Der Kabarettist Kian Kaiser ist als Der Kuseng mit seinem Debüt-Programm “Hoamatlond, Hoamatlond” auf österreichischen Bühnen unterwegs. Er erhielt dafür den Förderpreis des Österreichischen Kabarettpreises. Im Interview mit Kontrast spricht er über seine Kindheitserinnerungen in einem österreichischen Asylheim, darüber, was Heimat alles bedeuten kann und was Kabarett so politisch wie unterhaltsam macht.
Kontrast: Du bist gerade mit deinem ersten Kabarett-Programm unterwegs. Wie fühlt sich das an, auf so vielen unterschiedlichen Bühnen zu stehen?
Der Kuseng/Kian Kaiser: Ich fühle mich immer total geehrt, auf Bühnen zu stehen, weil sie für mich nicht selbstverständlich sind. Also vor allem für Menschen wie mich, die Migrationsgeschichte haben und aus ärmeren Verhältnissen stammen. Menschen wie mich kennt man eher von Schlagzeilen aus der Kronen Zeitung oder als Randnotiz in irgendwelchen Berichten über Integration.
Deshalb ehrt mich das sehr, wenn ich auf der Bühne stehe, vor allem mit Publikum. Dass die Leute kommen, sich das in den Kalender eintragen, sich Karten kaufen, sich hübsch machen für den Abend. Ich gehe sehr respektvoll mit dieser Zeit um und ich versuche, dass wirklich jeder im Raum eine gute Zeit hat.

Formulare ausfüllen, dolmetschen & ein leerer Kühlschrank
Kontrast: Du bist 1989 in Teheran geboren, aber deine Eltern sind mit dir nach Österreich geflohen als du noch ein Baby warst. Die ersten Jahre hast du in einem Flüchtlingsheim in Timelkam (OÖ) verbracht. Hast du in deiner Kindheit gespürt, dass euer Leben anders verläuft als bei anderen Familien?
Ja, also alleine die ersten paar Monate waren schon anders. Wir haben da ja in einem Asylheim gelebt. Unser Lebensraum war sehr klein. Unsere größte Wohnung hatte 45 Quadratmeter. Dass unser Kühlschrank nicht den ganzen Monat voll war, sondern schon Mitte des Monats fast leer, war wohl auch etwas, das anders war als bei vielen Familien. Was nicht bedeutet, dass Armut Österreicher:innen nicht auch trifft, aber vielleicht auf eine andere Art und Weise.
Die meisten haben vielleicht noch ein Backup-System, also Familie, Bekannte, Freundinnen und Freunde. Das fehlt dir alles, wenn du total neu in einem Land ankommst.
Vor allem für meine Eltern waren die sprachlichen Hürden enorm. Ich glaube, das ist ein Schicksal von vielen Kindern mit Migrationshintergrund. Sie müssen von Anfang an Dolmetscher sein, Amtswege begleiten und Formulare ausfüllen. Ich glaube, das sind Erfahrungen, die österreichische Kinder nicht machen. Was ich aber nicht nur negativ sehe. Denn zu wissen, wie man Formulare ausfüllt, ist wohl einer der wichtigsten Skills in Österreich.
Über Fluchterfahrungen reden war für die Eltern immer schwierig
Kontrast: Hast du besondere Geschichten in Erinnerung, die dir deine Eltern von ihrer Flucht erzählt haben?
Meine Eltern haben sehr selten und ungern darüber gesprochen. Für mich ist das Ganze wie ein Puzzle, weil ich keine Einzelheiten kenne. Ich kann die ganze Geschichte nicht rekonstruieren. So geht es vielen, die umgetopft wurden, um nicht zu sagen entwurzelt. Als Kind habe ich das immer wie ein Märchen empfunden, weil es nicht real war für mich – ich kannte ja nur Österreich. Für mich waren wir schon immer hier.
Ich weiß aber zum Beispiel, dass meine Mutter irrsinnige Angst vor Wäldern hatte und mir nie gesagt hat, warum. Sie sagte nur Sachen wie: “Du weißt ja gar nicht, was ich alles erlebt habe.” So kann ich mir das irgendwie zusammenreimen. Aber ich habe auch nie wirklich nachgefragt, weil ich gemerkt habe, dass das ein Thema ist, worüber einfach nicht gern gesprochen wird, weil es einfach nicht schön war.
Erinnerungen an Asylheim in Timelkam: Zwischen Spielen auf dem Feld und Demütigungen im Speisesaal
Kontrast: Wie war die Ankunft in dem Asylheim in Timelkam aus deiner Perspektive als Kind? Gibt es da bestimmte Erinnerungen, die hervorstechen?
Ich habe sehr viele Erinnerungen an meine frühe Kindheit im Asylheim. Eigentlich war das eine Pension, die für Menschen auf der Flucht geöffnet wurde. Das war ein blaues, längliches Gebäude mit einem extrem langen Gang und Türen auf jeder Seite – wie in einer typischen Pension am Land. Wir hatten noch eine Wiese und ein kleines Feld, wo wir als Kinder gespielt haben. Mit vielen Kindern bin ich bis heute noch befreundet, weil das natürlich etwas ist, das einen verbindet.
Ich kann mich auch gut daran erinnern, als Kind immer so daneben gesessen zu sein, wenn die Erwachsenen miteinander geredet haben. Ich habe gemerkt, dass in ihrer Stimme eine starke Melancholie war, eine gewisse Trauer und Sehnsucht.
Die Geschichten über ihre Heimat wurden dann auch zu meiner Geschichte, meiner Heimat, obwohl ich selbst nie dort war und sie immer nur bruchstückartig mitbekommen habe.
Außerdem habe ich mitbekommen, dass die Betreiberin der Pension oft absichtlich Gerichte mit Schweinefleisch gekocht hat, obwohl die meisten dort kein Schweinefleisch essen. Das ging bei den Familien mit sehr viel Demütigung und Schamgefühl einher.
Heimat hat nichts mit Ländergrenzen zu tun
Kontrast: Dein Kabarettprogramm kam im April und heißt “Hoamatlond, Hoamatlond”. Was bedeutet dann Heimat für dich?
Es wird tatsächlich in meinem Programm aufgegriffen, dass Heimat für mich nicht mit Ländergrenzen verbunden ist. Heimat sind für mich Orte und Räume, die wir uns gegenseitig schaffen. Ich möchte zeigen, dass wir alle gar nicht so unterschiedlich sind.
Ich habe selbst viele unterschiedliche Perspektiven in meinem Leben und will sie auf die Bühne bringen. Vielleicht findet jemand ein paar Facetten von sich selbst darin wieder und merkt: Hey, irgendwie sind wir uns viel ähnlicher, als wir glauben. Nicht wegen unserer Unterschiede, sondern trotz unserer Unterschiede.
Kontrast: Wann und warum hast du dich überhaupt dazu entschieden, Kabarettist zu werden?
Viele Dinge, die ich in meinem Leben beruflich gemacht habe, haben mich dahin gebracht, wo ich jetzt bin. Von einer Poetry-Bühne auf eine musikalische Bühne, auf eine Kabarettbühne. Und dadurch, dass ich diese Erfahrung von unterschiedlichen Bühnen habe, weiß ich, dass ich mich auf der Kabarett-Bühne am wohlsten fühle und da bleiben möchte.
Ich wollte mich selbst nie zu einem großen Politikum machen, aber aus mir wurde immer eins gemacht. Also stand ich schon immer auf einer politischen Bühne, obwohl mich nie jemand gefragt hat, ob ich das will. Ich wurde rauf gezerrt. Und dann dachte ich mir, na gut, wenn ich in einen Raum komme, der sowieso politisch ist, dann kann man ja gleich Witze darüber machen.
Wenn man sieht, wie viel schief läuft, kann man gar nicht unpolitisch sein – auch auf der Bühne nicht
Kontrast: Ist für dich also Kabarett politisch?
Ich glaube, es ist immer dann politisch, wenn man ehrlich ist. Wenn man draufkommt, was schief läuft. Wenn man sich die Fragen stellt: Wo sind unsere Schwierigkeiten auf einer moralischen, einer politischen und einer gesellschaftlichen Ebene? Ich halte mich selbst gar nicht für so politisch. Ich habe nur das Gefühl, dass ich mit offenen Augen durch die Welt gehe, die Dinge sehe und benenne. Und die Dinge, die ich beobachte, sind halt selten unpolitisch.
Kontrast: Wie ist dein Bühnenname “Der Kuseng” zustande gekommen?
Der Name ist entstanden durch einen Brainstorming-Prozess, den ich mit Freund:innen hatte, weil es mir wichtig war, zwischen Bühnen-Ich und privatem Ich zu trennen. Auch, wenn man das nie vollständig voneinander trennen kann. Und irgendwie kam die Idee für den Namen da auf. Ich finde, dass Kabarett in Österreich eine eher hochkulturelle Institution ist, man ist sehr stolz darauf. Und ich fand es schön, mit diesem Bruch zu spielen. Den “Kuseng”, also den Cousin, vermutet man milieutechnisch nicht ganz auf dieser Bühne. Wenn ich da Irritation und einen Bruch erzeugen kann, dann gefällt mir das.
Kontrast: Gibt es ein Kabarett-Vorbild, mit dem du dir gerne eine Bühne teilen würdest?
Ich bin ein Fernsehkind der 90er-Jahre und vor allem mit deutschem Fernsehen groß geworden. Und da gibt es so einige, die ich richtig cool finde. Aber um vielleicht nur zwei herauszugreifen: Einerseits finde ich Hape Kerkeling extrem lustig und ich finde auch, dass er ein sehr angenehmer Mensch ist – zumindest von dem, was ich so mitbekomme. Ich mochte das recht gerne, dass er immer in so verschiedene Rollen geschlüpft ist. Das habe ich als Kind auch gemacht. Und die andere Person ist Anke Engelke, die kenne ich noch von der Wochenschau. Sie ist auch ein sehr lustiger Mensch.
Unterschiedliche Erfahrungen ermöglichen viele Perspektiven
Kontrast: In der FM4-Show “Auf Laut” hast du gesagt, dass du aufgrund mehrerer Diskriminierungsfaktoren mehr Perspektiven hast. Kannst du erklären, was das genau für dich bedeutet? Und baust du diese Perspektiven auch in deinem Programm ein?
Ich kann mich ja gar nicht davon trennen, weil sie mich ausmachen. Deswegen sind sie natürlich ein Teil des Kabaretts, das ich mache. Und damit wollte ich sagen, dass man durch unterschiedliche Erfahrungen auch unterschiedliche Blickwinkel hat. Wenn ich zum Beispiel arbeite und angestellt bin, habe ich einen anderen Blick auf die Welt, als wenn ich der Unternehmensführer oder die Unternehmensführerin bin. Es macht einen Unterschied, ob ich in einem reichen Haushalt groß geworden bin oder in einem ärmeren. Es macht einen Unterschied, welchen Bildungshintergrund ich habe. Und all diese Dinge führen dazu, dass ich entweder Privilegien habe oder benachteiligt bin in der Gesellschaft.
Ich möchte aber auch das Positive daran sehen. Das Positive ist, dass ich Blickwinkel habe, die anderen vielleicht verwehrt werden und dadurch entsteht auch sehr oft Witz. Ich finde, dass Humor immer dann entsteht, wenn man etwas beobachtet und merkt, dass es da einen Widerspruch gibt. Ich stolpere mit diesem Blick die ganze Zeit über Absurditäten, die für andere normal sind. Das kennt man ja auch davon, wenn man zum Beispiel in einem anderen Land ist, wo man noch nie war, wo man sich denkt: “Oh, die machen das so, das ist ja komisch”.
Kabarett als freundlichste und unterhaltsamste Art des Widerstands
Kontrast: Ist Humor denn wirksamer als ein politisches Statement?
Das glaube ich schon. Ich glaube, dass Kabarett die freundlichste und unterhaltsamste Form des Widerstands ist.
Ich glaube, dass das vielleicht auch eine Form der direkten Demokratie ist, weil so direkt abgestimmt wird. Du bekommst einen Lacher, du bekommst Applaus, du bekommst Schweigen. Du kannst, glaube ich, mit einer Pointe viel mehr erreichen als vielleicht mit einem ganzen Parteitag und vielen Reden. Ich glaube, Menschen vertrauen mir auch mehr als Politiker:innen. Ich will denen ja nichts verkaufen… außer meine Karten (lacht).
Aber ich mache das ja nicht, um mich zu bereichern in dem Sinne, sondern weil ich unterhalten will. Und wenn ich das dann sage, dann hat das eine ganz andere Gewichtung, als wenn jetzt eine Politikerin oder ein Politiker dasteht. Dort fragt man sich nämlich gleich: “Was will der von mir?”
@der_kuseng Irgendwie funktioniert Testosteron bei mir einfach nicht. Obwohl ich es seit über 3 Jahren nehme, hat es keine Wirkung! Was mach ich bitte falsch? #testo #testosteron #transmann #ftm #ftmtransgender ♬ Originalton – Der Kuseng
Eine Transition ist vor allem ein anstrengender, teurer und bürokratischer Prozess
Kontrast: Ich möchte einen kleinen Bogen spannen zu vorher, weil du über Sichtbarkeit und Identität gesprochen hast. Wo sind die größten Wissenslücken in der Gesellschaft, wenn es darum geht, trans zu sein?
Ich glaube, es gibt sehr viele Lücken – auf vielen Ebenen. Aber wenn es jetzt spezifisch um das Thema Transsein geht, gibt es die natürlich, weil die wenigsten Menschen in Österreich trans sind. Das ist so ein niedriger Prozentsatz, dass man vielleicht sagen könnte: “Ist ja wurscht, warum reden wir überhaupt darüber?” Aber ich finde, jeder Prozentsatz macht die 100 % aus. Dass jedes Prozent wichtig ist, weiß man ja auch in der Politik.
Es fehlen sicher oft Berührungspunkte mit trans Personen. Ich glaube, die meisten stellen sich das so vor: Man geht zum Amt und dann sagt man “Grüß Gott” oder “Mahlzeit” und: “Heute möchte ich ein Mann sein. Heute möchte ich eine Frau sein, heute möchte ich gar nicht sein.” Und die sagen dann: “Ja, Herzlichen Glückwunsch!” Ich glaube, jeder, der schon einmal mit der österreichischen Bürokratie in irgendeiner Weise in Kontakt gekommen ist, weiß, dass es so nicht läuft.
Und das ist etwas, was noch nicht mal die Identität betrifft. Aber bei trans Personen ist es so, dass du einen sehr langen Prozess durchläufst, bis es überhaupt so weit kommt. Du musst ein psychologisches Gutachten machen, du musst ein psychiatrisches Gutachten machen und du musst ein psychotherapeutisches Gutachten machen. All diese Dinge zahlst du natürlich privat, hast mehrere Sitzungen, wo jemand quasi versucht, herauszufinden, ob du wirklich bist, was du behauptest, zu sein. Das ist ein sehr schmerzhafter Prozess. Vor allem, weil es für die meisten Menschen – mich inkludiert – ein sehr langer Prozess war, sich das überhaupt selbst einzugestehen. Dann ist man schon so weit und sagt “Hey, das bin ich”. Aber dann muss man das noch rechtfertigen.
Ich glaube, dass die Gesellschaft an Dingen festhalten will, die leichter einordenbar sind. Aber das Leben ist facettenreicher, das weiß man ja von sich selbst.
Niemand möchte in irgendeine Schublade gepackt werden, obwohl man es bei anderen auch ständig macht. Ich habe die Bretter, aus denen die Schubladen gemacht sind, rausgerissen und daraus eine Bühne gemacht.
Starre Geschlechterrollen schaden Frauen und Männern gleichermaßen
Kontrast: Warum fühlen sich so viele Menschen angegriffen oder bedroht, wenn die Zweigeschlechtlichkeit aufgebrochen wird?
Das muss man auf einer größeren Ebene sehen. Man tut so, als würde es um Geschlecht gehen. Aber im Endeffekt geht es darum, wie wir unsere Gesellschaft aufgebaut haben, wie wir unser kapitalistisches System aufgebaut haben. Was es bedeutet, verwertbar zu sein, welche Rollen mit diesen Geschlechtern einhergehen. Das wirtschaftliche System sagt: Frauen sind fürsorglich, sind liebevoll, brav, leise, damit die schön daheimbleiben und sich um die Kinder und den Haushalt kümmern, damit der Staat damit wenig zu tun hat. Männern hingegen treibt man jegliches Menschsein oder Menschlichsein aus, um es zu rechtfertigen, dass die dann in den Krieg geschickt werden können, um andere Menschen zu töten. Dass es okay ist, ihre Familie nicht zu sehen, dass sie sich ins Burnout arbeiten. All diese Dinge. Weil du ein Mann bist und keine Gefühle hast, weil du so funktionierst.
Und ich glaube, trans Personen zeigen einfach, dass das nicht so sein muss und bringen damit etwas ins Wackeln. Wenn ich jetzt herkomme und sage: “Geschlecht ist etwas, das konstruiert ist”, dann bringe ich ja nicht nur das, sondern das ganze System ins Wanken. Und das macht natürlich denjenigen Angst, die vom System profitieren. Ich versuche, das mit meinem Programm näher zu bringen, aber auf eine humoristische Art und Weise.
@der_kuseng Menschen wie J.K Rowling, die es beklatschen, dass trans Personen weniger Rechte bekommen, beklatschen das Patriarchat. Weniger Aufmerksamkeit für uns, mehr für unser gemeinsames Ziel: Gleiche Rechte für alle! #patriarchat #trans #transmann #ftm #transition #jkrowling #transdude #transgender #lgbtiq #feminismus #feminist #queerfeminismus ♬ Originalton – Der Kuseng
Kontrast: Was sollen sich die Leute mitnehmen, wenn sie aus deinem Kabarett herausgehen?
Ich will den Menschen gar keine Aufgabe geben, weil ich finde, dass es schon Aufgabe genug war, dass sie ihr Ticket kaufen, hinkommen, zuhören, dableiben, lachen, klatschen. Aber grundsätzlich ist mein Ziel, dass die Menschen eine gute Zeit haben, dass niemand mit einem schlechten Gefühl rausgeht, dass wir uns einfach selber wiederfinden, uns denken: “Stimmt, so samma, total deppert.” Und dass man im ersten Moment vielleicht lacht und dann, wenn man nach Hause geht, darüber nachdenkt. Das ist das Schönste, was passieren kann.
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