Pflegerinnen und Pflegern macht ihr Beruf zu schaffen. Der Pflegeberuf bedeutet lange Arbeitstage, zerstückelte Dienste und zu niedriges Gehalt. Vor einem Jahr wurden sie als Heldinnen und Helden der Krise beklatscht. Doch an der Belastung hat das nichts geändert. Nach dem ersten Corona-Jahr sind viele am Limit: Die Hälfte der Pflegekräfte denkt nun an einen Jobwechsel. Das würde den Mangel, den es schon jetzt gibt, verschärfen.
Vor einem Jahr fand sich ganz Österreich an Fenstern, auf Balkonen und an Haustüren zusammen und beklatschten die Pflegekräfte für ihren Einsatz in der Corona-Pandemie. So wollte man Danke sagen. Mittlerweile ist das Klatschen verhallt – und an Arbeitsbedingungen oder Gehältern hat sich nichts geändert. “Ich kann nicht mit einem ‚Danke‘ zur Vermieterin gehen und meine Miete bezahlen. Das Danke ist schön, aber wenn es das einzige ist, was ich krieg, ist es wertlos“, erzählt Steffi, diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin im Gespräch mit dem Verein “Solidarität”.
Jede zweite Fachkraft denkt darüber nach, den Pflegeberuf aufzugeben
Die Diplomkrankenpflegerin Alexandra Gferer und die Soziologin Natali Gferer haben nun für eine Studie mit über 2.400 Pflegekräften in Krankenhäusern gesprochen. Themen waren die Arbeitsbedingungen und das Belastungsniveau während der Corona-Pandemie. Von den Befragten gaben 86 Prozent an, dass sich die Arbeitssituation stark oder sogar sehr stark verschlechtert hat.
2 von 3 Pfleger:innen haben schon einmal oder sogar öfters daran gedacht, in einen anderen Beruf zu wechseln. Fast die Hälfte der Befragten denkt regelmäßig darüber nach. Rechnet man das auf alle Pfleger:innen hoch, wären das mehr als 27.700 Fachkräfte, die den Pflegeberuf aufgeben würden.
85 Prozent sind psychisch belastet, leiden an Stress, Angstzuständen und Schlaflosigkeit. Körperlich macht sich die Überlastung mit Erschöpfung oder sogar Schmerzen bemerkbar.
Am schlimmsten empfinden die Pflegerinnen und Pfleger das Arbeitspensum (81 Prozent), gefolgt vom organisatorische Mehraufwand (59 Prozent), dem stundenlangen Tragen der Schutzausrüstung (57 Prozent), Personalmangel (55 Prozent) und der unklaren Perspektive im weiteren Verlauf der Pandemie (53 Prozent).
Arbeitsbedingungen im Pflegeberuf: lange Arbeitstage, wenig Personal
Egal, ob in Pflegeheimen, auf Krankenstationen oder in den mobilen Diensten: Pflegerinnen und Pfleger leiden unter zu langen Arbeitstagen. In Heimen und Krankenhäusern ist das Personal knapp, während der Corona-Pandemie kommt es erst recht zu Ausfällen. Irgendwer muss immer in Quarantäne – und eine Kollegin einspringen.
In der mobilen Pflege sind die Brach-Stunden zwischen hektischen Stoßzeiten das Problem. Klienten wollen Verbandswechsel, Medikamente oder Essen zu bestimmten Zeiten. An Nachmittagen gibt es dann ein oder zwei Stunden ohne Termin, an denen man aber nicht nach Hause fahren kann. Kurz vor dem Abend muss man dann nochmal zu Klienten. Wer Kinder hat, entscheidet sich deshalb oft für einen Teilzeit-Vertrag.
Die Mehrstunden und fehlende Vereinbarkeit von Beruf und Familie sind Gründe, warum in der Pflege viele unzufrieden und überarbeitet sind. Fast jede/r dritte Befragte einer Gewerkschafts-Studie gibt an, stark belastet zu sein.
Seit langem fordern die Pflege-Beschäftigten daher eine 35-Stunden-Woche. Das würde die Arbeitsbelastung besser verteilen und auch den Teilzeit-Kräften ein höheres Einkommen verschaffen. Eva Scherz war Chefverhandlerin für den Kollektivvertrag in der Sozialwirtschaft und hat sich für die Arbeitsverkürzung eingesetzt:
„Unsere Branche ist anders als andere Branchen in Österreich. 70 Prozent unserer Beschäftigten arbeiten Teilzeit. Außerdem sind über 70 Prozent Frauen. Die Forderung nach der 35-Stunden-Woche kommt von den Beschäftigten in den Betrieben und von den Betriebsrätinnen und Betriebsräten. Wir glauben, dass es dringend notwendig ist, die KollegInnen zu entlasten, die Vollzeit arbeiten. Sie leisten emotionale Schwerstarbeit. Andererseits würde eine Arbeitszeitverkürzung für Teilzeitbeschäftigte eine kräftige Lohn- und Gehaltserhöhung von 8,6 Prozent bedeuten.“
Öffentliche Hand hält Gehälter niedrig
Der Pflegeberuf – ob diplomiert oder als Assistenz – ist ein krisensicherer Beruf, der mit viel Verantwortung verbunden ist. Immerhin hängt davon das Wohlergehen von fast 250.000 Menschen (Stand 2019) in mobiler und stationärer Pflege ab. Die Gehälter sind im Verhältnis dazu niedrig angesetzt.
Das sehen auch die Befragten in der Studie so. Die niedrigen Gehälter sind der stärkste Grund, an einen Jobwechsel zu denken:
Zwischen 27.000 und 29.000 Euro brutto verdient eine diplomierte Pflegekraft bei Berufseinstieg, nach zehn Jahren sind es im Schnitt 30.000 Euro. Im Assistenzbereich startet man mit 25.000 Euro brutto, nach zehn Jahren sind es etwa 27.000 Euro im Jahr. Ökonomin Katharina Mader ist überzeugt, dass sich die Leistung in diesem Beruf nicht am Gehaltszettel widerspiegelt, weil Pflege eine Frauenbranche ist:
„Die Pflege- und Sozialarbeit ist schlechter bewertet, wie fast alle Arbeiten, die aus der Haus- und Familienarbeit abgeleitet sind – und in der viele Frauen arbeiten. Aber eine Pflegerin, die mehrmals am Tag einen 80 Kilo schweren Mann hebt, hat eine ähnlich schwere Arbeit wie Männer in der Schwerindustrie. Frauen müssen sich nicht an den Hochofen stellen, um besser zu verdienen. Man muss einfach Frauenarbeit besser bewerten.“
Corona-Bonus ändert nichts an Gesamtsituation
Am 8. Juni wurde im Gesundheitsausschuss des Parlaments ein einmaliger Corona-Bonus für Ärzt:innen und Pfleger:innen beschlossen. Aber nicht alle erhalten die 500 Euro als Anerkennung für ihre Leistungen während der Pandemie. Pflegekräfte in Krankenhäusern mit privatem Träger erhalten keine Entschädigung, obwohl sie meist schlechtere Kollektivverträge haben als ihre KollegInnen im öffentlichen Dienst. Auch Pfleger:innen in der Behindertenarbeit oder der mobilen Pflege gehen leer aus.