Salzburg gehen die Pflegerinnen und Pfleger aus. Betten müssen leer beiben, manche Häuser schließen sogar ganz. Auf offene Stellen gibt es keine BewerberInnen. Gemeinden und betroffene Familien sind verzweifelt und ergreifen Notfall- Maßnahmen. Das Problem: Die Möglichkeiten für Bürgermeister sind schnell ausgeschöpft. Alle warten darauf, dass die ÖVP-geführte Landesregierung die nächsten Schritte setzt. Doch die nimmt das Problem nicht ernst. Wir haben uns angesehen, sie sich die Gemeinden Oberndorf, Hallein und die Stadt Salzburg selbst helfen – und an ihre Grenzen stoßen.
Das Haus Bolaring ist eine moderne Seniorenresidenz in der Stadt Salzburg. Die BewohnerInnen leben in Einzelapartments, nutzen Gemeinschaftsküche und Aufenthaltsräume. Wenn das Wetter es zulässt, können die PensionistInnen auf der 2.000 m2 großen Grünfläche garteln oder unter der Laube sitzen. Es gibt Hochbeete, einige davon sogar barrierefrei und im Rollstuhl zu bewirtschaften. 2001 wurde das Seniorenwohnhaus feierlich eröffnet. Doch jetzt steht das Haus Bolaring leer. Die BewohnerInnen mussten auf andere Seniorenwohnhäuser aufgeteilt werden. Der Grund: Es gibt nicht ausreichend PflegerInnen.
“Wenn wir nichts unternehmen, können wir den Bedarf nicht mehr decken”
Für Anja Hagenauer, Sozialstadträtin der Landeshauptstadt, ist es eine „vorbeugende und notwendige Maßnahme“. Denn man will nicht riskieren, dass die Qualität in der Betreuung abnimmt. „Wir haben den Personalstand genau im Auge behalten und haben gesehen, dass sowohl Berufswechsel als auch Pensionierungen anstehen. Und wir haben gemerkt, dass wir trotz Ausschreibungen für Pflegekräfte keine entsprechenden Bewerbungen bekommen haben. Da war klar: Wenn wir nichts unternehmen, können wir ab Juni den Bedarf nicht mehr decken. Wir mussten handeln“, erklärt Hagenauer im Gespräch mit Kontrast.at.
Dass in einer Stadt wie Salzburg ein Seniorenwohnheim de facto geschlossen wird, obwohl immer mehr Menschen Pflege brauchen, sorgt für Schlagzeilen. Anja Hagenauer aber weiß, dass die Stadt mit dem Problem nicht allein dasteht.
„Die Situation spitzt sich im ganzen Land zu. Der Unterschied ist, wir handeln und wir kommunizieren transparent, wie es ist und was wir tun. Schönrederei hilft nicht”, sagt Hagenauer (SPÖ).
Das Haus Bolaring wird von der Stadt betrieben, folglich konnte die Stadträtin rechtzeitig eingreifen. In den privat geführten Seniorenwohnheimen ist die Lage aber nicht besser. Und die Situation spitzt sich von Woche zu Woche zu – auch in den Gemeinden.
Pflege-Notstand in Gemeinden: Auch Oberndorf setzt auf Notfall-Maßnahmen
Im Norden Salzburgs liegt die 6.000 Einwohner-Gemeinde Oberndorf. Sie grenzt an das Innviertel in Oberösterreich. Die bayrische Grenzstadt Laufe liegt direkt gegenüber – am anderen Ufer der Salzach. Hier wälzt Bürgermeister Georg Djundja (SPÖ) Ideen, wie er den Pflegenotstand lindern kann.
Die Stadtgemeinde Oberndorf führt zwei Seniorenwohnhäuser mit insgesamt etwa 180 Betten. Der Pflegemangel beschäftigt auch Djundja schon lange. Die Gemeinde hat keine externen Träger, sondern ist selbst für alle Pflegekräfte in den Wohnhäusern zuständig. „Wir mussten vor einiger Zeit schon einzelne Betten sperren, weil wir das Personal nicht hatten. Im Herbst letzten Jahres mussten wir dann drastischere Maßnahmen ergreifen und haben ein ganzes Stockwerk in einem Haus gesperrt. Das war auch in Absprache mit den Beschäftigten. Auch sie haben sich gewünscht, die wenigen Kräfte zu bündeln, die es gibt. Aber natürlich ist es keine Dauerlösung, sondern eine Notfallmaßnahme“, erzählt Djundja.
Dass Pflegekräfte fehlen, bereitet dem Bürgermeister Kopfzerbrechen – aber auch die Familien in der Gemeinde machen sich Sorgen. Um niemanden allein zu lassen, der dringend Pflege braucht, hat die Gemeinde Notfall-Zimmer eingerichtet – eines pro Seniorenwohnhaus. Von dort aus sucht man für die PatientInnen eine Lösung, die langfristig passt. Aber auch das sind nur Behelfslösungen. Die Krise löst es nicht, denn es kracht an allen Ecken und Enden. „Der Mangel an Pflegerinnen und Pflegern betrifft auch die mobile Pflege und die Krankenhäuser. Wir haben ein Krankenhaus in Oberndorf und auch dort offene Stellen, die wir nicht nachbesetzen können“, schildert der Bürgermeister.
“Absurd”: Zig Regelungen für Pflege-Entlohnung je nach Bundesland und Arbeitgeber
Ein Grund, warum es so schwierig ist, an Pflegekräfte zu kommen, ist laut Djundja die regionale Lage. In der Stadt Salzburg sind die großen Landeskliniken, die um Pflege-MitarbeiterInnen buhlen. Im nahen Oberösterreich sind die Gehälter höher als in Salzburg. „Der Förderalismus ist bei der Pflege mitunter ein Problem“, meint Djundja. Denn die Gehälter sind nicht nur davon abhängig, ob man bei einem privaten oder öffentlichen Träger arbeitet – und davon, ob man in einem Krankenhaus, einem Seniorenwohnheim oder in der mobilen Pflege arbeitet, sondern auch davon, in welchem Bundesland. „Natürlich überlegt sich jede Pflegerin genau, wo sie hingeht.“ Eigentlich ist das absurd, findet Bürgermeister Djundja.
„Ich bin der Meinung, es muss die gleichen Rahmenbedingungen für gleiche Arbeit geben, egal wo man arbeitet. Das heißt auch, dass die Wochenarbeitszeit gleich sein muss.“
Bei privaten Trägern liegt sie bei 38 Stunden, bei Pflegekräften mit Gemeindevertrag bei 40 Stunden. Eine Ungleichbehandlung. Kann man da nichts machen, wenn man es PflegerInnen leichter machen möchte?
Auf Gemeinde-Ebene leider kaum, erklärt der Oberndorfer Bürgermeister. Weder bei der Arbeitszeit noch bei den Gehältern. Er würde gern mehr bezahlen, doch er ist an das sogenannte „Gemeindevertragsbediensteten-Gesetz“ gebunden, das genau festschreibt, wie viel eine Pflegekraft in einer Gemeinde-Einrichtung verdienen darf. „Mir sind die Hände gebunden.“ Er wünscht sich, dass man das Gesetz ändert, doch das geht nur auf Landesebene. Es ist eine heikle Frage: Überlässt man die Gehaltsschemata den Gemeinden, könnte das zu einem verschärften Wettbewerb führen – wodurch wohlhabende Gemeinden einen Startvorteil hätten.
Abläufe vereinfachen, Entlastung durch nicht-Fachpersonal – “Irgendwas muss man ja tun”
Bürgermeister Djundja fühlt sich mit seiner Gemeinde Oberndorf jedenfalls vom Land im Stich gelassen. „Mag sein, dass die Landesregierung um die Pflegekrise weiß. Aber Taten sind dieser Erkenntnis bis heute nicht gefolgt.“ Er selbst kann nur an kleinen Schrauben drehen. Die Gemeinde bemüht sich darum, Abläufe in den zwei Häusern zu verbessern und mehr nicht-Fachpersonal anzustellen, um die noch vorhandenen Pflegekräfte zu entlasten. „Da, wo wir handeln können, handeln wir.“ Dass er damit keine Trendumkehr einleiten kann, ist ihm bewusst. „Aber irgendwas muss man ja tun.“
Mit kleinen Kniffen behilft man sich auch in Hallein, zweieinhalb Autostunden von Oberndorf entfernt. Im örtlichen Seniorenwohnheim sind 41 von 143 Betten leer. Das ist jedes 3. Bett. Denn auch hier fehlen die Pflegekräfte, um den Bedarf zu decken und die Standards zu halten. Folglich müssen Plätze gestrichen werden. Bürgermeister Alexander Stangassinger findet die Situation besorgniserregend.
Land Salzburg: “Auf Landesebene wird immer nur geredet – aber nichts getan”
“Es kommen immer wieder Betroffene zu mir und erzählen, dass sie für ihren Mann, für ihre Frau oder für ihre Eltern einen Pflegeplatz benötigen. Es ist für viele eine dramatische Situation. Da geht es um Menschen, die in Pflegestufe 5 und 6 sind – und die sind auf einer Warteliste! Aber es gibt keine Alternativen, weil auch in der mobilen Pflege das Personal fehlt. Auf Bundes- und Landesebene hat man verabsäumt, rechtzeitig dafür zu sorgen, dass es genug Pflegekräfte und gute Arbeitsbedingungen gibt. Jetzt müssen die Kinder oder EhepartnerInnen einspringen – und die sind schon an oder jenseits ihrer Belastungsgrenze.“ Man hört, dass Stangassinger mitunter wütend ist. „Auf Landesebene wird immer nur geredet. Aber Ergebnisse gibt es keine. Nichts wird umgesetzt.“
In Hallein betreut das Rote Kreuz das Seniorenwohnheim. Die durchschnittliche Pflegestufe der BewohnerInnen liegt bei 4,41. Hallein bräuchte 14-Vollzeit-Pflegekräfte mehr, um das Haus bei voller Bettenauslastung betreuen zu können. Davon ist man weit entfernt.
Stangassinger versucht, zumindest das bestehende Pflegepersonal in der Gemeinde zu halten. Per Gemeinderatsbeschluss hat man 85.000 Euro pro Jahr bereitgestellt. Ab 1. April werden mit diesem Geld die Pflegekräfte in der Gemeinde besser entschädigt. Am Grundproblem ändert das aber nichts, denn es gibt kein neues, zusätzliches Personal. All das während der Pflegebedarf vor aller Augen steigt. Und zwar in ganz Österreich.
PflegerInnen steigen aus oder gehen in Pension – gleichzeitig gibt es immer mehr ältere Menschen
Rund 127.000 Pflege- und Betreuungspersonen arbeiten in Krankenhäusern, Wohn- und Pflegeheimen und der mobilen Pflege in Österreich. Viele davon allerdings in Teilzeit. In Vollzeit-Stellen umgerechnet, sind es nur etwas über 100.000 Pflegekräfte.
Das Problem: Viele denken ans Aufhören. Die Arbeitsbedingungen sind hart: Nachtarbeit, schweres Heben, 24-Stunden-Dienste, Tragen von Schutzkleidung – mitunter auch Aggression durch PatientInnen und KlientInnen in der Corona-Krise. Dazu kommt das ständige Einspringen für KollegInnen und kurzfristig geänderte Dienste, weil es zu wenig Personal gibt. Eine Befragung unter Pflegekräften im Frühjahr 2021 ergab, dass diese Berufsgruppe am Limit ist. Fast 8 von 10 Befragten gaben in der Befragung an, während der Pandemie von Aggressionen und Gewalt, die von PatientInnen ausging, betroffen waren.
2 von 3 Pfleger:innen denken gelegentlich darüber nach, in einen anderen Beruf zu wechseln. Fast die Hälfte der Befragten tut es regelmäßig. Rechnet man das auf alle Pfleger:innen hoch, wären das mehr als 27.700 Fachkräfte, die den Pflegeberuf lieber aufgeben würden.
Die Bezahlung spiegelt die Leistung von Pflegekräften und Betreuungspersonen nicht wider. Die Folge: Viele hören tatsächlich auf, sobald sie die Gelegenheit haben.
Hinzu kommen anstehende Pensionierungen. Über 30 Prozent des derzeitigen Personals sind älter als 50 Jahre, was bedeutet, dass innerhalb weniger Jahre eine große Pensionswelle bevorsteht. Diese Stellen müssen nachbesetzt werden. All das während der Pflegebedarf ansteigt, weil wir immer älter werden. Das heißt: Wir brauchen von Haus aus mehr Personal in stationärer und auch der mobilen Pflege.
Rechnet man zusammen, welchen Ersatz- und Zusatzbedarf es gibt, ergibt sich daraus, dass wir in Österreich bis 2030 161.000 Pflegekräfte – oder 127.000 Vollzeit-Äquivalente – brauchen.
Gehälter müssen rauf, Arbeitszeiten runter – sagt die SPÖ
Was sind die Schritte, um mehr Menschen in den Pflegeberuf zu bringen? „Ganz klar: man muss die Gehälter erhöhen und die Arbeitszeiten verkürzen. Und man muss, was die Bezahlung angeht, schon bei den Auszubildenden ansetzen“, sagt David Egger. Er ist Landesvorsitzender der Salzburger SPÖ und Mitglied im Bundesrat. Doch das Land Salzburg ist nicht gewillt, etwas zu ändern. Finanzlandesrat Stöckl von der ÖVP sieht sich als Sparmeister, findet Egger. Und auch der Gesundheitslandesrat (Grüne) geht auf keinen Verbesserungsvorschlag ein.
„Wir haben gesagt, wir wollen es für Pflege-Auszubildende gleich halten wie bei den angehenden PolizistInnen: Die bekommen auch schon während der Ausbildung ein Gehalt, nicht bloß ein Taschengeld.“
Angehende PolizistInnen erhalten während der Grundausbildung schon im ersten Ausbildungsjahr 1.820 Euro brutto, im 2. Jahr bis zu 2.440 Euro. Zum Vergleich: Angehende Diplom-Pflegekräfte bekommen in Salzburg im ersten Ausbildungsjahr 200 Euro pro Monat, im dritten Jahr maximal 500 Euro Taschengeld. Davon kann aber niemand leben, der Familie hat und sich mit 35 oder 40 zur Pflegefachkraft umschulen lässt.
Landesregierung: ÖVP will “Sparmeister” sein – Grüne orten kein Problem
Die SPÖ forderte – unter anderem in der Landtagssitzung am 23. März 2022 – eine Erhöhung des Entgelts. Konkret: 1.700 Euro brutto pro Monat während der Ausbildungszeit. „Die Reaktion der Landesregierung war ein Achselzucken.“ Die Klubobfrau der Grünen, Kimbie Humer-Vogl, befand, dass sich das ohnehin budgetär nicht ausgehe und deutete an, dass das so eine Erhöhung dazu führe, dass Personen sich für den Beruf entscheiden ohne geeignet zu sein. Eine Ausbildung sei ja keine Belastung – dementsprechend sei auch so ein Gehalt unangebracht. Überhaupt, soll man nicht nur über die Probleme reden.
„Es ist ja in der Pflege sehr nett für viele. Zurzeit ist es natürlich ein bisserl schwierig“, meint Humer-Vogl (Grüne), aber das sei nur der Pandemie geschuldet.
Wo kein Problem, da braucht es auch keine Lösungen. David Egger machen Aussagen wie diese fassungslos. „Ich habe den Eindruck, diese Leute sitzen im Elfenbeinturm und wissen gar nicht, was in den Wohnheimen und in den Spitälern los ist. Wenn man mit Pflegekräften redet, hört und sieht man, dass sie überlastet sind. Die machen ihren Job mit Leidenschaft und sind genau deshalb angesichts der Umstände, die sie vorfinden, ausgebrannt. Sie verdienen ein besseres Gehalt und sie brauchen mehr Freizeit, um sich zu erholen.“ Deshalb fordert die SPÖ die 35h-Woche für Pflegekräfte. Unter 2.000 Euro netto, findet Egger außerdem, sollte keine Pflegefachassistenz anfangen müssen.
So sehen es auch die Pflegekräfte selbst. Sie gaben in der Umfrage vom Frühjahr 2021 an, dass fehlende Anerkennung, zu niedrige Bezahlung und zu hohe Arbeitsbelastung die Hauptgründe dafür sind, dass viele von ihnen an einen Jobausstieg denken.
Die 5 Hauptgründe für den Gedanken an Berufsausstieg
Stadt Salzburg: “Haben alle Hebel bewegt, die wir bewegen konnten”
Ähnlich wie David Egger ist auch Sozialstadträtin Anja Hagenauer von der Landesregierung enttäuscht. Ihre Möglichkeiten sind erschöpft. „Alle Hebel, die wir als Stadt bewegen konnten, haben wir bewegt. Wir haben den Personalstand in den Heimen erhöht, das Gehaltsschema geändert – als Stadt mit Magistrat hatten wir da gesondert Möglichkeiten. Wir haben Prämien eingeführt, Supervision für die Beschäftigten eingerichtet und orientieren uns, was den Pflegeschlüssel angeht, an Wien, weil es in Salzburg ja nicht einmal einen offiziellen Pflegeschlüssel gibt. Aber mehr können wir nicht mehr tun.“
Auch ihre Liste an Vorschlägen ist lang. Da wäre die Baustelle Übergangspflege: Wenn jemand nach einem Sturz oder Schlaganfall ins Krankenhaus kommt und versorgt wird, dauert es länger als bei jungen Menschen, bis die Patientinnen und Patienten wieder ganz auf eigenen Beinen stehen. Sie brauchen einige Wochen, bis sie sich wieder zu Hause um sich selbst kümmern und den Alltag bewältigen können. Nun ist es aber so, dass die PatientInnen nicht mehrere Wochen im Krankenhaus verbringen können, dafür fehlen die Ressourcen und Krankenhausbetten sind sehr teuer. Auf der anderen Seite macht auch ein dauerhafter Heimplatz keinen Sinn – denn dafür müssten sie den eigenen Wohnsitz aufgeben und abmelden. Deshalb gibt es das Modell Übergangspflege: PatientInnen bleiben zwischen zwei und vier Monaten in einem Wohnheim, machen dort Ergo- und Physiotherapie, werden schmerzversorgt. Sind sie wieder fit für den Alltag, können sie nach Hause zurück.
Dafür braucht es aber eigene Einrichtungen. Die Diakonie hätte ein Konzept erarbeitet. Anja Hagenauer hatte das Haus Bolaring als Standort vorgeschlagen. Es wäre auf Landesebene umzusetzen. Doch es passiert: nichts.
Weder bei Übergangspflege noch bei der Dokumentations-Pflicht unternimmt die Landesregierung etwas
„Nicht einmal bei dieser unsinnig gemachten Dokumentationspflicht geht was weiter“, kritisiert die Sozialstadträtin. Derzeit ist es so, dass jeden Tag jeder noch so kleine Arbeitsschritt dokumentiert werden muss. Wann eine Klientin aufgestiegen ist, wann sie gewaschen wurde, wann angezogen, wann sie gegessen hat. „Von acht Stunden Pflegearbeit gehen zwei Stunden nur fürs Dokumentieren drauf. Das ist doch unsinnig!“
Viel sinnvoller fände es Hagenauer, das Ganze so zu regeln wie in Deutschland: Man hält einmal fest, wie die Basis-Pflege aussieht – damit auch die Angehörigen wissen, was alles passiert. Und dann hält man nur noch fest, was nicht der Routine entspricht. Wenn es mal jemandem nicht so gut geht, eine Klientin vielleicht aufgewühlt ist oder gestürzt ist. „Das ist doch viel sinnvoller. Aber man ändert es nicht. Schlicht, weil man sich nicht damit befassen will. Dabei wäre das schnell gemacht und würde den Pflegerinnen und Pflegern die Arbeit erleichtern.“
Es sind bei weitem nicht nur die Stadt- und GemeindepolitikerInnen, die – vergebens – die Alarmglocken läuten. In Salzburg haben sich im vergangenen November die VertreterInnen aller Träger-Einrichtungen an einen Tisch gesetzt und eine Liste an kurzfristig und langfristig machbaren Schritten erarbeitet. Eine einzigartige Initiative in Österreich. Caritas, Hilfswerk, Gemeindeverband, Rotes Kreuz, Diakoniewerk, Senecura und die Stadt Salzburg kritisieren, dass die „Pflegeplattform“ des Landes – ein Diskussionsforum mit Papier am Ende – nicht ausreicht. Sie wollen mitunter, dass sich das Land das Geld für Auf- und Umschulungen in verschiedenen Pflege-Arbeitsbereichen aufstellt, sich um Remobilisierung älterer Menschen nach einem Spitalsaufenthalt kümmert, Wohngemeinschaften für SeniorInnen schafft und dass Heimhilfen mehr Tätigkeiten ausüben dürfen als bisher. All das würde bereits arbeitende Pflegekräfte entlasten. Und auch sie fordern mehr Personal, weniger Druck bei Nacht- und Schichtdiensten, kürzere Arbeitszeiten und die Anerkennung von Pflegearbeit als Schwerarbeit mit den sich daraus ergebenden Pensionsansprüchen.
Vor sechs Wochen haben die Träger ihren Forderungskatalog der Landesregierung überreicht – mit der dringenden Bitte um Umsetzung. Passiert ist nichts, es gab nicht mal eine Rückmeldung.
Landesregierung wartet weiter – “Warum, weiß keiner”
Es sieht so aus, als würde weitergewurstelt, weitergewartet, weitergeschaut. Die Zeit verstreicht, mehr Pflegerinnen und Pfleger gehen, mehr ältere Väter, Mütter und PartnerInnen stehen auf Wartelisten. Mehr Angehörige brennen aus, weil sie Familienmitglieder pflegen und gleichzeitig in ihren Jobs funktionieren müssen. „Ich weiß wirklich nicht, was man damit bezweckt“, sagt David Egger resigniert. „Man steuert sehenden Auges in den Sturm. Warum? Das weiß keiner. Und was dann?“
Kleine Ergänzung: Bei privaten Trägern, die dem SWÖ-Kollektivvertrag unterliegen, liegt die Arbeitszeit seit 1.1.22 bei 37 Stunden.