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Politisches Erdbeben in Vorarlberg: ÖVP-Allmacht in den Gemeinden bröckelt

90 der 96 Gemeinden waren bis zum Sonntag fest in schwarzer Hand, doch dann kam ein politisches Erdbeben. Nun bröckelt die schwarze Allmacht im Land. Bei den Gemeinderats- und Bürgermeisterwahlen in Vorarlberg verlor die ÖVP nicht nur Mandate, sondern auch Bürgermeisterposten. In drei von vier Bezirkshauptstädten müssen ihre Kandidaten in die Stichwahl.

Der Wahlkampf ist noch nicht vorbei in Vorarlberg. Nachdem die Wahlen Corona-bedingt von 15. März auf 13. September verschoben wurden, wird in sechs Gemeinden in zwei Wochen noch einmal zur Urne gebeten; hier kommt es zu Stichwahl. Denn die Gemeinderatswahl und Bürgermeister-Direktwahlen in Vorarlberg brachten überraschende Ergebnisse. Die Absolute der ÖVP fiel in Gemeinden wie Lustenau und Hard, mehrere schwarze Bürgermeister müssen ihren Sessel räumen. In drei Städten fordern SPÖ-Kandidaten ihre schwarz-türkisen Kontrahenten in der Stichwahl heraus.

Die 301.572 Wahlberechtigten wählten in 96 Gemeinden ihre Gemeindevertreter und Bürgermeister. In vielen Gemeinden kandidieren seit jeher nicht Parteien, sondern Bürgerlisten. Hinter den meisten steht aber die ÖVP. Die politische Landschaft wurde dabei – für Vorarlberger Verhältnisse – erschüttert. Die Wahlbeteiligung war mit 53,40 Prozent allerdings niedrig.

Hard: SPÖ-Landesvorsitzender überholt VP-Bürgermeisterin

Ein Überraschungsergebnis erzielten etwa die Sozialdemokraten in Hard am Bodensee. Seit 1970 ist die Gemeinde fest in schwarzer Hand, nun kommt es unerwareteterweise zur Stichwahl. SPÖ-Spitzenkandidat und Landesvorsitzender Martin Staudinger gelang es, mit 35,4 Prozent die amtierende ÖVP-Bürgermeisterin Evi Mair (32,8 Prozent) zu überholen. Einen Schwerpunkt legte er im Wahlkampf auf Bildung: „Jeder Mensch ist gleich viel wert. Es haben jedoch nicht alle die gleichen Startchancen. Deswegen braucht es gute Politik, die jedem die Chance ermöglicht, sich zu entwickeln, sich zu bilden und als freier Bürger leben zu können.“

Staudinger gab sich im Wahlkampf betont heimatverbunden – mit Erfolg.

Die SPÖ kann im ersten Wahlgang ihre beiden Bürgermeister (in St. Gallenkirch auf 57 Prozent und in Bürs mit sogar 79 Prozent) verteidigen. Zusätzlich ziehen sie in Bludenz, Bregenz und Hard in die Stichwahl. Staudinger kündigte bereits vorm ersten Wahlgang an, den Parteivorsitz zurückzulegen, sollte er am 27. September die Stichwahl in seiner Heimatgemeinde für sich entscheiden.

Bregenz: schwarz-rote Stichwahl

Auch in Bregenz ist der Jubel bei der SPÖ groß: Langzeit-Bürgermeister-Kandidat Michael Ritsch gelingt der Einzug in die Stichwahl gegen Langzeit-Bürgermeister Markus Linhart. „Politik ist für uns etwas, das gemeinsam entsteht – durch die Zusammenarbeit aller Bregenzerinnen und Bregenzer. Das ist eine klare Abgrenzung zur Vorgehensweise des amtierenden Bürgermeisters“ erklärte Ritsch im Vorfeld der Wahlen. Gemeinsam mit 42 Bregenzerinnen und Bregenzern – auch nicht-Parteimitglieder – entwickelte er einen Ideen-Katalog für die Stadt, die unter anderem eine Neukonzeption des Bahnhofsviertel (in der Stadt seit Jahren eine politische Baustelle) beinhaltet. Er konnte im Vergleich zur letzten Wahl 2015 den Abstand um 20 Prozent verringern. Damals retteten Linhart, der seit 1995 im Amt ist, nur zwei Stimmen vor der Stichwahl.

Bereits bei der letzten Wahl 2005 gingen die beiden in die Stichwahl, Linhart baute damals seinen Stimm-Vorsprung von 317 auf 600 Stimmen aus. Nun geht Linhart mit 893 Stimmen Vorsprung (4.425 zu 3.532 Stimmen) in die zweite Runde. Gelingt es Ritsch, Bregenz zu drehen, wäre er der erste SPÖ-Bürgermeister seit 1990, als die 20-jährige rote Amtsperiode endete.

Bludenz: erneut schwarz-rote Stichwahl

Keine Überraschung war hingegen die Stichwahl in Bludenz. SPÖ-Vizebürgermeister Mario Leiter könnte der erste rote Bürgermeister seit 1995 sein, wenn er den Rückstand von 200 Stimmen auf ÖVP-Kandidat Simon Tschann aufholen kann. Bereits 2015 war Leiter in der Stichwahl, damals gegen den Altbürgermeister Josef Katzenmayer (ÖVP).

Feldkirch: Duell zwischen Schwarz und Blau

Auch Feldkirch muss noch zwei Wochen ausharren, bis es wieder einen Bürgermeister in der Stadt gibt. Hier erlang FPÖ-Kandidaten Daniel Allgäuer 23,7 Prozent, Bürgermeister Wolfgang Matt (ÖVP) 41,4 Prozent. Unklar ist allerdings, ob das Ergebnis des ersten Wahlgangs hält: Feldkirch wurden mehr als 200 Wahlkarten ohne Kuverts verschickt.

Feldkirch ist einer der wenigen Erfolge im blauen Wahlkampf: Die FPÖ verlor einen ihrer vier Bürgermeisterposten (in Fußach) und verlor auch Mandate in den Gemeindevertretungen – teilweise im zweistelligen Bereich.

Lech: Deal mit Kurz-Freund Benko kippt Stimmung

Auch in Lech kommt es zur Stichwahl. Seit 1993 hatte der ÖVPler Ludwig Muxel den Bürgermeistersitz inne. Daran konnten auch mehrere Skandale nichts ändern. 2017 kam es zu Ermittlungen wegen des Verdachts von Ungleichbehandlung bei der Umwidmung von Wohnflächen in heiß begehrte Ferienwohnungen. Bereits 2015 traten 9 der 15 Gemeindevertreter zurück, nach Gerüchten, dass Promis wie Sebastian Vettel oder der ehemalige Chef der Deutschen Telekom, Ron Sommer, bei der Vergabe von Ferienwohnungen bevorzugt wurden.

Nun brachte ein geplanter Deal mit Multi-Investor und Kurz-Freund René Benko das Fass zum Überlaufen. Das Gemeindezentrum des Nobel-Skiorts wird neu gebaut, geplant ist auch ein Einkaufszentrum im gleichen Gebäude. Die Ausschreibung vom 26. März schrieb rund 500 Quadratmeter Fläche aus – mit der Option auf Erweiterung im Untergeschoss um weitere 2000 Quadratmeter. Die KaDeWe-Group, die zu 50,1 Prozent der thailändischen Central Group und zu 49,9 Prozent Rene Benkos Signa Holdig gehört, legte bereits Mitte Mai einen fertigen Plan für die gesamten 2510 Quadratmeter vor. Den im Ort ansässigen Händler stieß nicht nur die kurze Frist sauer auf, sondern auch, wie überraschend schnell der internationale Konzern Pläne parat hatte. 2500 Quadratmeter betragen rund 80 Prozent der derzeitigen Handelsfläche. Das hätte nicht nur die Fläche für Shopping im kleinen Ort fast verdoppelt, sondern auch eine Monopol-Konkurrenz für den heimischen Handel bedeutet.

Ursprünglich hätte der KaDeWe-Deal noch vor der Gemeinderatswahl über die Bühne gehen sollen. Die Kritik wurde immer lauter, der Vertragsabschluss verzögerte sich. Und nun kann der Vorfall dem Bürgermeister seinen Posten kosten, ist man sich in Vorarlberg sicher. Der seit 27 Jahren amtierende Muxel kam in der Direktwahl mit 369 Stimmen  auf 35,45 Prozent. Sein Herausforderer, der langjährige Standesbeamte Stefan Jochum, bekam mit 496 Stimmen 47,65 Prozent. Muxel muss in die Stichwahl.

Erster grüner Bürgermeister möglich

In Lochau am Bodensee könnte es bald den ersten grünen Bürgermeister Vorarlbergs geben. Altbürgermeister Michael Simma (ÖVP) konnte sein Mandat mit 47,36 Prozent nicht verteidigen. Seinem Herausforderer Frank Matt (Grüne) fehlen knappe sieben Prozent oder 151 Stimmen zum Gleichstand  (40,38 Prozent). Noch 2015 war Simma mit 59,31 Prozent gegenüber 26,27 Prozent für Matt der klare Erste.

Dei Grünen erzielen 2020 ihr bestes Ergebnis bei den Gemeinderatswahlen in Vorarlberg und stellen mit 31 zusätzlichen auf 157 Gemeindevertreterinnen und -vertreter ein Viertel zu.  Die Neos zogen in zehn der elf Gemeinden, in denen sie kandierten, in den Gemeinderat.

Gemeinderatswahlen: Strukturprobleme in Vorarlberg

Die Wahlen wurden in Vorarlberg zunächst Corona-bedingt von 15. März auf 13. September verschoben. Die Wählerinnen und Wähler wurden mit Maske und Abstand an die Urne gebeten, und zwar – wie in Vorarlberg üblich – von maximal 7.00 bis 13.00. In Warth konnte man sogar nur bis 10.00 seine Stimme abgeben.

Eine weitere Besonderheit ist das Wahlrecht im westlichsten Bundesland: In 65 Gemeinden wird der Bürgermeister bzw. die Bürgermeisterin direkt gewählt, in den übrigen Orten von der gewählten Gemeindevertretung. In nur 40 Orten gibt es dabei mehr als einen Kandidaten zur Auswahl. In 29 Gemeinden kandidierte je nur eine Liste. Und: Es gibt in 13 Kommunen ein Mehrheitswahlrecht. Hier liegen leere Stimmzettel auf, die Wahlberechtigten schreiben Namen auf.  Wer am meisten Stimmen hat, zieht in den Gemeinderat ein. Denn Vorarlberg hat ein strukturelles Problem: Viele kleine Gemeinden finden gar keine Kandidatinnen oder Kandidaten.

So auch in Lorüns. In der 296-Seelen-Gemeinde Lorüns kandidierte nach 30 Jahren Amtszeit Bürgermeister Lothar Ladner nicht mehr. Zuvor regierte 24 Jahre lang sein Vater, sein Sohn wollte sich nicht zur Wahl stellen. Das Amt Bürgermeisters ist auch in kleinen Gemeinden aufwendig, das Gehalt mit 2.000 Euro brutto nicht attraktiv.

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