Die ÖVP drängt in der Regierung auf eine „Reform“ des Arbeitslosengeldes. Jobsuchende sollen noch mehr unter Druck sein und jeden – noch so schlechten – Job annehmen müssen. Was Kurz verschweigt: Es gibt zu wenige offene Stellen und schon jetzt viele Sanktionen, die Jobsuchende hart treffen. Was die ÖVP will, ist mehr Härte und Strafen, um Jobsuchende in Billigjobs zu drängen. Damit bedienen Kurz und Co. die Interessen der Hotellerie- und Gastrobranche. Denn die freuen sich über niedrige Löhne.
Bevor Arbeitsminister Martin Kocher seinen Reformprozess zum Arbeitslosengeld am Mittwoch begonnen hat, schickte er im ZIB2-Interview im ORF voraus, dass er die Zumutbarkeitsbestimmungen für Arbeitssuchende in Österreich „relativ streng“ finde. Also: Dass es zu wenig Druck gebe, Jobs anzunehmen. Auch Bundeskanzler Kurz macht Stimmung gegen Arbeitssuchende und bezeichnet sie als jene, die „nur die Hand aufhalten“. „Wir arbeiten daran, dass wir Leute, die fit sind und gesund sind, in Beschäftigung bringen. Wenn jemand nicht bereit ist, einen Job anzunehmen, der ihm zur Verfügung steht, müssen ihm die Leistungen gekürzt werden“, sagt Kurz am Montag im ORF-Sommergespräch.
Was die ÖVP unerwähnt lässt: Es gibt bereits Sanktionen
Bei dieser Formulierung, die in zahlreichen Medien übernommen wird, fehlt eine entscheidende Information: Schon heute wird Arbeitslosen das Arbeitslosengeld gestrichen, wenn sie mehrmals eine passende Arbeitsstelle ablehnen. Wer zum Beispiel eine überregionale Vermittlung im Tourismus ablehnt, wird vom AMS bestraft – und bekommt für sechs bis acht Wochen kein Arbeitslosengeld.
Wenn man den vereinbarten AMS-Termin verpasst, kann das Arbeitslosengeld bis zum nächsten Termin gesperrt werden. Wer ein Kursangebot ablehnt, bekommt das Arbeitslosengeld oder die Notstandshilfe für sechs Wochen gesperrt. Passiert das öfter, behält das AMS die Zuwendungen für acht Wochen ein. Bei gänzlicher Arbeitsunwilligkeit wird das Arbeitslosengeld gestrichen.
Für ÖGB-Chef Wolfgang Katzian geht es bei der Diskussion um etwas anderes:
Während andere Regierungen nach der Corona-Krise den ArbeitgeberInnen raten, die Löhne zu erhöhen und die Arbeitsbedingungen zu verbessern, setzt der österreichische Bundeskanzler auf Zwang, Sanktionen und Kürzungen – um Jobs zu besetzen, die niemand will.
Das nützt vor allem den UnternehmerInnen, die an die ÖVP gespendet haben. Das müsste nicht so sein: Normalerweise sind ArbeitgeberInnen bei Fachkräftemangel gezwungen, mit besseren Arbeitsbedingungen um Beschäftigte zu buhlen. Die Hoteliers im Westen Österreichs könnten den niederösterreichischen Köchen ein schönes Zimmer, eine 4-Tage Woche und einen gratis Schipass anbieten – dann wären die Jobs dort wohl gefragter. Aber die Regierung setzt lieber auf Schikane: Beschäftigte sollen gezwungen werden, auch die schlechtesten Arbeitsangebote anzunehmen. Hotels haben von Schwarz-Blau zwar eine Mehrwertsteuersenkung von 13% auf 10% im Wert von 120 Mio. Euro bekommen und gekürzte Ruhezeiten für Beschäftigte. Das hat aber ausschließlich die Gewinne für Hotelbesitzer erhöht. An die Beschäftigten wird davon gar nichts weitergegeben. Jetzt wollen Kurz und Kocher dafür sorgen, dass dem Tourismus und der Gastronomie unbegrenzt billige Arbeitskräfte zur Verfügung stehen, weil sie sonst ihr Arbeitslosengeld verlieren.
Berufsschutz und Einkommensschutz in Gefahr
Kurz hat schon vor über einem Jahr begonnen, eine gute Absicherung für Arbeitslose in Frage zu stellen – mitten in der Corona-Krise mit damals knapp 500.000 Arbeitslosen sagte er:
„Es muss nach wie vor attraktiv sein, arbeiten zu gehen, gerade in niedrig qualifizierten Bereichen“ – von den Erntehelfern bis zu gewissen Jobs im Tourismus.
Im Juli 2021 hat Arbeitsminister Kocher das AMS in einem Schreiben aufgefordert, dass auch Arbeitslose aus anderen Branchen in „touristische Berufe“ vermittelt werden müssen, sobald diese „nicht mehr dem sogenannten Berufs- und Einkommensschutz unterliegen.“
100 Tage, also etwas mehr als drei Monate, unterliegen Arbeitslose einem Berufsschutz. Das heißt, sie müssen keine Arbeit annehmen, die nicht dem bisherigen Beruf entspricht. Findet man in den ersten 100 Tagen allerdings keine Arbeit im bisherigen Beruf, gibt es keinen Berufsschutz mehr. Auch mit dem Übertritt in die Notstandshilfe fällt der Berufsschutz weg. Ähnlich ist das mit dem Schutz des Einkommens-Niveaus: In den ersten 120 Tagen hat man noch Anspruch auf einen Arbeitsplatz, bei dem man 80 Prozent des Letzteinkommens verdient, dann bis zur Notstandshilfe auf 75 Prozent des letzten Verdienstes. Fällt man in die Notstandshilfe, besteht gar kein „Entgeltschutz“ mehr.
Beim Anfahrtsweg sind es zwei Stunden pro Tag für den Hin- und Rückweg, für einen wirklich gut passenden Job aber auch 3 Stunden – also eineinhalb Stunden für die Anreise und noch einmal eineinhalb Stunden für die Abreise. Die schwarz-blaue Regierung wollte das um eine Anfahrtszeit von bis zu 2,5 Stunden erhöhen, dazu kam sie dann nicht mehr.
Was Kurz im Sommergespräch nicht sagt: Auf 3 Arbeitslose kommt nur eine offene Stelle
In Österreich gibt es derzeit (Stand September 2021) 114.000 offene Stellen, aber 347.000 Menschen sind auf Arbeitssuche. Für zwei von drei Arbeitssuchende gibt es nach wie vor keinen Arbeitsplatz. Am Anfang des Lockdowns haben viele von ihnen die Kündigung bekommen – trotz Wirtschaftshilfen und Kurzarbeit. Jetzt suchen Handel, Hotellerie und Gastro das Personal, das sie vor einem Jahr vor die Tür gesetzt haben. Doch mittlerweile haben sich viele der Gekündigten anders orientiert oder suchen nach einem besseren Arbeitsplatz.