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Aus Parteikalkül: Anschober besetzt wichtigste Stellen für Corona-Management nicht nach

Foto: Dragan Tatic

Manfred Matzka Manfred Matzka
in Gastbeiträge
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10. November 2020
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Mitten in der größten Gesundheitskrise des Landes besetzt Gesundheitsminister Anschober wichtige Funktionen in seinem Ministerium nicht nach. Doch gerade sie wären für das Krisenmanagement von großer Bedeutung. Der beratende Sanitätsrat ist aktuell ebenso wenig besetzt wie die Leitung für öffentliche Gesundheit oder für den Krisenstab Gesundheit. Manfred Matzka kennt die Ministerial-Verwaltung in Österreich wie kaum ein anderer. Er bewertet die vakanten Stellen als fahrlässig, rechtswidrig und verantwortlich für die fehlende Expertise bei den Covid-Verordnungen. Hintergrund dürfte parteipolitisches Kalkül zwischen grünen und türkisen Kandidaten sein, wie Matzka vermutet.

Der Oberste Sanitätsrat ist ein gesetzlich eingerichtetes Beratungsorgan des Gesundheitsministers. Er ist derzeit nicht besetzt – das ist rechtswidrig. Der Minister verzichtet auf diese Beratung, obwohl er nach dem Gesetz „beim Bundesministerium für Gesundheit einen Obersten Sanitätsrat einzurichten hat“. Er ist für die Unterlassung allein verantwortlich und von verfassungswegen dafür zur Verantwortung zu ziehen.

Sanitätsrat unbesetzt: Gezerre um Vorsitz

Wie sorgfältig das Ressort mit dem Thema umgeht, zeigt ein Blick auf die offizielle Homepage gesundheit.gv.at. Hier findet sich zum Obersten Sanitätsrat ein mehrere Jahre alter Text: Er sei ein „Gremium des Bundesministeriums für Gesundheit und Frauen. Er besteht aus Expertinnen und Experten (2010: insgesamt 42) aus dem Gesundheitsbereich…“

Warum ist das Gremium derzeit faktisch aufgelöst? Jeder Verwaltungskundige weiß, dass die Wiederbesetzung eines Beirats ein Routineakt ist, den ein Referent an einem Tag erledigt – alles ist klar und es gibt Vorakten. Der einzige Grund, warum sich so etwas ziehen kann, ist ein Streit über die Besetzung. Da der Minister wohl nicht mit sich selbst streitet, kann es sich nur um ein koalitionäres Gezerre handeln: Die ÖVP will offenbar den Vorsitz und die Mehrheit, Kurz hat aber noch keinen ihm persönlich ausreichend hörigen Exponenten zur Hand. Die Grünen wollen zumindest den Vorsitz, haben aber keinen kerngrün ausgewiesenen Arzt gefunden. Da ordnet man dann halt den Rechtsstaat der Politik unter.

Auch Leitung für öffentliche Gesundheit und Krisenstab Gesundheit nicht besetzt

Das ist aber nicht die einzige Leerstelle im Ressort. Dies zu recherchieren, ist übrigens nicht leicht, denn die Darstellung der Organisation des Ministeriums auf der Homepage weist in der Fußzeile den 20. Feber 2020 als letzte Aktualisierung aus. Quält man sich dennoch bis zur Geschäftseinteilung durch, ist diese zum Glück etwas aktueller, wenngleich auch nicht richtig:

Es sind demnach auch die Leitungen der Sektion VI (Medizinrecht) und VII (öffentliche Gesundheit) und die Abteilung Krisenstab Gesundheit seit vielen Monaten unbesetzt – gesetzwidrigerweise. Nicht besetzt sind ebenso die Leitung der Sektion Konsumentenpolitik/Verbrauchergesundheit, der Gruppe Sozialversicherungsrecht und weitere Einheiten. Dafür aber gibt es einen „Sonderbeauftragten“ ohne Personal und Kompetenzen. Nach dem Ausschreibungsgesetz hat die Ausschreibung solcher Funktionen „spätestens innerhalb eines Monates nach Freiwerden … zu erfolgen. Die Frist von einem Monat verlängert sich auf drei Monate, wenn noch nicht feststeht, ob diese Funktion bestehen bleiben oder aufgelassen werden soll.“  Auch hier zeigt sich eine rechtsstaatliche Schlamperei und eklatante Wissenslücken der Ressortführung beim Umgang mit den primitivsten Grundfragen der Verwaltung: Allein verantwortlich für dieses Compliance- und Managementchaos ist der Sozialminister. Er ist dafür von verfassungswegen zur Verantwortung zu ziehen.

Nichtbesetzung verantwortlich für unglaubliche Fehler, die passiert sind

Drei der oben genannten Positionen sind gerade in der Corona-Krise essentiell, die Nichtbesetzung ist eine der Ursachen für die unglaublichen Fehler, die in den Krisen-Regelungen geschehen sind und laufend weiter passieren. Angesichts dieser Situation ist es grob fahrlässig, wenn der Minister es unterlässt, für die notwendige gesetzmäßige Führung im Ressort zu sorgen – ja wahrscheinlich sogar bedingter Vorsatz, was eine unbegrenzte Haftung des Amtsträgers begründet.

Warum werden die Besetzungen unterlassen ? Der Grund ist wieder einfach: Der Minister hat noch keine politisch verlässlichen Parteigänger gefunden, die er berufen möchte. Nicht-grüne Fachleute, die für die Positionen in Frage kommen, gäbe es genug, aber denen will man keine Chance eröffnen. Daher wird erst ausgeschrieben, wenn man weiß, wer es werden soll. Außerdem blockieren üblicherweise Kabinette gerne Nachbesetzungen, weil sie ohne Sektionsleiter besser direkt ins Haus „hineinregieren“ können. Das tun sie insbesondere bei den misslungenen Verordnungen in exzessiver Weise – mit den bekannten Folgen.

Die Verantwortlichen im Ministerbüro für den Gesundheitsbereich sind eine Ökonomin/Berufspolitikerin, eineinhalb Politologen, eineinhalb Juristen, eine Tierärztin und immerhin eine Medizinerin mit 9 Monaten Turnusärztin-Erfahrung.

Die Verantwortungsträger können es einfach nicht

Das Vorgehen des Ministers in Besetzungsfragen bedeutet zudem, dass künftige Entscheidungen von übergangenen Bewerbern angefochten werden, weil die Vermutung politischer Willkür angesichts des Procedere naheliegt. Für eine Verlängerung des derzeitigen Zustands ist also gesorgt. Hier wird sich auch noch in Zukunft rächen, dass der Rechtsstaat der Politik untergeordnet wird.

Und noch ein Schmankerl: Laut Homepage ist nur die Sektion Sozialversicherung ausgeschrieben, die nach derselben Homepage aber gar nicht vakant ist. Laut Homepage sind die Sektionen II, VI und VII sowie die Abteilung Krisenstab nicht ausgeschrieben, obwohl sie in der Wiener Zeitung sehr wohl mit Bewerbungsfristen im November ausgeschrieben sind. Dem Kapitel Ausschreibungen folgt auf der Homepage übrigens ein Kapitel „Bertrauungen“ (sic) – so viel zur Qualität des Ressorts, dessen Chef sich offenkundig um gar nichts kümmert außer um Pressekonferenzen. Dafür hat er immerhin 3 Pressesprecher, 11 Mitarbeiter der ihm direkt unterstehenden Presseabteilung und 6 Mitarbeiter des Bürgerservice eingesetzt. Allein zuständig für das Personalwesen des Ressorts ist der Sozialminister, nur er ist dafür zur Verantwortung zu ziehen.

Wen wundert da die generelle Performance des Gesundheitsressorts und seines Chefs? Die zahllosen Rechts- und Verfassungswidrigkeiten im ministeriellen Handeln? Die Unterlassungen und Versäumnisse der letzten Monate im Gesundheitswesen? Die dramatische Entwicklung der Corona-Infektionen? Das patscherte Corona-Krisenmanagement der Bundesregierung insgesamt ? Die Erklärung ist einfach: die obersten Verantwortungsträger können es einfach nicht. Sie sind auch dafür politisch wie rechtlich verantwortlich.

 

Dr. Manfred Matzka war ab 1999 bis 2016 Präsidialchef des Bundeskanzleramtes und zuletzt persönlicher Berater der Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein. Der promovierte Jurist war seit 1980 im Bundesdienst und für Personal, Recht, e-Government, Verwaltungsreformprojekte und die Koordinierung des Bundeskanzleramts ebenso zuständig wie für ressortübergreifende Organisation. Derzeit ist Matzka Aufsichtsratsvorsitzender der Bundestheater-Holding und Vizepräsident von Austrian Standards. Für Kontrast kommentiert er das innenpolitische Geschehen.

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