Medien & Kritik

Medienwissenschaftler Hausjell: Es geht der Regierung darum, den ORF zu schwächen

In der österreichischen Medienlandschaft liegt einiges im Argen, sagt der Medienwissenschaftler der Universität Wien, Fritz Hausjell. Wir haben wesentlich höhere Ausgaben bei Regierungsinseraten als jemals zuvor und als andere Länder, die Abhängigkeit der Medien von der Regierung wachse immer weiter. Gleichzeitig setzt die Medienministerin Raab (ÖVP) den ORF mit Sparforderungen unter Druck und will ihn offenbar schwächen. Obendrein hat die Regierung die Wiener Zeitung eingestellt – in einem Land mit viel zu wenigen Tageszeitungen. 

Herr Hausjell, Sie sind Präsident von Reporter ohne Grenzen (RSF) in Österreich. Österreich ist in der letzten Erhebung zur Pressefreiheit von Platz 17 auf Platz 31 abgerutscht (von 180 Ländern). Haben wir in Österreich ein Problem mit der Pressefreiheit?

Ja, ganz offensichtlich haben wir ein Problem mit der Pressefreiheit, sonst würde dieses Ranking nicht zu diesem Ergebnis kommen. Das Ergebnis bezieht sich auf die Ereignisse des Jahres 2021. Und da sind wirklich viele Dinge passiert. Wir hatten zum ersten Mal im Verlauf der Zweiten Republik eine Hausdurchsuchung im Bundeskanzleramt – und zwar im Zusammenhang mit Medien- und Inseratenkorruption. Das ist etwas, was in demokratischen Ländern wirklich rar und höchst selten ist.

Konkret geht es bei den Ermittlungen um Korruption zwischen Ministerien und dem Bundeskanzleramt auf der einen Seite und einem großen Boulevardblatt und einem Meinungsforschungsinstitut auf der anderen Seite. Der Vorwurf lautet, dass öffentliche Mittel eingesetzt worden sind, um das Publikum mit gefälschten Meinungsumfragen zu betrügen – zum Zwecke der ÖVP. Das sind schon schwerwiegende Vorwürfe. Die Beschuldigten sind noch nicht angeklagt und es gilt die Unschuldsvermutung. Aber trotzdem sind die Vorwürfe so gravierend gewesen, dass der Bundeskanzler Sebastian Kurz nicht haltbar war und zurückgetreten ist.

Reporter ohne Grenzen-Präsident Hausjell: Österreich hat ein Problem mit der Pressefreiheit. (c) Zerbes

Die Steuerung des Journalismus über Regierungsinserate ist sehr wirkungsvoll

Ist dieser Fall von Kurz und der Zeitung „Österreich“ schon alles oder hat die Pressefreiheit in Österreich noch andere Probleme?

Es gibt viele strukturelle Probleme. Eines davon ist der Einsatz von völlig überbordenden öffentlichen Mitteln für Regierungsinserate. Diese Inserate werden nicht nach vorgegebenen Kriterien vergeben. Wissenschaftliche Auswertungen des Medienhauses Wien haben gezeigt, dass hier offensichtlich nach Gutdünken in einzelnen Medien inseriert wird – meist nach Gutdünken im Zusammenhang mit der Art und Weise der Berichterstattung.

Die Boulevard-Tageszeitung Österreich kommt bei den Regierungsinseraten etwa auf 8 Euro pro erreichter Person, der Standard auf 2,30 Euro und der Falter auf gar nichts. Da stellt sich sofort die Frage: Woran liegt das?

Die Steuerung des Journalismus über Regierungsinserate ist sehr wirkungsvoll.

Wenn Regierungsinserate willkürlich vergeben werden, ohne nachvollziehbare Ziele und Mediapläne – dann hat das keine Konsequenzen und es wird auch weiterhin keine Konsequenzen haben. Es gibt auch keine Obergrenzen bei Inseraten aus öffentlichen Geldern.

Das heißt, man sollte eine Grenze einführen wie bei den Wahlkampfkosten. Da gibt es eine Obergrenze von sieben Millionen Euro, die man maximal ausgeben darf. Also könnte man auch sagen, eine Regierung darf im Jahr maximal 10 Millionen für Regierungsinserate ausgeben? 

Ja, ich habe als Grenze konkret 0,1 Promille des Budgets vorgeschlagen. Das sind ungefähr 10 Millionen Euro im Jahr, das wäre ungefähr die Dimension. Derzeit werden zwischen 50 und 60 Millionen im Jahr für Regierungsinserate ausgegeben, das erschließt sich mir nicht. Es steht in einem krassen Missverhältnis zur Medien- und Journalismusförderung. Inserate werden so zu einem sehr starken Steuerungsinstrument gegenüber dem Journalismus. Wenn die Politik Journalismus fördern will, dann sind die Regierungsinserate das schlechteste Mittel. Dafür gibt es die Medienförderung, die nach klaren Kriterien vergeben wird und wo es auch einen Rechtsanspruch gibt.

Medienwissenschaftler Fritz Hausjell im Kontrast-Interview: Es braucht gesetzliche Obergrenzen bei Inseraten aus öffentlichen Geldern. (c) Zerbes

Die Haupteinnahmequelle der Zeitungen waren immer die Inserate privater Unternehmen

Versuchen wir einmal zu klären, worin eigentlich die Bedeutung von diesen Inseraten für die Medien liegt: Zeitungen und Zeitschriften haben eine bestimmte Zahl an Abonnent:innen und zahlenden Kund:innen. Die werden bei den meisten Medien Jahr für Jahr weniger. Dann gibt es die staatliche Medienförderung und die Inserate von öffentlicher Hand und von privater Hand. Können Sie dieses Verhältnis beschreiben? Viele stellen sich wahrscheinlich vor, dass die Haupteinnahmequelle von Zeitungen aus den verkauften Zeitungen stammt …

Die Haupteinnahmequelle der Zeitungen waren immer die Inserate privater Unternehmen, auch für Zeitungen mit sehr hoher Auflage. Und diese Inserate sind erheblich zurückgegangen, weil heute die digitalen Giganten wie Facebook oder Google einen großen Teil der Werbeeinnahmen bekommen, die früher an Zeitungen geflossen sind. Wenn Sie heute ein österreichisches Nachrichtenmagazin durchblättern, dann haben Sie dort zumeist nur mehr drei, vier, maximal fünf Seiten bezahlte Inserate. Davon kann ein Magazin einfach nicht leben.

Weil ihre Einnahmen im Bereich der Inserate so massiv zurückgegangen sind, haben die Zeitungen ihre Verkaufspreise stark erhöht: Seit der Einführung des Euro im Schnitt um 100 bis 250 %. Aber da ist man schnell an der Schmerzgrenze angelangt. Und dann hat die Politik begonnen ihre öffentlichen Inserate stark zu forcieren.

Wir haben aktuell wesentlich höhere Ausgaben im Bereich der Regierungsinserate als jemals zuvor und gleichzeitig eine wesentlich schlechtere Einnahmesituation bei den Medien. Dadurch entsteht eine Abhängigkeit zwischen Medien und Regierung. Und das drängt förmlich danach, diesen Bereich gut zu regulieren. Nur sind wir davon medienpolitisch weit entfernt.

In Österreich gibt es sehr wenige Tageszeitungen, nämlich 14. Und nur 9 davon erscheinen österreichweit. Die Schweiz hat zum Beispiel 40 Tageszeitungen, Schweden sogar über 90. Beide Länder sind ähnlich groß wie Österreich. Warum haben wir so eine starke Konzentration am Zeitungsmarkt? 

Weil in Österreich die medienpolitischen Maßnahmen gegen den Konzentrationsprozess einfach viel zu spät gestartet worden sind. Schweden hat zum Beispiel ein sehr überzeugendes System. Dort wird immer die zweit- und die drittstärkste Regionalzeitung stärker staatlich unterstützt, bis dann eine von denen die stärkste Zeitung wird, dann bekommt sie wieder weniger. Das stützt den Wettbewerb bei den Regionalzeitungen und hält ihn am Leben. In Österreich fehlt so eine vorausschauende Medienförderung völlig.

Hausjell: Österreich hat wenige Tageszeitungen und eine starke Medienkonzentration. Das tut der Demokratie nicht gut. (c) Zerbes

Die Regierung will die „Wiener Zeitung“, die älteste noch erscheinende Tageszeitung der Welt, künftig nur mehr online erscheinen lassen. Sie steht zu 100 Prozent im Besitz der Republik. Dann gibt es nur mehr 13 Tageszeitungen. Sie engagieren sich für den Erhalt der Wiener Zeitung. Was steht mit der Wiener Zeitung auf dem Spiel? 

Die Regierung will die Druckausgabe der Wiener Zeitung einstellen. Sie soll künftig nur noch zehnmal im Jahr gedruckt erscheinen, sonst nur Online. Die Wiener Zeitung funktioniert deswegen relativ schlecht beim Publikum, weil sie kein Budget für Marketing hat. In einer Welt voller Werbung muss man schon ein irrsinniges Wunderding sein, um ganz ohne Marketing zu funktionieren. Das schaffen selbst die großartigen Journalist:innen der Wiener Zeitung nicht. Und die ganze Branche sagt, die Wiener Zeitung ist ein Top-Qualitätsprodukt.

Für 20.000 Leute ist die Wiener Zeitung ein wichtiges tägliches Medium – diesen Menschen nimmt man ihre Zeitung. In einem Land, wo es ohnehin schon wenig Auswahl am Zeitungsmarkt gibt.

Aber sie ist auch für das journalistische System relevant. In jeder Redaktion des Landes wird geschaut, was die Wiener Zeitung schreibt, weil sie auch als Konkurrenz wahrgenommen wird.

Ich schlage vor, die Wiener Zeitung in eine öffentlich-rechtliche Stiftung überzuführen und zu einer Art Versuchslabor für die Branche zu machen – mit einer systematischen Begleitforschung. Die Wiener Zeitung könnte etwa grundlegende Medienkompetenz vermitteln und eine systematische Kritik der anderen Medien und der Inszenierung der Politik leisten. Sie könnte zeigen, wie Journalismus funktioniert und woher die Inhalte in den sozialen Medien kommen. Jeder Schüler und jede Schülerin zwischen 15 und 19 könnte jeden Tag die Wiener Zeitung kostenlos erhalten und nach freier Wahl eine zweite Zeitung zum Wechseln und Vergleichen.

Zur Person: Fritz Hausjell
Hausjell ist Medienwissenschaftler und Medienhistoriker. Er ist stellvertretender Institutsvorstand des Instituts für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Mediengeschichte, Journalismusforschung, Medien- und Kommunikationspolitik, öffentlich-rechtliche Medien und Medienkompetenz. Hausjell ist seit April 2022 Präsident von Reporter ohne Grenzen (RSF) Österreich.

Der Regierung geht es offenbar darum, den ORF zu schwächen

Aktuell beschäftigt uns medienpolitisch auch der ORF. Medienministerin Raab sagt, der ORF ist zu teuer. Der ORF hat sich jetzt auch einen Sparkurs verordnet. Ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Österreich zu teuer?

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Österreich ist ganz sicher nicht zu teuer! Wenn man populistisch fragt: Wollt ihr einen billigeren ORF? Dann lautet die Antwort darauf: “Ja, her damit!” Das ist absehbar. Aber es ist eigentlich verantwortungslos, weil wir in einer Zeit leben, wo wir mit Gratismedien im Internet verwöhnt werden und der Eindruck entstanden ist, dass es eigentlich auch sonst alle Medien gratis geben müsste. Ich weiß zwar nicht, wie die sich ihr Geschäft finanzieren, aber Hauptsache es ist für mich gratis.

Der öffentlich rechtliche Rundfunk ist in einem Kleinstaat wie Österreich sehr viel schwieriger zu finanzieren als zum Beispiel in Deutschland oder in Frankreich. Journalismus kostet in Österreich genauso viel wie in Deutschland, auch wenn dort 10 Mal mehr Menschen leben.

Damit der ORF die Leistungen erbringen kann, die er laut Auftrag erbringen muss, muss er sich zu einem Viertel aus Werbung finanzieren. Das stört viele zu Recht.

Wenn die Medienministerin sagt: “Das muss noch um vieles billiger gehen“, dann geht es offensichtlich darum, den ORF zu schmälern und zu schwächen.

Das ist eine sehr klassische Form. Ich mache Druck über die Finanzierung und wünsche mir dann etwas auf der inhaltlichen und personellen Ebene. Warum allerdings der Generaldirektor sich darauf einlässt, dass er jetzt bis 2026 über 300 Millionen Euro einsparen will, verstehe ich nicht. Und warum niemand aus dem ORF, auch nicht aus der zweiten oder dritten Reihe, hergeht und sagt: “Das ist ein Irrsinn! Ihr ruiniert den öffentlich rechtlichen Rundfunk.” Das verstehe ich nicht.

Hausjell: Der Regierung geht es offenbar darum, den ORF zu schwächen. (c) Zerbes

Der ORF hat in den letzten 20 Jahren nur Personal abgebaut. Er ist jetzt zum ersten Mal in der Situation, dass er allmählich wieder junges Personal aufnehmen kann – aufgrund der vielen Pensionierungen. Und er hat das bitter nötig. Welches Programm im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gemacht wird, hängt natürlich auch damit zusammen, wie jung die Macher:innen sind. Wenn man über zu lange Zeit kein neues Personal aufnehmen kann, unterminiert man damit einen Sender. Mit jungen Leuten ist in der Geschichte des ORF immer auch Innovation gekommen. Und die Innovation im ORF tut sich ohnehin schwer, weil er im digitalen Bereich mit angezogener Handbremse unterwegs sein muss.

Weil der ORF per Gesetz keine Inhalte für soziale Medien oder fürs Internet produzieren darf? Und diese 7-Tage-Beschränkung hat, weil alle Inhalte in der TV-Thek und Radiothek nur sieben Tage abrufbar sein dürfen?

Das sind die Dinge, die wir kennen, weil sie uns im Alltag auch behindern. Wenn ich ein Zeitungsabo habe und aus dem Urlaub zurückkomme, kann ich die Zeitungen nachlesen. Im ORF kann ich mir aber die wichtigsten Dinge nicht nachsehen, weil sie nach sieben Tagen gelöscht werden müssen. Kein Zeitungsverlag käme auf die Idee, nach einer Woche die Zeitungsexemplare wieder einzusammeln.

Aber es gibt noch viel, viel mehr Einschränkungen. Der ORF darf zum Beispiel pro Bundesland nur 80 Meldungen pro Woche machen. In den Redaktionen der Landesstudios plant man am Mittwoch bereits, was man alles nicht macht, damit man am Wochenende noch Platz hat, wenn etwas Wichtiges passiert.

Das war ein Zugeständnis an die privaten Regionalmedien, oder?

Das war ein klares Zugeständnis an die regionalen Medien, die sich entwickeln wollten im digitalen Bereich. Keine einzige Bundesländer-Zeitung hat irgendeine Beschränkung. Die können Geschichten raushauen so viel sie wollen. Der ORF nicht. Er darf im Social Bereich nur sehr beschränkt aktiv mitmachen. Wer Lust hat, sich die ganzen Verbote anzuschauen, die sind im ORF-Gesetz aufgelistet, Paragraf 4f. Das ist eine lange Liste.

Eine neue Regelung des digitalen Bereichs für den ORF müsste die Verpflichtung enthalten, dass sich der ORF eigenständig darum kümmern muss, digitale Formate zu entwickeln, mit denen er seinen öffentlich-rechtlichen Programmauftrag im Digitalen so umsetzt, dass er die gesamte Bevölkerung erreichen kann.

Das könnte auch ein wichtiger Pfeiler gegen Fake News sein …

Ja, wir brauchen gerade heute mehr guten Journalismus. Weil die ganzen Geschichten, die früher nur auf Wirtshaustischen die Runde gemacht haben, heute im Internet als Nachrichten kursieren. Wenn der Journalismus früher mit Gerüchten und ungesicherten Geschichten konfrontiert war, dann waren das anonyme Hinweise, die vorher nicht in der Öffentlichkeit gewesen sind. Dann hat man als Journalistin recherchiert und die meisten Geschichten dieser Art sind durch Recherche gestorben. Heute sind diese Geschichten schon draußen und jetzt braucht es einen Paradigmenwechsel im Journalismus: Wenn viele Menschen eine falsche Geschichte gelesen haben, müsste man sie durch Recherche widerlegen und darstellen, warum es eben eine Nicht-Geschichte ist, wenn man nach journalistischen Standards arbeitet. Das könnte eine Aufgabe des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sein.

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