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Egal ob Republikaner in den USA, die AfD in Deutschland oder die FPÖ in Österreich: Sie alle wettern gegen die angebliche “Zensur” und “Cancel Culture”. Sie behaupten: Ein angeblich allmächtiger „linker Meinungsterror“ bestimmt, was man noch sagen darf. Nur wer sich dagegen wehrt, ist mutiger Verteidiger der Meinungsfreiheit. Genau da gilt es, wachsam zu sein. Denn es sind Rechtspopulisten, die mit politischer Macht und mit Gesetzen die wahre Zensur betreiben. Die wirkliche, gezielte Cancel Culture – mit Erlässen, Budgets und Kampagnen – kommt derzeit von rechts und rechtsaußen.
Donald Trump nutzt seine zweite Amtszeit, um gezielt unliebsame Inhalte aus der öffentlichen Wahrnehmung zu verbannen. Laut dem Autor:innenverband PEN America hat die Trump-Administration allein im Schuljahr 2024/25 6.870 Bücher an öffentlichen Schulen verboten oder entfernt – vor allem in republikanisch regierten Bundesstaaten wie Florida, Texas und Tennessee. Betroffene Bücher sind zum Beispiel die dystopische Geschichte „The Handmaid’s Tale“ von Margaret Atwood (dt: “Der Report der Magd”), „1984“ von George Orwell oder „The Perks of Being a Wallflower“ von Stephen Chbosky (dt: “Das also ist mein Leben”). Es sind vor allem Bücher, in denen autoritäre Gesellschaften kritisch erzählt werden, Bücher, in denen Schwarze oder queere Protagonist:innen vorkommen.
In den USA setzt Trump „Cancel Culture“ mit Staatsgewalt durch
Gleichzeitig hat Trump mit mehreren Executive Orders Diversitäts- und Inklusionsprogramme (sogenannte DEI-Programme) für „illegal und unmoralisch“ erklärt, und die Behörden angewiesen, entsprechende Programme und Förderungen zu beenden. Denn derlei Förderungen würden amerikanischen Werten wie Leistung und Exzellenz widersprechen.

Die Folgen: Die National Institutes of Health (das nationale Gesundheitsinstitut) und andere Fördergeber streichen oder frieren Projekte ein, in denen Begriffe wie „gender identity“, „racial equity“ oder „DEI“ (Diversity, Equity, Inclusion – also: Diversität, Gleichberechtigung, Inklusion) vorkommen. Ein Teil dieser Kürzungen betrifft hunderte Millionen Dollar an Forschungsgeldern, etwa zu Krebs, Mutterschutz oder Gesundheit marginalisierter Gruppen.
Das hat übrigens auch Folgen für uns in Europa. Von deutschen Unternehmen ist beispielsweise bekannt, dass sie ihre Diversitätsprogramme eingestellt haben. Denn Geschäftsbeziehungen mit den USA will man sich natürlich nicht verbauen.
Und dann gibt es noch die symbolischen Angriffe, die reale Konsequenzen haben: Ministerien und Behörden – auch die NASA – löschen Webseiten zu Frauen, Schwarzen, queeren Menschen und anderen Minderheiten aus ihren Online-Archiven oder machen sie schwer auffindbar. Die US-Army und Navy haben Webseiten offline genommen, die die Geschichte und Leistungen von Soldatinnen dokumentieren – offiziell, um „DEI-Vorgaben“ zu erfüllen.
Wer die amerikanische Geschichte zu kritisch beleuchtet, zum Beispiel weil man die Geschichte der Sklaverei thematisiert, wird entfernt: Museen müssen Artefakte entfernen, in öffentlichen Parks werden Mahnmale und Erinnerungsstatuen abgebaut wenn sie als “unamerkanisch” gebrandmarkt werden.
Es ist ein staatlich organisierter Zensurprozess: Man macht Geschichten, Bilder, Begriffe und ganze Forschungsfelder unsichtbar. Eine autoritäre, rechte Regierung bestimmt per Gesetz, was zeigbar, lesbar und sagbar ist.
Wenn Rechte über „Cancel Culture“ klagen, meinen sie in Wahrheit: Es passt ihnen nicht, dass das, was sie von sich geben, Widerspruch oder Kritik erntet. Sie sind es, die die alleinige Deutungshoheit wollen. Und sie sind bereit, die mit Gewalt – politischer Gewalt – durchzusetzen.
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In Österreich wird ein großes „I“ aus Texten verbannt – haben FPÖ und ÖVP keine anderen Sorgen?
Rechte Zensur sehen wir auch in Österreich. Nur (noch) kleiner, bürokratischer – aber nicht weniger harmlos.
Kaum eine FPÖ-Pressekonferenz oder eine Sitzung in Landtagen oder Nationalrat kommt ohne „Genderwahn“-Attacken durch Freiheitliche aus. Man würde allerorts nur noch übers „Gendern“ reden, die „Gender-Polizei“ bestimmt, wie man zu schreiben und zu sprechen habe. Unerhört, nein: gefährlich ist das!
Tatsächlich sind es die Freiheitlichen selbst, die als Gender-Polizei auftreten – und die bestimmen wollen, wie wir zu schreiben und zu sprechen haben. Und die ÖVP hilft als Hilfssheriff bereitwillig mit.
Der FPÖ-Nationalratspräsident Walter Rosenkranz hat im Parlament einen Leitfaden durchgesetzt, der genderinklusive Schreibweisen – also auch das Binnen-I – aus den offiziellen Texten verbannt.
Unter ÖVP-Führung wurde im Bundeskanzleramt der Kommunikationsleitfaden so geändert, dass Binnen-I und andere inklusivere Schreibvarianten aus der amtlichen Kommunikation verbannt wurden. Entweder müssen sowohl die männliche als auch weibliche Form verwendet werden – oder neutrale Formulierungen gewählt werden.
In Niederösterreich haben ÖVP und FPÖ in ihrer Landesregierung ebenfalls verfügt, dass Landesbehörden kein Binnen-I, keine Sternchen und ähnliche Formen gendergerechter Sprache mehr verwenden dürfen.
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Die Begründungen für all das sind immer dieselben. Es geht angeblich um Verständlichkeit oder Rechtschreibung. Was sagt das über das Bild, das diese Parteien von ihren Wähler:innen haben, wenn sie ihnen unterstellen, sie würden das Wort „ÖsterreicherInnen“ nicht lesen oder verstehen können?
Überhaupt: Ich wage zu behaupten, dass in keiner Umfrage im ganzen Land die Österreicher:innen gendergerechte Formulierungen als Hauptproblem nennen, um das man sich ganz dringend kümmern muss, weil sonst alles zusammenbricht. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ist es nicht mal unter den Top 50 Sorgen. Interessant also, wie „bürgernah“ diese beiden Parteien sind, wenn sie es als „drängendes Problem“ ausmachen, das sie schnell lösen müssen… Warum also?
Real geht es darum, dass das Binnen-I – und andere Schreibformen – symbolisieren, dass Feministinnen und queere Menschen erfolgreich durchgesetzt haben, dass sie eine Daseinsberechtigung haben und Sichtbarkeit verdienen. Und genau das will man ihnen nicht zugestehen. Bürokratie ist hier das Hilfsmittel, um das, was nicht ins Weltbild passt, aus dem Sprachbild zu löschen.
Noch seid ihr nicht betroffen? Abwarten. Die FPÖ attackiert auch die Zivilgesellschaft
Was ist schon ein Buchstabe mehr oder weniger in Texten, das macht weder etwas besser noch schlechter. Aber der Kulturkampf der FPÖ und anderer endet ja nicht bei ein paar Wörtern oder Büchern.
Aktuell hat die FPÖ einen Rechnungshof-Unterausschuss installieren lassen. Offiziell will sie nur Transparenz über die Finanzierung von Vereinen, es geht ja um Steuergeld. Tatsächlich sammelt die FPÖ seit Sommer Daten über Vereine. Über deren Tätigkeiten, Personen, Veranstaltungen. Worum geht es ihr? Sie spielt dem Boulevard gezielt Geschichten über Förderungen zu, die es laut FPÖ nicht geben sollte. Zum Beispiel für einen Verein, der Sportveranstaltungen für geflüchtete Jugendliche organisiert. Darf es nicht geben!
Man macht monatelang Stimmung gegen Vereine, die sich für Rechte von Minderheiten oder für Umwelt einsetzen. Denn die sind Teil einer linken Weltverschwörung, oder wie es Herbert Kickl formuliert: „Teil der Macht für Umerziehungsprogramme“, „Propagandainstrumente“ und was nicht alles.
Cancel-Kampagne gegen Medien und Vereine in ganz Europa
Es ist interessant, wie sich eine Partei, die in Regierungen saß und sitzt und über Millionen an Parteiförderung und Klubförderung verfügt, von kleinen Einrichtungen fürchtet, die einmal 2.000 Euro für eine Veranstaltung bekommen haben.

Noch interessanter ist aber das große Bild dahinter. Denn die FPÖ agitiert ja nicht allein. Schwesterparteien in ganz Europa wettern mit denselben Erzählungen und Einschüchterungsversuchen gegen alles, was ihnen unbequem ist: In Ungarn soll es bald eine “schwarze Liste” für unabhängige Medien und NGOs geben, die nicht ins ideologische Bild von Viktor Orbán passen. Der slowakische Ministerpräsident Fico fordert eine NGO-Registrierungspflicht. Die deutsche AfD-Parteichefin Weidel spricht davon, den “NGO-Sumpf auszutrocknen”. In Italien wird Ministerpräsidentin Meloni vorgeworfen, “Krieg gegen NGOs” zu betreiben.
All das ist Cancel Culture von rechts: Was unbequem ist, wird finanziell ausgetrocknet. Wer sich gegen rechte Politik organisiert, wird finanziell ausgetrocknet. Ziel ist der Umbau unserer Gesellschaft, in der progressive Stimmen und Akteur:innen keinen Platz mehr haben sollen.
Schulen werden zum politischen Spielfeld der FPÖ – und der AfD &CDU/CSU in Deutschland
Rechte Parteien fordern gern eine „parteifreie Schule“, wollen aber selbst am stärksten mitmischen, was im Unterricht sagbar ist. Man schreckt auch nicht davor zurück, die eigene Macht und Reichweite als Politiker:in auszunutzen, um Lehrer:innen mit Klarnamen einem Online-Mob vorzuführen, um sie dann einzuschüchtern.
In Bayern hat die CSU ein offizielles Verbot für Genderstern, Doppelpunkt oder Binnen-I in Schulen und Behörden beschlossen. Die AfD fordert überhaupt bundes- und landesweit ein derartiges Verbot an Schulen und Universitäten – und sogar Strafen für Lehrer:innen, die geschlechtergerecht sprechen oder schreiben.
Die AfD-Familiensprecherin aus Niedersachsen wettert gegen einen Lehrer, der auf Tiktok darüber spricht, wie er trans Schüler:innen unterstützt – und führt die Online-Meute direkt auf dessen Profil.
Die AfD hat in mehreren Bundesländern, u.a. Sachsen-Anhalt, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und Bayern – versucht, Unterrichtsmaterial zu beeinflussen, Schulbibliotheken anzugreifen und Aktivitäten zu Demokratiebildung und Antirassismus zu unterbinden. Ihre Mittel: parlamentarische Anfragen, Druck auf Schulleitungen oder öffentliche Kampagnen.
Und es mag vielleicht schon in Vergessenheit geraten sein, aber die FPÖ hat 2017 in Oberösterreich sogar eine „Meldestelle“ für unliebsame Lehrkräfte eingerichtet. Auf einer Website sollte man Lehrer:innen anschwärzen. Zum Beispiel weil sie einen Vortrag über Rechtsextremismus an einer Schule organisieren. Eine solche Meldestelle will die FPÖ laut Wahlprogramm auch bundesweit einführen.
Rechte Zensur macht unsere Gesellschaft unfreier
Die Cancel Culture der Rechten verengt, was sagbar, sichtbar, lesbar und erforschbar ist. Sie verteidigt eben nicht Meinungsfreiheit, sondern macht unsere Gesellschaft unfreier.
Wer Bücher verbietet, Archive löscht, Forschung unterbindet, verteidigt keine Freiheit.
Wer nichts Besseres zu tun hat, als ein großes „I“ zu verbieten, interessiert sich nicht für unsere Sprache.
Wer will, dass Vereine verschwinden, handelt nicht im Interesse von Steuerzahler:innen.
Wer all das tut, will nur mehr Macht – und weniger Kritik. Weniger Demokratie. Und weniger Freiheit.
max. 5 zur Auswahl































