Die Österreicher:innen sind hilfsbereite Menschen, Sebastian Kurz ist ein Sozi-Fresser – und wenn es nach ihm ginge, würde die Regierung in Windeseile Kinderarmut im Land beenden. Wir haben mit einer Institution der österreichischen – und vor allem der Wiener – Politik gesprochen: Mit Michael Häupl. Er erzählt von vergangenen Fluchtbewegungen in Europa, der Zusammenarbeit mit einer anderen ÖVP und macht klar, dass man in bedeutenden Fragen nicht auf die aggressivsten Schreihälse hören sollte.
Die Welt ist gerade erschüttert angesichts des Krieges in der Ukraine. Was sollte Österreich in dieser Situation tun?
Michael Häupl: Österreich muss als neutrales Land die humanitäre Hilfe leisten, die wir uns immer verordnet haben. Ich bin der grundsätzlichen Auffassung, Menschen, die unsere Hilfe brauchen, weil sie an Leib und Leben bedroht sind, denen muss man Hilfe gewähren. Es wird jetzt wieder zu einer Welle der Hilfsbereitschaft kommen, wie ich sie als Kind in der Ungarn-Krise erlebt habe, oder als junger Erwachsener bei der Tschechien-Krise. Da gab es immer eine unglaubliche Empathie für die Not dieser Menschen.
Bei den Jugoslawien-Kriegen hat das dann langsam zu bröseln begonnen und auch bei den Flüchtlingen 2015. Ich rede nicht von illegaler Migration, aber Hilfe für die, die unsere Hilfe brauchen, das muss möglich sein. Wenn sehr viele Menschen kommen, dann beginnen sich die Leute auch zu fürchten und wenn dann noch von einer Partei Hass geschürt wird, dann verschwindet ein Teil der Hilfsbereitschaft. Aber jetzt ist es eigentlich so wie früher. Und so soll es auch sein – dass man den Menschen hilft.
Du warst selbst in einer Koalition mit der ÖVP in Wien und gut befreundet mit dem niederösterreichischen Landeshauptmann Pröll. Jetzt beginnt der ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss. Wenn man sich anschaut, was sich in den letzten Jahren unter der ÖVP abgespielt hat, was denkt man sich da als Mensch der Politik?
Michael Häupl: Ich habe Sebastian Kurz als Vorsitzenden der Jungen ÖVP kennengelernt, der Gemeinderat für die ÖVP in Wien geworden ist. Von damals erinnere ich mich nur daran, dass er die Altersgrenze für die Verleihung von Orden senken wollte, damit auch junge Leute einen Orden bekommen können.
Als Staatssekretär im Außenministerium war er dann das Obstruktionselement. Er hat alles versucht, um zu verhindern, dass eine Regierung mit den Sozialdemokraten nicht funktioniert. Das unterscheidet ihn schon außerordentlich von der Wiener ÖVP, mit der wir in Koalition waren. Das war ein konstruktives Verhältnis – wir waren nicht immer einer Meinung, wir sind zwei verschiedene Parteien. Aber so eine Destruktivität, wie sie Kurz in die Regierung getragen hat, gab es nicht. Kurz war und ist ein Sozialistenfresser erster Güte und da wird eine Zusammenarbeit schwierig.
In der Politik muss man wissen, wo man grundsätzlich steht. Kreisky hat zu uns jungen Sozialisten gesagt: “Wer Politik ohne Ideologie macht, der handwerkelt nur. Wer nur mit Ideologie Politik macht, wird an den Bedürfnissen der Menschen vorbeigehen.”
Kurz hat weder das eine noch das andere gemacht, ihn hat nur seine Machtposition interessiert. Seine Ideologie war “Ich”. Und das musste schief gehen.
Jetzt ist die ÖVP wieder zu einer gewissen Normalität zurückgekehrt. Die niederösterreichische ÖVP hat die Macht in der Bundes-ÖVP völlig übernommen, wenn man sich die Besetzungen in der Regierung anschaut. Das Machtzentrum der ÖVP ist jetzt in St. Pölten – aber es hat schon Schlimmeres in der ÖVP gegeben als das.
Du bist Präsident der Volkshilfe in Wien. Welche sozialen Folgen hat die Pandemie und was wäre jetzt wichtig?
Michael Häupl: Dass in Österreich Kinder in Armut leben, ist eine Schande. Bei der Volkshilfe haben wir einen konkreten Vorschlag zur Bekämpfung der Kinderarmut gemacht. Mit 200 Euro Kindergrundsicherung – zusätzlich zu den bestehenden Beihilfen – für jedes Kind, gebe es in Österreich keine Kinderarmut mehr. Das wird doch wohl eine finanzierbare Sache sein.
In Pandemie-Zeiten muss man viel überdenken – bis hin zum Steuersystem. Jetzt zeigt sich, dass die Forderung der Sozialdemokratie nach der Millionärssteuer enorm aktuell ist.
Wir werden in den nächsten Jahrzehnten viel mehr Menschen in der Pflege, im Gesundheitswesen und in der Elementarpädagogik brauchen. Das muss auch finanziert werden und das geht nur, wenn wir Vermögen besteuern. Die Steuerfrage ist wirklich von besonderer Bedeutung.
Man soll nicht die Kuh umbringen, die man melken will, wie das Gewerkschaftspräsident Anton Benya einmal formuliert hat. Aber man darf die Kuh schon melken und damit den Sozialstaat finanzieren. Das müssen wir angehen und das wird niemand außer den Sozialdemokraten machen.
Was sind die politischen Folgen der Corona-Pandemie?
Michael Häupl: 12 bis 15 Prozent der Leute sind Corona-ängstlich und Impf-ängstlich und dazu kommen die Hetzer. Wenn Leute auf die Straße rennen und auf Taferln schreiben, dass wir in einer Diktatur leben, dann kann ich nur sagen: Das schau ich mir an, wie die mit so einem Taferl in einer Diktatur herumrennen würden. Das kann man sich jetzt in Russland anschauen, was dann passiert.
Man muss sich schon umschauen, wer da an der Spitz geht, mit riesigen Transparenten, und sich fragen: “Wem renne ich da nach?” Ich differenziere da deutlich: Ich verstehe, wenn man sich fürchtet und ich rede gerne mit Leuten, die Angst haben. Das ist eine vornehme Aufgabe der Politik: Den Menschen die Angst zu nehmen. Aber auch die Mutter, die sich Sorgen macht wegen der Impfung oder weil ihre Kinder Masken tragen müssen, ist nicht davon entbunden, sich politisch umzuschauen, mit wem sie auf die Straße geht.
Es ist allemal vernünftiger, mit dem Hausarzt über die Angst vor der Impfung zu reden als rechtsextremen Schreiern hinterherzurennen, die unsere Demokratie vernichten wollen. Denen sind die Leute, die Krankheit und die Impfung völlig wurscht. Die setzen sich auf die Sorgen drauf, um ihre Macht auszubauen.
Ich glaube aber, dass zum Beispiel MFG zu sehr hoch geschrieben wird. Die sind jetzt in Tirol zwar in die Gemeinderäte eingezogen, aber meistens nur mit einem Mandat. Das schaffen doch heute viele Bürgerlisten, über die viel weniger Aufsehen gemacht wird. Die Sensation sehe ich nicht ganz.
Warum hast du jetzt deine Autobiografie geschrieben?
Michael Häupl: Der Verlag ist mit der Idee an mich herangetreten und hat mir dieses Angebot gemacht. Meine erste Reaktion war: “Das, was ich schreiben kann, das interessiert keinen. Und das, was die Leute interessiert, das darf ich nicht schreiben.” Ich habe das am Anfang eigentlich eher nicht machen wollen. Aber sie haben mir dann gesagt, dass mein Uraltfreund Herbert Lackner mitarbeiten würde und das hat mich überzeugt. Wir kennen uns aus Jugendtagen, uns verbindet eine jahrzehntelange Freundschaft, die wir uns trotz der unterschiedlichen Berufe und der professionellen Distanz bewahrt haben. Ich mag ja diese Verhaberung zwischen Politik und Medien wirklich nicht.
Jedenfalls ist der Herbert Lackner ein extrem guter Schreiber und wir haben das Leben von dem Typ aus einem konservativen niederösterreichischen Lehrer-Elternhaus, der aus zwei Klosterschulen rausgeflogen ist, ins große Wien kommt, Biologie studiert, zum Verband sozialistischer Studenten geholt wird und später mehr als 23 Jahre lang Bürgermeister von Wien ist, in ein Buch gebracht. Das war viel Arbeit, aber auch ein Vergnügen. Ich habe mich dann auch an den journalistischen Stil gewöhnt und das Vorwort und das letzte Kapitel alleine geschrieben.
Aber “Freundschaft” ist schon mein zweites Buch. Das erste Buch, das ich geschrieben habe, hieß “Die Lurche und Kriechtiere Niederösterreichs”. Bis heute muss ich dazu sagen, dass das ein zoologisches Fachbuch war und kein politisches Buch.
Michael Häupl wurde am 14. September 1949 in Altlengbach in Niederösterreich geboren. Nach der Matura studiert er Biologie und Zoologie. 1988 wird er Wiener Umweltstadtrat, 1994 folgt er Helmut Zilk als Bürgermeister und Landeshauptmann von Wien nach. In diesem Amt bleibt er 23 Jahre, sechs Monate und 16 Tage lang. In seine Amtszeit fallen das 365 Euro Öffi-Ticket, der Gratis-Kindergarten, die Eröffnung des Museumsquartiers und das Erschließen neuer Wohnviertel wie die Seestadt Aspern oder das Sonnwendviertel. Durch seine launigen Sprüche hat Häupl einen gewissen Kultstatus erlangt. Zusammen mit Herbert Lackner hat er seine Autobiografie “Freundschaft” geschrieben.
Ich finde es immer weider erstaunlich, wie sehr alle den jungen Kreisky des Sozialistenprozesses vergessen: „Ich halte weiterhin den Klassenkampf für das einzige Mittel der Befreiung der Arbeiterschaft.“