Die unteren Einkommensschichten bezahlen aktuell die Klimakrise – gleichzeitig blasen die Reichsten mit ihrem Konsumverhalten am meisten CO2 in die Luft. Die Klimawende wird eine Menge Geld kosten, weiß der französische Ökonom Lucas Chancel. Er ist Co-Autor des aktuellen Climate Inequality Reports – und plädiert für Vermögenssteuern. Wie diese funktionieren und warum man darüber hinaus Privatjets und SUVs regulieren sollten, erklärt er im Interview.
Die Klimawende: Unsere gesamte Infrastruktur zu ersetzen, ist teuer
Kontrast: Im aktuellen Klima-Ungleichheits-Bericht wird eine Vermögenssteuer gefordert. Können Sie erklären, was das mit der Klimakrise zu tun hat?
Lucas Chancel: Die Lösungen für die Klimakrise sind größtenteils eine Herausforderung für das Kapital, weil wir unsere bestehende Infrastruktur ersetzen müssen: Wir müssen kohlenstoffarme Transportsysteme bauen, Bahnlinien anstelle von Autostraßen. Wir müssen Windparks, Solaranlagen und alle anderen Infrastrukturen für erneuerbare Energien bauen. Wir müssen auch Häuser, Unternehmen und Fabriken sanieren. Das wird eine ganze Menge Geld kosten. Schätzungen zufolge weltweit etwa 4.000 Milliarden Dollar pro Jahr. Ein großer Teil davon wird in Ländern mit niedrigem Einkommen benötigt, die als erste mit den Auswirkungen des Klimawandels konfrontiert werden und gleichzeitig wenig Geld haben, um das zu finanzieren.
Und so stellt sich heute die Frage, wer die Rechnung für diese neuen Investitionen bezahlen soll.
Die reichsten 10 Prozent weltweit verschmutzen die Umwelt am meisten und könnten mit ihrem Vermögen auch am meisten zur Klimawende beitragen.
Neben – teilweise – privaten Akteure:innen sind es die öffentlichen Akteure, die diese Investitionen finanzieren werden. Die Frage ist nun, wie. Eine Möglichkeit sind Schulden – und bis zu einem gewissen Grad sollten die Länder das auch tun. Aber es gibt auch eine Grenze für die Höhe der Neuverschuldung, insbesondere wenn man nicht weiß, wie sich das Wirtschaftswachstum entwickeln wird. Schulden zurückzahlen ist leicht, wenn es Wachstum gibt. Aber worin wir jetzt investieren müssen, ist etwas, das lediglich die Welt vor dem Zusammenbruch bewahrt. Wie viel Wachstum es schafft, ist nicht klar.
Es gibt noch einen anderen traditionellen Hebel für Regierungen, nämlich Steuern. Bei dieser Frage geht es darum, wer die Steuern zahlen soll.
Steuern zahlen in unserer Gesellschaft nicht alle gleich: Die mittleren und unteren Gruppen zahlen im Verhältnis zu ihrem Einkommen mehr Steuern als die sehr Reichen. Das ist abnormal. Das ist nicht das Versprechen der Moderne.
In den alten Monarchien zahlten die Menschen, die Bauern, alle Steuern und der Adel zahlte keine. Die Moderne hat das umgedreht, aber in den letzten 40 Jahren haben wir uns in gewisser Weise zurückentwickelt. Denn die sehr, sehr Reichen zahlen heute im Verhältnis zu ihrem Einkommen weniger Steuern als der Rest der Gesellschaft. Es gibt also Handlungsspielraum.
Wir müssen große Investitionen in das Klima tätigen, wir müssen Geld dafür finden und wir wissen, dass einige Menschen zu wenig ins Steuersystem einzahlen. Ich denke also, dass wir hier ein Problem haben – aber wir haben auch eine Lösung.
Erbschafts- und Milliardärssteuern können die Klimawende finanzieren
Kontrast: Wie könnte diese Lösung aussehen?
Chancel: In einem Land wie Österreich gibt es keine Erbschaftssteuer. Das trägt nicht nur zu einem Schneeballeffekt der Ungleichheit bei, sondern auch zu weniger Ressourcen für die Regierung. Und es gibt auch keine Steuern auf Nettovermögen, keine Steuern auf Multimillionäre oder Milliardäre.
Österreich ist innerhalb Europas sozusagen nicht an der Spitze der Gleichheitsliga. Mit einer Erbschaftssteuer und einer Vermögenssteuer hätte die Regierung mehr Mittel zur Finanzierung von Klimainvestitionen.
Und hier spreche ich nicht nur von ein paar Millionen Euro, ich spreche von bis zu einem Prozent des BIP, das wir für diese Klimainvestitionen brauchen werden. Wenn wir also neue Steuern für die Reichen einheben, die bereits die Hälfte dieses benötigten Geldes ausmachen würden, wäre das eine sehr bedeutende Entwicklung.
Kontrast: Die Reichsten sind allerdings jetzt schon gut darin, Steuern zu vermeiden: Sie leben oft in verschiedenen Staaten, parken ihren Besitz in Steuerparadiesen, haben intransparente Netzwerke von Privatfirmen und Briefkastenfirmen. Wie könnte so eine Steuer also konkret funktionieren?
Chancel: Wir müssen uns erstens von der Vorstellung verabschieden, dass die Wirtschaft zusammenbricht, wenn wir die Reichen ein bisschen höher besteuern. Das ist ein Mythos. Und zweitens, dass wir es nicht tun können, selbst wenn wir es wollten, weil es zu kompliziert ist. Auch das ist ein Mythos. Das sind zwei große Mythen, die von den Reichen selbst in den letzten 40 Jahren erfunden wurden – und auch erfolgreich über die Medien verbreitet wurden.
Aber Steuervermeidung ist kein Naturgesetz, das uns aufgezwungen wird wie die Schwerkraft. Es gibt Lösungen dafür. Und Österreich ist weit davon entfernt, alle Lösungen ausprobiert zu haben.
Mit einem Vermögensregister zum Beispiel, das erfasst, wer welche finanziellen Vermögenswerte und Unternehmen besitzt, könnten Steuerbehörden leichter Steuerhinterziehung erkennen. In den letzten 15 Jahren gab es auch bei der OECD eine Entwicklung in diese Richtung, auch wenn wir etwa in Bezug auf den Austausch von Bankinformationen noch mehr unternehmen müssen. Im Grunde sehen wir aber, dass es wirklich möglich ist, in dieser Frage voranzukommen.
@kontrast.at Kann man einem Millionär zumuten, gleich viel Steuern zu zahlen wie eine Angestellte? #vermögenssteuer #millionär #steuern #reichemenschen #österreich #kritischdenken ♬ Originalton – Kontrast
SUVs und Privatjets müssen reguliert werden
Kontrast: Die reichsten 10 Prozent verursachen rund 50 Prozent aller CO2-Emissionen. Müssen die Reichen nicht auch etwas an ihrem Verhalten ändern – anstatt nur einen kleinen Teil von ihrem Vermögen beizusteuern?
Chancel: Ja, sie müssen auch ihre eigenen Emissionen und ihren eigenen Konsum, aber auch ihre Investitionen in umweltschädliche Anlagen reduzieren. Dafür braucht man weitere Maßnahmen: Einerseits bessere Informationen darüber, ob das, was man kauft, kohlenstoffarm oder kohlenstoffreich ist – und andererseits auch Vorschriften. Können wir akzeptieren, dass die obere Schicht der Gesellschaft diese großen SUVs in der Stadt kauft, obwohl man diese riesigen Autos eigentlich gar nicht braucht?
Denn wenn die Oberschicht diese sehr umweltschädlichen großen Autos kauft, dann wird die Mitte der Gesellschaft das Gleiche tun wollen. Das wird die Umweltverschmutzung weiter beschleunigen.
Man braucht aber auch Vorschriften für Dinge wie Privatjets und irgendwann auch für die Nutzung ökologischer Ressourcen. Wasserregulierungen werden beispielsweise in vielen Ländern diskutiert. Oder fossile Brennstoffe. Es sollte Quoten für die Nutzung von begrenzten ökologischen Ressourcen geben. Wir können natürlich nicht von heute auf morgen dorthin gelangen, denn wir brauchen eine demokratische Debatte. Aber ich denke, das ist die Richtung, die wir einschlagen sollten.
Kontrast: Das klingt, als ob wir darüber nachdenken sollten, Autos in den Städten zu verbieten?
Chancel: Nein, ich will damit sagen, dass es einige Autos gibt, die dreimal so viel Schadstoffe ausstoßen wie andere, und die in einem bestimmten Kontext eigentlich nicht wirklich gebraucht werden. Die Idee, dass einige Autotypen verboten werden sollten, ist jetzt eine europäische Gesetzgebung. Ab einer bestimmten Menge an Emissionen pro Liter darf man diese Autos nicht mehr herstellen. Allerdings wird dabei nicht berücksichtigt, wie viel Kohlenstoff im Material selbst steckt. Das sollte man schnellstmöglich ändern.
Kontrast: Laut dem Anthropologen Richard Wilk sollten Superreiche öffentlich bloßgestellt werden, um sie dazu zu bewegen, ihr Verhalten zu ändern. Wie sehen Sie das?
Chancel: In jedem schwierigen Moment für die Gesellschaft, in dem jeder eine Menge Anstrengungen unternehmen muss, braucht es ein starkes Gefühl für soziale Gerechtigkeit und dass die Wohlhabenden ihren gerechten Anteil leisten müssen. Derzeit ist das Gegenteil der Fall.
Wenn wir also wollen, dass alle mitmachen, müssen wir uns mehr auf die Spitze konzentrieren, weil es sonst schwierig sein wird, alle anderen mitzunehmen.
Müssen niedrige und mittlere Einkommen massiv unterstützen
Kontrast: Wie schaut es mit den anderen aus, Personen mit niedrigem oder mittleren Einkommen, die auch eigene Autos haben oder in den Urlaub fliegen. Müssen wir nicht alle etwas an unserem Verhalten ändern?
Chancel: Ja, wir müssen alle etwas ändern: die mit niedrigen Einkommen, die mit mittleren und die mit hohen Einkommen. Österreicher:innen stoßen im Durchschnitt etwa 12 Tonnen Treibhausgase pro Jahr aus. Aber es gibt die, die nur sieben bis acht Tonnen verbrauchen und andere, die viel mehr verbrauchen – bis 40 Tonnen pro Jahr. Die Anstrengungen, die unternommen werden müssen, um auf Null zu kommen, sind also nicht gleich.
Gleichzeitig haben jene, die wenig verbrauchen, wenige Möglichkeiten, um sich anzupassen. Denn wenn man mit dem Auto zur Arbeit fahren muss und es keine Zugverbindung als Alternative gibt, wird man nicht auf das Auto verzichten. Und ein Elektroauto können sie sich auch nicht kaufen, weil sie nicht genug Geld haben. Wenn wir wollen, dass die mittleren und niedrigen Einkommensgruppen auf den Zug der Energiewende aufspringen, müssen wir sie massiv unterstützen.
Das gilt nicht für diejenigen, die viel Handlungsspielraum und viel Geld haben, die Elektroautos kaufen und die ihre Häuser sanieren können – und von diesen Investments auch noch profitieren. Aber für die anderen braucht man eine Menge Ausgleichszahlungen, Unterstützungsmechanismen und eine Menge neuer Kapitalinfrastrukturen. Ich glaube nicht so sehr daran, von den Verbraucher:innen zu verlangen, dass sie ihre Gewohnheiten der Umwelt zuliebe ändern sollen.
Ich glaube, vielen Menschen liegt wirklich etwas an der Umwelt, am Zustand der Erde, die man seinen Kindern und Enkeln hinterlässt. Aber es geht nicht nur darum, was ich selbst tun kann. Es geht um kollektive Anstrengungen. Es geht um Gesetze, Vorschriften, Finanzen, Geld, Investitionen und Steuern.
Lucas Chancel |
Lucas Chancel ist außerordentlicher Professor für Wirtschaftswissenschaften an der französischen Sciences Po sowie Co-Direktor des World Inequality Lab an der Paris Scool of Economics. In dieser Funktion hat er auch den Climate Inequality Report 2023 mit herausgegeben. Aktuell ist er darüber hinaus außerordentlicher Gastprofessor an der Harvard Kennedy School und Gastwissenschaftler an der London School of Economics. Seine Schwerpunkte liegen auf globale Ungleichheit und Umweltpolitik. |
Das würde Voraussetzten das die Klimakrise vor allem eine finanzielle Frage ist. Das es teuer wird, ist schlicht und einfach Unfähigkeit Unwillen und Desinteresse geschuldet.
–
Bleibt die Frage warum die Reichen für die politische und gesellschaftliche Dummheit herhalten müssen? Da stelle ich mir schon seit mehr als 2 Jahrzehnten die Frage, leben wir in einem Narrenhaus?
–
Da stellt sich an die SPÖ auch die Frage für was die Reichen noch herhalten müssen, mir kommt vor als wäre das die Eierlegende Wollmilchsau, das Gesundheitssystem sollen sie finanzieren, die Klimakrise, die Deindustrialisierung sollen sei herhalten, für die Schulen, die Landesverteidigung, für die Pensionen. Wenn das alles finanziert werden soll, brauch wie vor allem eines – noch viel, viel mehr Milliardäre im Land.
–
Politisch sollte gelöst werden, wie es überhaupt möglich ist so Reich zu werden, darin liegt der Systemfehler, und das sollte gelöst werden. Wenn nicht wird in ein paar Jahren, ein Person in Österreich 99 Prozent des Volksvermögens besitzen, das ist die logische Konsequenz, wenn nicht gehandelt wird.