Er ist der Nachfolger von Finanzminister Markus Marterbauer im Sessel des Chef-Ökonomen der Arbeiterkammer Wien. Im Kontrast-Interview spricht Matthias Schnetzer über die wirtschaftliche Lage Österreichs, die steigenden Preise für Lebensmittel und die Frage, ob das Schlimmste bereits vorbei ist und der wirtschaftliche Aufschwung bevorsteht.
Kontrast: Die Nachrichten zu Wirtschaft und Budget waren in den letzten Monaten düster. Steht es wirklich so schlecht um Österreich?
Matthias Schnetzer: Nein, ich sehe ein gemischtes Bild der österreichischen Wirtschaft. In manchen Bereichen zählen wir immer noch zur europäischen Spitze, von der Wertschöpfung pro Kopf bis zur Arbeitsproduktivität, und die meisten Indikatoren sind weit über dem EU-Durchschnitt, etwa die Investitionsquote oder die Realeinkommen.
Auf der anderen Seite haben wir gerade die längste Rezession der Nachkriegsgeschichte hinter uns und verlieren in manchen Sektoren den Anschluss an die technologische Weltspitze. Obwohl Österreich ein starker Wirtschaftsstandort und alles andere als „abgesandelt“ ist, besteht Handlungsbedarf in der Wirtschaftspolitik, um eine zukunftsfähige Industrie, Vollbeschäftigung, Preisstabilität, ökologische Nachhaltigkeit und Steuergerechtigkeit zu erreichen.
Türkis-grüne Regierungen hat diese Krisen nicht gelöst, sondern verschleppt
Kontrast: Was sind die Gründe, die zur Kombination aus hohen Schulden, hoher Inflation und überschaubarem Wirtschaftswachstum geführt haben?
Matthias Schnetzer: Ausgangspunkte der Rezession waren die Covid-19-Pandemie und der darauffolgende Energiepreisschock durch den Angriff Russlands auf die Ukraine. Die hohen Energiepreise haben die Inflationsrate nach oben getrieben und die Gewerkschaften erkämpften Lohnerhöhungen, um die gestiegenen Lebenshaltungskosten auszugleichen.
Gleichzeitig hat die damalige Regierung mit kostspieligen Rettungspaketen, üppigen Förderungen für Unternehmen und Steuersenkungen ohne Gegenfinanzierung ein riesiges Budgetdefizit angehäuft. Ein Wirtschaftswachstum hätte mit höheren Steuereinnahmen das Budget entlastet, allerdings war die Wirtschaftspolitik der alten Regierung ein Hindernis für die Konjunktur.
Kurz zusammengefasst: Covid und Energiepreisschock kamen zwar von außen, aber die Wirtschaftspolitik vergangener Regierungen hat diese Krisen nicht gelöst, sondern verschleppt und vertieft.
Kontrast: Wie das Budget unter den aktuellen Herausforderungen saniert werden?
Matthias Schnetzer: Eine Budgetsanierung durch Kürzungen im Sozialstaat hat negative Auswirkungen auf Wirtschaft und Bevölkerung, da sie Arbeitslosigkeit und Einkommensungleichheit erhöht. Aktuell wird die Konsolidierung zu zwei Dritteln von Ausgabenkürzungen und einem Drittel von höheren Einnahmen unter anderem von Banken, Privatstiftungen und Energiekonzernen getragen. Deshalb wäre es für eine ausgewogene Budgetsanierung wichtig, die Einnahmenseite zu stärken, vor allem durch jene, die es sich finanziell mühelos leisten können. Die größte Rolle spielt allerdings die Wirtschaftslage, da eine gute Beschäftigungsentwicklung besonders zentral für das Budget ist.
„Österreich hat im Europa-Vergleich mit die höchste Vermögenskonzentration“
Kontrast: Sie haben einen Beitrag von besonders Reichen angesprochen. Wie könnte dieser konkret aussehen?
Matthias Schnetzer: Eine gerechte Steuer auf Millionenvermögen und -erbschaften. Österreich hat im Europa-Vergleich mit die höchste Vermögenskonzentration, aber den geringsten Steuerbeitrag aus Vermögen.
Die Rufe aus Wissenschaft und Wirtschaftsforschung nach einer Erbschaftsteuer werden vor dem Hintergrund der Budgetmisere wieder lauter. Kaum ein anderes europäisches Land verzichtet auf einen Steuerbeitrag dieser leistungslosen Vermögensübertragungen. Da wäre jährlich weit mehr als 1 Milliarde Euro Aufkommen fürs Budget möglich.
Außerdem erwarte ich mir von der aktuellen Regierung Fortschritte bei der Steuerbetrugsbekämpfung, vor allem bei Konzernen und Reichen.
Kontrast: Die hohen Lebensmittelpreise sind für viele Menschen eine große Belastung. In unserem Nachbarland Deutschland zahlt man im Durchschnitt rund ein Viertel mehr für das gleiche Produkt. Wie kann das sein?
Matthias Schnetzer: Das hat mehrere Gründe. Erstens, internationale Markenkonzerne verkaufen ihre Produkte zu unterschiedlichen Preisen an die nationalen Handelsketten. Österreich wird hier gegenüber Deutschland benachteiligt. Das ist der sogenannte Österreich-Aufschlag. Die EU muss ungerechtfertigte Preisdifferenzen im Binnenmarkt endlich beseitigen.
Zweitens, Österreich hat eine sehr hohe Marktkonzentration im Lebensmittelhandel und vier Handelsketten decken mehr als 90 Prozent des Marktes ab. Dabei gilt, je weniger Wettbewerb, desto höher das Preisniveau.
Drittens, auch die leicht höheren Mehrwertsteuersätze in Österreich gegenüber Deutschland können einen kleinen Teil des Preisunterschieds erklären.
Kontrast: Was kann getan werden, damit die Lebensmittelpreise wieder leistbarer werden?
Matthias Schnetzer: Die einfache und schnelle Lösung sehe ich nicht. Eine Mehrwertsteuersenkung könnte zwar rasch wirken, allerdings, nur wenn der Handel die Preissenkung weitergibt. Das wäre bei stärkerem Wettbewerb im Lebensmittelhandel einfacher als bei der hohen Marktkonzentration, die wir hier in Österreich haben.
Ohne Gegenfinanzierung ist eine Steuersenkung in der derzeitigen budgetären Lage aber ohnehin tabu und wenn die Senkung nur befristet erfolgt, haben wir später den gegenläufigen Effekt.
In Zukunft könnte eine Preisdatenbank entlang der Wertschöpfungskette die Preistreiber identifizieren und eine Anti-Teuerungskommission mit einem wirkungsvollen Preisgesetz konkrete Maßnahmen entwickeln. Das gilt es jetzt umzusetzen, um die Teuerung zukünftig besser handhaben zu können.
Forschung erwartet leichtes Wirtschaftswachstum
Kontrast: Sie haben erklärt, dass der wirtschaftliche Aufschwung bereits am Horizont erkennbar ist. Was muss die Bundesregierung tun, damit dieser Aufschwung auch glückt?
Matthias Schnetzer: Tatsächlich sagen die großen Wirtschaftsforschungsinstitute für heuer ein leichtes BIP-Wachstum voraus, das sich im kommenden Jahr noch steigern dürfte. Auch wenn die internationale Entwicklung maßgebend für die heimische Konjunktur ist, so haben wir doch einiges selbst in der Hand.
Die Budgetkonsolidierung muss so gestaltet sein, dass sie nötige Investitionen und Beschäftigung nicht bremst. Die Industriestrategie soll eine ökologisch nachhaltige und auf Zukunftstechnologien bauende Wertschöpfung vorantreiben. Beschäftigungs- und Qualifizierungsprogramme sollen den Arbeitsmarkt auf dem Weg zur Vollbeschäftigung unterstützen. Eine gezielte Inflationsbekämpfung soll Planungssicherheit, Lebensstandard und Wettbewerbsfähigkeit erhöhen.
Kontrast: Viele Menschen in Österreich schauen mit Sorgen in die Zukunft. Was würden Sie diesen Menschen sagen?
Matthias Schnetzer: Ich kann die Zukunftssorgen vieler Menschen sehr gut nachvollziehen. Die Krisen häufen sich, das Wohlstandsversprechen wankt, die eigenen Interessen scheinen ungehört.
Aber Resignation, ein Rückzug von Wahlen oder Unterstützung für antidemokratische Kräfte sind keine Alternativen. Wir können von vergangenen Generationen lernen, deren Zukunftsaussichten auch oft düster waren, die aber gemeinsam einen Sozialstaat und eine Demokratie erkämpft haben, die unseren heutigen Lebensstandard ausmachen. Für eine solidarische Gesellschaft, eine gerechte Wirtschaft, eine intakte Umwelt, sowie eine stabile Demokratie brauchen wir den Einsatz aller – ob in der Nachbarschaftshilfe, in NGOs, der Gewerkschaft, im Gemeinde- oder Betriebsrat. Gemeinsam ist man jedenfalls stärker.

Matthias Schnetzer ist Leiter der Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der AK Wien. Er folgte in dieser Rolle Finanzminister Markus Marterbauer nach. Schnetzer war langjähriger Mitarbeiter der Abteilung, bevor er ihre Führung übernahm.
Schnetzer unterrichtet außerdem ander Wirtschaftsuniversität Wien. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Verteilung von Vermögen und Einkommen in Österreich und der EU. Für seine Forschungsarbeit erhielt der Ökonom bereits zahlreiche Preise – etwa einen Preis der International Association for Research in Income and Wealth (IARIW) oder den Kurt Rothschild Preis.
Finanzminister Markus Marterbauer: So will er das Budget sanieren und die Wirtschaft ankurbeln
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