An Europas Grenzen nimmt das Elend kein Ende. Tausende Menschen harren auf der Suche nach Schutz in Lagern aus. Während Kanzler Kurz strikt keine Flüchtlinge aufnehmen will und auf EU-Ebene keine Lösung in Sicht ist, werden jetzt auf kommunaler Ebene Stimmen laut, die rasche und pragmatische Lösungen anbieten. Eine von ihnen ist Lea Halbwidl, Bezirksvorsteherin auf der Wieden in Wien.
Die Situation in griechischen Flüchtlingslagern ist dramatisch: Kein sauberes Wasser, keine ärztliche Versorgung für Kinder und Attacken von Rechtsextremen auf Flüchtlinge. Seit die türkische Regierung die Grenzwachen abgezogen hat, hat sich die Situation an der türkisch-griechischen Grenze zur menschlichen Katastrophe entwickelt.
Eine Lösung ist noch nicht in Sicht. Die Bundesregierung will keine Lösungsvorschläge anbieten. In der Zwischenzeit haben sich Bürgermeister und Kommunalpolitikerinnen gefunden, die akute Hilfe anbieten und Kinder und Familien in ihrer Gemeinde aufnehmen wollen. Wir haben Lea Halbwidl, eine von ihnen, zum Gespräch getroffen.
„Dutzende Wiednerinnen und Wiedner helfen Flüchtlingen seit Jahren, obwohl die nicht so oft vom ,christlichen Erbe’ reden wie unser Herr Bundeskanzler“, sagt Lea Halbwidl zum Engagement in ihrem Bezirk.
Du hast angeboten, eine Flüchtlingsfamilie aus der Lager-Hölle in Griechenland zu holen und auf der Wieden aufzunehmen. Warum ist Dir das als Bezirksvorsteherin wichtig?
Weil ich es politisch und persönlich unerträglich finde, dass unsere Regierung tatenlos dabei zusieht, was an den EU-Außengrenzen vor sich geht. Da wird auf Menschen geschossen, da werden Kinder in Schlauchbooten abgedrängt und in Slums alleingelassen, da setzt die Regierung eines EU-Landes über Nacht die Menschenrechte außer Kraft, da sehen Polizeikräfte zu, wie rechte Schlägertrupps Jagd auf Flüchtlinge und NGO-VertreterInnen machen.
Auf den griechischen Inseln befinden sich derzeit 42.000 Flüchtlinge, die man ebenso wie die BewohnerInnen dieser Inseln seit Monaten im Stich lässt. Wenn man die weiter dort lässt, wird es noch mehr Tote geben, auch unter den vielen Kindern.
Wenn jede der über 2.000 Gemeinden Österreichs eine Familie aufnimmt, wie das der Trumauer Bürgermeister Andreas Kollross vorgeschlagen hat, würde Österreich einen substanziellen Beitrag zur Beseitigung der humanitären Krise leisten.
Und niemandem würde es wehtun. Das ist problemlos zu bewältigen. Ich will nicht tatenlos zusehen, wie an den EU-Außengrenzen die Menschenrechte begraben werden.
Wie könnte das konkret ausschauen?
Wien war und ist immer bereit zu helfen und hat dafür professionelle Strukturen. Es hängt aber natürlich v.a. an der Bundesregierung. Die muss aufhören, Sprüche zu klopfen, und endlich handeln.
Wir würden im Bezirk Spenden sammeln, eine Unterkunft suchen und ein Nachbarschaftsprojekt starten, um die Familie zu betreuen. Das ist keine Hexerei. Es gab und gibt zahlreiche zivilgesellschaftliche Initiativen auf der Wieden, die sich für Flüchtlinge einsetzen.
Was ich vorschlage, ist gar nicht so neu und es ist sicher weniger herausragend als das Engagement dutzender Wiednerinnen und Wiedner, die seit Jahren z.B. mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen arbeiten. Da sind viele Menschen dabei, die vielleicht weniger oft vom „christlichen Erbe“ sprechen als unser Herr Bundeskanzler, die es dafür aber aus innerer Überzeugung leben. Das nötigt mir größten Respekt ab.
Ich bin ja auch als Vorsitzende der Volkshilfe Wieden tätig und da gehört es für mich zum Alltag, Menschen konkret zu unterstützen, die unsere Solidarität brauchen.
Egal ob die jetzt seit 40 Jahren im Schleifmühlviertel leben und Probleme mit dem Vermieter haben, oder ob sie aus Syrien flüchten mussten. Wir finden einen Weg.
Was sagst du zu den Kritikern?
Mich persönlich hat noch keiner kontaktiert. Dafür habe ich zahlreiche Rückmeldungen von BürgerInnen bekommen, die das unterstützen wollen. Aber es geht, denke ich, um zwei Punkte: Zum einen darum, dass Menschenrechte unteilbar sind.
Wenn Zustände wie an den Außengrenzen akzeptiert werden, dann werden wir uns noch wundern, was auch bei uns alles möglich wird.
Zum anderen dürfen wir uns nicht weiter spalten lassen. Es geht nicht darum, ob wir Flüchtlingen helfen oder zum Beispiel Kinderarmut beseitigen. Es ist kein Entweder-oder. Beides ist machbar. Und derzeit tut unsere Regierung Weder-noch.
Es sind nicht die paar Millionen Euro Flüchtlingshilfe, die uns arm machen. Es sind die zwei Milliarden, die die Bundesregierung den Konzernen und Spitzenverdienern bei der Steuerreform schenken will.
Im letzten Jahr hat Österreich weniger an das Flüchtlings-Hochkommissariat der UNO (UNHCR) überwiesen, als eine Loge am Opernball kostet.
Wo ist denn da die vielbeschworene Hilfe vor Ort, die es wirklich dringend bräuchte? Hören wir auf, die Gesellschaft zu spalten. Und machen wir das, was der gesunde Menschenverstand gebietet. Schauen wir nicht kaltschnäuzig zu, wie auf Kinder geschossen wird!
Lea Halbwidl ist seit 22. Oktober 2018 Bezirksvorsteherin im Wiener Bezirk Wieden, nachdem sie ab 2010 Stellvertreterin von Bezirksvorsteher Leopold Plasch und Vorsitzende der Sozialkommission im Bezirk war. Sie studierte Germanistik an der Universität Wien.
1999 begann sie ihre politische Laufbahn bei der Sozialistischen Jugend Wieden. 2009 wurde sie Vorsitzende der Volkshilfe Wieden und Mitglied des SPÖ-Bezirksvorstandes. Ab .