Derzeit ist Europa das Epizentrum der COVID-19 Pandemie. Doch nach und nach beginnt sich das Virus auch im globalen Süden auszubreiten. Der Infektiologe Dr. Arjen Dondorp ist Leiter der Mahidol-Oxford Tropenmedizin Forschungsgruppe in Bangkok, Thailand. Er entwickelt die Richtlinien der WHO für die Behandlung von COVID-19 Patienten in armen Gebieten mit. Wenn derzeit Gesundheitssysteme in europäischen Ländern vom Kollaps bedroht sind, ist die Ausgangslage in vielen Ländern der Welt noch viel schlechter. Isabel Frey hat ihn telefonisch interviewt.
Kontrast: Nach und nach erreichen uns Nachrichten, dass das Coronavirus auch im globalen Süden angekommen ist. Was sind die Herausforderungen, wenn die Epidemie dort ausbricht?
Dondorp: Das Problem mit der COVID-19-Pandemie ist, dass viele Länder nicht genug Testkapazitäten haben. Es gibt zwar auch politische Gründe, dass die Infektionsfälle nicht allzu schnell veröffentlich werden, aber es ist in erster Linie ein Mangel an Testkapazitäten. Deshalb tappen wir in vielen Ländern im Dunkeln. Das ist der Fall in Subsahara-Afrika, aber auch in armen asiatischen Ländern wie Myanmar, Laos oder Bangladesch. Dort wissen wir nicht genau, ob das Virus schon ausgebrochen ist. Das merkt man es erst, wenn Menschen mit einer schweren Lungenentzündung ins Spital kommen – und da ist es schon zu spät.
Da kommt es nicht nur auf die intensivmedizinischen Kapazitäten an, sondern auch wie gut dass Gesundheitssystem prinzipiell aufgestellt ist. Das ist von Land zu Land sehr verschieden. Sri Lanka zum Beispiel ist ein Land mit mittlerem Einkommen im unteren Bereich, das aber ein sehr gut organisiertes Gesundheitssystem hat.
Kontrast: Wie sind derzeit die Kapazitäten der Intensivbetten in Entwicklungsländern?
Dondorp: Das ist auch sehr unterschiedlich. Es sind hauptsächlich die Länder mit mittlerem Einkommen, die Intensivstationen haben – wie Sri Lanka, Vietnam und Indien. Sie haben weniger Betten als die meisten westlichen Länder, allerdings sind es gar nicht so viel weniger. Sri Lanka hat zum Beispiel 2,5 Intensivbetten pro 100,000 Einwohner; Großbritannien hat 5,5. Generell sind die intensivmedizinischen Kapazitäten in Asien und in anderen Ländern mit mittlerem Einkommen in den letzten Jahrzehnten ziemlich gestiegen. Arme Länder, wie zum Beispiel Laos, hinken allerdings nach. Und Asien liegt noch vor Subsahara-Africa, wo es sehr wenig Kapazitäten gibt.
Ein anderer wichtiger Aspekt ist die Qualität dieser Intensivstationen, und prinzipiell ist da noch viel Verbesserungsbedarf. Generell ist die Sterblichkeit in diesen Intensivstationen zweimal so hoch wie in reichen Ländern. Dazu kommt, dass es in vielen Ländern mit einer aufsteigenden Mittelschicht einen großen Sektor mit privater Gesundheitsversorgung gibt. Öffentliche Spitäler haben dann keinen Anreiz, die Qualität ihrer Versorgung zu verbessern. Ich kenne das aus asiatischen Ländern, wo plötzlich überall extravagante Privatspitäler auftauchen, während die großen öffentlichen Spitäler mit ihren Kapazitäten deutlich nachhinken.
Kontrast: Was für Optionen haben Länder mit einem schlechten Gesundheitssystem, um auf einen COVID-19 Ausbruch zu reagieren?
Dondorp: Einerseits gibt es die öffentlichen Gesundheitsmaßnahmen, um die Epidemie einzudämmen und die Kurve abzuflachen – andererseits müssen sich die Gesundheitssysteme auf die Zunahme an schweren Fällen vorbereiten. Prinzipiell ist es gut, strikte Maßnahmen sehr früh einzuführen. Das gilt für alle Länder, egal ob arm oder reich. Wir wissen jetzt nämlich aus Erfahrung was passiert, wenn man das nicht macht.
Für die Spitäler wird es allerdings ein Desaster – und das wahrscheinlich mehr in armen als in reichen Ländern. Es mangelt zum Beispiel in vielen armen Ländern an Schutzausrüstung, um Gesundheitspersonal und Patienten vor einer Ansteckung zu schützen. Doch diesen Mangel gibt es momentan auch in reichen Ländern. Ein anderes Problem sind die Kapazitäten von Sauerstoff: im Westen kommt der Sauerstoff meistens mit einem Schlauch aus der Wand, aber in armen Ländern gibt es das nicht. Dort braucht es Sauerstoffzylinder oder Sauerstoffkonzentratoren, die den Sauerstoff aus der Luft holen. Ich hoffe sehr, dass es davon genug geben wird.
Auch Beatmungsgeräte gibt es viel weniger in ärmeren Ländern als in reicheren. Allerdings könnten sie viel weniger Nutzen haben, als wir zuerst dachten. Denn wenn Patientinnen und Patienten so krank werden, dass sie beatmet werden müssen, liegt die Sterblichkeit bei ungefähr 90%. Das bedeutet, dass man dann höchstwahrscheinlich sowieso stirbt. Also macht es relativ wenig Unterschied, wenn man in einem reichen Land an einem teuren Beatmungsgerät hängt.
Kontrast: Europa war schon lange nicht mehr das Epizentrum einer Pandemie. Ist die internationale Reaktion anders als bei anderen Pandemien, weil jetzt westliche Länder mehr betroffen sind?
Dondorp: Das ist eine derartig große Pandemie, dass momentan alle davon überfordert sind. Viele Länder dachten, es wäre ein chinesisches Problem, das nicht in den Westen überschwappen würde. Doch nun haben sie verstanden, dass auch sie stark getroffen werden können. Mir fällt auf, dass viele westliche Länder momentan nach innen gekehrt sind, weil sie sich um ihre eigenen Probleme kümmern müssen. Ich hoffe, dass arme Länder nicht vergessen werden, wenn die Pandemie dort ausbricht.
Kontrast: Wie könnten reiche Länder reagieren, wenn das Coronavirus in armen Ländern ausbricht?
Dondorp: Das ist momentan noch nicht klar definiert. Es braucht auf jeden Fall reichlich Schutzkleidung und Sauerstoff, doch das allein reicht nicht. Ausgangssperren können zum Beispiel arme Menschen härter treffen, denn viele sind von einem Tageslohn abhängig. Reiche Länder könnten da sicher helfen, aber eine schnelle Lösung zu finden, ist schwierig.
Kontrast: Wie hängen in armen Ländern Gesundheit und Wirtschaft zusammen?
Dondorp: Die Pandemie erzeugt eine weltweite Wirtschaftskrise, zumindest temporär. Aber sie zeigt auch die globalen Ungleichheiten auf, die einige Länder in solchen Fällen besonders hilflos macht.
Kontrast: Also kann es sein, dass die Pandemie die globale Ungleichheit noch vergrößert?
Dondorp: Ja, denn arme Länder werden noch stärker getroffen werden als reiche. Wohlhabende Länder wie Holland haben zum Beispiel große Fonds, um Einkommensverluste zu überbrücken. In armen Ländern ist so etwas nicht vorhanden und auch nicht realistisch.
Neben all den Todesfällen kommt es also auch zu wirtschaftlicher Not, die nicht kompensiert wird.
Ich habe große Sorge, dass die Pandemie viel zusätzlichen Schaden in armen Ländern verursachen wird.
Kontrast: Könnte es in armen Ländern besonders gefährlich werden, wenn ein Gesundheitssystem durch COVID-19 schon an den Grenzen ist und dann andere Krankheiten nicht mehr behandelt werden können?
Dondorp: Wir kennen das nicht aus dieser, aber aus anderen Pandemien, wie zum Beispiel bei Ebola. Vor vier Jahren sind in Westafrika 11.000 Menschen an Ebola gestorben. Während dieses Ausbruchs war das Gesundheitssystem nicht zugänglich für andere Krankheiten. Daher gab es im selben Zeitraum 50.000 zusätzliche Todesfälle durch Malaria. Es kann also zu einem großen Zusatzeffekt kommen, wenn ein Gesundheitssystem zusammenbricht. Auch hier trifft es die Ärmsten am meisten.
Kontrast: Einige Länder reagieren sehr egoistisch auf die Pandemie: Tschechien und Polen haben eine Lieferung an Schutzmasken konfisziert, die für Italien bestimmt war; die USA haben versucht ein Monopol auf einen Corona-Impfstoff zu kaufen. Andererseits schickt China Expertenteams nach Europa, um mit dem Ausbruch zu helfen. Was macht es momentan schwierig, internationale Solidarität zu organisieren?
Dondorp: Ich glaube nicht, dass man das pauschal sagen kann. In der Forschungsgemeinschaft, zum Beispiel, gibt es sehr wohl ein globales Zusammengehörigkeitsgefühl. Das ist sehr international und beruht auf gegenseitiger Unterstützung. Das mit dem Impfstoff ist typisch Trump, und hoffentlich eine Ausnahme. Ebenfalls hoffe ich, dass das Konfiszieren von Schutzausrüstung nicht öfters vorkommt. Es stimmt, das China momentan aktiv hilft. Ich habe auch in der Zeitung gelesen, dass Kuba Ärztinnen und Ärzte nach Italien geschickt hat. Es gibt also auch positive Beispiele von Solidarität.