Ich habe mit Europapolitiker Josef Weidenholzer von 22.- 26. Mai 2019 die selbstverwaltete Region im Nordost von Syrien (Rojava) besucht. Eine komplexe und gefährliche Region, in der Trostlosigkeit und Hoffnung sehr nah beieinander liegen. Eine Reportage von Rebecca Kampl:
Gefährliche Grenzen – Über den Fluss nach Rojava
Der Fluß Euphrat bildet die Grenze zwischen Irak und Syrien. Darüber verkehrt ein kleines Boot. Nach Rojava zu kommen ist nur über den Nordirak möglich. Die Türkei hat die Grenze längst geschlossen, und im Rest Syriens herrscht Krieg. Nordostsyrien liegt zwischen der Türkei, wo Erdogan regiert und dem Rest Syriens, das dem Assad Regime unterstellt ist.
Verwaltet wird das Gebiet von den Demokratischen Kräften Syriens SDF. Es ist dies ein Zusammenschluss aus den kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG, YPJ) mit verschiedenen arabischstämmigen Milizen. Gemeinsames Ziel ist ein säkulares, demokratisches und föderal gegliedertes Syrien. Berühmt wurde das Bündnis vor allem dadurch, dass es mit der Unterstützung der USA die Terrormiliz IS besiegt hat.
Linkes Demokratieprojekt südlich der Türkei
Mitten im Nahen Osten ist ein multikulturelles Demokratieprojekt entstanden, das sich auch die Gleichberechtigung der Geschlechter auf die Fahnen geschrieben hat. Genau das stößt vor allem dem türkischen Präsidenten Erdogan auf. Schon vor Jahren hat die Türkei eine Mauer zu Syrien gebaut und immer wieder ließ der türkische Autokrat die Grenzen komplett schließen. Das erschwert das Leben und die wirtschaftliche Entwicklung der Region enorm.
Mitte Jänner 2018 ist das türkische Militär dann in das syrische Afrin völkerrechtswidrig einmarschiert. 250.000 Menschen mussten damals fliehen. Noch sind US Soldaten in Nordostsyrien stationiert, die die Türkei daran hindern, ganz in das syrische Gebiet einzumarschieren und die Rojava platt zu machen. Für gefährliche Brisanz hat deshalb die Ankündigung von US Präsident Donald Trump im März 2018 gesorgt, die US-Truppen aus Nordostsyrien zurück zu ziehen.
Irak und Syrien gelten seit Juli 2018 offiziell als befreit, der IS ist offiziell verschwunden. Er beherrscht kein nennenswertes Gebiet mehr und gilt militärisch als geschlagen. Schläferzellen stellen aber noch immer eine große Gefahr dar. Die schwierigen Lebensbedingungen und der Extremismus, auf dem der Terror beruht, sind noch nicht verschwunden. Die Organizer der SDF versuchen, mit lokalen Räten und Seminaren unter schwierigsten Bedingungen die Menschen zu sensibilisieren.
Gleichberechtigung ernst genommen – Co-Vorsitzprinzip für alle Ämter
Die Selbstverwaltung SDC und ihre Aktivitäten – mit Sitz in AIn Issa- sind ein Lichtblick in der Trostlosigkeit. Hier sitzen Frauen wie Emina Umer und Berivan Valid vom Exekutivrat der demokratischen Föderation Nordostsyrien. Sie erzählen uns, dass der Kampf gegen den IS ein schwieriger ist, der noch lange nicht vorbei ist. Und sie berichten von fehlender internationaler Unterstützung und den vertriebenen Minderheiten. Sie spricht aber auch stolz von ihrem politischen Projekt, zu dem das Prinzip Gleichberechtigung (Mann-Frau Co-Vorsitzprinzip bei allen Ämtern) gehört und VertreterInnen aller religiösen und ethnischen Minderheiten in der Regierung in allen wichtigen Gremien sind.
Das Demokratieprojekt ist inzwischen für nicht wenige Menschen im Nahen und Mittleren Osten ein Vorbild. Auch der Umgang mit Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte.
Nach dem Grenzübergang
Unsere Reise führt entlang der türkischen Grenz-Mauer durch Rojava, von Qamishli über Manbidsch nach Kobanê und Al-Roj. Vier Orte in Rojava, in denen sich Trostlosigkeit und Hoffnung schonungslos zeigt.
Der syrisch-kurdische Ort Kobanê, Hauptstadt des Distrikts Ain al-Arab im Gouvernement Aleppo, liegt direkt an der türkischen Grenze. Bis vor fünf Jahren noch völlig unbekannt, ist es heute internationales Symbol für den Sieg über den IS. Die kurdischen Selbstverteidigungseinheiten konnten im Jänner 2015 die Belagerung durch den IS abwehren. Viele der Häuser, die wir bei unserem ersten Besuch im Herbst 2015 noch völlig zerstört gesehen haben, sind heute wieder aufgebaut, die Geschäfte haben geöffnet und in der Universität Kobanê gehen wieder Studierende ein und aus.
Manbidsch – die zerstörte Stadt
Nicht so in Manbidsch, der Kriegsstadt. Hier verspürt man die unmittelbare Gefahr, von Wiederaufbau noch keine Spur. Es waren die kantonseigenen Streitkräfte, die die sunnitisch dominierte Stadt im August 2016 mit Unterstützung des US-Militärs von der IS-Terrormiliz frei gekämpft haben. Damals gingen Bilder von tanzenden und rauchenden Frauen um die Welt.
Bis heute sind die Zerstörungen noch überall vorhanden, das Gefühl von Krieg bleibt und die Angst vor IS Schläferzellen, Attentaten und einer türkischen Invasion bleibt.
Bei unserem Besuch in Manbidsch lernen wir, was es wirklich bedeutet, in einem Kriegsgebiet unterwegs zu sein. Regelmässig finden hier Anschläge statt, am Tag vor unserem Besucht ist in unmittelbarer Nähe ein Motorrad mit Bombe in ein Geschäft gerast. Kinder werden in teilweise zerbombten Schulen unterrichtet.
Qamishli – die geteilte Stadt
Die syrische Stadt Qamishli ist eine geteilte Stadt. Während Kobani und Manisch ganz von der PPP verwaltet wird, wird ein Teil der Stadt Qamishli von der Assad-Regierung kontrolliert. Für Geflüchtete und EuropäerInnen sind diese Teile der Stadt so gefährlich wie unmittelbares Kriegsgebiet. Hier ist es aber nicht nur der IS, der bedroht, sondern auch das Militär und die Türkei.
Hinzu kommt: Die hohe Bewaffnung auch sehr junger Menschen führt dazu, dass herkömmliche Konflikte oft mit Waffen ausgetragen werden. Zu einem Waffen-Zwischenfall kam es einen Tag zuvor. Anlass war die Frage, wer mit wem ausgeht, erzählen unsere Begleiter. Die Folgen eines Krieges sind langanhaltend.
Im Gebiet treffen wir auch europäische Eltern, die ihre Kinder in einem der drei großen Camps für ISIS Familien suchen. Im Al-Hol Camp befinden sich über 72.000 (!) Menschen. Ehefrauen von IS Anhängern, Kinder und verwundete ISIS Mitglieder.
Für ausländische Gäste ist es nicht möglich, zu Fuß durch das Camp zu gehen, nur mit Auto. Die Opfer und die Täter sind gleich untergebracht. Gesehen haben wir das Camp Al-Roj mit 700 Frauen und Kinder von IS Terroristen. Sie werden im Camp bewacht und betreut von den SDF-Einheiten, wo sie ihre Kinder großziehen, manche schon seit Jahren. Darunter auch europäische Gesichter. Im Camp wohnt auch eine 20-Jährige Wienerin mit ihrem zwei Jahre alten Sohn. Das Außenministerium will sie nicht zurücknehmen.
Zurück in Erbil
Im christlichen Stadtteil Ainkawa befindet sich das Institut Shlomo-Zentrum für Dokumentation, das alt-assyrische Wort für Frieden. Hier betreiben drei MitarbeiterInnen ehrenamtlich die Dokumentation und Beweissicherung über die IS-Verbrechen. In Mappen werden die Namen der Opfer und festgehalten und die Berichte über die IS-Verbrechen. Eine Arbeit und Atmosphäre, die an das Simon Wiesental Center oder das DÖW erinnern. Es wäre an der Zeit, Projekte wie diese zu unterstützen. Anknüpfungspunkte dafür gäbe es in Nordostsyrien für europäische Politik genug. Wie man mit Gräuel des totalitären Systemen umgeht, ist eine Frage, die gerade Europa nicht egal sein sollte und wozu es auch viel beitragen kann.
Von Rebecca Kampl
Langjährige Büroleiterin und parlamentarische Assistentin von MEP Josef Weidenholzer in Brüssel