Kein Theater, kein Museum, keine Schule – das öffentliche Leben ist aufgrund von Corona stark eingeschränkt, Kontakt mit anderen Menschen soll man in den nächsten Tagen und Wochen eher zurückfahren. Ist das nicht übertrieben für eine Grippe, die für die allermeisten Menschen keinen besonders schweren Verlauf nimmt?
Nein, ist es nicht – sagen Experten.
Kapazitäten im Gesundheitssystem begrenzt
Historische Beispiele zeigen: Nein. Ein Vergleich zwischen den beiden US-Städten Philadelphia und St. Louis in Zeiten der Spanischen Grippe 1918 zeigt: Drastische – und vor allem schnell umgesetzte – Maßnahmen können die Zahl der Todesopfer erheblich senken. Das liegt vor allem daran, dass sich das Virus langsamer ausbreitete und alle Risikogruppen wie alte oder chronisch kranke Menschen in Spitälern versorgt werden konnten. So konnte man hunderttausende Leben retten.
Selbst bei einem starken Gesundheitssystem, wie es das österreichische heute ist, muss man bei zu schneller Ausbreitung auch mit Ausfällen beim medizinischen Personal rechnen – weil auch Ärzte und Pflegekräfte selbst erkranken. Dazu fehlen Spitalsbetten, Geräte und Medikamente.
Das geschah in Philadelphia. Die US-Stadt ergriff während der Spanischen Grippe keine Maßnahmen. Im Gegenteil: Es fand sogar noch eine große Parade statt. Erst als Krankenhäuser und medizinisches Personal schon völlig überlastet waren, wurden Schulen, Kirchen und Theater geschlossen und Versammlungen untersagt. St. Louis dagegen fuhr innerhalb von zwei Tagen nach den ersten Krankheitsfällen das öffentliche Leben in der Stadt drastisch zurück – und verhinderten so hohe Todesraten. Die Zahl der Toten stieg erst wieder, als die Stadt die Einschränkungen nach einem Monat wieder aufhob.
Langsame Verbreitung rettet Leben
Grundsätzlich ist eine bestimmte Anzahl von Erkrankten notwendig, damit sich das Virus nicht weiter verbreitet. Zwei von drei Menschen müssten zumindest vorübergehend immun sein, weil sie die Infektion schon hinter sich haben, sagt Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie der Charité, im Interview mit der “Neuen Osnabrücker Zeitung“. Das klingt bedrohlich, ist aber auch bei der normalen Influenza oder bei Herpes so.
Gerade die Menschen, die das Virus in sich tragen, aber keine Symptome spüren, sind allerdings besonders gefährlich für andere. Denn sie stecken ihr Umfeld an. Für ältere Menschen und Menschen mit Immunschwäche oder Vorerkrankungen kann das tödlich enden – vor allem dann, wenn sie nicht medizinisch versorgt werden.
Wichtig ist deshalb die Zeit: Bei langsamer Verbreitung wird es deutlich weniger Corona-Todesopfer geben – und deutlich weniger Bedrohung für Risikogruppen.
Das Corona-Virus breitet sich exponentiell aus, das heißt: Die Infektionszahlen verdoppeln sich laufend. Das ist der Hintergrund für die gar so strengen Auflagen: Keine Konzerte, keine Feste und Kongresse. Exponentielles Wachstum kann man am Anfang leicht unterschätzen. Denn zu Beginn steigen die Fallzahlen noch langsam an (von 5 auf 10, von 10 auf 20). Aber dann schießen sie bald so schnell nach oben (von 1.000 auf 2.000 von 2.000 auf 4.0000), dass die Kurve fast senkrecht ist. Umso steiler und höher die Kurve, desto schneller ist das Gesundheitssystem überlastet – und Menschen sterben, weil sie nicht versorgt werden können. Auf den Verlauf dieser Kurve haben wir allerdings mit unserem Verhalten Einfluss.
„Schon mit sehr einfachen Rechenmodellen können wir zeigen: Wenn man die Anzahl der (sozialen, Anm.) Kontakte nur um 25 % reduziert, sinkt die Höhe des Peaks (der Ansteckungen, Anm.) auf 58 % ab, würde man sie um 50 % reduzieren, sinkt der Peak auf unter 30 %“, berichtet Martin Bicher, der das Modell mit aufgebaut hat.
Wenn die Kurve nicht rapide ansteigt und bald wieder abgeflacht ist, haben wir vielen Menschen das Leben gerettet.
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