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Arbeit & Freizeit

Löhne an der Armutsgrenze: Deshalb streiken Fahrradboten

Warnstreik (7.3.24), C: ÖGB/Roland de Roo

In Österreich arbeiten rund 4.500 Menschen als Fahrradbot:innen: Sie bringen das bestellte Essen bis vor die Tür und radeln bei jedem Wetter durch die Städte. Die Arbeitsbedingungen sind mitunter schlecht und der Lohn reicht kaum zum Leben. Trotzdem will die Arbeitgeberseite nicht einmal die Inflation abgelten. Deshalb gehen die Beschäftigten jetzt auf die Straße.

Rund 4.500 Fahrradbot:innen gibt es in Österreich. Die allermeisten sind männlich (84%) und im Schnitt 30 Jahre. Nur ein Drittel aller Boten hat die österreichische Staatsbürgerschaft, ein weiteres Drittel sind EU-Bürger:innen. Jedes Jahr legen sie bei Vollbeschäftigung rund 40.000 Kilometer zurück – das ist ein Mal um die ganze Welt. Laut Kollektivvertrag (KV) bekommen sie dafür 10 Euro brutto pro Stunde. Oder 1.730 Euro im Monat – bei Vollzeit. Da bleiben einem gerade einmal 1.430 Euro netto übrig. Die Armutsgefährdungsschwelle liegt aktuell bei knapp 1.400 Euro. Seit November letzten Jahres verhandeln Gewerkschaft mit den Arbeitgebern über eine Lohnerhöhung angesichts der hohen Inflation in Österreich.

 

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Die Gewerkschaft fordert eine Abgeltung der Inflation sowie einen „angemessenen Reallohnzuwachs“ – zumindest aber 2.000 Euro brutto. Außerdem soll es eine Zulage bei Extremwetter wie Frost, Sturm, Starkregen etc. geben. Das erste Angebot der Arbeitgeber belief sich jedoch lediglich auf 2,5 Prozent, doch auch jetzt haben sie es nur auf 5,8 Prozent erhöht. Deshalb gibt es jetzt Warnstreiks.

„Wenn wir hier von Lohnerhöhungen sprechen, dann reden wir von Beschäftigten in einer Niedriglohn-Branche, in der die Arbeitgeber den Beschäftigten bei 1.730 Euro brutto im Monat für 40 Stunden pro Woche keine Teuerungsabgeltung gönnen wollen. Das drückt natürlich auf die Motivation der Beschäftigten, die mit ihren Nettolöhnen derzeit knapp an der aktuellen Armutsgrenze liegen“, sagt Toni Pravdic, KV-Verhandlungsleiter in der Gewerkschaft vida.

Auch Fabian Warzilek sieht das so. Er ist Betriebsrat bei Lieferando und bei den Verhandlungen dabei. „Leistung bei jedem Wetter und hoher körperlicher Anstrengung sollte sich lohnen und darf nicht zu Armut und verzweifelten Lagen führen. Wie soll man nach zwei Jahren extremer Teuerung noch seine laufenden Rechnungen für Energie, Wohnen und Lebensmittel begleichen können, wenn man die Teuerung nicht abgegolten bekommt?“, fragt er.

Gefährliche Situationen auf der Straße und häufige Beleidigungen

Hinzu kommen Gefahren im Straßenverkehr und Beleidigungen im Arbeitsalltag. Laut einer Studie berichten 84 Prozent aller Radzusteller von gefährlichen Situationen im Straßenverkehr und rund jede zweite Person von erniedrigendem Verhalten und Beleidigungen. Sogar mit Drohungen sind ein Viertel der Befragten schon einmal konfrontiert worden – und ein Drittel der Zustellerinnen mit unerwünschten Annäherungsversuchen.

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Für höhere Löhne: Bereits am 7. März fanden Warnstreiks in Wien, Graz, Innsbruck und Klagenfurt bei Lieferando und Foodora statt. Eine Woche später folgten weitere Proteste, darunter auch in Linz und Salzburg. (Foto: ÖGB, Roland de Roo)

Scheinselbständigkeit als großes Problem

Neben den niedrigen Löhnen und widrigen Arbeitsbedingungen ist auch Scheinselbständigkeit ein großes Problem in der Branche, wie Arbeitsrechtsexperte Martin Gruber-Risak sagt. Rund die Hälfte arbeitet als freie Dienstnehmer:innen. Während Lieferando seine rund 1.000 Beschäftigten fix anstellt, sind es beim Foodora-Konzern nur fünf Prozent der 3.000 Fahrradbot:innen. Für sie gelten weder Mindestlohn, noch bezahlter Urlaub oder Weihnachtsgeld. Auch Krankengeld gibt es erst ab dem vierten Tag – und selbst dann nur die Hälfte der Bemessungsgrundlage. Für die Botendienste sind die Arbeitskräfte somit günstiger, weil sie sich Lohnnebenkosten sparen. Laut Chef-Verhandler Pravdic entsteht dadurch Lohndumping, das auch bei den KV-Verhandlungen spürbar ist.

„Die Gewerkschaft fordert daher die Bundesregierung auf, die notwendigen gesetzlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit freie Dienstnehmer:innen zukünftig bessere Arbeitsbedingungen (u.a. bessere Bezahlung, Entgeltfortzahlung bei Krankheit und Urlaub, keine unlimitierten Arbeitszeiten) vorfinden“, so der Gewerkschafter.

Dieses Problem gibt es auch in anderen Ländern. Deshalb arbeitet die EU an einer Richtlinie zur Eindämmung der Scheinselbstständigkeit bei sogenannter Plattformarbeit. Österreich hat sich dabei mehrmals zögerlich verhalten.

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