Fünf Bedingungen hat der SPÖ Niederösterreich-Chef Sven Hergovich für eine Regierungszusammenarbeit mit Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) genannt. Darunter: Kostenloser Kindergarten, Heizkosten-Deckel und Arbeitsplätze für Langzeitarbeitslose – daran scheinen die Verhandlungen jetzt zu scheitern. Die ÖVP hat die Gespräche am Donnerstag gestoppt. Sonst bleibt Mikl-Leitner nur eine Koalition mit der FPÖ unter ihrem rechtsaußen Vorsitzenden Udo Landbauer. Was will die SPÖ mit ihren fünf Punkten und ist es machbar?
Die ÖVP Niederösterreich hat die Koalitionsverhandlungen mit der SPÖ Donnerstagnachmittag gestoppt, die Situation ist spannend: Die ÖVP hat bei der Landtagswahl im Jänner 2023 die absolute Mehrheit verloren und muss einen Koalitionspartner finden. Die FPÖ hat angekündigt, Johanna Mikl-Leitner nicht zur Landeshauptfrau zu wählen. Bleibt noch die SPÖ für eine Regierungsmehrheit – und die ist sich bewusst, dass sie in der Situation einen Hebel hat, um große sozialpolitische Projekte in Niederösterreich zu verankern.
Vergangene Woche hat der designierte Chef der SPÖ Niederösterreich, Sven Hergovich fünf Bedingungen für ein Regierungsübereinkommen öffentlich gemacht: Der kostenlose Ganztages-Kindergarten, ein Gehalt für pflegende Angehörige, eine Jobgarantie für Langzeitarbeitslose und eine Regionaloffensive. Im Interview mit dem deutschen Wochenmagazin “Die Zeit” betont Hergovich wie ernst es ihm damit ist:
“Bevor ich ein Übereinkommen unterzeichne, in dem nicht alle diese Punkte enthalten sind, hacke ich mir die Hand ab.”
Hergovich erklärt, damit eine “Hinterzimmerpolitik” vermeiden zu wollen, die er ablehne: Die Niederösterreicher:innen sollen wissen, worum es in den Verhandlungen geht.
Das sieht auch Günther Ogris vom Meinungsforschungsintitut Sora ähnlich: “Transparenz in politischen Prozessen ist gut für das Wiedergewinnen politischen Vertrauens in das politische System”, sagt Ogris zu Kontrast. Aber es könne auch ein Nachteil in den Verhandlungen sein, wenn die ÖVP die Schmerzgrenzen der SPÖ kennt und die Verhandlungen leichter scheitern lassen kann, erklärt Ogris.
Und das scheint momentan zu passieren. Die Niederösterreichische ÖVP ist entsetzt, ÖVP-Chefin Mikl-Leitner schimpft über “persönliche Befindlichkeiten”. Sie will jetzt Verhandlungen mit der FPÖ unter Udo Landbauer beginnen. Dazu hat sie sich in ihrer Partei bereits das Okay geholt.
Sind die Bedingungen der SPÖ für eine Zusammenarbeit mit der ÖVP zu dreist? Zu riskant? Nein, sogar “erforderlich” findet Politikbeobachter Rudolf Fußi. Denn eine Partei muss für Wähler:innen klar machen, wofür sie steht. Für die ÖVP ergeben sich laut ihm zwei Optionen: „Die ÖVP in Niederösterreich muss nun entscheiden, ob sie die Forderungen der SPÖ akzeptiert und dem Koalitionspartner einen Erfolg gönnt, von dem dann aber auch die Niederösterreicher:innen etwas haben – oder ob sie sich von Kickl vorschreiben lässt, wer Landeshauptmann wird, weil die FPÖ Mikl-Leitner ablösen will.“
Aber worum geht es bei den Koalitionsbedingungen? Wie machbar sind sie? Und warum hat die SPÖ gerade diese Projekte zur Bedingung gemacht? Hier der Überblick.
Jobgarantie: Arbeitsplätze für alle Langzeitarbeitslosen
Bevor Sven Hergovich Chef der SPÖ Niederösterreich wurde, kannte man den 34-jährigen Chef des AMS-Niederösterreich vor allem für eines: Die Arbeitsplatzgarantie in Marienthal. Dass es in Marienthal in der niederösterreichischen Region Gramatneusiedl keine Langzeitarbeitslosen mehr gibt, das hat es als weltweite Sensation bis ins US-Magazin New Yorker geschafft. Und genau eine solche Arbeitsplatz-Sensation will die SPÖ jetzt für ganz Niederösterreich durchsetzen.
Das Prinzip ist einfach: Wer länger als ein Jahr arbeitslos ist, bekommt einen Arbeitsplatz angeboten – öffentlich finanziert. Die Tätigkeiten reichen von Reparaturen, über Parkbetreuung bis hin zu Tischlerei- und Büroarbeiten. Über 100 Menschen haben die Jobgarantie in Gramatneusiedl bisher in Anspruch genommen, das Projekt läuft noch bis 2024.
„In Folge ist nicht nur die Langzeitarbeitslosigkeit auf null gesunken, auch die Arbeitslosigkeit insgesamt sank“, sagt der Ökonom Lukas Lehner, der das Projekt an der Universität Oxford begleitet.
Die Arbeitslosen absolvieren einen achtwöchigen Ausbildungskurs und erhalten dann ein Arbeitsangebot, das sie auch ablehnen können. Aber bisher hat sich jeder, dem eine Stelle angeboten wurde, für die Arbeit entschieden, heißt es vom AMS Niederösterreich. Die Menschen arbeiten zwischen sechzehn und achtunddreißig Stunden pro Woche, abhängig von ihrem medizinischen Zustand und Betreuungspflichten. Denn Langzeitarbeitslose sind oft gesundheitlich oder familiär stark eingeschränkt, weshalb es ihnen besonders schwerfällt, am Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen. Bezahlt wird nach Kollektivvertrag, aber zumindest so viel, wie zuvor an Arbeitslosengeld ausbezahlt wurde.
Aktuell sind in Niederösterreich rund 10.000 Personen seit über einem Jahr arbeitslos. Sie alle sollen ein Angebot für eine Beschäftigung mit KV-Lohn erhalten, wenn es nach der SPÖ geht. „Das kostet Geld, aber Langzeitarbeitslosigkeit kostet viel mehr – finanziell und sozial“, erklärt Hergovich. Konkret geht es um rund 30.000 pro Arbeitslosem – einmal ausgegeben für das Arbeitslosengeld, einmal für einen öffentlich finanzierten Arbeitsplatz. „Die Abschaffung der Langzeitarbeitslosigkeit kostet nicht mehr Geld, es wird nur anders investiert“, sagt Hergovich. Und das würde sich auszahlen, denn in Marienthal sind die ehemals Arbeitslosen heute gesünder und zufriedener, rund ein Drittel von ihnen hat sogar wieder einen regulären Arbeitsplatz gefunden.
Sven Hergovich und die SPNÖ machen inhaltlich Druck mit konkreten Forderungen für sozialen Fortschritt. Das weckt Hoffnung. https://t.co/enD2xmmqTw
— Markus Marterbauer (@MarterbauerM) March 7, 2023
Als Eltern in Niederösterreich einen Krippenplatz zu finden, ist eine schwierige Angelegenheit. Es sind vor allem Mütter, die beruflich und finanziell dafür büßen, weil zu wenig Kleinkindbetreuung angeboten wird. Denn das Angebot reicht nicht mal für ein Drittel der unter-Dreijährigen.
Und die Kosten? Für Kinder ab 2,5 Jahren ist der Vormittag gratis. Wer ein jüngeres Kind hat – bzw. wer ein älteres hat, aber auch am Nachmittag arbeiten muss, zahlt – und das gar nicht wenig. Zwischen 50 und 180 Euro monatlich pro Kind kostet ein Platz im Landeskindergarten.
Weil es so spärlich ist, weichen viele auf private Einrichtungen aus. Die Hälfte von ihnen werden dort betreut. Und die kosten schon mal 500 Euro monatlich pro Kind. Ohne Mittagessen.
Die Sozialdemokrat:innen wollen mehr Kinderbetreuungsplätze, das ganztägig und kostenfrei. Dass das geht, zeigen andere Bundesländer wie Wien, das Burgenland und – ab September – Kärnten.
Noch im Niederösterreich-Wahlkampf hat Mikl-Leitner selbst mit einer Kindergarten-Offensive geworben.
Heizpreis-Stopp für Niederösterreichs Haushalte
Die SPÖ Niederösterreich fordert, dass die Heizkosten für die niederösterreichischen Haushalte mit kleinen und mittleren Einkommen gedeckelt werden. Sie sollen nur 5 Prozent des Einkommens dafür ausgeben müssen. Diese Entlastungen würden dem Land bis zu 240 Millionen Euro kosten.
Der Grund: Die Wohn- und Heizkosten sind in den letzten Monaten stark gestiegen, was für viele Familien existenzbedrohende Ausmaße angenommen hat. Fast jeder Dritte in Österreich befürchtet, bei den Wohnkosten bald in Zahlungsschwierigkeiten zu geraten. Im Dezember 2022 ist im Vergleich zum Vorjahr der Preis für Heizöl um rund 60 % gestiegen, für Fernwärme um 72 %, für Brennholz um fast 80 %, für Gas um fast 93 % und für Pellets sogar um 124 %. Die Teuerung war das wichtigste Thema bei den Wahlen für die Niederösterreicher:innen. Der niederösterreichische Heizkostenzuschuss und die einmalige Sonderförderung von je 150 Euro reichen dabei kaum aus, um den Anstieg abzufedern. Vor allem auch, weil nur einkommensschwache Haushalte Anspruch auf diese Zuschüsse haben, obwohl für den Großteil der Bevölkerung diese Kosten eine enorme Belastung darstellen.
Die roten Niederösterreicher haben sich das wohl von ihren Kolleg:innen im Burgenland abgeschaut. Dort gibt es mit dem „Wärmepreisdeckel“ ein ähnliches Modell. Dadurch müssen Haushalte im Burgenland künftig nur noch drei bis sechs Prozent ihres Nettoeinkommens für das Heizen ausgeben.
Anstellung beim Land, wenn man Familienmitglieder pflegt
Österreichweit werden 80 Prozent der pflegebedürftigen Menschen – ob jung oder alt – von ihren Familienangehörigen gepflegt. Das geht nicht nur mit Einbußen im Job oder dessen Niederlegung, sondern auch mit finanziellen Einschränkungen einher. Im Grunde gibt es zwei Wege, den Engpass zu lösen: mehr Geld in den Ausbau von Pflegeeinrichtungen investieren und Pflege-Jobs durch bessere Arbeitsbedingungen (mehr Gehalt, kürzere Arbeitszeiten) zu attraktivieren: dann müssten nicht so häufig Angehörige diese Arbeit leisten.
Oder, der zweite Weg: man bezahlt die Angehörigen so, dass diese nicht mehr prekär leben müssen. Kurzum, man stellt sie an. Im Burgenland können pflegende Angehörige seit 2019 im Dienstverhältnis mit dem Land ihre Verwandten pflegen. Das Land bezahlt, je nach Pflegestufe, bis zu 1.740 Euro netto plus Versicherung. Ein ähnliches, aber kleines, Pilotprojekt dieser Art startete 2021 in Oberösterreich – befristet auf ein Jahr.
Im Burgenland haben letztes Jahr etwa 200 pflegende Angehörige das Anstellungsmodell gewählt.
Vernachlässigte Regionen wiederbeleben
Niederösterreichs Randgemeinden zählen zu jenen Regionen, in denen am meisten Menschen wegziehen. Vor allem das Wald- und Weinviertel im Norden und das Voralpengebiet im Süden sind von Abwanderung betroffen. Lilienfeld verliert beispielsweise jährlich etwa zwanzig Menschen, in der 600-Personen-Gemeinde Schwarzau im Gebirge sind es im Schnitt zehn Menschen. Dort ist die Situation besonders dramatisch, die sich durch die explodierenden Energiepreise weiter verschärft hat. So fahren Busse schon seit Jahren nicht mehr alle Siedlungen an, die Polizeistation wurde vor rund 25 Jahren zugesperrt. Die nächste ist fast 24 Kilometer entfernt. Jetzt stehen auch der Wirt und der Nahversorger vor dem Aus, was den Ort für Zuziehende unattraktiver macht. Wenn es aber immer weniger Einwohner und Einwohner:innen gibt, rentieren sich die Kosten für Infrastruktur immer weniger, was die Abwärtsspirale weiter antreibt.
Deshalb fordert die SPÖ Niederösterreich eine „Offensive für vernachlässigte Regionen“. Dazu zählen etwa der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, bessere Einkaufsmöglichkeiten und Ortskernbelebungen. Supermärkte sollen ähnlich wie im Burgenland nur noch in Ortskernnähe errichtet werden dürfen. Außerdem soll es eine „Standortgarantie“ für alle Polizeiinspektionen und Postpartner sowie in jeder Gemeinde mindestens einen Bankomaten geben.
„Die Hypo Niederösterreich ist im Besitz des Landes. Ich verstehe nicht, warum diese Bank nicht in jedem Ort einen Bankomaten betreiben muss“, sagt SPÖ-NÖ-Chef Hergovich gegenüber “Die ZEIT”.
Das würde etwa 90 neue Automaten in Niederösterreich bedeuten – wobei pro Gerät bis zu 50.000 Euro anfallen können, zuzüglich Wartungskosten etc.
„So ein Vorhaben kann ich nur begrüßen. Alles, was uns finanziell helfen würde, wäre der Überhammer!“, sagt der Bürgermeister von Schwarzau im Gebirge, Michael Streif, zu dem Punkt.
Demokratisierungspaket
Als zusätzlichen Punkt fordert die SPÖ ein Demokratisierungspaket, das in ihren Augen all diese Maßnahmen erst ermöglicht. „Wessen Ressort, dessen Zuständigkeit“, erklärt Hergovich. Das heißt, dass die Landesräte in ihrem Ressort über Personal und Budget verfügen können – wie es bei den Bundesminister:innen der Fall ist. Nur so sieht es die SPÖ sichergestellt, dass vereinbarte Programme auch entsprechend ihrer Intention umgesetzt werden. Derzeit bestimmt der Finanzlandesrat über die Ausgaben – in jedem Ressort. Bei Personalentscheidung liegt die Entscheidung derzeit bei der Landeshauptfrau Mikl-Leitner.
Der Verfassungsexperte und ehemalige Sektionschef Manfred Matzka stimmt dem Plan grundsätzlich zu: „Dieses System ist veraltet und nicht am Puls der Zeit. Landesräte brauchen die Budgethoheit in ihrem Ressort – der Landtag gibt ohnehin den Rahmen vor.“ Bei der Personalentscheidung sieht er es differenziert. Auch hier sei grundsätzlich eine Autonomie gut, aber um Auswüchse zu verhindern, braucht es Regelungen: Sehr konkrete Personalpläne zum Beispiel, oder Einvernehmens-Klauseln. „Die totale Zuspitzung auf die Landeshauptfrau bzw. den Landeshauptmann ist nicht mehr zeitgemäß.”
Allerdings hatte NÖ schon immer die Nase im Sozialbereich und bundesweit vorne! Die SP-Forderungen hätten dazu gepasst.
Hergovich holt die Werte für die SP zurück! Das ist es allemal Wert!