2020 war ein turbulentes Jahr, auch für den ORF-Moderator Patrick Budgen. Allerdings nicht nur wegen Corona, sondern auch aufgrund der Krebs-Diagnose, die er Anfang Februar erhalten hat. Aus einem sportlichen Mitt-Dreißiger wird plötzlich ein Risikopatient. In seinem Buch „Einsiedlerkrebs“ zeichnet er dieses schwierige Jahr nach. Im Gespräch mit Kontrast erzählt Patrick Budgen, wie er mit der Diagnose umgegangen ist, was er an KrankenpflegerInnen bewundert und wie er trotz allem seinen Optimismus behalten hat.
Kontrast.at: Herr Budgen, Krebspatient werden mitten in einer Pandemie hört sich wie eine doppelte Katastrophe an. Plötzlich ist man doppelt verwundbar. Aber Sie beschreiben, dass gerade dieses Zusammenfallen von Pandemie und Ihrer Diagnose auch unerwartete Erleichterungen mit sich gebracht hat. Erzählen Sie uns das doch etwas näher!
Patrick Budgen: Mein Arzt, Dr. Johannes Kaufmann von der Klinik Favoriten, hat in meinem Buch den Epilog geschrieben und gemeint, es gibt keinen schlechteren Zeitpunkt, als am Beginn einer Pandemie Krebs zu bekommen. Da hat er wohl Recht. Denn von heute auf morgen bin ich zum Hochrisikopatienten geworden, mein Immunsystem war im Keller. Ich, als eigentlich gesunder Mensch, damals 36, musste wirklich Angst haben, an diesem Virus zu sterben. Das war also eine sehr ernste Sache. Aber es gab auch wirklich ein paar Vorteile – sozusagen. Denn die Regeln, die ab Ende Februar für alle galten, gab es für mich schon seit Anfang Februar, seit meiner Diagnose. Das heißt: Maske tragen, Abstand halten, Desinfektionsmittel verwenden und dergleichen. Ich hatte schon Masken bevor sie ausverkauft waren. Also insofern hat es sich fast so angefühlt, als würde sich die Welt mit mir solidarisieren – obwohl das natürlich nicht der Fall war. Darüber hinaus hat es sich so auch ergeben, dass ich nichts versäumt habe in der Zeit. Ich hätte sowieso niemanden sehen dürfen, hätte nirgends hin dürfen, keine Grillparty und kein After-Work-Drink, auch kein Familienessen. Das Gute war, es hat ohnehin nichts stattgefunden.
Und zugleich wurden Sie von einem Tag auf den anderen ein Risikopatient. Was passiert da in einem, wenn man so die Diagnose Krebs erhält?
Patrick Budgen: Ganz klar, man hat natürlich Angst. Vor einem Jahr haben wir ja alle auch noch nicht gewusst, was dieses Corona-Virus überhaupt bedeutet. Es war noch unklar: Wie gefährlich ist das? Wie leicht kann man sich anstecken? Wo bekommt man das überall? Am Anfang haben wir ja geglaubt, wir bekommen es, wenn wir eine Türschnalle anfassen und sind sofort krank. Und diese Sorgen bleiben, selbst wenn man das Gefühl hat, der am besten desinfizierte Mensch der Welt zu sein. Und obwohl wir Krebspatienten im Spital schon früh jede Woche getestet wurden. Die Ängste und Sorgen gingen so weit, dass ich mir sogar Gedanken gemacht habe, ob es überhaupt genug Medikamente gibt, zum Beispiel Zytostatika, die man für die Chemotherapie braucht. Am Anfang war die Rede davon, dass man nichts mehr importieren und exportieren kann. Damals habe ich mit meinem Arzt genau darüber geredet. Er hat gesagt: Momentan sind unsere Apotheken voll, aber man bekommt nichts zusätzlich. Und dass sich das hoffentlich in drei Monaten ändert. All das waren Ängste, mit denen man sich als Krebspatient auseinandergesetzt hat. Zu einer ‚normalen Zeit’ hätte man sich diese Fragen gar nicht stellen müssen.
Patrick Budgen: “Googlen habe ich mir von Anfang an verboten”
Was war eigentlich das erste, das Sie getan haben nach Ihrer Diagnose. Haben Sie da gegoogelt oder recherchiert, was genau Ihr Krebs – es war ja Lymphdrüsen-Krebs – in Ihrem Körper tut und dergleichen?
Patrick Budgen: Das Erste, was ich nach der Diagnose gemacht habe, war, die Frage zu stellen, ob ich sterben muss. Das kam wie aus der Pistole geschossen. Die erste Frage war: „Muss ich sterben?“ Und der Arzt sagte: „Nein, Sterben ist überhaupt kein Thema.“ Das war schon mal eine große Erleichterung. Auch wenn einem niemand versprechen kann, dass man wieder gesund wird. Das war eine neue Erfahrung. Normalerweise ist es so: Man geht als junger Mensch zum Arzt und man erfährt, was man hat und wie es wieder besser wird. Und plötzlich ist es so, dass man sagt: Man hofft das Beste, man ist optimistisch, aber man kann nichts versprechen.
Was das Recherchieren und Googlen angeht: Das habe ich mir von Anfang an selbst verboten. Denn ich habe gewusst, wenn ich da einmal anfange, dann schaue ich mir automatisch die schlechtesten Dinge an und sehe gar nicht, was es an guten, erfolgreichen Geschichten gibt.
Mein Arzt, Herr Dr. Kaufmann, war meine Informationsquelle. Der war auch immer sehr ehrlich. Er hat von Anfang an gesagt, was Sache ist und an seinen Informationen habe ich mich orientiert. Wenn er gesagt hat ‚so und so schaut es aus’, dann habe ich das so angenommen und dann nicht noch einmal im Internet nachgeschaut. Das habe ich alles erst im Nachhinein gemacht als die Therapie schon fast zu Ende war. Da hatte ich das Bedürfnis, mich auch mit anderen Betroffenen auszutauschen. Auf diese Weise habe ich neue Freunde gefunden. Tolle Menschen, die ich sonst nicht kennengelernt hätte.
Manche gut gemeinte Nachrichten klangen wie Kondolenzschreiben
Wie wirkt sich denn eine Krebserkrankung – mit all ihren Folgeerscheinungen – auf das eigene Umfeld, also auf die Beziehungen aus?
Patrick Budgen: Ich habe von Betroffenen gelesen und gehört, dass sich während der Krebserkrankung viele Leute abgewandt haben. Dass sich Beziehungen auseinanderentwickelt haben, weil Freunde auch überfordert waren mit der Situation. Denn ja, es ist schwer, richtig zu reagieren. Ich kann mich erinnern, als ich die ersten Nachrichten bekommen habe, kurz nach der Diagnose. „Ich wünsch dir ganz viel Kraft auf diesem schweren Weg“ und dergleichen. Das war sicher gut gemeint, aber es hat sich fast angefühlt wie ein Kondolenzschreiben. So, als wäre ich schon gestorben. Ich hatte auch Angst, dass sich Menschen abwenden, aber genau das Gegenteil war der Fall. Meine Familie, meine Freunde – wir sind alle noch enger zusammengerückt, soweit das ging in dieser Pandemie. Ich habe sie natürlich alle wochenlang nicht gesehen. Aber wir haben dann Geburtstags-Zoom-Meetings abgehalten und via Skype und Webcam regelmäßig gemeinsam zu Abend gegessen. Es war schön, zu sehen, wie viele Menschen da sind und sich um einen sorgen. Auch später als ich wieder im Büro war und erklärt habe, warum ich so lange im Krankenstand war. Auch da hat es mich berührt, als mir Kolleginnen und Kollegen erzählt haben, welche Sorgen sie sich gemacht haben.
Weil Sie sagen, es ist schwer als Freund oder Freundin richtig zu reagieren. Was kann man sagen oder schreiben, wenn man erfährt, dass jemand eine Krebsdiagnose bekommen hat? Was kann man sagen, wenn man Mut machen möchte?
Patrick Budgen: Es ist natürlich schwer. Ich habe da auch keine pauschal richtige Antwort darauf. Ich bekomme jetzt, seit mein Buch draußen ist, viele Mails und Anfragen von Leuten, die das Buch jemandem schenken wollen, der Krebs hat oder Krebs hatte. Die wollen oft eine Widmung und ich schreibe da jetzt immer hinein: „Ich wünsche Ihnen alles Gute auf dem Weg zum wieder Gesundwerden.“ Und ich finde, das ist ein schöner Satz, denn der hat das Ziel vor Augen, dass man wieder gesund wird. Ich halte auch nichts von der Formulierung „Kampf gegen Krebs“, weil ich finde, man kämpft nicht gegen seinen eigenen Körper, sondern man schaut, dass man wieder gesund wird. Aber ja, es ist wahrscheinlich für jeden anders.
“Mit 36 habe ich mich plötzlich gefühlt als wäre ich 100”
Ihr Buch ist ja als Tagebuch verfasst. Beim Lesen hat man den Eindruck, dass Sie in Summe sehr optimistisch waren. Gab es dennoch Momente, in denen der Optimismus nachgelassen hat?
Patrick Budgen: Ja, das war vor allem am Beginn. Die ersten paar Wochen war es schlimm.
Denn selbst wenn die Ärzte sagen, die Chance, wieder gesund zu werden, liegt zwischen 80 und 95 Prozent oder 99 Prozent – dann denkt man doch: Was wenn ich zu dem einen Prozent oder diesen fünf Prozent gehöre, die es nicht schaffen?
Und dann war auch diese Angst vor der Chemotherapie. Das ist auch so ein Wort, das im Spital niemand in den Mund nimmt, weil jeder weiß, was das auslöst in einem. Ich kann mich erinnern, gerade die erste Runde Chemotherapie war hart. Ich habe mir das davor so naiv vorgestellt: Dass man eine Infusion bekommt und dann einfach wieder heimgeht. Aber in Wirklichkeit sind das um die 20 Infusionen in drei Tagen, die man hineingepumpt bekommt. Man muss auch im Spital bleiben in dieser Zeit. Und als ich da nach den ersten drei Tagen nach Hause gekommen bin, da hatte ich eine Müdigkeit in mir, eine Erschöpfung, die ich noch nie zuvor erlebt habe. Ich habe mich mit 36 plötzlich so gefühlt als wäre ich 100. Da habe ich mich schon gefragt: Wie soll ich das schaffen? Wie soll sich das ausgehen, wenn das jetzt immer schlimmer wird? Wenn jetzt von Mal zu Mal mein Körper schwächer wird?
Was mir geholfen hat, war, dass meine ÄrztInnen und die Krankenpflegerinnen und -pfleger im Spital, wie eine Ersatzfamilie für mich waren. Mich durfte ja niemand besuchen, es galt strenges Besuchsverbot im Krankenhaus. Diese Leute haben mich dann immer aufgemuntert und gesagt: „Schau, du wirst sehen, jetzt bist du schon einen Schritt näher zum Gesundwerden“. Und dann, irgendwann nach der zweiten Runde Chemotherapie, habe ich eine Computertomographie gemacht und gesehen: Die Tortur hat sich ausgezahlt. Das war für mich der Wendepunkt. Ab da war ich wieder im „Ich schaffe das“-Modus. Ich bin generell ein positiver Mensch und ab da ist mein Optimismus wieder zurückgekehrt.
Idealismus und Einsatz der Pflegerinnen und Pfleger: “So viel Liebe zu Menschen, das haut einen um!”
Was ist Ihr Eindruck, wie ging es den Ärztinnen und Ärzten, den Pflegerinnen und Pflegern im letzten Jahr bei Ihrer Arbeit?
Patrick Budgen: Es gab viel Ungewissheit natürlich. Die haben natürlich auch nicht gewusst, was auf sie zukommt. Was mir aufgefallen ist, war, dass am Beginn der Pandemie plötzlich die Onkologie halb leer war. Dann habe ich mal gefragt, warum. Der Grund war: Die Leute hatten Angst vor dem Virus und haben deshalb ihre Chemotherapien abgesagt. Das hat mich schockiert.
Und über das Personal muss man sagen: Es ist unfassbar, was die leisten. Wenn ich daran denke, dass die PflegerInnen oft nur zu zweit Nachtdienst haben auf einer Station. Die schauen, dass es allen gut geht, müssen immer erreichbar sein, auch für die Ärzte und Ärztinnen. Ein Wahnsinn.
Auch in der Infrastruktur gibt es Verbesserungsbedarf. Wenn ich sehe, dass es noch 6-Bett-Zimmer gibt, sich 18 Krebs-PatientInnen zwei Klos und ein Badezimmer teilen und es keinen eigenen Raum gibt, in dem man sich verabschieden kann, dann ist das untragbar eigentlich. Das darf es 2021 in Österreich und Wien eigentlich nicht mehr geben.
Sie schreiben im Buch auch an einer Stelle, dass es ein Wahnsinn ist, wie wenig die Pflegekräfte verdienen. Da läuft offenbar einiges schief…
Patick Budgen: Ja, ich habe darüber auch lange mit einer Pflegerin gesprochen. Ich habe sie auch gefragt, warum man diesen Beruf wählt. Denn die Onkologie ist ja eine schwierige Umgebung, weil man mit so viel Leid und auch Tod konfrontiert ist. Man sieht junge Leute, alte Leute, denen es wirklich schlecht geht. Und ich habe dann gefragt: „Warum machst du das eigentlich? Warum tut man sich das an?“ Und sie hat dann gesagt: „Man hat nirgendwo in der Pflege so einen intensiven Kontakt zum Patienten wie auf der Onkologie.“ Und sie hat auch gesagt: „Man lernt extrem viel von den Menschen dort, weil das einfach in den meisten Fällen Menschen sind, die einfach schon einmal dem Tod ein bisschen ins Auge geschaut haben und ein bisschen reflektieren über ihr Leben und nachdenken.“ Und deshalb würde sie nie woanders arbeiten wollen. So viel Idealismus und so viel Liebe zu Menschen, das haut einen um. Trotz der Arbeitsbedingungen und der Bezahlung. Hut ab, wirklich.
Ich finde, man kann Pflegekräfte gar nicht genug bezahlen für das, was sie leisten. Ich glaube, das kann jeder bestätigen, der einmal im Spital war und der auf die Hilfe und Pflege dort angewiesen ist.
Nach dem Krebs: “Man wird kompromissloser”
Wie haben Sie sich durch die Therapie und auch die Isolation verändert?
Patrick Budgen: Ich bin viel gelassener geworden, ruhiger geworden. Aber auch direkter. Jetzt sage ich gleich, wenn mich etwas stört, aber auch, wenn ich jemandem ein Kompliment machen will. Und ich tu Dinge nicht mehr, die ich nicht tun will. Man wird einfach ein bisschen kompromissloser. Weil man weiß, dass man nicht ewig Zeit hat und dass es irgendwann vorbei sein kann.
Als Ihre Therapie zu Ende war, im Juli 2020, war es ja so, dass die Corona-Infektionen niedrig waren. Manche haben wohl gehofft, dass die Pandemie vorbei ist. Stattdessen kam die zweite Welle im Herbst. Und jetzt gerade manövrieren wir uns in Österreich durch die dritte Welle. Für Sie hat sich viel verändert, weil der Krebs weg ist. Sie arbeiten wieder, Corona hat munter weiter gewütet. Wie gehen Sie mit all dem um?
Patrick Budgen: Ich glaube, ich bin relativ gelassen. Ich bin natürlich vorsichtig und halte mich an alle Schutzmaßnahmen. Aber wenn man mal Hochrisikopatient war, dann ist man etwas gelassener. Weil sozusagen alle Maßnahmen, die es gibt, für einen selbst schon mal viel strenger waren. Ich habe mittlerweile auch schon die erste Impfung als Hochrisikopatient. Und ja, wie soll ich sagen, ich sehe die ganze Situation auch mit dem Isoliert-sein, diesem Lockdown und Zuhause-sein so: Mich kann das nicht mehr schrecken. Denn so viel wie ich zu Hause war, waren wenige zu Hause. Und jetzt freue ich mich einfach, dass ich in die Arbeit gehen kann. Ich freue mich, dass ich einen Job habe und dass ich ab und zu im Büro bin und moderieren kann.
Wie geht es Ihnen, als Risikopatient, mit diesen ganzen Leugnern oder Verharmlosern auf ihren Aufmärschen?
Patrick Budgen: Nun ja, klar ist freie Meinungsäußerung wichtig. Aber dass nach einem Jahr Pandemie Leute noch immer sagen, das sei alles bloß wie eine Grippe… nach all den Bildern von Intensivstationen, nach allen Berichten von ÄrztInnen und PflegerInnen, da weiß ich wirklich nicht, was man dazu noch sagen soll. Ich kann das nicht nachvollziehen, wie man so etwas behaupten kann.
Gibt es etwas, dass Sie sich fix vorgenommen haben für den Zeitpunkt, ab dem die Pandemie vorüber ist – bzw. ab dem es wieder mehr Sicherheit gibt?
Patrick Budgen: Ja, ich möchte mit Freunden vier Wochen nach Neuseeland reisen. Das würde ich gern machen, einfach wieder mehr reisen. Und ich freue mich auf ein richtig gutes Wiener Schnitzel in einem Gasthaus! (lacht)
Ich wünsche ihm von ganzen Herzen, dass alles gut wird