Wollen wir überhaupt zu den Zuständen vor der Krise zurückkehren? Die Corona-Krise hat verschärft, was schon zuvor nicht gut war: Unter der bestehenden Wirtschaftsordnung leiden viele Berufs- und Gesellschaftsgruppen: Weil Arbeit, Ausbeutung, Dauerstress auf Körper und Psyche schlagen. Die Devise: Immer mehr und immer schneller arbeiten! Aber muss das so sein? Das Konzept Degrowth – also: weniger Wachstum – wäre eine Alternative. Nicht nur während, sondern auch nach der Krise.
Das Privileg auf Homeoffice haben nur die Wenigsten. In der Corona-Krise haben zahllose Menschen ihre Existenzgrundlage verloren. Das Supermarkt- und Pflegepersonal arbeitet länger und härter. Die Mehrfachbelastung von Frauen wird durch die Krise sichtbarer denn je. Einige Bevölkerungsgruppen sind von der Krise stärker als andere betroffen – die Schere der Ungleichheit geht immer weiter auseinander. Kurzum: In den Bereichen, die vor Corona schon prekär waren, hat sich die Situation verschärft. Doch die Krise könnte Anlass zur Strukturveränderung werden.
Unendliches Wachstum kann und wird es nicht geben
Das Konzept Degrowth – auf Deutsch Postwachstum – ist eine sozio-ökologische Bewegung, eine politische Utopie und ein Forschungsbereich. Es ist ein gleichzeitig ein theoretisches und praktisches Konzept für alternative Produktions-, Arbeits- und Lebensweisen. Es beleuchtet, wie unsere Umwelt und soziale Strukturen durch ökonomische Strukturen zerstört werden.
Daraus resultiert, dass Vertreterinnen und Vertreter der politischen Bewegung den Zwang des kapitalistischen Wirtschaftswachstum infrage stellen. Dieser Zwang ist eine Illusion: Unendliches Wirtschaftswachstum kann es einfach nicht geben – denn unsere Ressourcen sind nun mal endlich.
Nicht weniger luxuriös, aber anders stellt man sich die Zukunft vor: Degrowth steht für eine transformierte Gesellschaft mit Zeitwohlstand, kollektiven Versorgungssystemen, öffentlichen Verkehrsmittel und einer gerechten Besteuerung der Reichen – in kurz: für ein gutes Leben für alle.
Umverteilung und Klimaschutz
Der Weg aus der anhaltenden Krise hin zu diesem guten Leben führt über zwei Forderungen: Einerseits eine Umverteilung des gesellschaftlichen Wohlstands, welcher in den letzten Jahrzehnten weltweit immer stärker auseinanderklafft. Andererseits eine Arbeitszeitreduktion – besonders für die stark überlasteten Pflegeberufe. Dazu wird es auch eine (längst überfällige) sozio-ökologische Steuerreform brauchen.
Doch es braucht auch ein gesamtgesellschaftliches Umdenken: Systemrelevanten Berufsgruppen muss die Anerkennung entgegengebracht werden, die sie tatsächlich verdienen. Darunter fallen neben der Pflege die Bereiche Bildung, Lebensmittelerzeugung, Abfallwirtschaft und auch Hausarbeit. Sie stellen das Funktionieren unserer Gesellschaft sicher. Das zeigt uns die derzeitige Krise klarer denn je.
Auch Unternehmen mit klimaschädlichem Kerngeschäft müssen sich grundlegend ändern. Die Unternehmen brauchen Pläne zur Dekarbonisierung. Und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer brauchen ein Angebot zur Neu- und Umqualifizierung. Und zwar rechtzeitig, bevor die klimabedingte Arbeitslosigkeit eintritt.
Global gemeinsam denken
Es gilt aber auch, jene Wirtschaftsbereiche zu transformieren, die so aufgebaut sind, dass sie Profit machen, indem sie im globalen Süden unfair und ausbeuterisch produzieren.
Massenkonsum und Profitmaxime: Damit man in Europa, Kanada und Australien billige Kleidung kaufen kann, lässt im globalen Süden unfair produzieren. Damit reiche, exportierende Staaten Absatzmärkte für ihre Produkte haben, werden Länder in AFrika und Asien in ungerechte Wirtschaftsabkommen gezwungen. Die regionale Wirtschaft leidet dort dann zusätzlich und bleibt im Nachteil. So wird – zusätzlich zu den Auswirkungen der Klimakrise – Migration befeuert.
Am Ende braucht es faire Arbeits- und Lebensstandards überall und eine Abkehr von ständiger Profitmaximierung. Jetzt ist die Zeit, Alternativkonzepte ernsthaft voranzutreiben. So können wir zu einer neuen Konzeption von Wohlstand und zu einem guten Leben für alle kommen.
Adé, Wegwerfgesellschaft
Wir müssen weg von Wettbewerb und kurzlebigem Konsum. Produkte, die man reparieren kann, anstatt solche, die man wegwerfen muss, sind dabei ebenso wichtig wie Recycling und Wiederaufbereitung von Rohstoffen. Das ist nicht nur nachhaltig und reduziert den weltweiten Verbrauch, sondern auch lohnend fürs Börserl. In Amsterdam liegen für diesen Weg etwa schon konkrete Pläne am Tisch.
Wie kann man nicht nur die Arbeit an sich, sondern die Unternehmen selbst demokratisieren? Hier spielen kleine Unternehmen und Genossenschaften eine wichtige Rolle: Es ist nötig, viele am Markt zu beteiligen, anstatt immerzu große Profite für wenige zu sichern.
So wird man keine Wähler gewinnen können.