Interview

Ökonom Höfgen: Was wir erleben, ist härter als eine Inflation – es ist ein Preis-Schock

Maurice Höfgen ist Ökonom, Autor, Youtuber und Berater im deutschen Bundestag. Er sagt: Wie wir derzeit die Inflation beschreiben, geht an der Realität vorbei – und deshalb sind auch viele Maßnahmen, mit denen die Politik reagiert, unwirksam. Höfgen erklärt im Interview, was die Besonderheiten des „Preis-Schocks“ sind, den wir aktuell erleben, was ihn wirklich abfedern würde und warum er glaubt, dass wir die bald auf Besserungen hoffen dürfen.

Kontrast: Wir sprechen sehr viel über die Inflation. Du sagst aber: Das, was wir jetzt erleben, ist keine klassische Inflation, sondern ein Preisschock, der schnell gekommen ist und schnell wieder gehen wird. Was ist denn der Unterschied?

Maurice Höfgen: Die klassische Inflation funktioniert beispielsweise wie folgt: Die Wirtschaft hat gebrummt, lief heiß – dann sind die Löhne stark gestiegen, sodass eine Lohn-Preis-Spirale entsteht. Weil die Löhne steigen, haben die Unternehmer höhere Kosten – und weil sie höhere Kosten haben, erhöhen sie die Preise. Löhne und Preise schrauben sich wechselseitig hoch – ein sich selbst verstärkender Effekt. Preise gehen auf breiter Front in die Höhe – jedoch langsam.

Was aber erleben wir jetzt? Die Löhne sind während der Pandemie kaum gestiegen. Corona hat dafür gesorgt, dass seit 2020 viele europäische Wirtschaften stagnieren. Von „brummender Wirtschaft“ kann keine Rede sein. Was wir durch Pandemie und jetzt durch den Krieg gegen die Ukraine haben, sind zwei externe Schocks. Sie sind von außen auf unsere Wirtschaft eingetroffen und haben in ganz spezifischen Branchen die Preise durch die Decke schießen lassen – allen voran die Energiepreise.

Ganz Europa hat über den Gaspreis gesprochen. Mittlerweile kennt wohl jeder den Gaspreis an der Börse und beim hauseigenen Gasversorger. Aber wenn man sich den Gaspreis länger ansieht, merkt man: Er ist extrem in die Höhe geschossen als Putin in die Ukraine einmarschiert ist. Dann ist er ein bisschen gesunken und dann noch einmal extrem explodiert als Putin Nord Stream 1 abgedreht hat – die wichtigste Gas-Pipeline. Und weil Gas so wichtig für die gesamte Wirtschaft ist, ist die Preiserhöhung auch im Supermarkt angekommen. Lebensmittel müssen auch erhitzt, gekühlt und transportiert werden.

Und so haben diese Preise dafür gesorgt, dass das Preisniveau ganz schnell hochgegangen ist. Aber es gibt nicht diese sich selbst verstärkenden Effekte, die wir aus der anderen Preisspirale kennen. Stattdessen gingen die Preise schnell rauf – und mittlerweile sinken sie wieder. Die Spitze bei den Gaspreisen ist schon überschritten.

Maurice Höfgen Interview Inflation

Der Grund für die raschen Preis-Steigerungen sind externe Schocks: Deshalb kann man das jetzt auch nicht mit Zinserhöhungen und Sparen therapieren, sagt Maurice Höfgen im Interview

Die Spitzen bei den Gaspreisen haben wir überschritten – wann wird der Alltag wieder günstiger?

Warum sind dann die Lebensmittelpreise und die Mieten immer noch so hoch?

Höfgen: Von den sinkenden Gaspreisen merken Verbraucher:innen noch nichts. Bis der Börsenpreis sich im Supermarkt widerspiegelt, dauert es leider eine ganze Zeit. Das Problem ist natürlich: Für Oma Erna ist es egal, ob ich sage, das ist eine Inflation oder ein Preis-Schock, weil beides bedeutet für sie Kaufkraft-Verlust. Sie kann sich von ihrem Geld weniger kaufen. Aber:

Für die Politik und auch für Ökonom:innen ist es wichtig, genau zu wissen, woher die gestiegenen Preise kommen. Das ist wie bei der Ärztin: Wenn da ein Patient mit Problemen kommt, muss man die richtige Diagnose stellen und die korrekte Therapie finden. Darum sage ich auch: Einen Preis-Schock muss man ganz anders therapieren als eine klassische Inflation.

Es gibt in Österreich auch die Debatte, ob man angesichts der Art, wie Preisgestaltung funktioniert, eher von einer „Profit-Preis-Spirale“ reden muss. Weil Preise mitunter stärker erhöht wurden als die Kosten gestiegen sind. Kannst du dieser Diagnose etwas abgewinnen?

Höfgen: Der Begriff trifft die Situation, die wir haben, eher als die „Lohn-Preis-Spirale“, ja. Man kann natürlich nicht pauschalisieren. Ehrlicherweise können nicht alle Unternehmen die Gunst der Stunde nutzen. Am meisten profitieren die großen Energiekonzerne. Insbesondere die, die im Ausland sitzen. Mal ein Beispiel: Saudi Aramco ist der größte Ölkonzern der Welt. Die holen das Öl für 7 US-Dollar aus dem Boden und wenn sie es dann für 120 US-Dollar statt für 50 US Dollar verkaufen, dann geht das rasant in die Profite. Die haben 160 Milliarden Dollar letztes Jahr verdient. Ein Rekord. Jetzt gibt es aber auch dann, wenn das Öl teurer wird, Firmen, die das teurere Öl kaufen.

Und dann gibt es noch ein paar Firmen, die viel Marktmacht haben, die dann natürlich sagen: „Okay, wenn die Kunden jetzt damit rechnen, dass es teurer wird und es so eine gewisse Akzeptanz gibt, warum kann ich nicht noch ein paar Prozent mehr draufschlagen?“

Das kann aber der ganz kleine Bäcker, der im harten Wettbewerb steht, nicht machen. Weil er keine Marktmacht hat. Denn wenn der Bäcker auf einmal seine Brötchen doppelt so teuer verkauft, dann sagen die Kunden: „Oh, dann gehe ich zur Konkurrenz nebenan.“ Besser gesagt: Der Bäcker hat höhere Kosten, aber auch das Problem, diese nicht gut weitergeben zu können – weil den Kunden ja die Kaufkraft fehlt.

Leitzinserhöhung wirkt nicht beim Preis-Schock – und hat sogar starke Nebenwirkungen

Du sagst auch: Bei einem Preis-Schock braucht man andere politische Maßnahmen als bei einer klassischen Inflation. Zum Beispiel siehst du die Leitzinserhöhung der EZB sehr kritisch. Warum?

Höfgen: Die Leitzinserhöhung geht davon aus, dass die Wirtschaft überhitzt ist und wir sie runterkühlen müssen. Was aber macht die Leitzinserhöhung? Die macht Geld teurer, die macht Kredite teurer. Wenn Kredite teurer sind, dann unterlassen Unternehmen Investitionen. Private lassen ihr Geld auf dem Sparbuch und geben es nicht aus – es fehlt also im Konsum. Wenn also Unternehmen nicht investieren und Konsument:innen weniger ausgeben, dann gibt es insgesamt weniger Nachfrage und die Wirtschaft läuft schlechter.

Weil wenn die Unternehmen weniger Aufträge haben, dann produzieren sie auch weniger. Dann steigt die Arbeitslosigkeit. Je mehr Arbeitslose es gibt, desto weniger Macht haben die Gewerkschaften. Aber das ist eben nicht was wir haben, sondern wir haben ganz spezifische Preise, insbesondere Strom, Öl und Gas, auch noch Lebensmittel wie Hafer, Mais und Weizen.

Die kommen nämlich zum großen Teil auch aus der Ukraine und aus Russland. Es sind ganz konkret Rohstoffe, die teurer geworden sind. Und höhere Zinsen machen jetzt nicht diese spezifischen Produkte günstiger. Also es ist ein sehr spezifisches Werkzeug, das die Ursache nicht trifft und gleichzeitig starke Nebenwirkungen hat.

Am besten sieht man es in der Baubranche. Weil jetzt die Immobilienkredite teurer werden, sagen viele Leute: „Okay, ich kaufe das Haus doch nicht, ich storniere das.“ Oder sie nehmen erst gar keinen Kredit auf. Manche werden Probleme bekommen, wenn sie vor zehn Jahren einen Kredit genommen haben und jetzt für den Rest noch eine Anschlussfinanzierung brauchen. Und dann kostet das plötzlich 4 % statt 1 %. Dann macht das, je nachdem, was man für den Restwert hat, schon mal gerne ein paar 100 Euro pro Monat reine Zinskosten aus.

Das Problem ist: Wenn Immobilienkredite ausfallen, weil die Häuslbauer sich das nicht mehr leisten können, dann haben auch die Banken ein Problem. Die haben den Kredit ja gegeben. Im Extremfall löst man vielleicht sowas aus, wie man damals bei der Finanzkrise 2007 ausgelöst hat.

Was sinnvoll wäre: Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel streichen – andere Länder machen es vor

Was sind aus deiner Sicht dann geeignete Maßnahmen gegen einen Preis-Schock, wie wir ihn erleben?

Höfgen: Auf jeden Fall nicht sparen. Man sollte die Zinsen unten lassen und sich aus der Angebotsknappheit herausinvestieren. Denn gerade weil wir zu lange eben nicht in erneuerbare Energien investiert haben, sind die deutsche und die österreichische Wirtschaft im Besonderen sehr abhängig von russischem Gas. Wenn sie keinen Strom aus Gas produzieren müssten, dann wäre auch der Strom nicht teurer geworden.

Und dann geht es, das muss man hinzufügen, natürlich wie bei der Ärztin darum, Symptome zu bekämpfen. „Fiebersenker“ wären jetzt etwa Geldtransfers, z.B. an Menschen mit Gasheizungen. Oder Steuersenkungen.

Auch mit Steuersenkungen kann man dafür sorgen, dass die Preise günstiger sind. In Deutschland gibt es die Debatte, ob man jetzt nicht die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel – Brot, Butter, Brokkoli – streichen sollte. Spanien und Portugal haben das schon gemacht. Seit 2022 erlaubt das die EU ja. Was wäre das Ergebnis? Grundnahrungsmittel wären um 7 Prozent günstiger. Verbraucher:innen könnten sich mehr leisten. So etwas würde den Preis-Schock abmildern.

Maurice Höfgen Interview Inflation

Optimistisch ist Höfgen, was die Preisentwicklung im nächsten Jahr anbelangt: Jetzt sinken die Energiepreise, bald die Erzeugerpreise – und dann sinken auch die Verbraucherpreise wieder.

Höfgen optimistisch: Der Supermarkt-Einkauf wird wieder billiger

Du hast in deinen Videos und Texten ein optimistisches Bild gezeichnet. Du sagst: die Energiepreise sinken jetzt, im Herbst werden auch die Erzeugerpreise sinken. Irgendwann sinken dann die Verbraucherpreise. Als Konsumentin interessiert mich natürlich: Wann genau werden Lebensmittel im Supermarkt wieder billiger? Und: Was, wenn Handelsunternehmen die sinkenden Kosten einfach nicht weitergeben und Preise mit senken?

Höfgen: Der Preis-Schock machte sich zuerst bei den Importen bemerkbar. Also bei Preisen, die Händler bezahlen mussten. Jetzt sinken diese Importpreise langsam. Gas an der Börse ist wieder günstiger, dann sinken die Erzeugerpreise – im August wahrscheinlich um 10 bis 15 Prozent. Warum? Man vergleicht die Preise heute im Vergleich zu vor einem Jahr. Im August letztes Jahr war quasi der Höhepunkt der Inflation.

Wann kommt das bei den Leuten an? Das ist natürlich die interessanteste und spannendste Frage, aber die ist am schwersten zu beantworten. Denn die Inflationsrate, die man so kennt, ist ein Durchschnitt. Aber jetzt ist es ja zum Beispiel so: Wer einen Gas-Vertrag neu abschließen musste, als gerade der Preis gestiegen ist, hat schlicht Pech. Weil der gleich viel höhere Preise zahlen musste. Und weil die Leute alle unterschiedliche Verträge haben, sowohl Arbeitsverträge, Kreditverträge sowie Strom- und Gasverträge, kommt es bei allen unterschiedlich schnell an. Deswegen ist es schwer jetzt für die Einzelperson zu sagen, wann es ankommt.

Klar ist aber, dass es ankommen wird, nachdem die Erzeugerpreise eine längere Zeit gesunken sind. Jetzt werden Verbraucher:innen kritisch fragen: „Wenn doch das Gas an der Börse schon wieder günstiger ist, warum noch nicht bei meinem Gasversorger?“ Da ist das Problem, dass der Gasversorger das Gas, das er heute liefert, in der Vergangenheit gekauft hat. Also er hat das Gas vielleicht vor einem halben oder einem Jahr gekauft, das heißt, heute kann er günstiges Gas kaufen, aber erst in einem Jahr oder so liefern. Und deswegen gibt es so eine Zeitverzögerung, die ärgerlich ist.

Zur Frage, ob es sein kann, dass die Unternehmen das einfach einsacken? Das glaube ich nicht. Denn wenn sie das können, wenn sie diese Macht hätten, wenn die Supermärkte so mächtig wären, hätten sie ja auch schon ganz ohne Krise die Preise erhöhen können.

Denn Leute müssen ja nun mal Essen einkaufen. Es gibt da aber einen Wettbewerb. Und gerade bei den Supermärkten ist es so, dass die sogenannten Discounter eine sehr aggressive Preis-Strategie haben. Die brauchen günstige Preise, um Kunden zu sich zu locken. Daher bin ich sehr optimistisch, dass das weitergegeben wird.

Und wenn es doch nicht linear weitergegeben wird?

Höfgen: Dann gibt es immer noch die Möglichkeit, dass das Kartellamt eingreift. Denn dann stellt dieses fest: Die Marktwirtschaft funktioniert nicht, es gibt keinen ausreichenden Wettbewerb – und der Staat ist gefragt. Der muss eingreifen und die Verbraucher:innen schützen.

Zur Person: Maurice Höfgen
Maurice Höfgen ist Ökonom und Betriebswirt. Derzeit arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Bundestag. Er ist Autor der Bücher »Der Neue Wirtschaftskrieg« und »Mythos Geldknappheit«. Zudem ist er YouTuber bei »Geld für die Welt« und »Jung und Naiv« und schreibt Kolumnen für die Berliner Zeitung.

In Wien war er bei der Kino-Premiere der Kontrast-Dokumentation „4 Tage Arbeit, 3 Tage frei“ als Diskutant zu Gast.

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