen. Das sind 80 Prozent. Die Arbeiterkammer kritisiert, dass es sich bei EPUs in dieser Branche um „Scheinselbstständige“ handelt, weil sie eben nicht selbstständig arbeiten können, sondern sie von Auftraggebern abhängig sind.
„Die Arbeitsrealität der Zulieferer sind von Selbstausbeutung gekennzeichnet. Es gibt real keine Fahrzeitbegrenzung – es ist eine Wettbewerbsspirale nach unten“, erklärt Karl Delfs von der VIDA.
Die Arbeitszeiten sind lang: bis zu 15 Stunden täglich. Die Entlohnung dagegen ist mager: Etwa 1.500 Euro brutto im Schnitt, schätzt Karl Delfs von der Gewerkschaft VIDA.
„Aus Erfahrungsberichten weiß man, dass Fahrer untereinander auch Pakete tauschen, um je nach Menge und Route 15h-Tage zu vermeiden“, erklärt Karl Delfs von der Gewerkschaft VIDA.
Etwas besser geht es jenen ZustellerInnen, die bei der österreichischen Post angestellt sind, denn dort werden Überstunden „penibel abgerechnet“, so die Ökonomin Bettina Haidinger. Schlechter gestellt sind jene, die über Subfirmen ihre Aufträge bekommen – entweder über eine Subfirma, die die Post beauftragt oder eine Subfirma, die vom Händler, der die Ware verkauft, beauftragt wird. Für diese ZustellerInnen gelten gibt es weder Kollektivverträge noch bezahlte Überstunden.
„Der Preiskampf wird über die Arbeitsbedingungen geführt, das ist ein Faktum“, so die Ökonomin Bettina Haidinger.
Täglich bis zu 5 Tonnen schleppen
Der unmittelbare Arbeitsalltag der PaketzustellerInnen gestaltet sich schwierig: In niedrigen Altbauwohnungen fehlt es an Fahrstühlen. Wer täglich bis zu fünf Tonnen schleppt, belastet seine Wirbelsäule – Abnützungen, Nacken- und Rückenschmerzen sind die Folge. Für Toilettenpausen bleibt keine Zeit, ebenso wenig wie für Essenspausen. Gegessen wird daher während des Fahrens – ein Sicherheitsrisiko.
Bei dem Smartphone ist das Päckchen klein und wiegt nicht viel. Doch wie ist es bei jenen Familien, in denen sogar Fernseher, Verstärker, Musikinstrumente oder Werkzeug verschenkt werden? Lautsprecherboxen können über 20 Kilo wiegen. Auch das muss von Zustellern geliefert werden. Damit haben Post und Co. das Geschäft der Spedition übernommen.
Vor allem, wenn dein Smartphone in letzter Minute für dich bestellt wurde, haben es die Zulieferer schwer. „Priority Pakete“, also Pakete, die besonders schnell (z.B. binnen 24 Stunden ab Bestellzeitpunkt) zugestellt werden müssen, setzen die Paketdienste unter Druck.
Immer mehr Pakete werden übrigens über Fahrradboten zugestellt – diese sind nicht mehr bloß im Essensliefergeschäft, sondern transportieren per Lastenfahrräder bis zu 200 Kilogramm.
„FahrradbotInnen auch für größere Pakete werden zahlenmäßig zunehmen. Denn egal ob beschäftigt oder als EPU: Im urbanen Raum ist ein Fahrrad billiger als ein Auto, das macht es attraktiver für Versandhändler, auf Zwischenfirmen zuzugreifen, die FahrradbotInnen vermitteln – das drückt den Preis“, erklärt Delfs.
Als Einzelperson kann man die Weltwirtschaft nicht ändern und alle Verhältnisse umwerfen. Doch mit unseren Konsumentscheidungen stabilisieren wir sie. Deshalb sollten wir zumindest die Bedingungen kennen, in denen unser Konsum funktioniert.
Zum Weiterlesen:
Fauler Apfel – Bericht eines Undercover Arbeiters (Spiegel)
Das sind die 12 größten Steuertrickser der EU (kontrast.at)
Was hat mein Handy mit dem Krieg im Kongo zu tun? (diePresse.com)
Wohin verschwinden die Millionen von Starbucks? (kontrast.at)
Sekundenregeln und Schikanen: Vom Irrsinn, bei Amazon zu arbeiten (Motherboard VICE)