Gesellschaft

Hackeln statt Hetzen: Ein Tag am Viktor-Adler-Markt

Kürzlich sorgte die ÖVP wieder einmal mit ausländerfeindlichen Aussagen für Aufsehen. Diesmal war es ÖVP-Wien-Chef Karl Mahrer, der mit Videos am Brunnenmarkt in Ottakring und kurz darauf am Favoritner Viktor-Adler-Markt die Orte als „No-Go-Zonen“ darstellte und die Standler und BewohnerInnen rassistisch beschimpfte. Aber wie geht es dort wirklich zu? Sascha Obrecht, SPÖ-Bundesrat aus Favoriten, hat einen Tag am Viktor-Adler-Markt verbracht und mitgearbeitet. Neben harter Arbeit zeigte sich auch eines: Am Markt wird zusammengehalten, egal woher man kommt.

Es ist 4.20 Uhr, der Wecker läutet. Ich habe mir mit einigen Marktstandlern vom Viktor-Adler-Markt ausgemacht, dass ich sie bei ihrer Arbeit begleite. Und das heißt um 5 Uhr in der Leibnizgasse sein und den Bauernmarkt gemeinsam aufbauen.
Beim Ankommen wartet Hassan bereits auf mich. Er ist schon weit länger auf und war bereits um 1 Uhr am Großmarkt in Inzersdorf, um frische Ware einzukaufen.
Für mich geht’s jetzt los: zu sechst bauen wir die Verkaufstische auf, auf denen später das Gemüse und Obst verkauft wird. Hassan erzählt mir, dass er das jeden Tag mache. Seit mehreren Jahrzehnten. Er habe selbst auch einen Stand vor Ort. Das Geschäft sei schon mal besser gewesen, insbesondere unter der Woche spüre man, dass die Leute nicht mehr so kräftig einkaufen wie früher. Aber es gehe gut genug.

Noch vor Sonnenaufgang ist der Aufbau fertig

Die Tische werden aneinandergereiht. Ich bin am Anfang noch ein wenig ungeschickt, aber finde schnell rein – es muss nur wenig nachjustiert werden. Die Atmosphäre am Markt ist harmonisch, die Leute haben unterschiedliche Wurzeln, sprechen mitunter unterschiedliche Sprachen, arbeiten aber Seite an Seite. Gelegentlich kommt auch ein jüngerer Herr vorbei, der in der letzten Nacht wohl einen Schnaps zu viel hatte und sich im tiefsten Wienerisch begeistert vom Aufbau zeigt. Das gibt’s wohl öfter und wird locker bis belustigt aufgenommen.
Gegen 6 Uhr ist der Aufbau fertig, eine kurze Kaffeepause wird im Café Leibniz eingelegt. Das hat bereits früh geöffnet, und ist auf die tägliche Morgenkundschaft um die Uhrzeit gut eingestellt.
Nach dem Kaffee wird die Ware aus naheliegenden Lagern geholt und zu den Ständen geführt. Ich staple Kiste auf Kiste mit Melanzani, Kräuter, Paradeiser, Jungzwiebel. Und hoffe, dass mir das später nicht runterfällt. Aber alles gut, der Hubstapler spielt mit und die Ware wird nach dem Transport schön angerichtet. Der Bauernmarkt füllt sich mit allen Standlern und der Verkauf beginnt.

Mir erzählt die Standlerin Rosa (geänderter Name), dass sie die Arbeit sehr gerne mache und das schon seit gefühlt ewig. Und dass ethnische Konflikte hier am Markt kein Thema seien, wie man auch an ihr erkenne. Sie komme nämlich aus Österreich, aber ihr ist es egal, dass der Nachbar ägyptische oder türkische Wurzeln habe. Am Markt wird zusammengehalten.

Und wenn’s Rassismus gibt, dann wird der höchstens von außen reingetragen. Sie erzählt mir auch von Themen, die ihr am Markt Sorgen bereiten, insbesondere die Standvergabe. Dieses Thema nehme ich mit und bespreche ich am späteren Nachmittag noch mit dem Favoritner Bezirksvorsteher Marcus Franz – der das auch sofort aufgreift und eine Lösung bis August gemeinsam mit dem Marktamt erreicht. Ich besuche die Standlerin nochmals am folgenden Mittwoch, die Lösung passt gut.

Alltag am Markt: marktschreien, Müll trennen und alles blitzblank wegräumen

Aber zurück zum Verkauf: Nach einer Verschnaufpause für mich, finde ich mich wieder am Markt ein und beginne selbst zu verkaufen. Marktschreien will geübt sein. Meine ersten „Drei Bund Jungzwiebel für einen Euro!“ kommen noch ein wenig verschämt daher. Aber es wird besser. Die anderen Standler sind gut amüsiert. Einen Politiker marktschreien sehen, das kommt selbst am Bauernmarkt nicht jeden Tag vor. Auch Mitarbeiter vom Marktamt kommen vorbei und machen Fotos von mir und Hassan am Stand – das müssen sie festhalten.
Der anfallende Müll wird zwischendurch immer wieder zum nahegelegenen Mistplatz gebracht, inklusive Mülltrennung. Auch das gehört zum Marktleben dazu.
Die Witterung wird währenddessen immer schlechter, es beginnt zu regnen und wird ein wenig ungemütlich. Die großen Schirme schützen zwar vor dem stärksten Regen, dennoch zieht die Nässe ein. Insbesondere in die Finger, die durch die Nässe und den starken Wind langsam ein wenig taub werden und das Verkaufen schwieriger machen. Die schlichte Regenjacke anzuziehen, war nicht meine beste Idee. Es findet sich aber ein Standler, der mir eine Jacke borgt, die gerade nicht gebraucht wird. Ungefragt und wirklich nett. Als die Witterung noch schlechter wird, beginnt der Abbau. Schnell muss es gehen, setzt doch sogar ein kurzes Schneegestöber ein. Im März. Die Ware wird wieder verpackt, und in die nahegelegenen Lager zurückverstaut. Die Schirme werden abgebaut, durch die Windböen gar kein leichtes Unterfangen. Ein Standler sagt mir, dass so ein Schirm gut 800 Euro koste. Da wird also sorgsam umgegangen. Dennoch scheint es einen Riesenschirm von einem Nachbarstand erwischt zu haben. Ob das Geld dafür heute reingekommen ist, insbesondere bei dem Wetter, ist eher unwahrscheinlich.

Zum Abschluss werden die Tische wieder abgebaut. Und die Putzkolonne der MA48 fährt durch. Binnen kürzester Zeit ist die Leibnizgasse für Autos befahrbar und es wirkt so als wäre hier nichts gewesen. Gelernte Favoritnerinnen und Favoritner wissen es natürlich besser.

Marktstandler: macht den Job gerne – auch bei Kälte und Schnee

Ich werde zum Abschluss noch von einem weiteren Standler auf einen Kaffee eingeladen. Er besteht darauf, dass er mich einlädt, und wie sehr ich mich auch dagegen wehre, er will den Kaffee übernehmen. Ich lass mich erweichen und wir reden noch ein wenig über die Marktatmosphäre und warum er den Job gerne macht, auch wenn er sehr hart ist. Sogar im Winter bei Schnee stehe er hier und trotze der Kälte. Ich glaub’s ihm und bin dankbar: nicht nur für den Kaffee, sondern auch für die Einblicke in den Markt und die herzliche Aufnahme an dem Tag.

Und warum habe ich das überhaupt gemacht? Dieses Bild, dass sich der Chef der ÖVP Wien hinstellt, mit seinem manikürten Finger auf hart arbeitenden Standler am Brunnenmarkt zeigt und sie rassistisch beschimpft, hat mich nicht losgelassen. Das ist eine Gemeinheit und ich wollte die andere Geschichte erzählen: dass die Leute auf Wiens Märkten täglich wertvolle, harte Arbeit leisten und sich das sicher keine Hetze verdient – ganz im Gegenteil. Dass die ÖVP dasselbe jetzt auch noch in meinem Heimatbezirk Favoriten just in der Nähe des Viktor-Adler-Marktes gemacht hat, überrascht mich nicht. Sie machen es ja immer wieder, das hat System. Ich kann dazu nur sagen:

Bei all den Herausforderungen in einem Bezirk mit 220.000 BewohnerInnen ist Favoriten dennoch so viel mehr, als die ÖVP und die FPÖ bereit sind zu sehen. Und wenn man sich nur einen Tag für den Markt Zeit nehmen würde, könnte man das auch leicht erkennen.

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2 Kommentare
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Karin
Karin
4. April 2023 20:15

Ein richtg guter Markt der viktor Adler Markt in Wien und sehr gut beschrieben in diesem Bericht ! Das die Schwarzen sich wieder zu den Steigbügelhaltern der Nazis machen und auf unsere Kosten die gute Stimmung und den Zusammenhalt verderben wollen ist unerträglich und im 10ten total daneben.

saloo
saloo
Reply to  Karin
23. April 2023 21:06

de schlafwagen

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