In Bosnien-Herzegowina stehen im Herbst Wahlen an. Die Nationalisten Milorad Dodik und Dragan Čovićs wenden sich immer weiter vom Gesamtstaat Bosnien ab. In dieser angespannten Atmosphäre zwischen den drei Volksgruppen floriert Korruption – die Bevölkerung und die Wirtschaft leiden. Drei EU-Abgeordnete besuchten das Land, um mit Vertreter:innen aus Politik und Zivilgesellschaft einen möglichen EU-Beitrittskandidaten-Status für Bosnien zu diskutieren und Lösungen für die verfahrene Situation zu finden.
„Wir haben nicht viele Freunde auf der Welt. Diese drei Abgeordneten sind aufrichtige Freunde von Bosnien-Herzegowina, sie haben mehr für dieses Land gearbeitet als viele Beamten der Institutionen Bosniens, und sie haben es in Brüssel getan“, so eröffnete Sasa Magazinovic, der Fraktionschef der Sozialdemokraten im bosnischen Parlament (SDP) seine Pressekonferenz. Er zeigt dabei auf Andreas Schieder (SPÖ, Österreich), Dietmar Köster (SPD, Deutschland) und Thijs Reuten (Partei der Arbeit, Niederlande). Die drei EU-Abgeordneten waren nach Sarajevo gereist, um sich ein Bild der Lage im Land vor den Wahlen im Herbst zu machen.
Jedes Jahr verlassen 40.000 Menschen Bosnien
„Unser gemeinsames Ziel ist es, den Menschen in Bosnien und Herzegowina die Botschaft zu überbringen, dass wir die europäische Zukunft von Bosnien-Herzegowina und damit den raschen Beitrittskandidatenstatus des Landes unterstützen. Doch um auf diesem Weg voranzukommen, müssen das Land und seine Verantwortlichen bestimmte Kriterien erfüllen, zum Beispiel die 14 Schlüsselprioritäten der EU-Kommission. Oberste Priorität in der Zusammenarbeit muss zudem die Frage der sozialen Gerechtigkeit haben“, erklärt Schieder die Reise mit seinen Kollegen, bei der sie neben Politiker:innen verschiedener Parteien und der Bürgermeisterin von Sarajevo, auch Vertreter:innen der Zivilgesellschaft, die sich gegen Korruption und für ein neues Wahlrecht einsetzen, treffen. Schließlich betreffen auch Teile der 14 Schlüsselprioritäten Maßnahmen gegen die grassierende Korruption im Land.
Die Macht im Staat ist durch ein unglaublich kompliziertes Konstrukt aus zwei Teilrepubliken, ein dreigeteiltes Präsidentenamt und unzähligen Kantonalregierungen mit weitgehenden Kompetenzen aufgeteilt. In diesem Klima gedeiht die Korruption. Jobs im öffentlichen Dienst, Genehmigungen für die Gründung von Unternehmen und öffentliche Mittel werden fast ausschließlich an Günstlinge einer der drei ethno-nationalistischen Parteien vergeben. Das lähmt die Wirtschaft: Die Arbeitslosigkeit beträgt 15 %. Die Durchschnittsgehälter liegen bei unter 500 Euro im Monat und werden durch die wachsende Inflation von über 10 % aufgefressen. Aufgrund der verfahrenen Situation verlassen jedes Jahr rund 40.000 Bosnier:innen das 3-Millionen-Einwohner-Land.
„Wir tragen die Multikulturalität in uns.“
Magazinovic und seine Partei wollen mit der ethno-nationalistischen Politik Schluss machen. Er sieht sich als Brückenbauer: Selbst gehört er der serbischen Volksgruppe an, hat seinen Parlamentssitz aber über das mehrheitlich muslimische Sarajevo erhalten. Seine Partei, eine der wenigen multiethnischen, schaffte es als einzige in beiden Landesteilen, der Republika Srpska und der Föderation Bosnien und Herzegowina, Mandate zu erzielen. Erst im letzten Jahr schaffte es die SDP mit Benjamina Karic den Bürgermeister-Sessel von der konservativ-bosniakischen SDA zurückzuerobern. Mit Karic hat Sarajevo zum ersten Mal eine Bürgermeisterin, die sich nicht zu einer der drei Volksgruppen Bosniens bekennt.
Die Wahl der erst 31-jährigen Bürgermeisterin, die am ersten Tag ihrer Amtszeit anordnen ließ, die teuren Dienstwägen ihres Vorgängers zu verkaufen, zeigt, dass es in Bosnien möglich ist, auch Wahlen ohne nationalistisches Getöse zu gewinnen. Karic machte klar:
„Wir tragen die Multikulturalität in uns.“ Teilungen erkennt sie weder an, noch unterstütze sie diese: „Meine Mission ist, dass wir uns vereinen.“
„Die EU muss nun Dodik zur Rückkehr an den Verhandlungstisch bewegen!“
Doch damit das gelingt, braucht es auch die Mithilfe der EU, die entschlossener gegen die Abspaltungstendenzen des serbischen Nationalisten Milorad Dodik vorgehen sollte, wie Schieder kritisierte.
„Wir dürfen nicht weiter von der Ferne zusehen, und müssen Bosnien-Herzegowina ins Zentrum unserer Westbalkan-Politik rücken. Milorad Dodiks Provokationen, seine Ankündigungen, die staatlichen Institutionen zu verlassen und eine eigene Armee zu gründen, stehen in klarem Widerspruch zur Verfassung Bosnien und Herzegowinas und zu internationalen Vereinbarungen wie dem Dayton-Abkommen, die den Frieden in Bosnien seit über 20 Jahren garantieren“, so Schieder.
Er bemängelt die bisherige Untätigkeit der EU-Kommission und des EU-Erweiterungskommissars Várhelyi als ein Beispiel für die sehr enttäuschende EU-Westbalkanpolitik der letzten Jahre und fordert: „Die EU muss nun Dodik zur Rückkehr an den Verhandlungstisch bewegen!”
Die Elite will, dass es bleibt wie es ist
Milorad Dodik, der serbische Vertreter im dreiköpfigen Staatspräsidium, hatte zuvor offen mit Abspaltungsideen der Republika Srpska (serbische Republik) vom Gesamtstaat gespielt. Er kündigte an, den Teilstaat aus wichtigen gesamtbosnischen Institutionen in den Bereichen der Verteidigung, Justiz und Steuern zurückzuziehen. Das wäre ein massiver Schritt in Richtung Teilung des Landes. Mittlerweile ist Dodik wieder etwas zurückgerudert. Ein in Bosnien bekanntes Spiel: Nationalisten heizen die Stimmung auf, um von der wirtschaftlich katastrophalen Situation und der massiven Korruption, an der sie verdienen, abzulenken.
„In Wahrheit haben die Nationalisten ein Interesse daran, den Status Quo beizubehalten. Ihre Macht ist einzementiert. Sie vergeben Jobs, wie sie wollen und manipulieren die Wahlen. Bei einer Teilung des Landes könnte Dodik niemanden für seine katastrophale Wirtschaftsbilanz mehr verantwortlich machen. Darum ist ihr überwiegendes Interesse, dass es einfach so bleibt wie es ist“, erklärt ein Kenner der bosnischen Politik.
EU-Beitritt als Hoffnung
Darum ist es umso wichtiger, dass der EU-Beitritt als Perspektive für Bosnien erhalten bleibt. Durch den Beitrittsprozess können Reformen umgesetzt werden, gegen die sich die politische Elite oftmals wehrt. Doch das kleine Land am Balkan kommt hier nicht voran und auch das liege an der derzeitigen politischen Elite, erzählt man Kontrast.
„Jeder Schritt Richtung EU, jeder Fortschritt bei Rechtsstaatlichkeit und unabhängigen Gerichten, ist ein Schritt für Teile der Elite in Richtung Gefängnis. Wenn man die Abgeordneten fragt, sagen alle, sie seien für einen Beitritt in die EU. Doch die Handlungen beweisen oft das Gegenteil.“
Die Wahlen im Herbst bergen die Chance, das zu ändern. „Auch wenn es viel Wahlbetrug gibt, wenn die Beteiligung hoch genug ist und die Wahlbeobachtung funktioniert, kann es einen Machtwechsel geben“, erklärt der österreichisch-bosnische Politikberater Ahmed Husagic.