Landwirtschaft

“Die ÖVP ist im internationalen Vergleich mit Abstand die tierfeindlichste Partei”

Martin Balluch ist Obmann des Vereins gegen Tierfabriken und einer der bekanntesten Tierschützer des Landes. Kontrast hat mit dem überzeugten Veganer über mögliche Auswege aus einem tier- und menschenfeindlichen Agrarsystem gesprochen, über die Haltungsbedingungen von Schweinen und klimafreundliche Alternativen.

Martin Balluch
Martin Balluchs Engagement hat in den 1970er-Jahren bei der Antiatomkraft-Bewegung begonnen. Geprägt hat ihn die Besetzung der Hainburger Au. Seine akademische Karriere führte Balluch nach England, wo er sich von der lebendigen Tierschutzszene anstecken ließ. Später half er dabei mit, den „Verein Gegen Tierfabriken“ aufzubauen.

Kontrast.at: Herr Balluch, Sie leben seit über 30 Jahren vegan. Warum?

Balluch: Ich vertrete einfach die Überzeugung, dass ich Tiere nicht für mich nutzen will, soweit das geht. Ich sehe das als eine gesellschaftspolitische Entscheidung, also nicht als eine private Sache, sondern auch als einen Appell an die Gesellschaft. Es ist eine Art Pionierarbeit, um eine andere Lebensweise zu etablieren.

Wir brauchen einen Wandel unserer Lebensweise nicht nur aus Respekt vor den Tieren, sondern auch aus Klima- und Umweltschutzgründen. Wir sind bald acht Milliarden Menschen und die können sich nicht verhalten wie Steinzeit-Menschen und fressen, was kommt und kacken, wo sie wollen.

Bei so vielen Menschen muss man das viel, viel umsichtiger leben. Jedes Weltraum-Projekt der NASA für lange Flüge ist vegan, weil ganz klar ist, dass in allen anderen Ernährungsweisen einfach ein sinnloser Energieverlust stattfindet. Was ist der Unterschied zwischen dem Planeten Erde und einem Raumschiff? Eigentlich gibt es keinen. Da ist ein Ding, das durch das All fliegt, wo einige drauf sind. Wenn wir vernünftig sein wollen, müssen wir vegan leben.

Kontrast.at: Was halten sie in diesem Zusammenhang von Laborfleisch?

Balluch: Ich freue mich sehr darauf. Ich merke, dass viele Menschen so wahnsinnig gern Fleisch essen, dass ich mir ziemlich sicher bin, dass wir unsere Umweltprobleme nicht in den Griff bekommen, wenn es keine Fleischalternative gibt, die quasi Fleisch ist. Gleichzeitig bietet es, was den Energieverbrauch angeht, fast dieselben Vorteile wie der Veganismus. Natürlich hängt auch kein bewusstes Leben dran, das leidet. Manche Think-Tanks gehen davon aus, dass bis 2050 rund 40 Prozent unseres Fleischkonsums mit Laborfleisch gedeckt werden wird.

Kontrast.at: Sie üben scharfe Kritik an der Tierhaltung, vor allem auch an der Schweinezucht.

Balluch: Die Haltung der Schweine in Österreich ist ein Skandal. Die meisten werden auf Vollspaltenböden gehalten, obwohl 96 Prozent der Bevölkerung diese Form als Tierquälerei ablehnen. Natürlich lehnen sie das ab, denn Vollspaltenböden sind eine einzige Katastrophe. Ich hab das selbst getestet und lag 24 Stunden auf einem Vollspaltenboden. Wenn man das macht, weiß man sehr schnell, das ist die reinste Qual. Es gibt keinen Grund, wirklich keinen Grund, warum ein Schwein einen steinharten Boden weniger schlimm finden sollte, als ein Mensch.

Wir sind evolutionär viel zu ähnlich, wir haben eine ähnliche Haut, ein ähnliches Gewicht, kein Fell. Warum sollte ein Schwein so einen harten Boden eher vertragen? Da sind scharfkantig Spalten drauf, darum haben alle diese Schweine Schwielen. Laut Studien haben 92 Prozent schmerzhaft geschwollene Gelenke – nach nur vier Monaten, die sie zur Mast auf diesem Boden verbringen.

Dazu fehlt den Tieren Sonnenlicht, es gibt nichts Grünes, keine frische Luft.

Die Augen der Schweine sind entzündet, weil sie ständig über ihren Exkrementen leben und deshalb den Ammoniakdämpfen ausgesetzt sind. 50 Prozent der Tiere, das zeigen Schlachtkörperuntersuchungen in Österreich, entwickeln eine Lungenentzündung. In diesen Betrieben hört man die Tiere ständig Husten.

Die ganze Haltung ist von A bis Z eine Qual. Die Schweine kriegen Magengeschwüre aufgrund des Stresses und der Enge. Ein 85-kg-Tier hat nur 0,55 Quadratmeter zur Verfügung. Sie haben kein Beschäftigungsmaterial, kein Stroh. Sie gehen sich ständig auf die Nerven und finden nie innerlich Ruhe. Die Folge ist, dass sie sich in Schwänze und Ohren beißen und auch Kratzer zufügen. Was macht man dagegen? Man schneidet ihnen prophylaktisch den Schwanz ab.

Kontrast.at: Und das ist legal?

Balluch: Das routinemäßige Kupieren der Schwänze ist EU-rechtswidrig, aber man macht es trotzdem bei 95 % der Schweine in Österreich. Es gibt eine EU-Richtlinie von 2008, die das Schwanzkupieren im Ausnahmefall erlaubt, wenn alle anderen Maßnahmen danebengehen. In Österreich wird das aber routinemäßig gemacht. Die EU-Kommission stellte diesen Missstand fest und Österreich muss Strafe zahlen. Das heißt, wir zahlen Strafe dafür, dass diese Leute einen Vollspaltenboden haben dürfen. Obwohl die eindeutige Mehrheit der Bevölkerung gegen diese Haltungsart ist.

Trotzdem wird nicht versucht, die Betriebe zur Umstellung zu bewegen. Stattdessen geht man gegen Leute vor, die diese Haltungsart beenden wollen. Gegen mich ermittelt die Staatsanwaltschaft Eisenstadt wegen Tierquälerei. In Pöttelsdorf, im Burgenland hat jemand Schweine aus einem Vollspaltenbetrieb geholt und vor der Tür auf einem Acker eine Freilandhaltung mit Stroh aufgebaut. Ich war dort und habe mich dafür verantwortlich erklärt, die Schweine zu übernehmen. Und die Staatsanwaltschaft verfolgt mich jetzt wegen Tierquälerei, weil die Schweine im Regen mit Unterstandsmöglichkeiten draußen waren. Die kommen aus einem Vollspaltenbetrieb, aber das ist in Österreich Tierquälerei. Das Ganze ist politisch gesteuert.

Kontrast.at: Was ist von dem jüngsten Beschluss im Parlament zu halten? Die Regierung spricht von einem Verbot der Vollspaltböden …

Balluch: Das ist kein Verbot, auch wenn es Köstinger so nennt. In Wahrheit ist es nichts anderes als eine AMA-Regelung. Das betrifft 60 Prozent der Schweine in Österreich gar nicht. Und die restlichen 40 Prozent können natürlich sagen, sie machen Vollspalten weiter und lassen das AMA-Gütesiegel sausen. Außerdem bedeutet auch das Gesetz für AMA Schweine keine wirkliche Verbesserung.

Kontrast.at: Aber wieso wird hier nichts unternommen, wenn doch ein großer Teil der Bevölkerung dagegen ist?

Balluch: Der Bauernbund und die ÖVP wollen den Eindruck erwecken, die Bauern sind ein monolithischer Block und alle seien gegen Einschränkungen in dem Bereich. Dabei ist das vollkommen unglaubwürdig. Da werden einfach die Interessen einiger weniger bedient.

Faktum ist: Die ÖVP ist im internationalen Vergleich die mit Abstand tierfeindlichste Partei, die es gibt.

Die Konservativen in England haben zum Beispiel eine eigene Tierschutzabteilung, eine parlamentarische Plattform zu dem Thema und machen Tierschutzinitiativen. Die ÖVP hat das alles nicht.

Kontrast.at: Wo mauert die ÖVP noch außer beim Vollspaltenboden?

Balluch: Das ist eine lange Liste! Die ÖVP wollte sogar das Wildtierverbot im Zirkus verhindern. Auch das Pelzfarmverbot wollte sie mit allen Mitteln verhindern. Dasselbe bei den Tierversuchen.

Und als es darum ging, den Tierschutz in der Verfassung festzuschreiben: Wer war dagegen? Die ÖVP!

Kontrast.at: Noch einmal zurück zu den Vollspaltenböden. Hat ein Bauer überhaupt eine andere Wahl? Nicht jeder kann schließlich auf Bio umsteigen.

Balluch: Es gibt Betriebe, die halten Schweine im Freien auf Naturboden mit viel Stroh und einem Zelt. Das funktioniert wunderbar. Winter wie Sommer können diese Schweine dort herumrennen. Man stellt einfach einen Zaun in einem Kukuruzfeld auf. Die Schweine essen den Mais auf und dann bewegt man diese ganze Weide ein Stück weiter. Zusätzlich haben sie dort Tiefstroh, das das Ganze auffängt und Pilze, die die Exkremente zersetzen. Das geht erstaunlich schnell. Nachdem die Schweine weg sind, wird aus diesem ganzen Mischmasch innerhalb von zwei bis vier Wochen ein schwarzer Humusboden.

Das ist kein Vergleich mit den Güllebecken in den großen Tierfabriken – da sammelt sich eine flüssige Kacke, die mit Urin gemischt ist, die irrsinnig stinkt, Methan ausstößt und die dann auch noch als Treibhausgasquelle auf die Felder ausgebracht wird.

Das ist eine ganz andere Geschichte. Das Stroh bremst die Produktion von Treibhausgasen, indem sie einfach Kot und Urin trennt und bindet. Das geht, aber es geht eben nicht industrialisiert.

Wir stehen in der Landwirtschaft mit der Industrialisierung gerade vor dem Abgrund.

Die Lösung muss jetzt nicht mehr, sondern weniger Industrialisierung sein. Und wenn mir jemand erzählt, das kostet zu viel, dann muss ich einfach entgegnen: stimmt nicht. Triff diese Leute, rede mit ihnen. Die Investitionskosten sind praktisch bei null, du brauchst ein Zelt und einen Zaun. Du hast keinen versiegelten Boden, du kannst mit Humus auch noch CO2 binden, anstelle Methan in den Himmel zu jagen. Und der laufende Betrieb ist nur 10 – 20 Prozent aufwändiger.

Kontrast: Klingt so, als könnte der Staat die Mehrkosten für einen Umstieg durch Subventionen ausgleichen.

Balluch: Ja, ganz locker. Derzeit machen die Agrarförderungen im EU-Budget 40 Prozent aus. Das sind 2,8 Milliarden Euro jedes Jahr. Ich finde, wenn wir SteuerzahlerInnen das bezahlen, müssen wir auch mitbestimmen können, was damit passiert. Die können ja nicht sagen, wir nehmen das Geld, aber wir machen das, wie wir wollen. Doch der Witz ist, dass diese Vorzeigebetriebe mit Naturbodenhaltung überhaupt keine Subventionen bekommen. Die fließen in betonierte Riesenbunker mit Vollspaltenböden, enormer Geruchsbelastung und Tierleid. In der Transparenzdatenbank der EU kann man das alles nachsehen. Da gibt es etwa einen 1.200-Schweine-Betrieb, eine riesige Halle, Vollspalten, grauenhafte Zustände.

Alleine dieser Betrieb bekommt 60.000 Euro jedes Jahr von uns geschenkt. Diese Steuergeschenke müsste man einfach umleiten.

Kontrast: Lösungen scheinen nahe zu liegen und umsetzbar zu sein. Warum ändert sich dann nichts? Wer profitiert von dem Ganzen? Die Bauern sind es nicht. Die Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft sind hart. Die Einkommen schlecht. In Frankreich bringen sich jeden Tag zwei Landwirte um.

Balluch: Da gibt es massive Zwänge von außen, die die Bauern in diese Situation bringen. Wenn sich jemand mit einem Raiffeisen-Kredit einen Schweinestall aus Beton hinstellt, dann ist er natürlich verschuldet und kann da nicht mehr raus, außer er lässt diese Maschine laufen. Der hat natürlich das Gefühl, jeder, der ihm das erschweren will, ist ein Verbrecher. Mit so einem Bunker hat man 1.200 Euro pro Mastplatz mit 0,55 m² Platz zur Verfügung. Das muss man erst wieder reinkriegen, sonst geht sich das mit den Schulden nicht mehr aus. Wenn die Schweine jetzt den doppelten Platz bekommen, heißt das, 2.400 € pro Mastplatz. Die wehren sich daher wie die Irren.

Der Bauer, der seine Tiere auf dem Feld hält, dem ist das total egal. Der macht einfach den Zaun ein bisschen größer. Das kostet ihm fast nix. Da merkt man schon, das wäre ein riesiger Unterschied. Die Bauern wären deutlich unabhängiger. Aber was macht die Landwirtschaftsministerin? Sie besucht nicht einmal alternative Betriebe. Sie und die Landwirtschaftskammer verbreiten sogar Falschinformationen über andere Haltungsmöglichkeiten. Wer etwas ein bisschen anders macht, der ist für sie eine Bedrohung. Kein Wunder, dass die Subventionen so verteilt werden.

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Theresa
Theresa
30. Dezember 2021 20:29

Ich verstehe diesen Stillstand trotz der genauen Analysen dennoch nicht. Wann treten endlich die mündigen Konsument*innen auf und machen Druck?! Man kann doch hier nicht ewig wegschauen? Wer in Ö im Supermarkt Fleisch kauft oder in der Kantine oder im GH Fleisch ist, macht sich mitschuldig!

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