FPÖ-Chef Herbert Kickl nennt in seiner Rede am 1. Mai den SPÖ-Chef und Vizekanzler Andreas Babler eine „linke Zecke“ – ein Ungeziefer also, das davon lebt, anderen Lebewesen das Blut auszusaugen. Thomas Nowotny, Politikwissenschaftler und Diplomat, betont die Notwendigkeit, immer wieder klarzustellen, welches Menschen- und Gesellschaftsbild sich hinter solchen Reden versteckt. „Wer Menschen als Ungeziefer bezeichnet, kann einmal auch bereit sein, dieses Ungeziefer zu beseitigen. Wehret den Anfängen“, schreibt er in seinem Leserbrief.
Bei seiner Ersten-Mai-Rede – diesmal auf dem Linzer Urfahr-Markt – hat FPÖ-Chef Herbert Kickl den Wiener Bürgermeister als „Bonze Ludwig – Knackwurst der Roten von Wien“ verunglimpft.
Aber immerhin ist der Wiener Bürgermeister da noch besser davongekommen als der SPÖ-Parteivorsitzende. Kickl hatte den Wiener Bürgermeister zumindest noch in die zoologische Gattung „Mensch“ eingereiht. Für den SPÖ-Parteivorsitzenden Andreas Babler gilt das nicht länger. Kickl sieht in ihm nicht einen Menschen, sondern ein zu vernichtendes Ungeziefer; eine „linke Zecke“, die davon lebt, anderen Lebewesen das Blut auszusaugen.
Macht es für die SPÖ Sinn, darauf zu reagieren? Würde es die FPÖ nicht vielmehr aufwerten, wenn man sich darauf einließe, diese Rüpelhaftigkeit als etwas Politisches ernst zu nehmen? Oder muss man sich dagegen ernsthaft und entschlossen zur Wehr setzen, um zu verhindern, dass diese Art von Sprache allmählich in die gesamte Politik einsickert und damit den politischen Diskurs und letztlich auch dessen Inhalte formt?
Welche Art von Verhältnis soll man überhaupt zur FPÖ haben? Soll sie so behandelt werden wie jede andere politische Partei? Oder verbietet sich das, weil die FPÖ ihrer Natur nach darauf ausgelegt ist, das politische System zu sprengen und alle Alternativen zu ihrer ungehinderten Machtausübung zu delegitimieren und zu zerstören?
Deutscher Verfassungsschutz stuft AfD als „gesichert rechtsextrem“ ein
In Deutschland stellt sich nämlich die Frage in Bezug auf die Partei „Alternative für Deutschland – AfD“. Auch sie hat in letzter Zeit in Wahlen – so wie die FPÖ in Österreich – massiv dazu gewonnen. Die politischen Programme der beiden Parteien sind fast deckungsgleich: Sympathien und Allianzen mit der nationalpopulistischen jetzigen US-Regierung; offene Gegnerschaft zur Europäischen Union, die sie auf eine bloße Freihandelszone zurückstutzen wollen; Parteinahme für den Aggressor Russland im Ukraine-Krieg; rabiate Ausländerfeindlichkeit; Misstrauen gegenüber den freien Medien; Ersatz der repräsentativen durch eine weitgehend plebiszitäre Republik; Wissenschaftsfeindlichkeit; etc.
Das Deutsche Bundesamt für Verfassungsschutz hatte nun darüber zu entscheiden, ob die AfD dennoch weiterhin als eine Partei so wie alle anderen anzusehen ist, oder ob ihr aufgrund all dieser Einstellungen eine Sonderstellung zukommt. Das Deutsche Bundesamt für Verfassungsschutz entschied sich am 2. Mai für die zweite Alternative.
Die AfD ist nicht eine politische Partei so wie alle anderen; sie wird mit ausführlicher Begründung als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft.
Soll sich Österreich an diesem Urteil orientieren? Und welche Schlüsse sollten sowohl in Deutschland als auch in Österreich daraus gezogen werden, dass AfD und FPÖ das jetzige politisch / gesellschaftliche System nicht bloß reformieren, sondern abschaffen wollen? Ein neues System, in dem es in Österreich dann nicht länger einen Bundeskanzler und einen Bundespräsidenten gäbe, sondern nur einen Einzigen, den gesamten Volkswillen verkörpernden „Volkskanzler“; und ein System, in dem wichtige Gesetze nicht länger im Parlament und von den gewählten Abgeordneten beschlossen würden, sondern in von der Regierung vorbereiteten Volksabstimmungen.
Es ist brandgefährlich, wenn Entmenschlichung selbstverständlich gebraucht werden kann
Österreich hat noch keine verbindliche Entscheidung dazu getroffen, wie das Verhältnis zur FPÖ hinfort gestaltet werden sollte. Bundeskanzler Christian Stockers Erklärungen lassen vermuten, dass er Schritte vermeiden will, welche der FPÖ nur Ansatzpunkte für neue Polemik bieten würden und sie in den Augen vieler Wähler zum Opfer politischer Nachstellungen aufwerten würde. Die FPÖ sollte daher so wie jede andere demokratisch gewählte Partei behandelt werden.
Das scheint taktisch klug, ist auf Dauer aber brandgefährlich. Wenn Herabwürdigung und Entmenschlichung des politischen Gegners gleichsam selbstverständlich gebraucht werden können, zersetzt das den unerlässlichen Zusammenhalt, die unerlässliche Solidarität in einer politischen Gemeinschaft. Demokratie setzt zum Beispiel voraus, dass Machtwechsel, dass ein Austausch der politischen Eliten möglich ist.
Wird aber einmal widerspruchslos behauptet, dass ein politischer Gegner zur Machtausübung deshalb völlig ungeeignet wäre, weil er ein blutsaugender Parasit, ein zu vernichtendes Ungeziefer ist, dann scheint ein Machtwechsel weder sinnvoll noch möglich.
Ein gesetzliches Verbot der FPÖ würde die Gefahr nicht bannen. Es würde die Partei nur in den Untergrund treiben und damit politisches Chaos und möglicherweise sogar einen Staatsverfall heraufbeschwören. Nein – man muss mit offenem Visier kämpfen und immer wieder klarstellen, wie sehr die FPÖ die Sicherheit des österreichischen Staatswesens bedroht. Es muss immer wieder und kraftvoll klargestellt werden, welches Menschen- und Gesellschaftsbild sich hinter Reden wie jener versteckt, die Kickl am 1. Mai im Linzer Bierzelt gehalten hat.
Wer Menschen als Ungeziefer bezeichnet, kann einmal auch bereit sein, dieses Ungeziefer zu beseitigen. Wehret den Anfängen.
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