Migration & Asyl

Verfassungsgerichtshof: AsylwerberInnen sollen arbeiten dürfen – Kocher will aber rigide Praxis beibehalten

Seit Wochen klagen Betriebe öffentlich darüber, keine Arbeitskräfte zu finden. Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) will die Schrauben bei den Arbeitslosen anziehen. Gleichzeitig schließt er 20.000 Menschen vom Arbeitsmarkt aus. Denn Menschen, die auf eine Entscheidung in ihrem Asylverfahren warten, dürfen weder einer Lehre noch einem geregelten Beruf nachgehen. So sind sie oft jahrelang in Schwarzarbeit, Untätigkeit und Armut gefangen. Der Verfassungsgerichtshof kippte am Mittwoch zwei entscheidende Erlässe, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erschwert haben – sie stammten aus den Federn von ÖVP und FPÖ. Aber: Kocher will die diskriminierende Praxis beibehalten.

Tiroler Spenglerei kämpft für ihren Wunsch-Lehrling

Es war eine monatelange Anstrengung, ein Gang bis zur obersten Instanz im Land. Eine Spenglerei in Tirol will 2019 einen Asylwerber aus Pakistan als Lehrling ausbilden. Er ist ein kompetenter junger Mann, findet das Unternehmen. Doch in seinem Fall muss das AMS entscheiden, ob er eine Lehrstelle antreten darf. Und das stellt keine Arbeitsbewilligung aus und beruft sich auf zwei Erlässe aus 2004 und 2018. Diese hatten den Arbeitsmarktzugang für Asylwerber erschwert.

Asylwerber arbeiten: Handwerker erklärt einem Lehrling Säge-Arbeiten

Erlässe von ÖVP- und FPÖ-Ministerien haben Arbeitsmarktzugang für Asylwerber erschwert.

Doch das Unternehmen beschreitet den Instanzenzug bis zum Verfassungsgerichtshof – und bekommt Recht. Der Verfassungsgerichtshof hat die Erlässe als gesetzeswidrig aufgehoben. Das bedeutet einen Paradigmenwechsel.

AsylwerberInnen dürfen in Zukunft wieder eine Lehre beginnen und auch andere Jobs als Saison- und Erntearbeit annehmen. Das bedeutet nicht nur eine bessere Integration, sondern auch eine Entlastung des Sozialsystems.

AsylwerberInnen und Arbeiten: Keine Lehre, keine regulären Stellen

Seit Jahren wird Asylsuchenden der Zugang zum Arbeitsmarkt versperrt. 2004 bestimmte Arbeitsminister Martin Bartenstein (ÖVP) per Erlass, dass AsylwerberInnen keiner normalen beruflichen Tätigkeit nachgehen dürfen. Die einzige Möglichkeit, sich selbst zu erhalten, waren Saisonbeschäftigung, Prostitution und Erntearbeit – allesamt schlecht bezahlte, wenig angesehene Branchen mit harten Arbeitsbedingungen. Daneben gab es noch die Option auf gemeinnützige Beschäftigungen in Gemeinde oder Land, die allerdings nur mit einem Anerkennungsbeitrag von 3 bis 5 Euro die Stunde entlohnt werden dürfen. Durch das Bartenstein-Regime blieb den arbeitswilligen Zugezogenen oft nur Schwarzarbeit oder Bezug von staatlicher Unterstützung, um über die Runden zu kommen.

Unter der schwarz-blauen Kurz I-Regierung legte Arbeitsministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) 2018 eine Schippe nach. De facto hebelte ihr Erlass den Zugang zur Lehre für AsylwerberInnen aus, der zuvor schon nur bis 25 Jahre und in Mangelberufen genehmigt war. Geflüchtete, die davor bereits in einem Lehrberuf waren, durften die Lehre zwar abschließen. Doch ihnen droht nach Abschluss nach wie vor die Abschiebung.

Verfassungsgerichtshof kippt Erlässe

Wenn das AMS gegen ein Ansuchen für eine Lehrstelle oder einen Arbeitsplatz für Geflüchtete entscheidet, so geschah das aufgrund dieser beider Erlässe, erklärt die Anwältin der klagenden Spenglerei, Michaela Krömer. So auch im Fall ihrer Mandanten. Das wollte der Betrieb nicht so stehen lassen und klagte bis zum Verfassungsgerichtshof, um den Lehrling beschäftigten zu können. „Das Unternehmen ist davon überzeugt, dass der Asylwerber eine kompetente Arbeitskraft ist“, sagt Krömer. Man wolle nicht auf das Recht verzichten, kompetente Personen einstellen zu dürfen.

Asylwerber arbeiten: Foto von Mitgliedern des Verfassungsgerichtshofes in ihren Roben

Die Richterinnen und Richter des Verfassungsgerichtshofes kippten die Erlässe. ©VfGH:Doris Kucera

Der Verfassungsgerichtshof gab ihr Recht und hat die beiden Erlässe als gesetzeswidrig aufgehoben. Denn Die Erlässe haben nicht, wie eigentlich vorgesehen, die Wirkung von internen Verwaltungsvorschriften, die die Einhaltung von bestehenden Gesetzen garantieren. Sondern: Sie zwangen AMS-Beiräte, die über die Beschäftigungsbewilligung unzähliger Asylsuchender entschieden, zur Ablehnung. Eine so weitgehende Anordnung hätte per Verordnung im Gesetzblatt kundgemacht werden müssen.

Zugang zum Arbeitsmarkt für AsylwerberInnen als Chance

Im Fall des Tiroler Spengler-Lehrlings in spe muss nun neu entschieden werden. Der Entscheid des Verfassungsgerichtshofs lässt Betriebe und Asylwerbende aufatmen. Diese können nun wie andere Drittstaatsangehörige drei Monate nach Asylantrags-Stellung eine Beschäftigungsbewilligung erhalten, wenn sich keine österreichischen oder EU-BürgerInnen bewerben.

Die Asylkoordination Österreich betont seit Jahren, dass der Zugang zum Arbeitsmarkt während des Asylverfahrens eine Chance darstellen würde. Darüber hinaus sind aber auch Maßnahmen zur beruflichen Integration wie Kurse, die Anpassung mitgebrachter Qualifikationen an den österreichischen Arbeitsmarkt, betriebliche Praktika, Sprachkurse etc. notwendig.

Doch: ÖVP-Kocher will an rigider Praxis nichts ändern

Wie lang die Freude über die Aufhebung anhält, bleibt vorerst offen. Denn der Entscheid des Verfassungsgerichtshofs bezieht sich auf Formalia, nicht auf den Inhalt das Gesetzes. ÖVP-Arbeitsminister Martin Kocher könnte ähnlich lautende Bestimmungen per Verordnung in Kraft treten lassen. Auf Anfrage der APA heißt es aus seinem Ressort, man wolle die Lage prüfen. Man hält aber fest: „Ziel des Arbeitsministeriums ist es, dass die bestehende Praxis im Vollzug weiterhin sichergestellt werden kann.“ Heißt übersetzt: Kocher will den Arbeitsmarkt weiterhin versperren. Kocher betonte bereits öfter, dass er Asylberechtigten den Vorzug geben wolle.

Den gesetzlichen Rahmen gibt eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 2015 vor. Sie besagt, dass AsylwerberInnen einen „effektiven Zugang“ zum Arbeitsmarkt erhalten müssen, wenn neun Monate nach Antragstellung kein Bescheid erfolgt ist. Diese Vorgabe hat Österreich bisher nicht umgesetzt, urteilte das Bundesverwaltungsgericht 2020.

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