Seit Februar sind 130 Arbeiterinnen und Arbeiter in Spielberg arbeitslos, obwohl sie alles versucht haben, um das ATB-Werk zu retten. Dem anonymen Management geht es nur um Zahlen und Kosten, alle Schreiben an die Regierung und Besuche in Wien blieben ungehört. Die Arbeiterinnen und Arbeiter fühlen sich eiskalt abserviert und im Stich gelassen. Sie haben durch die Schließung nicht nur ihre Arbeit, sondern auch ein Stück Heimat verloren.
Es ist still geworden in Spielberg. Im vergangenen Sommer ging der ganze Ort gegen die Werksschließung auf die Straße, am 31. Jänner 2021 hatten 130 Arbeiterinnen und Arbeiter von ATB den letzten Arbeitstag. Im Juli des Vorjahres verkündete die Konzernführung, dass das Werk schließen und die Produktion nach Polen übersiedeln wird. Für die Arbeiter und Arbeiterinnen kam das völlig unerwartet. Damals waren 400 Menschen in Spielberg beim Motorenhersteller beschäftigt.
Die polnischen Arbeiter haben die meisten Maschinen und Fließbänder schon abmontiert, aber 40 Kolleginnen und Kollegen arbeiten auch Anfang Februar noch in der Fertigung. 40 weitere im Vertrieb und den Büros. Durch Corona und “viele Anfangsschwierigkeiten” hat sich die Übersiedelung nach Osteuropa verzögert, erzählt Michael Leitner, Betriebsrat von ATB. Bis Juni werden noch Rasenmäher in Spielberg gefertigt, dann wird die Produktion komplett eingestellt.
“Es geht nicht mehr um uns”
Es halfen keine Angebote von Investoren und kein Entgegenkommen des Betriebsrats. Der chinesische Eigentümer Wolong meldete Insolvenz an, der Mutterkonzern kaufte die Maschinen aus der billigen Insolvenzmasse und siedelte die Produktionsstätte nach Polen ab. “Die Politik hat erst reagiert, als es schon fünf vor zwölf war, aber da war nichts mehr zum Helfen. Man hat uns einfach im Stich gelassen. Der Hilferuf vom Betriebsrat kam schon viel früher, aber wir sind ignoriert worden“, sagt Rudolf Wolf, einer der Arbeiter.
Dass es im Parlament einen Antrag gab, der so eine Ausnutzung des Insolvenzrechts in Zukunft verhindern soll, ist den Arbeiterinnen und Arbeitern wichtig – auch wenn die Regierung ihn abgelehnt hat. “Es geht nicht mehr um uns. Für uns ist es zu spät. Es geht um andere Firmen, damit sowas nicht mehr passiert. Es kann ja nicht so weiter gehen”, sagt Wolf. Der gleichen Meinung ist seine ehemalige Kollegin, Elisabeth Dolleschall-Strasser. Sie ist zu einem Interview bereit, “damit die Regierung munter wird.” Denn: “Wir können nicht alle Fabriken abwandern lassen in Länder, wo sie weniger verdienen als bei uns die Wohnung kostet.” Auch um den Rest der Region macht sie sich Sorgen:
„Das ist das gleiche bei MAN in Steyr – wir Arbeiter werden eiskalt abserviert. Ganz schlimm, was die mit uns machen. Das wird sich rächen“, sagt die Arbeiterin.
„Wir haben viel getan für die Firma“
Die Loyalität zum Betrieb ist trotz allem groß. Was man sonst nur von der Führungsebene von Betrieben hört, sagen hier alle: Bei ATB war man eine große Familie. Man hielt zusammen. Wenn der Kollege wegen der jahrelangen körperlichen Arbeit nicht mehr schwer heben konnte, wurde er in eine andere Abteilung versetzt – oder die Kollegen halfen aus. Der Zusammenhalt im Betrieb zeigte sich auch 2003, als die Wickelei, eine Abteilung mit 100 Kolleginnen – ausschließlich Frauen – abgesiedelt werden sollte. “Alle Kollegen aus allen Abteilungen haben damals auf eine bezahlte Pause verzichtet”, erinnert sich Leitner.
Bis 2000 war auch Elisabeth Dolleschall-Strasser in der Wickelei. Die heute 55-Jährige war seit 1985 im Betrieb und gehört zu jenen 130, die seit 1. Februar arbeitslos sind. Auch ihr Vater hatte schon bei ATB gearbeitet. Wie er hat sie immer Vollzeit gearbeitet, nur für vier Jahre musste sie unterbrechen, weil sie ihr Kind pflegte. Auf ihre Karriere bei ATB ist die gelernte Kellnerin stolz. 2000 wechselte sie von der Wickelei in die Fertigung. Die Werdegänge der Belegschaft zeigen: ATB war ein Betrieb, in dem man mit Fleiß und Engagement aufsteigen konnte – auch wenn die Mitarbeiter seit Jahren wussten, dass es der Firma nicht gut ging. Auch da hielt man zusammen: Die Mitarbeiter haben eine Viertelstunde länger gearbeitet und eine Viertelstunde früher begonnen, um der Firma zu helfen, erzählt Dolleschall-Strasser. „Wir haben viel getan für die Firma“, sagt sie.
Standort heruntergewirtschaftet
Die Belegschaft schrumpfte trotz allem seit Jahren. Ende 2008 wurden 80 der 680 Mitarbeiter gekündigt, bis Mitte 2009 schrumpfte die Belegschaft durch Pensionierungen auf 560 Menschen. Im selben Jahr wurde ein Großteil der Belegschaft wegen eines Einbruchs der Auftragslage für mehrere Monate gekündigt – mit Wiedereinstellungsgarantie. So gut wie alle kehrten zurück. Das liegt an den guten Industrie-Löhnen, aber auch am Arbeitsplatz.
Dann wechselte 2011 der Besitzer. Der österreichische Industrielle Mirko Kovats meldete Konkurs an, die chinesische Wolong-Gruppe kaufte das Werk in der Steiermark billig auf. Seit zwei Jahren merkten die Mitarbeiter, dass etwas nicht stimmt. „Es war, als wollten sie die Firma herunterwirtschaften. Wir hätten Aufträge gehabt zum Saufüttern, aber es gab zu wenig oder fehlerhaftes Material“, erzählt Dollschall-Strasser.
Die ständigen Eigentümerwechsel und Versprechen, die dauernd gebrochen wurden, taten der Treue der Mitarbeiter keinen Abbruch. “Zwei Mal waren wir schon knapp vorm Zusperren. Wir hatten viele Eigentümerwechsel. Jedes Mal wurde angekündigt: Jetzt wird in den Standort investiert. Das waren alles leere Versprechungen. Die sind dann zwei Jahre geblieben, haben abgecasht und sind wieder gegangen. So wurde das Unternehmen kaputt gespart”, analysiert Rudolf Wolf die Firmengeschichte.
Corona als Ausrede für die Standortschließung
Für den Maschinisten war Corona nur eine Ausrede, den Standort zuzusperren: “ATB war eine gute Firma, ein gesundes Unternehmen mit vollen Auftragsbüchern”, sagt Wolf. Sie hatten eine Liefertreue von 90 Prozent, in perfekter Qualität. Das Werk in Polen, in das die Maschinen ausgelagert wurden, kann da nicht mithalten. Die Wolong-Gruppe muss Strafe für die fehlerhaften Lieferungen zahlen, weiß der ehemalige ATBler. Aber Schadenfreude kommt bei Wolf nicht auf. Zu sehr schmerzt, dass seine Arbeit jetzt von jemand anderes gemacht wird – und noch dazu schlechter. Er sagt:
„Jeder Arbeiter hätte sagen könne, das wird nichts. Aber die Manager haben nur die Zahlen im Kopf und waren blind dafür.“
An der mangelnden Auftragslage kann die Standortschließung nicht liegen, sind sich alle einig. “Wir kriegen sogar jetzt noch Aufträge rein”, weiß auch Heidemarie Engesser. Auch die 58-Jährige ist seit 1. Februar arbeitslos. Wie Dollschall-Strasser ist sie gelernte Kellnerin, schaffte es bei ATB bis zur Anlagenführerin. “Am Boden zerstört” war sie, als sie nach 43 Jahren in der Firma erfuhr, dass “alles aus” sei. Wie ihre Kolleginnen sagt sie: “Wir waren wie eine große Familie” – und bei Engesser kann man das wörtlich nehmen. Ihr Sohn begann sein Arbeitsleben in der Fertigung und war zum Schluss als Computerprogrammierer angestellt. Im Gegensatz zu seiner Mutter hat er schon wieder eine neue Stelle gefunden.
Kündigung ohne Vorwarnung
Auch Rudolf Wolf hatte Familie im Betrieb. Seine Frau schuftete sich bei ATB den Rücken kaputt, erzählt er. Nur einer Bandscheibenoperation ist sie zu 50 Prozent Teilinvalide. Wolf war 22 Jahre im Betrieb. Der 53-Jährige hat drei Kinder und zwei Enkelkinder, um die er sich kümmert.
Von der Schließung des Werks hat Rudolf Wolf während seiner Frühschicht erfahren. “Um viertel nach elf kommt der Schicht-Meister zu uns und sagt: ‘Fahr die Maschine nieder, es ist eine Versammlung.'” Kein Mensch hat gewusst, was passiert. Ein Mann, den Wolf nicht kennt, steht vor der versammelten Belegschaft. Er stellt sich als Insolvenzverwalter vor und kündigt an: Die Produktion in Spielberg wird geschlossen. Wolf und seine Kollegen verstehen anfangs nicht: „Keiner hat das gewusst, keiner hat das glauben können.“
Das bestätigt auch Andrea Scharrer. Nicht einmal sie als Betriebsrätin wusste von der Werksschließung. Sie hatte am Tag der Verkündung Urlaub – bis erschrockene Kollegen in Dauerschleife anriefen. Im Werk herrschte vor allem Ungläubigkeit über das Vorgehen des Insolvenzverwalters Primigg, den der Konzern eigens zur Abwicklung nach Spielberg geschickt hatte. “Primigg war eiskalt zu uns, da ist gar nichts gekommen. Wir haben bei der Kündigung anstehen müssen wie vor einem Schlachthof – ohne Trinken und ohne Wasser”, erinnert sich Dollschall-Strasser.
Mit Mitte 50 plötzlich arbeitslos
Vor fünf Jahren waren sie rund 500 Menschen im Betrieb, im Juli 2020 nur mehr 400, davon 300 Arbeiter. Ab Juli 2021 werden nur mehr 40 Angestellte bleiben, die den Vertrieb weiter in Spielberg abwickeln. Dass die Mitarbeiterzahl laufend kleiner wurde, liegt auch am hohen Alter im Betrieb. Viele, die jetzt auf der Straße stehen, sind weit über 50. Für sie ist es besonders schwer, eine neue Stelle zu finden.
Mit dem Arbeitslosengeld finden sie kaum ein Auskommen. “Wir verdienen ja nicht 20.000 Euro wie der Bundeskanzler, sondern 1.500 bis 1.800 Euro im Monat – davon 55 Prozent ist halt wirklich wenig zum Leben”, sagt Elisabeth Dolleschall-Strasser. Und: „Ich hätte mir nie gedacht, dass ich so kurz vor der Pension arbeitslos werde. Nie!“ Betriebsrat Michael Leitner mahnt dringend die Erhöhung des Arbeitslosengeldes auf 70 Prozent des Letztgehalts ein. „55 Prozent Arbeitslosengeld ist nicht viel. Aber man will ja nicht nur wegen des Geldes arbeiten”, wendet Wolf ein: “Man will einfach arbeiten, das ist alles.“
Wie geht es weiter für die ehemaligen Arbeiterinnen und Arbeiter in Spielberg? “Es ist schwierig”, fasst Wolf die Lage zusammen. “Wenn ich eine neue Arbeit finde, wird der Verdienst ganz anders ausfallen, und damit auch die Pension.” Auch Andrea Scharrer hat noch sechs Jahre bis zur Pension, nachdem sie 36 Jahre bei ATB war. 80 Prozent der Belegschaft war über 40. Scharrer weiß: “In unserem Alter ist das nicht so leicht: Man hat Haus gebaut, Freunde und Leben um den Job aufgebaut. Da ist ein neuer Job in einem anderen Bundesland nicht so einfach.”
Engesser will über die Arbeitsstiftung eine Computerschulung machen, wie sie Dolleschall-Strasser bereits macht. Die kann sich wiederum wie Scharrer vorstellen, in die Pflege zu wechseln. “Da gibt es immer was zu tun” – auch wenn die Löhne nicht annähernd so gut sind wie in der Industrie. Das gilt auch für andere Branchen wie Tourismus oder Gastro, die normalerweise durch den nahe gelegenen Red-Bull-Ring locken. Aber durch die Corona-Krise herrscht auch hier Durststrecke. Einig sind sich alle: Könnten sie es sich aussuchen, hätten sie ihren Job bei ATB nie aufgegeben. Warum? “Ich bin halt eine Fabriklerin”, sagt Elisabeth Dolleschall-Strasser.