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Honduras 10 Jahre nach Militärputsch: Schon Siebenjährige an der Waffe

Mit der Unterstützung der USA wurde vor zehn Jahren der linke Präsident Honduras durch einen Militärputsch gestürzt und die Konservativen an die Macht gebracht. Seither kämpft Honduras mit steigender Kriminalität, grassierender Korruption und extremer Armut. Anstatt sich für soziale Gerechtigkeit stark zu machen, setzt die konservative Regierung auf die Militarisierung der gesamten Gesellschaft. Die Lateinamerika Nachrichten sprachen mit José Guadalupe Ruelas, Direktor der Kinderrechtsorganisation Casa Alianza, über die fatale Lage in Honduras.

Interview: Thomas Raabe

Wie hat sich die Situation seit dem Putsch vor zehn Jahren verändert?

Auf den Putsch folgten unter anderem die Militarisierung, die Unterdrückung der Bevölkerung und eine Verschärfung der vorher schon existierenden Probleme wie Armut, Ungleichheit und eine hohe Auslandsverschuldung. Heute ist Honduras eines der ärmsten Länder Lateinamerikas, Arm und Reich klaffen weit auseinander. Die Menschen migrieren zu Tausenden in Karawanen in Richtung USA, weil sie keine Möglichkeit finden, in Honduras zu überleben.

Der Staat hat seine sozialen und wirtschaftlichen Aufgaben vernachlässigt. Mit Blick auf die Kinder und Jugendlichen schätzt die Nationale Pädagogische Universität Honduras, dass mehr als 800.000 Jungen und Mädchen wegen fehlender schulischer Einrichtungen dem Schulsystem fernbleiben. Laut Schätzungen des Ministeriums für Arbeit werden täglich circa 475.000 Jungen und Mädchen wirtschaftlich ausgebeutet.

Teenager-Schwangerschaften und Kinder-Morde

Die Teenagerschwangerschaften sind dramatisch angestiegen: Laut Gesundheitsministerium sind 25 Prozent der Schwangerschaften jährlich von Minderjährigen. Gemäß einer Studie von Save the Children ist Honduras für Kinder und Jugendliche das gewalttätigste Land mit einer Mordrate von mehr als 30 Kindern pro 100.000 Einwohner.

Lateinamerika Nachrichten

Inwiefern hat sich die Rolle des Militärs verändert und welche Folgen hat dies für Kinder und Jugendliche?
Honduras hat einen enormen Militarisierungsprozess durchlebt. Dieser beruht nicht nur auf der Sicherheitsstrategie, der Prozess reicht weit in das gesellschaftliche Leben. Es gab eine Militarisierung des öffentlichen Raumes. Die Regierung gründete per Dekret eine Militärpolizei, die in den Straßen patrouilliert, Anzeigen entgegennimmt und Haftbefehle gegen Zivilisten ausführt. Dazu kommt die Erhöhung des Verteidigungsbudgets, der Erlass des Tazón, einer Besteuerung der Bankgeschäfte, wobei 90 Prozent dieser Gelder in den Verteidigungshaushalt fließen. Im Jahr 1994, als es noch den verpflichtenden Militärdienst gab, gehörten ungefähr 9.000 Soldaten der Armee an. Heute, 25 Jahre nach Abschaffung des Militärdienstes, gibt es mehr als 15.000.

In Honduras hat seit dem Militärputsch die Militarisierung zugenommen

Schon ab dem siebten Lebensjahr erhalten viele Kinder in Honduras schon eine quasi-militärische Ausbildung

Die Militärpolizei bewacht öffentliche Institutionen, darunter auch circa 40 Prozent der Schulen. Besorgniserregend ist die Ausbildung von Tausenden Mädchen und Jungen aus armen Familien im Alter zwischen 7 bis 12 Jahren innerhalb des Programms Guardianes de la Patria („Bewacher des Vaterlandes“, Anm. der Red.). Die Kinder werden samstags von Soldaten in Themen wie Gehorsamkeit, Respekt und Werten aus Militärperspektive unterrichtet. Öffentlich bekannt wurde, dass den Kindern der Umgang mit Waffen gezeigt wird und sie Militärübungen ausführen.

Zunehmende Korruption

Was zeichnet die Regierungen der letzten Jahre aus?
Das Regime hat an Legitimität verloren, es wird des Betruges bezichtigt und ist verfassungswidrig. Die honduranische Verfassung verbietet ausdrücklich die Wiederwahl eines Präsidenten. Im Jahr 2015 wurde ein Artikel durch die Verfassungskammer des Obersten Gerichtshofs gestrichen, was dem aktuellen Präsidenten Juan Orlan- do Hernández zur Wiederwahl verhalf. Die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2017 wurden von nationalen und internationalen Akteuren kritisiert und als Wahlbetrug deklariert. Bis heute hat es die Regierung nicht geschafft, die Rechtmäßigkeit dieser Wahl nachzuweisen.

Die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2017 wurden von nationalen und internationalen Akteuren kritisiert und als Wahlbetrug deklariert.

Bezeichnend sind auch die uferlose Korruption und die Verbindungen zwischen dem Regime und der organisierten Kriminalität. Unternehmer, Politiker und Polizei haben mit dem Drogenhandel Allianzen gebildet. Honduras lieferte viele von ihnen bereits in die USA aus. Dem wegen Drogenhandels in New York inhaftierte Bruder des aktuellen Präsidenten wird vorgeworfen, tonnenweise Kokain durch Honduras geschmuggelt zu haben.

Es gibt Korruptionsvorwürfe gegen die Familien des vorherigen und des aktuellen Präsidenten, gegen Abgeordnete des Parlaments und Funktionäre des Staates. Letztere haben mehr als 300 Millionen US-Dollar aus dem honduranischen Sozialversicherungssystems veruntreut. Statt einer integralen Sozialpolitik, die Gesundheit, Bildung und Sicherheit einschließt, wendet das Regime eine Art Philanthropie gegen die Armut an. Dem Fehlen von Lebensmitteln begegnet es mit dem Verteilen von „bolsas solidarios“ (Lebensmittelpakete, Anm. d. Red.).

In Honduras ist seit dem Militärputsch die soziale Ungleichheit gestiegen

Seit dem Militärputsch ist in Honduras nicht nur Korruption und Kriminalität sondern auch die soziale Ungleichheit gestiegen

Charakteristisch ist die Brutalität des Regimes gegen die landesweiten Proteste. Durch die „Reform“ der Strafgesetzgebung wurde das Recht zu protestieren unter Strafe gestellt. Es ist nicht mehr erlaubt, vor dem Parlament oder Präsidentenpalast zu demonstrieren, generell wurden gegen friedlich Protestierende Gerichtsverfahren eingeleitet. Seit dem Wahlbetrug von 2017 gibt es wieder politische Gefangene, Menschen im Exil und viele Tote.

Widerstand in Honduras

Wie verhält sich die Bevölkerung?
Frauenkollektive, Indigene, Afroindigene, Organisationen von Bauern und Bäuerinnen, Gemeinden, die durch den Bergbau betroffen sind, haben sich organisiert, um gegen die Ressourcenausbeutung vorzugehen. Zu Tausenden gehen sie gegen die offensichtliche Korruption, gegen die extraktivistischen Projekte, Privatisierungen im Bildungs- und Gesundheitssystem auf die Straße.
Die sozialen Bewegungen haben mehrere Versuche unternommen, die verschiedenen Akteure landesweit zu vereinen und die bestehenden Differenzen untereinander abzubauen. In der breiten Opposition hat sich jedoch bis heute keine legitime Führung hervorgetan, die einen gemeinsamen Kampf vereinen könnte. Die Akteure haben alle eine Forderung: den Rücktritt des Regimes, Neuwahlen, die Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung und die Beendigung des extraktivistischen Wirtschaftsmodells.

Der lange Schatten des Militärputsches

Laut der honduranischen Organisation FOSDEH sind 67 Prozent der Bevölkerung von Armut betroffen, das heißt, dass von den beinahe neun Millionen Honduraner*innen 2,1 Millionen in Armut und 2,8 Millionen in extremer Armut leben. Weiterhin lag die Auslandsverschuldung vor dem Putsch bei 3.200 Millionen US-Dollar und liegt heute bei mehr als 15.000 Millionen US-Dollar. Der Verteidigungshaushalt wurde in den letzten zwölf Jahren um 400 Prozent erhöht. Mit Blick auf die Ressourcenausbeutung sind mehr als 30 Prozent des honduranischen Territoriums heute konzessioniert.

Die Auflösung der Gewaltenteilung wurde 2011 mit der Gründung des Nationalen Verteidigungs- und Sicherheitsrates besiegelt – eine Superinstanz, in der alle Informationen der Justiz, Generalstaatsanwaltschaft, Innen- und Verteidigungsministerien zusammenlaufen, und die unter Kontrolle des Präsidenten steht. Dazu wurden entscheidende Posten in der Justiz, der Obersten Wahlbehörde und der Generalsstaatsanwalt durch die Regierung besetzt.

Nach den Wahlen im November 2017 zeichnete sich nach den ersten Veröffentlichungen der ausgezählten Stimmen ein Vorsprung von fünf Prozent des Oppositionskandidaten Salvador Nasralla vor Hernández ab, eine Tendenz, die rechnerisch nicht mehr umkehrbar war. Es folgten ein 30-stündiger „Ausfall“ des Computersystems im Wahlzentrum, landesweite Proteste und die Verhängung des Ausnahmezustandes. Trotz des offensichtlichen und nachgewiesenen Wahlbetruges rief die Oberste Wahlbehörde Hernández als Sieger aus. Die US-Regierung gratulierte am 22. Dezember 2017 Hernández und leitete den Prozess der Anerkennung des verfassungswidrigen Regimes ein, dem alle Regierungen folgten.

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