Medien beeinflussen wesentlich unsere Sicht auf die Welt. Sie liefern uns Informationen, bestimmen aber auch, welche sie uns vorenthalten. Ihre Rolle hat durch die Globalisierung und gestiegene Mediennutzung wesentlich zugenommen. Darum stellt sich heute umso dringender die Frage: Wie Objektiv könne Medien sein?
Durch den Wandel unserer Gesellschaft in eine Medien- und Informationsgesellschaft kommt es zu einer deutlichen Verschiebung von selbst erlebten Erfahrungen hin zu durch Medien vermittelten Erfahrungen. Unser Wissen über die Welt leiten wir also immer seltener von tatsächlich Erlebtem ab. Stattdessen sammeln wir unser Wissen vermehrt in den Medien, also in Print, TV, Radio und in der Online-Kommunikation.
Somit bestimmen Medien-Inhalte wesentlich mit, welche Erfahrungen unser Weltwissen prägen. Aber wer garantiert die Objektivität dieser Informationen? Auch wenn sich die meisten Medien als „unabhängig“ bezeichnen, tauchen anderem in politischen und kulturellen Belangen nun Fragen wie folgende auf:
- Agieren Medien immer objektiv oder unterliegen sie auch ökonomischen und politischen Sachzwängen?
Tageszeitungen lukrieren im Durchschnitt etwa 90 % ihrer Einnahmen durch Inserate. Welchen Einfluss haben die wichtigsten Inserenten oder Inserenten-Gruppen (Banken, Versicherungen, staatliche Stellen, Lebensmittelproduzenten, Handelsketten etc.) auf die Berichterstattung? - Wirken Eigentumsverhältnisse auf die Inhalte eines Mediums?
Wie verhält sich die Berichterstattung einer Zeitung zum Thema Erbschaftssteuer, wenn der Zeitungsbesitzer ein großes Vermögen angehäuft hat? Wie steht ein Medium zum Thema Abtreibung, wenn die Kirche das Medium besitzt? - Welche Akteure treten häufiger, seltener auf?
Schaffen es Politiker oder andere öffentliche Akteure mit lauten, konfrontativen Äußerungen, verbalen Angriffen, Aktionismus häufiger in die Medien? Steht die Präsenz eines regierenden Landespolitikers im Bundesländer-Medium stets in einem vernünftigen Verhältnis zum News-Wert? - Wie viel Zuspruch erhalten die einzelnen Akteure?
Finden einzelne Politiker oder Akteure eine auffällig höhere positive Aufmerksamkeit – sei es in der Berichterstattung, auf Bildern, in Leserbriefen etc.? Wenn ja, warum? - Agieren Boulevardmedien anders als Qualitätsmedien?
Welchen Anspruch haben einzelne Medien und Journalisten? Wie bestimmend für das Publizieren ist die inhaltliche Sensation und der gewinnbringende Massenverkauf? Wie bestimmend für das journalistische Handeln ist der journalistische Anspruch inklusive Ehtik und Moral des Journalistenberufs? - Wie verändert die Logik von Clickbaiting die News im Web? Werden tendenziell mehr und prominenter Inhalte veröffentlicht, die Klicks und Geld bringen? Stichwort Aufmerksamkeits-Ökonomie.
- Was ist “Objektivität” überhaupt?
Spielt Gerechtigkeit bzw. Unrechtsempfinden eine Rolle in der Bewertung von Nachrichten? Heißt Objektivität, wenn den Argumenten der Arbeitnehmer-Seite gleich viel Raum gelassen wird wie denen der Unternehmer? Über die Kapazität eines neuen Fußball-Stadions in Katar wird berichtet, dass es 80.000 Plätze fasst. Muss auch dazu gesagt werden, dass auf den Baustellen für die Fußball-WM 2022 Wanderarbeiter unter menschenunwürdigen Verhältnissen arbeiten müssen und mehr als 4.000 von ihnen dabei umkommen?
Zitate
Nichts ist subjektiver als eine Objektivität, die gegen die eigene Subjektivität blind ist.” – Ronald D. Laing: Die Stimme der Erfahrung – Erfahrung, Wissenschaft und Psychiatrie; Knaur 1982, DTV Deutscher Taschenbuch (Januar 1993)
“Objektivität: Alles hat zwei Seiten. Aber erst wenn man erkennt, dass es drei sind, erfasst man die Sache.” – Heimito von Doderer
Wer Objektivität sagt, meint allgemein anerkannte Subjektivität. Antonio Arcudi
Lesenswerte Texte zum Thema “Objektivität von Medien”
Schnell, fair und unparteiisch?
Hilal Sezgin 2016, Zeit.de
Schon in der Ausbildung hören angehende Journalisten, dass Neutralität in ihrem Beruf oberstes Gebot sei. Objektivität ist nicht nur unmöglich, sie ist auch unsinnig.
“Medien reden von Objektivität und Neutralität, produzieren aber genau das Gegenteil”
Marcus Klöckner 2018, Telepolis
Interview mit dem Kommunikationswissenschaftler Michael Meyen über den Imperativ der Aufmerksamkeit und die Medienrealität
Wer sagt, dass der Standard ein Qualitätsmedium ist?
Der Standard selbst?