Nun hat also der Verfassungsgerichtshof zu Recht erkannt, dass der derzeitige Regierungseinfluss auf den ORF mit einer rechtsstaatlichen Demokratie nicht vereinbar ist. An sich wussten und spürten wir alle das schon lang, jetzt aber hat es der Gesetzgeber gewissermaßen amtlich und muss handeln.
Die verfassungswidrigen Bestimmungen entstammen zwar nicht der jüngsten ORF-Gesetznovelle vom Juni, sondern sind zum Großteil Schutt schwarzblauer Gesetzgebung des Jahres 2001 und großkoalitionärer Vereinbarungen, aber damit kann sich die derzeitige Bundesregierung nicht aus ihrer Verantwortung stehlen.
In der Diskussion zur Novelle wurde nämlich deutlich darauf hingewiesen, dass die Gremienzusammensetzungen im ORF der Willkür der Bundesregierung bzw. der Ministerin zu viel Raum lassen.
Es wurde gesagt, dass Mauschelbesetzungen nicht mehr den heutigen Anforderungen an Demokratie und Rechtsstaat entsprechen, weil sich diese weiterentwickelt haben; es wurde auf die deutsche Verfassungsjudikatur und die herrschende Lehre verwiesen. All das haben Regierung und die schwarzgrüne Mehrheit im Nationalrat aber ignoriert.
Regierung ignorant gegenüber Experten
Kaltschnäuzigkeit einer formalen Abgeordnetenmehrheit und Ignoranz unwissender Mächtiger gegenüber wissenden Experten scheint zwar der Governance Kodex der aktuellen Bundesregierung zu sein, aber das rächt sich. Es war nur eine Frage der Zeit und mutiger Akteure, bis sich jemand fand, der dieses autokratische Rekrutierungssystem im Staat anfechtet und zu Fall bringt. Dass es das Burgenland war, ist zufällig, aber aus rechtsstaatlicher, transparenzbejahender und demokratischer Perspektive hoch anzurechnen.
Blamabel ist es geradezu, dass die Aufhebung der Bestimmungen noch erfolgt, bevor die Novelle in Kraft tritt, in deren Kontext die Kernprobleme diskutiert und abgeschmettert wurden. Das ist nicht nur ein Beleg dafür, dass man in Eisenstadt und im Verfassungsgerichtshof (VfGH) schnell arbeitet, sondern auch dafür, wie evident die Probleme waren.
Rasch handeln statt blockieren und Gesprächsverweigerung
Aber mit der Dringlichkeit bei der Herstellung verfassungskonformer Zustände hat es die derzeitige Bundesregierung nicht so: Auch die Nichtbesetzung von Höchstrichtern, obersten Verwaltungsbehörden, rechtsstaatsrelevanten Beratungsgremien ist klar rechtswidrig. Das Scheinargument, es gäbe für jede Funktion im Staat auch Stellvertreter und somit sei alles in Ordnung, ist so dämlich wie zynisch: Art. 19 B-VG verlangt nicht Stellvertreter, sondern Führungsorgane. Als eine Staatssekretärin, Ministerinnen und reihenweise Gesundheitsminister ausfielen, war schwarzgrün ja auch schnell mit der Nachbesetzung zur Hand und hat nicht argumentiert, es seien ohnehin Sektionschefs da, die den Laden reibungslos ein paar Jahre weiterführen könnten.
Angesichts dieser Lässigkeit der Bundesregierung steht nun zu befürchten, dass sie den vom VfGH gesetzten Aufhebungstermin März 2025 wiederum auf ihre Art wahrnehmen: Sie werden sich darauf berufen, dass sie ja bis dahin nichts tun müssen, weil ja eh alles funktioniere. Sie werden also in ihrer Regierungsperiode nichts unternehmen, Initiativen kaltschnäuzig abwehren und jeden gut argumentierten Änderungsvorschlag nicht verstehen oder ignorieren. In engsten Zirkel werden sie ihrem Stil entsprechend auch auf jede Forderung aus grünen Kreisen mit Gesprächsverweigerung und monatelanger wechselseitiger Blockade gegenüber Opposition und Zivilgesellschaft reagieren. Dies umso leichter, als dass die Grünen das Problem ja mitverursacht haben.
Letztlich wird man dann zwar nicht an der Änderung des Gesetzes vorbeikommen. Überlässt man sie der derzeitigen Regierung, dann wird sie so aussehen: Der Publikumsrat entsendet neun Mitglieder statt derzeit sechs in den Stiftungsrat und die Stiftungsratsmitglieder sind nicht mehr absetzbar. Die zukünftigen Medienminister und gesellschaftliche Organisationen schicken dann je 15 Mitglieder in den Publikumsrat und ins Gesetz wird eine Liste vorschlagsberechtigter Organisationen, die alle schwarz oder grün sind, aufgenommen.
Demokratie und Rechtsstaat ernst nehmen
Die Demokratie und der Rechtsstaat können sich aber mit einem solchen Minimalprogramm nicht zufriedengeben. Das Vertrauen der Allgemeinheit in den staatlichen Rundfunk, die hoffentlich bald verankerten Transparenzgrundsätze unserer Verfassung und die Bereitschaft zum finanziellen Pflichtbeitrag verlangen mehr. Sowohl die Auswahl von Stiftungsräten durch die Bundesregierung als auch die parallele Kompetenz der Länder und die Entscheidung über Publikumsräte brauchen klare Regeln: transparente Ausschreibung, offene Bewerbung, gesetzlich festgelegte Entscheidungsparameter und Begründungspflicht.
Solche Änderungen würden auch dem aufrechten Gang von Journalisten, der redaktionellen Unabhängigkeit, der Glaubwürdigkeit der Information und der Relevanz der Programmthemen guttun – und jenen den Wind aus den Segeln nehmen, die am liebsten gleich der ORF zugunsten des gratis-Boulevards abschaffen wollen.
PS: Eine Anmerkung zur Juni-Novelle des ORF-Gesetzes sei noch gestattet, auch wenn sie mit dem Erkenntnis nicht direkt zusammenhängt: Ein Verbot für den ORF, im Internet mehr als 350 Meldungen pro Woche zu publizieren, widerspricht der Freiheit der Meinungsäußerung und ist daher verfassungswidrig. Es wird sich wohl auch hier jemand finden, der das im Umsetzungsfall erfolgreich anficht.
Manfred Matzka, Jurist, langjähriger Präsidialchef des Bundeskanzleramtes, Minister- und Kanzlerberater, ist ein fundierter Kenner des politischen Tagesgeschäfts in Österreich. Er arbeitete 40 Jahre im Bundesdienst, lange auch als Kabinettschef, wurde von der Politik als Insider akzeptiert und respektiert und hält mit seiner stets ebenso gut begründeten wie pointierten Meinung nicht hinter dem Berg. Er ist Autor der Bestseller „Die Staatskanzlei“ sowie „Hofräte, Einflüsterer, Spindoktoren“.
In seiner Kontrast-Kolumne “Inside Staatsapparat” bewertet er aktuelle politische Ereignisse und Regierungsvorhaben aus verfassungsrechtlicher Perspektive.