Ab diesem Semester müssen berufstätige Studierende Studiengebühren zahlen. Bisher waren sie ausgenommen, doch die Regierung hat das Gesetz dazu nicht repariert. Das belastet vor allem Studierende, deren Eltern keine Akademiker sind und die arbeiten müssen, um sich ein Studium leisten können.
Derzeit zahlen Studierende an öffentlichen Universitäten Studiengebühren, wenn sie eine vorgegebene Studiendauer überschritten haben. Berufstätige Studierende waren bislang befreit, wenn sie zeigen konnten, dass sie mehr arbeiten als studieren. Doch diese Ausnahme gilt nicht mehr: Die Regelung dazu ist im Juni 2018 ausgelaufen. Für die meisten ist ein Studium ohne Job nicht leistbar. In Folge brauchen sie für ihr Studium länger als Kollegen, deren Eltern die Kosten übernehmen. Jetzt müssen auch Berufstätige Gebühren von über 360 Euro pro Semester zahlen. Laut Wissenschaftsministerium sind etwa 25.000 Personen betroffen.
Studierende mit Akademiker-Eltern stellen zwei Drittel der Studienanfänger
Im Bevölkerungsquerschnitt kommen weniger als 40 Prozent der 18- bis 24-Jährigen aus einem Akademiker-Haushalt. An den Universitäten dagegen stellen sie fast zwei Drittel der Studienanfänger (63 Prozent).
Das hat auch Auswirkungen auf die Chancen-Verteilung an den Unis: Studierende, deren Eltern keine Hochschule besucht haben, haben höhere Hürden, sich in den Unialltag einzufinden und finanziell über die Runden zu kommen. Das Haushaltseinkommen ihrer Familie ist in der Regel niedriger, deshalb müssen diese Studierenden öfter und mehr Wochenstunden neben dem Studium arbeiten.
Studierende mit finanziell schwachen Eltern müssen im Schnitt 23 Stunden pro Woche arbeiten. Studierende aus reicheren Haushalten arbeiten dagegen 17 Stunden.
Wen treffen die Studiengebühren? Vor allem Kinder ohne Akademiker-Eltern
In absoluten Zahlen gibt es die meisten Betroffenen mit rund 8.500 Studierenden an der Universität Wien (das sind 9 Prozent aller dort Studierenden). Doch auch an der Technischen Universität Wien (11 Prozent) und der Universität Linz (13 Prozent der Studierenden) müssen künftig viele Studierende trotz Jobs Gebühren zahlen.
In welchem Zusammenhang die Berufstätigkeit von Studierenden mit ihrem Elternhaus steht, zeigt der Vergleich von zwei Universitäten.
An der Universität Linz gibt überdurchschnittlich viele berufstätige Studierende. Das hängt damit zusammen, dass der Anteil der Studierenden aus nicht-Akademikerfamilien an dieser Universität sehr hoch ist. Sie sind häufiger erwerbstätig und finanzieren sich ihre Ausbildung selbst. Demgegenüber ist der Anteil der von Gebühren Betroffenen an Medizin- und Kunstuniversitäten, an denen Studierende aus nicht-Akademiker-Familien unterrepräsentiert sind, niedrig.
Studierende mit Job brauchen länger fürs Studium
Die Regierung behauptet, Studiengebühren „motivieren“ junge Erwachsene, schneller zu studieren. Das geht jedoch an der Realität vorbei: Denn wie lange jemand für sein Studium braucht, hängt mit seiner finanziellen Situation zusammen. Immer mehr Studierende jobben neben dem Studium, um sich ihr Lebensunterhalt zu finanzieren. Das erschwert das Lernen erst recht: Zwei Drittel der „geringfügig“ Studierenden sagen, ihr Abschluss hätte sich durch ihre Erwerbstätigkeit verzögert. Studierende aus wohlhabenden Elternhäusern hingegen haben meist die Möglichkeit, sich voll auf das Studium konzentrieren zu können.
Kurzum: Studierende arbeiten, weil sie sich sonst das Studieren nicht leisten können. Durch die Jobs verzögert sich das Studium. Dadurch müssen eben jene, die mangels Geld arbeiten, zusätzlich Gebühren bezahlen.
Studiengebühren trotz Mehrfachbelastung
Hinter der bisherigen Regelung für berufstätige Studierende standen zwei Argumente: 1. brauchen Studierende, die neben dem Studium arbeiten, aufgrund der Mehrfachbelastung länger als Vollzeitstudierende bis zum Studienabschluss. Und 2. leisten sie bereits einen finanziellen Beitrag, da sie als Erwerbstätige und SteuerzahlerInnen die Unis mitfinanzieren. Beide Argumente interessieren ÖVP und FPÖ nicht.
Studiengebühren erzeugen AbbrecherInnen, nicht AkademikerInnen
Als die ÖVP-FPÖ-Regierung im Jahr 2000 Studiengebühren einführte, haben 45.000 StudentInnen ihr Studium abgebrochen – das waren 21 Prozent aller Studierenden. Sie konnten sich unter diesen Bedingungen ihren Lebensunterhalt nicht mehr leisten. Die Zahl der DoktorandInnen ist ebenso zurückgegangen, vor allem der Frauenanteil in dieser Gruppe sank stark. Was die Folgen der neuen Gebühren-Regelung sind, wird sich zeigen.
Manche Unis bieten “Ersatzlösung” an
Die Universtitäten reagieren nun unterschiedlich auf die Studiengebühren-Regelung. Die Universität Wien hat ein “Abschlussstipendium” eingerichtet. Es sollen jene Studierende erhalten, die im letzten Drittel des jeweiligen Studiums befinden eine bestimmte Studienleistung im Jahr nachweisen können. Die Höhe orientiert sich an Studiengebühren, die damit de facto von der Uni rückerstattet werden sollen. Ähnliche Modelle werden die Universtität Graz, die Technische Uni Graz und die Uni Innsbruck einführen.
In der Praxis bedeutet das in jedem Fall bürokratischen Aufwand für betroffene Studierende und die Universtitäten.
Zum Weiterlesen
Studiengebühren: Die neue Mittelschicht-Steuer von Schwarz-Blau (Kontrast)
Studiengebühren für Berufstätige: 25.000 betroffene Studierende (Blog Arbeit & Wirtschaft)
Ingolf Erler (2011): Keine Chance für Lisa Simpson (Mandelbaum Verlag)
Institut für Höhere Studien: Studierenden-Sozialerhebung
Es sind nicht nur die Arbeiterkinder, sondern auch die Angestelltenkinder (Arbeiter werden sowieso immer weniger, die meisten Unselbstständigen sind Angestellte, Vertragsbedienstete oder Beamte, auch wenn sie z. B. Hausarbeiter genannt werden) . Auch bleiben Bauernkinder außen vor und als Freiberufliche verdient man/frau oft auch nicht so toll. Und zumindest bei den Unselbstständigen oft mit überdurchschnittlichen Einkommen wegen der Lebenshaltungskosten. Zudem muss man rechtzeitig beginnen, Pensionszeiten oder Zeiten für die Anwaltschaft für Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung anzusammeln, auch in reicheren Familien. Die neutrale Bezeichnung ist übrigens First Generation students.