Jede dritte Frau in Österreich erleidet im Laufe ihres Lebens körperliche oder sexualisierte Gewalt. Der neue Nationale Aktionsplan gegen Gewalt an Frauen 2025–2029 soll das ändern. Er fasst erstmals sämtliche Vorhaben der Bundesregierung als Gesamtstrategie zusammen und legt fest, wie Schutz, Prävention und Unterstützung in den kommenden Jahren verbessert werden sollen. Kontrast hat den Plan zusammengefasst.
Fachexpert:innen haben über 100 Vorhaben im Nationalen Aktionsplan erarbeitet
Der Nationale Aktionsplan umfasst nahezu alle Lebensbereiche. Er soll Gewalt verhindern, Betroffene besser schützen und die Zusammenarbeit staatlicher Stellen stärken. Gewalt ist ein strukturelles Problem, das Staat, Gesellschaft und Einrichtungen nur gemeinsam lösen können. In acht Arbeitsgruppen haben mehr als 250 Expert:innen aus Ministerien, Ländern, Beratungsstellen, der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft über 100 Maßnahmen ausgearbeitet. Mit diesem Ansatz will die Regierung sicherstellen, dass sie das Ziel, Frauen zu schützen, bis 2029 erreichen kann.
„Der Nationale Aktionsplan ist der Start eines langfristigen, feministischen Schulterschlusses für ein Österreich ohne Gewalt an Frauen. Keine Regierung darf ruhen, solange Frauen Gewalt erleben“, sagt SPÖ-Frauenministerin Eva-Maria Holzleitner.
Die Grundlage für den Plan ist die Istanbul-Konvention, die Österreich im Jahr 2011 unterzeichnet hat. Sie verpflichtet die Staaten zu einem gemeinsamen und gut abgestimmten Vorgehen gegen Gewalt. Der neue Plan legt dabei mehr Gewicht auf langfristige strukturelle Veränderungen – etwa in den Bereichen Bildung, Justiz, Gesundheit, Arbeitswelt und Integration.
Gewaltschutz, Gleichstellung und Risiken von Cybergewalt finden Eingang in Österreichs Lehrpläne
Ein Schwerpunkt liegt auf der Prävention im Kindes- und Jugendalter. Themen wie Gewaltschutz, Gleichstellung und digitale Risiken – etwa Cybergewalt, Grooming (gezielte Kontaktaufnahme Erwachsener mit Minderjährigen in Missbrauchsabsicht) oder Sexting (das Versenden sexuell eindeutiger Nachrichten, Fotos oder Videos per Handy) – sollen fest im Lehrplan verankert werden. Jugendliche sollen dabei ein bewussteres Verständnis für die Folgen gewaltvoller Pornografie entwickeln und sich intensiv mit dem Thema Konsens in sexuellen Beziehungen auseinandersetzen.
Außerdem sollen Schulen verbindliche Kinderschutzkonzepte umsetzen und die gendersensible Arbeit mit Buben und Männern weiter ausbauen.

Schutzkonzepte für Frauen in Gastro, Handel und Pflege
Frauen erleben Gewalt häufig auch am Arbeitsplatz – sei es durch Belästigung, Übergriffe oder Mobbing. Der Aktionsplan sieht daher Schutzkonzepte für besonders gefährdete Bereiche vor: Gastronomie, Handel, Pflege, öffentlicher Verkehr und technische Berufe. Die Arbeitsinspektion soll diese Branchen gezielt kontrollieren.
Im öffentlichen Dienst sind verpflichtende Informationen zur Gewaltprävention vorgesehen. Auch Zivil- und Grundwehrdiener sollen künftig verpflichtend zum Umgang mit Machtmissbrauch und sexueller Belästigung geschult werden und sich mit dem Thema Konsens in sexuellen Beziehungen auseinandersetzen.
Sexualstrafrecht: „Nur ja heißt ja“-Prinzip könnte kommen
Im Bereich Justiz sind umfangreiche Reformen geplant. Dazu gehört eine mögliche Verschärfung des Sexualstrafrechts. Unter anderem wird geprüft, ob sexuell motivierte Bildaufnahmen ohne Zustimmung klarer strafbar werden müssen und ob der Tatbestand der sexuellen Belästigung überarbeitet werden soll.
Die SPÖ setzt sich auch dafür ein, das Prinzip „Nur ja heißt ja“ im Sexualstrafrecht zu verankern – und zwar schon 2026. Welche Auswirkungen das hätte, erklärt SPÖ-Justizministerin Anna Sporrer hier im Kontrast-Interview.
Die Regierung plant, die Gewaltambulanzen weiter auszubauen. Diese Einrichtungen dokumentieren Verletzungen gerichtsfest und leisten damit einen zentralen Beitrag zur Beweissicherung in Strafverfahren. Auch die technische Ausstattung von Polizei und Gerichten für Videovernehmungen wurde bereits verbessert und soll künftig weiter optimiert werden. Frauen, die von Gewalt betroffen sind, sollen außerdem schneller Zugang zu eigenen Wohnungen erhalten.
Darüber hinaus sollen Gerichte, Staatsanwaltschaften und Pflegschaftsbehörden enger zusammenarbeiten – besonders dann, wenn Kinder betroffen sind. Auch wird geprüft, die Definition von „häuslicher Gewalt“ klarer zu fassen. Betretungsverbote für Sexualstraftäter sollen ausgeweitet werden, etwa auf Schwimmbäder und Fitnessstudios. Für Hochrisiko-Gewalttäter sieht die Regierung vor, dass sie nach der Verhängung eines Betretungsverbots künftig auch Fußfesseln oder Armbänder tragen müssen.
Regierung will Deepfake-Pornographie in Österreich verbieten
Auch Online-Gewalt nimmt zu: Stalking, Deepfakes, Hasspostings oder die Verbreitung intimer Inhalte ohne Zustimmung treffen vor allem Frauen. Entsprechend bekommt digitale Gewalt im Aktionsplan deutlich mehr Gewicht.
Geplant sind strengere Regeln für Onlineplattformen, erweiterte Befugnisse für Ermittlungen und eine Überarbeitung bestehender Straftatbestände, etwa im Zusammenhang mit Deepfake-Pornos. Journalist:innen sollen zudem neue Leitlinien erhalten, die eine verantwortungsvolle Berichterstattung unterstützen. Eine Studie zur medialen Darstellung geschlechtsspezifischer Gewalt – einschließlich jener durch Influencer:innen – ist in Vorbereitung.
Auch für Beratungsstellen sind zusätzliche Schulungen vorgesehen, damit Formen digitaler Gewalt schneller erkannt und verlässlich dokumentiert werden können.
Nationaler Aktionsplan sieht Ausbau von Traumaversorgung vor
Spitäler, Ärzt:innen und Pflegepersonal sind häufig die Ersten, die Anzeichen von Gewalt bemerken. Der Aktionsplan sieht vor, einheitliche Standards für Screening und Dokumentation einzuführen. Außerdem sollen die Traumaversorgung und psychosoziale Unterstützung ausgebaut werden. Zusätzlich wird geprüft, ob rund um Gesundheitseinrichtungen eigene Schutzzonen eingerichtet werden können. Warum diese etwa rund um Abtreibungskliniken wichtig sind, erklärt Gynäkologin Mirijam Hall im Kontrast-Interview.
Ein zentrales Projekt ist ein bundesweites Register, das Gewaltfälle im Gesundheitsbereich erfasst und auswertet. Dadurch sollen Entwicklungen sichtbar und Präventionsmaßnahmen gezielter geplant werden.
Mehr Aufmerksamkeit für besonders gefährdete Gruppen
Der Aktionsplan betont, dass Gewalt nicht alle Frauen gleich trifft. Frauen mit Behinderungen, ältere Frauen und Migrantinnen sollen gezielt unterstützt werden.
Geplant sind barrierefreie Beratungsangebote, neue Studien zu Gewalterfahrungen und verstärkte Schulungen von Behörden im Umgang mit traumatisierten oder besonders verletzlichen Betroffenen. Auch Maßnahmen gegen weibliche Genitalverstümmelung (FGM/C) werden ausgebaut – darunter ein Schutzbrief nach deutschem Vorbild. Diese Broschüre dient zur Aufklärung strafrechtlicher Konsequenzen bei Mädchenbeschneidungen.
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