In der aktuellen Debatte um Schulöffnungen und Kindergarten-Neustart geht’s heiß her. Sie ist aber vor allem von veralteten Vorstellungen von Bildung und Sorgearbeit geprägt. Die Interessen und Rechte von Kindern und Jugendlichen scheinen in der Regierung in Zeiten des Coronavirus keine laute Lobby zu haben. Eltern werden im Unklaren gelassen.
Für mehr als Kopfschütteln reicht es wohl bei vielen Eltern nicht, wenn sie an die Prioritäten der Regierung bei den Lockerungen der Corona-Maßnahmen denken. Während Lockerungen für Golfspieler, Segelflieger und Bogenschützen bereits vor zwei Woche kundgetan wurden, mussten Schulkinder und ihre Eltern bis Freitag auf Klarheit warten. Kinder, die einen Kindergarten oder eine Krippe besuchen, warten bis heute auf Lösungen von Regierungsseite. Denn der dreiwöchige Betreuungsurlaub ist für jene, die ihn in Anspruch nehmen konnten, längst um. Viele bekamen ihn aufgrund des fehlenden Rechtsanspruches erst gar nicht.
Wann Kinder wichtig sind
Wird über die Hygieneregeln gesprochen, die nicht eingehalten werden können, wird gerne auf die Kleinsten verwiesen. Um die geht es aber nie, wenn es gibt es über Homeoffice gesprochen wird. Da gibt es nur die Großen, die sich selbst beschäftigen können. Um Jugendliche geht es außerdem dann, wenn sie geprüft werden müssen.
Insgesamt ist es schauerlich, wie über Kinder im Corona-Kontext gesprochen wird. Sie lediglich als Reproduktionsfaktoren für das Virus, als „Virenschleudern“ zu behandeln, ist einer Demokratie unwürdig.
Tatsächliches Risiko unklar
Kinder haben Rechte – aber offenbar keine starke Lobby in dieser Regierung. Kindern allen Alters wird die Möglichkeit abgesprochen, bestimmte Distanzregeln zu verstehen und einzuhalten. Ihre Bedürfnisse und Wünsche spielen sichtlich keine Rolle. Sie sind maximal dann relevant, wenn Unternehmer ihre Angestellten im Job zurück brauchen. Das ist der einzige Grund, warum sie in eine Bildungseinrichtung gehen sollten.
Kinder haben Rechte – das Recht auf Bildung, auf Freizeit, das Recht auf psychische Gesundheit, das Recht auf ein Leben ohne Gewalt. Diese Rechte müssen auch in den Corona-Maßnahmen Berücksichtigung finden. Grundsätzlich fällt auch auf, dass es bisher wenig Forschung zur Übertragung des Coronavirus von Kindern auf Kinder gibt und vorhandene Studien im besten Fall nicht in die Kenntnis der Regierung gelangt sind.
Das bisschen Kinderbetreuung…
Tief verwurzelt scheint die Annahme bei der ÖVP zu sein, dass Kinderbetreuung keine Arbeit ist. Anders ist es nicht verstehen, dass man glaubt, die aktuelle Betreuungssituation —insbesondere von tausenden Kindergartenkindern — sei für alle eine gangbare Dauerlösung. Die Wahrheit ist aber: kleine Kinder können nicht während drei aufeinanderfolgenden Telefonkonferenzen beschäftigt werden. Und: Sie haben unsere Aufmerksamkeit verdient. Ich will mein Kind und seine Bedürfnisse nicht abtun, weil gerade ein Meeting stattfindet.
Das ist, als müsste man zwei Vollzeit-Jobs nebeneinander machen. Niemand kann das auf Dauer. Nicht alle Menschen können Harald Mahrer sein. Es würde auch kein Arbeitgeber dafür zahlen, dass man gleichzeitig für einen anderen arbeitet.
KleinkindpädagogInnen erhalten eine jahrelange Ausbildung, sie sind ExpertInnen für frühkindliche Entwicklung und Bildung.
Eltern sind zum Spielen, zum Kuscheln, zum Betreuen da. Sie können aber Bildungseinrichtungen, in denen auch die Beziehungen der Kinder zueinander eine Rolle spielen, nicht ersetzen.
Die Nicht-Anerkennung der Arbeit mit Kindern zeigt sich auch in der Bezahlung der PädagogInnen, sie entspringt einem althergebrachten Vorstellung, dass Sorgearbeit dem Privaten zuzuordnen ist, dass sie nebenbei erledigt werden kann, dass es eben keine „richtige Arbeit“ ist.
Was kommt nach der Schulöffnung?
Ab Mai soll nun schrittweise der Schulbetrieb wieder aufgenommen werden. Weil Nachmittagsunterricht für die SchülerInnen entfällt und die Kinder und Jugendlichen im Schichtbetrieb unterrichtet werden, braucht es weiterhin Lösungen, wie die Betreuung der Kinder zu Hause und Homeschooling bis September weiter funktionieren sollen.
Dass allerdings das drängendste Thema des Bildungsministers die Matura ist, ist bezeichnend. Sie ist eine Momentaufnahme, ein Mythos einer Leistungsgesellschaft, der nichts mit individuellem Bildungserfolg zu tun hat. Dass die Jugendlichen in dieser Stresssituation lange nicht wussten, wie es weitergehen wird, ist unverständlich. Offenbar musste lange darüber nachgedacht werden, wie SchülerInnen durch diese „Schreckensprüfung“ gezwängt werden. Interessant wird auch, welche Schutzmaßnahmen die Regierung in den Schulen für LehrerInnen und ältere SchülerInnen zur Verfügung stellen wird – angesichts fehlender Schutzausrüstung in der mobilen Pflege oder den stationären Betreuungseinrichtungen wohl keine einfache Aufgabe.
Schule ist auch mehr als ein Bildungshort
Aber Schule ist mehr als die Prüfungssituation, LehrerInnen sind mehr als Prüfende. Kinder und Jugendliche brauchen Räume für Reflexion des Erlebten. Einfach zur Tagesordnung überzugehen, nimmt Sorgen und Erfahrungen der Kinder und Jugendlichen nicht ernst.
Auch, wenn die Schulen in den nächsten Wochen wieder starten, muss uns eines bewusst sein: Das Coronavirus hat die Ungleichheit zwischen den Kindern verschärft. Es gibt jene Kinder in den großen Wohnungen, deren Eltern sich im Homeoffice Zeit frei einteilen können, sie beim Lernen unterstützen und die keine finanziellen Sorgen haben müssen. Sie haben alle notwendigen Lernressourcen zur Verfügung gehabt: ein eigener Schreibtisch, ein Computer, gutes Internet. Und dann gibt es die Kinder, deren Eltern kein Homeoffice machen, deren vielleicht Deutsch nicht gut genug ist, um die Kinder beim Lernen zu unterstützen, die vielleicht gerade von finanziellen Sorgen geplagt sind, weil sie arbeitslos sind. Diese Kinder haben im Durchschnitt 14m2 Platz zum Leben, zum Spiele, zum Lernen in beengten Wohnungen, keinen eigenen Schreibtisch, müssen sich einen Computer teilen oder können nur am Handy ins Internet.
Und es gibt die Kinder, die Gewalt erleben. Die nun nicht durch die Schule geschützt sind, weil Eltern wissen, dass es etwa im Turnunterricht auffällt, wenn sie blaue Flecken haben. Oder wenn sie verstört sind, weil der Vater die Mutter schlägt oder terrorisiert. Gewalt prägt ein Leben lang.
Und der Kindergarten?
Viele Eltern von Kindern in der Kinderkrippe und im Kindergarten mussten vielleicht tief Luft holen, als Sebastian Kurz sagte: „Beim Kindergarten braucht es keine Änderung“. Kurz meint, wer Betreuung brauche, wer es nicht mehr aushalte, könne diese jetzt schon in Anspruch nehmen, das sei keine Schande.
Die Formulierung ist wohl nicht zufällig gewählt, sie richtet implizit uns aus: Wer Kinder, Homeoffice und Haushalt nicht unter einen Hut bekommt, hat versagt. Aber Kurz eilt herbei und gibt den Versagerinnen eine Ausweichmöglichkeit.
Doch die Realität sieht anders aus, wie auch Arbeiterkammer berichtet: Eltern müssen Nachweise über den Bedarf erbringen, werden unter Druck gesetzt: „Ihr Kind wäre das Einzige, wir würden extra wegen Ihnen die Pädagoginnen holen“ oder „Damit setzen Sie ihrem Kind aber schon einem enormen Risiko aus“. Vergessen werden darf nicht: Schon vor Corona haben nicht alle Eltern ein flächendeckendes, leistbares Kinderbetreuungsangebot vorgefunden, schon gar nicht mit Öffnungszeit, die der Realität der Arbeitswelt entgegenkommen. Daher sind Großeltern und Urgroßeltern bei der Betreuung eingesprungen – das ist aus Sicherheitsgründen jetzt nicht möglich.
„Beim Kindergarten bleibt alles wie bisher: Er bleibt offen”
Jedes Kind und jede Familie ist anders, für manche passt die Situation gerade. Für viele kann es so nicht weitergehen.
Am schlimmsten ist wohl die fehlende Perspektive: Kann ich die Zeit bis zur Wiedereröffnung des Kindergartens mit Urlaub und Zeitausgleich überbrücken? Muss die wöchentliche Arbeitszeit dauerhaft reduziert werden?
Familien brauchen Klarheit und Planbarkeit. Hier versagt die Regierung komplett. Der Bildungsminister meinte zwar zuerst, alles bleibe, wie es ist, und die Kindergärten damit offen. Doch die Realität der Eltern sah anders aus. Wie Arbeiterkammer vor einigen Tagen deutlich machte, gibt es zahlreiche Probleme für Eltern und Kinder, die das Betreuungsangebot im Kindergarten wieder in Anspruch nehmen wollen. Druck wird auf Eltern ausgeübt, Unterlagen und Bescheinigungen vom Arbeitgeber verlangt. Am Freitag erfolgte zwar ein Erlass, der die Kindergärten aufforderte, die Kinder unbürokratisch aufzunehmen. Ob dieses Vorgehen Erfolg zeigt, bleibt abzuwarten. Einen Fahrplan und damit Planungssicherheit gibt es bundesweit weiterhin nicht.
Kreative Lösungen für die Allerkleinsten
Besonders für Krippenkinder scheint eine rasche, österreichweite Lösung für Eltern mit Vollzeitjobs in weiter Ferne. Für Krippenkinder ist es wohl am schwierigsten, Sicherheitsabstand, Sicherheitsvorkehrungen (Masken, Schilde etc.) und Hygieneregeln einzuhalten. Um eine tatsächliche Abdeckung des Betreuungsbedarfes zu gewährleisten, könnte etwa eine Elternsonderkarenz sinnvoll sein – analog zu Kurzarbeit oder Mutterschutz. Damit Kleinkinder aber den Kontakt zu Gleichaltrigen haben, der für ihre Entwicklung enorme Bedeutung hat, braucht es innovative Angebote für Kontakt in kleinen, stabilen Gruppen, um im Falle eines Corona-Verdachts nur eine Teilgruppe in Quarantäne schicken zu müssen. Öffnung muss nicht Öffnung für alle gleichzeitig im Ausmaß des Prä-Corona-Angebotes sein.
Klar muss aber auch sein, dass niemand seinen Kindergarten- oder Krippenplatz verliert, weil er sich in der aktuellen Situation dafür entschließt, ein Betreuungsangebot nicht in Anspruch zu nehmen. Wer seine Kinder gerade lieber selbst betreut, dem/der sei dies auch zu ermöglichen.
Jugendliche ernst nehmen
Für Jugendliche über 15 Jahren werden höhere Schulen, Polytechnika und Berufsschulen erst im Juni starten. Daher braucht es jetzt Lockerungen für sie im Alltag. Jugendliche brauchen Freiräume und den Kontakt zu ihren AltersgenossInnen. Würde man Jugendliche ernst nehmen, hätte es längst eine Ankündigung gegeben, die Jugendlichen Gewissheit gibt, wann sie ihre FreundInnen wieder sehen können. Jugendlichen können wir zutrauen, dass sie Distanzregeln und Hygienevorschriften einhalten. Wenn wir demnächst zum Friseur gehen können, muss es Jugendlichen wieder möglich sein, FreundInnen zu treffen, einigen Hobbys nachzugehen und Freiräume zu genießen.
Bei der Rettung der Wirtschaft waren Lösungen schnell da, Eltern wurden von der Regierung wochenlang im Regen stehen gelassen. Insbesondere für Einzelkinder, für Alleinerzieherinnen, für berufstätige Eltern mit Kleinst- und Kleinkindern, für Kinder aus armutsbetroffenen Familien braucht es jetzt rasch Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie, zur Wahrung der Kinderrechte. Was Kinder, Jugendliche und Eltern nicht brauchen, ist eine Freisprechung von Schande durch den Bundeskanzler.
Zum Glück wurden die “modernen” Kinderbetreuungsvorstellungen abgewählt. Tatsächlich sind die in diesem Artikel erzählten Familienbilder einer durch und durch staatlichen Kindererziehung, genannt wurde schon ab der Kinderkrippe, längst veraltert. In einem solchen System hätten die Kinder keine Familien mehr, ihre Ausbildung und yintelligenz würden zurück bleiben, sie müssten, wie im Artikel dgensnnt, Angst haben. Gensu dann hätten sie keine Lobby. Dafür hätten die Eltern ein gesichertes Auskommen. Eine Welt, die nicht funktioniert. Wer Kinder hat muss auch für sie sorgen. Corona ist die Chance für solche Kinder ohne Familie näher an ihre Eltern zu kommen. Vielleicht kümmern sich solche Mütter, Väter nun einmal selbst um ihre Kinder? Das ist wichtiger als die angewohnten Geldforderungen und Karriereüberlegungen.
Grundsätzlich finde ich den Beitrag sehr differenziert, jedoch vermisse wirklich sehr einen Blick auf die Arbeit der Kindergartenpädagoginnen, die sich einem stark erhöhten Risiko der Ansteckung aussetzen müssen, da es weder Abstand noch eine wirksame Hygiene mit Menschen dieser Altersgruppe gibt. Nun, hier mag man mit einem Wiener Virologen den lapidaren Satz entgegnen wollen: Es gibt keine Untersuchungen, wie weit Kinder ansteckend sind – probieren wir ‘ einfach. Aha! Sollten die schon etwas älteren Pädagoginnen, die es ja auch gibt, zu diesem Versuch die Kaninchen sein? Scheint so…noch vor einigen Wochen hat man Verkäuferinnen mit Helmen und Plxexisglax ausgestattet, weil man sie doch schützen muss.Stimmt genau! Doch wer spricht für Pädagoginnen?