Vollspaltenböden sind in Österreichs Landwirtschaft beliebt: Betonplatten mit Spalten sorgen dafür, dass Urin und Kot abfließen und ersparen den Bauern so viel Arbeit. 60 Prozent aller österreichischen Schweine schläft so niemals auf Stroh, sondern ein Leben lang auf Beton. Und das, obwohl über 80 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher gegen diese Praxis sind. Denn ein Leben auf hartem Beton sorgt nicht nur für Tierleid, sondern auch für Krankheiten in der Schweinehaltung.
Fragt man Landwirtschaftsministerin Köstinger (ÖVP) nach der Haltung von Schweinen auf sogenanntem Vollspaltenboden, verweist sie auf die Rolle der Konsumenten und fordert mehr Transparenz in der Herkunfts-Kennzeichnung. Wie sollen aber die Fleisch-Käufer wissen, wie die Tiere leben, wenn sogar hinter dem AMA-Siegel Tierleid steckt – wie der Verein gegen Tierfabriken (VGT) kürzlich aufzeigte?
Nur Bio-Haltung schließt Vollspaltenboden aus. 2019 wurden aber nicht einmal 75.ooo der 2,7 Millionen Schweine in Bio-Betrieben gehalten – das sind gerade einmal 2,8 Prozent aller Mastschweine.
Eine Lösung für die Misere wäre das vollständige Verbot von Vollspaltenboden, wie es Tierschützer schon seit Jahren fordern, und wie es die Niederlande, Dänemark, Finnland, Schweden und die Schweiz schon kennen. Ein entsprechender Antrag im Freien Spiel der Kräfte nach dem Ende der ÖVP-FPÖ-Regierung wurde abgelehnt. Nur die Liste Jetzt und die SPÖ stimmten zu. Bis jetzt hat sich in der Frage nichts getan.
AMA-Gütesiegel für Vollspaltenboden
Schweine, die mit ihren Exkrementen beschmiert sind, schwache Tiere, die am Boden liegen und über die andere drübertrampeln, Schweine, die sich gegenseitig attackieren, offene Wunden und faustgroße Geschwüre. Das Bildmaterial, das der VGT veröffentlicht, ist nichts für schwache Nerven. Kaum zu glauben: Die Bilder und Videos stammen aus Österreich, sogar aus einem AMA-zertifizierten Betrieb.
Schweine sind überaus intelligente und soziale Tiere. In den engen Boxen kommt es trotzdem immer wieder zu Kämpfen unter den Artgenossen. Es gibt weder genug Platz, um einander auszuweichen, noch irgendeine Form der Abwechslung, erklärt der VGT. Das macht die Tiere aggressiv, sie verletzen sich gegenseitig.
Ein Video des VGT zeigt, dass verletzte und kranke Ferkel nicht versorgt werden. Stattdessen liegen sie einfach im Gang zwischen den Boxen, um nicht von den anderen Tieren zertrampelt zu werden.
60 Prozent der österreichischen Schweine auf Vollspaltenboden
Seit Jahren kritisieren Tierschutz-Verbände, dass in Österreich Vollspaltenböden in der Schweinehaltung immer noch erlaubt sind. Anstatt Einstreu aus Stroh regelmäßig auszumisten, halten viele Mastbetriebe die Schweine in Boxen aus Betonplatten mit bis zu 1,8 cm breiten Spalten, durch die Kot und Urin der Tiere fallen sollen. Unter den Ställen befindet sich eine Güllegrube. Das spart Zeit, Arbeit und vor allem Geld.
Fragt man Schweinebauern, so bleiben durch die perforierten Böden die Bodenflächen und die Tiere trocken und sauber. Außerdem schaffen Betonböden ohne Einstreu den Schweinen auch Kühlung im Sommer. Der Verband Österreichischer Schweinebauern weist außerdem auf die hygienische Risiken von Einstreu hin, die erhöhte Keimbelastung, Pilz- und Schimmelgifte, Staub oder Parasiten mit sich bringen kann.
Dem widersprechen Tierschützer vehement: Auf Vollspaltenboden wachsen die Schweine über ihren Exkrementen auf. Der harte Untergrund ist schlecht für die Gelenke und die Enge schlecht für Psyche und Sozialverhalten. Das Ergebnis: Aggression, Krankheiten und schlecht heilende Wunden.
Ein Schweineleben ohne einen Strohhalm
Über 60 Prozent, also 1,5 Millionen Schweine, lebten in Österreich 2019 auf Vollspaltenboden. Die sechs Monate, die sie zwischen Geburt und Schlachtung leben, sehen sie keinen Strohhalm und können nicht weich liegen, nicht suchen oder spielen. Das macht die Tiere nicht nur aggressiv, sondern auch krank.
Für eine Studie der veterinärmedizinischen Fakultät der Uni München wurden 2015 insgesamt 948 Schweine an drei bayrischen Schlachthöfen mit Vollspaltenboden obduziert. Das Ergebnis: Nur 8,2 % aller Schweine hatte gesunde Schleimbeutel in ihren Gelenken. Alle anderen litten an Entzündungen an ihren Gelenken. Eine andere Studie aus dem Jahr 2005 ergibt, dass Tiere auf Stroh kaum Gelenksentzündungen aufweisen.
Dieselbe Studie ergab, dass Schweine auf Vollspaltenboden doppelt so oft verletzt sind wie die Schweine im Stroh und fast drei mal so oft wie die Schweine auf der Weide. Außerdem gibt es auf Beton doppelt so viel Lungenentzündungen wie in anderen Haltungen. Auch die Mortalität, also die Rate der Schweine, die noch vor der Schlachtung sterben, ist ungleich höher:
Auf Vollspaltenboden sterben etwa drei Mal so viele Schweine wie bei der Strohhaltung.
„Da die Verordnung zur Schweinehaltung nach dem Tierschutzgesetz in Österreich so schlecht ist, darf man Schweine auf Vollspaltenboden halten. Mit allen Konsequenzen, wie abgebissene Schwänze, Verletzungen und Gelenksentzündungen, aber auch unendliche Langeweile, schlechte Luft und keinerlei Beschäftigungsmöglichkeit”, kritisiert Martin Baluch vom VGT.
Verordnung verstößt gegen EU-Recht
Das österreichische Gesetz sieht entsprechend einer EU-Mindestvorgabe vor, dass Schweine “größenmäßig angenehm” leben müssen. Es handelt sich hierbei allerdings um einen Übersetzungsfehler, denn eigentlich müsste es “physisch angenehm” heißen. Was nach Spitzfindigkeit klingt, ist essentiell für ein Schweineleben. Denn dass Vollspaltenböden nicht “physisch angenehm” sind, kann niemand bestreiten.
Es handelt sich bereits um die zweite Nachbesserung in Sachen Übersetzung. Denn ursprünglich schrieb das zuständige Gesundheitsministerium, in dem auch Tierschutz-Agenden angesiedelt sind, “größenmäßig angemessen” in den Gesetzestext. Der VGT schaltete die Volksanwaltschaft ein, diese zwang das Ministerium zur Besserung. Nun warten Tierschützer und Tiere wieder auf die Legistik. Und die lässt auf sich warten. Denn trotz anders lautender Bekundungen gibt es noch keine Vorlage der neuen Übersetzung.
Österreichs Tierschutz-Gesetze sind eigentlich in der Kompetenz des Ministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz. Das Landwirtschaftsministerium, seit 1987 unter steter ÖVP-Führung, hat aber ein Veto-Recht. Im Regierungsprogramm findet sich kein Vorhaben zur Verbesserung der Boden-Situation der Schweine. Gesundheitsminsiter Rudolf Anschober (Grüne) gelobt seit Amtsantritt Besserung der Situation. Er versuche, Einvernehmen mit Landwirtschaftsministerin Köstinger herzustellen, um die Schweinehaltung zu verbessern, erklärt er. Denn ihre Zustimmung ist notwendig: Tierschutzgesetze müssen im Einvernehmen zwischen beiden Ministerien entstehen.
Doch das eigentliche Problem liegt einen Schritt weiter: Denn auch wenn es ein entsprechendes Gesetz beschlossen wird, gibt es aus dem Landwirtschaftsministerium eine Verordnung, die Vollspaltenboden explizit erlaubt. Solange diese besteht, werden Amts-Tierärzte, die die Betriebe kontrollieren, die Zustände nicht beanstanden. Dass Köstinger nicht vorhat, an der Situation etwas zu ändern, hat sie klargemacht: Die österreichische Schweinemast sei vorbildlich, lässt sie wissen.
Köstinger verweigert Gespräche mit Tierschützern
Seit ihrem Amtsantritt hat die Ministerin mit keiner Tierschutz-Organisation gesprochen. Sie verweist auf Minister Anschober oder ihr Büro – dieses hat aber keine Kompetenz. Als der VGT ihr eine Petition mit über 50.000 Unterschriften überreichen wollte, gab sie keinen Termin. Sie antwortete auf die Termin-Anfrage einfach nicht. “Dass eine gewählt Volksvertreterin der Zivilgesellschaft einfach nicht antwortet, finde ich schon bedenklich”, sagt Baluch dazu im Kontrast-Gespräch. Als Ministerin müsste BürgerInnen doch eine Antwort geben.
Der VGT versucht mittlerweile drei bis vier Mal die Woche, sie bei Terminen zu erreichen. Mit Protestaktionen macht er auf die Missstände in der Schweinehaltung aufmerksam, erzählt Baluch. Doch es hilft nichts. Elisabeth Köstinger verschwindet durch die Hintertüre, lässt sich entschuldigen, schweigt.
ÖVP blockiert Verbot
Die Blockade-Haltung der ÖVP verhinderte das Vollspalten-Verbot auch letztes Jahr, als die Liste Jetzt einen Antrag zum Verbot der Vollsplatenböden im Parlament einbrachte. Doch nur die Liste Jetzt und die SPÖ stimmten dafür, FPÖ und ÖVP dagegen, der Antrag wurde abgelehnt.
“Die ÖVP blockiert eine Verbesserung für die Tiere seit 25 Jahren. Es wäre das Mindeste, dass sie sich dazu äußert”, findet Baluch.
Steuergelder für Vollspaltenboden
Das findet auch die SPÖ und stellte daher eine parlamentarische Anfrage an Landwirtschaftsministerin Köstinger zu den „lebensverachtenden Zustände in der Schweine-Nutztierhaltung“, wie es die Anfragen-Stellerin Cornelia Ecker formuliert.
Das erschreckende Ergebnis: Die zuständige Minister weiß weder, wie viel Fördergelder, die ihr Ministerium vergibt, für den Bau von Vollspalt-Ställen ausgegeben wird, noch, wie viele Schweine in Österreich davon betroffen sind. 2017 bis 2019 waren das immerhin fast 150 Millionen Euro.
„Wir wissen, dass Vollspaltenböden in Österreich immer noch gefördert werden, die Bauern müssen hierzu Projektbeschreibungen im Ministerium einreichen. Es müssen somit ganz klar Daten zur Vollspaltenhaltung vorliegen. Dass Köstinger jetzt behauptet, dass es dazu keine Daten gibt, ist ein Skandal!“, sagt Ecker dazu.
Köstinger schiebt Verantwortung zu Konsumenten
Beim Forum Alpbach spricht die Journalistin und Moderatorin Corinna Milborn die Landwirtschaftsministerin auf das Thema an: “Wann werden Vollspaltenböden in der Schweine verboten?” Die Landwirtschaftsministerin reagiert ausweichend. Eigentlich geht es in der Diskussion um Technologie in der Landwirtschaft, die Frage kommt aus dem Publikum. Milborn lässt sie zu: “Es geht um Tierschutz, aber auch um einen Wechsel der Technologien. Neue Technologie in der Schweinehaltung kommt natürlich ohne Vollspaltenboden aus und ist wesentlich tierfreundlicher.” Elisabeth Köstinger lässt die Frage unbeantwortet. Stattdessen schiebt sie die Verantwortung auf die Konsumenten. Diese seien nicht bereit, mehr Geld für Fleisch aus artgerechter Haltung auszugeben. Die Konsequenz wäre, dass heimische Betriebe den Bedarf im Land nicht mehr decken, stattdessen wird billig aus dem Ausland importiert.
Als Beispiel für den gesunkenen Selbstversorgungsgrad nennt sie die Putenzucht. Nur mehr 25 Prozent des österreichischen Bedarfs sei durch heimische Produktion gedeckt, behauptet Köstinger. Doch das stimmt nicht. Es gab nie einen Einbruch im Selbstversorgungsgrad aufgrund irgendwelcher Tierschutzauflagen, versichert der VGT.
Tatsächlich gab es seit der Einführung des Bundestierschutzgesetzes 2005 keine Verschärfung der Haltungsbestimmungen für Puten. Und seither ist der Selbstversorgungsgrad von 41 Prozent 2015 auf 51 Prozent 2018 gestiegen.
“Entweder ist die Ministerin falsch informiert oder sie lügt einfach”, kommentiert das Baluch in einer Aussendung.
Große Mehrheit gegen Vollspaltenboden
Dass die Bevölkerung für eine Umstellung in Sachen Schweinemast ist, zeigt eine Gallup-Umfrage im Auftrag des VGT. 83 Prozent der Befragten halten Vollspaltböden für nicht in Ordnung, 53 Prozent befürworten sogar ein Verbot: 81 Prozent würden demnach höhere Preise für Schweinefleisch zahlen, wenn der Vollspaltboden durch Stroheinstreu ersetzt wird.
“Eine gewählte Landwirtschaftsministerin wird wohl bei Kritik einer Mehrheit der Menschen im Land das Rückgrat haben, für ihr Veto gegen eine Änderung Rede und Antwort zu stehen. Stattdessen flüchtet sie von ihren öffentlichen Auftritten durch die Hintertür, lässt sich sogar von ihrem Fahrer verleugnen und weigert sich, eine Petition mit über 50.000 Unterschriften entgegen zu nehmen”, kritisiert Baluch.
Besser geht es den Tieren in Kärnten und Vorarlberg. Hier leben rund 35 Prozent der Schweine auf Beton, in Vorarlberg schläft fast ein Viertel auf Stroh. Tirol ist der einsame Spitzenreiter in Sachen Schweine-Luxus. Nicht einmal ein Prozent der Schweine fristet auf Vollspaltenboden, über die Hälfte lebt im Stroh. Das kommt aber nur wenigen Tieren zugute: Nur 10.000 der 2,7 Millionen Schweine leben dort.
Hier geht’s zur Petition des VGT, die sich an die Bundesregierung richtet und Folgendes fordert:
- Ein Verbot von Vollspaltenböden,
- stattdessen ein Liegebereich ohne Spalten,
- der verpflichtend tief mit weichem organischem Material, wie z.B. Stroh, eingestreut ist!
Unfassbar!! Ist es doch die ÖVP die immer behauptet das wir das strengste Tierschutzgesetz haben. Und dann halten wir nicht mal EU Mindeststandard ein und sie ignorieren es einfach.
Danke für diese Umfassende Darstellung!