In den letzten 40 Jahren ist das oberste Prozent der Einkommen in Europa doppelt so stark gewachsen wie die untersten 50%. Die Schere zwischen den reichsten und den ärmeren Teilen der Bevölkerung wird immer größer. Ein Team um den Ungleichheits-Ökonomen Thomas Piketty hat sich die Ungleichheiten in Europa für den Zeitraum 1980-2017 angesehen. Kontrast hat mit einem der Studienautoren gesprochen: Amory Gethin von der Paris School of Economics erklärt, warum Steuersenkungen für Reiche und Unternehmen Ungleichheit befördern und was die EU tun könnte, um für mehr Gerechtigkeit zu sorgen.
Kontrast: Wie hat sich die ökonomische Ungleichheit in den letzten 30 Jahre in Europa entwickelt?
Gethin: Die ökonomischen Ungleichheiten vergrößern sich weltweit immer weiter. Auch in Europa ist das der Trend. Zwar nicht ganz so stark wie etwa in den USA, aber in fast allen europäischen Ländern sehen wir wachsende Ungleichheiten. Die ökonomische Schere zwischen den reichsten und den ärmeren Teilen der Bevölkerung wird immer größer.
Kontrast: Wie werden diese ökonomischen Ungleichheiten definiert?
Gethin: Man kann in Europa die ökonomische Ungleichheit zunächst zwischen den Ländern betrachten: Also das mittlere Einkommen eines französischen Haushalts und das eines bulgarischen Haushalts vergleichen. Da gibt es natürlich Unterschiede.
Die zweite Art Ungleichheiten zu messen, ist aber auf der Ebene der einzelnen Staaten angesiedelt: Wie groß sind die Einkommens- und Vermögensunterschiede zwischen einem armen Franzosen und einem reichen Franzosen, oder zwischen einem armen Bulgaren und einem reichen Bulgaren?
Ein wichtiges Resultat unserer Studie ist, dass vor allem die Schere innerhalb der einzelnen Länder immer größer wird. Das ist ein Phänomen, das wir seit den 1980ern beobachten können.
Wir können also sagen, es gibt arme Europäer in Frankreich und es gibt arme Europäer in Bulgarien, es gibt reiche Europäer in Bulgarien und reiche Europäer in Frankreich. Es ist zu wenig, nur makroökonomische Mittel einzusetzen, um diese Ungleichheiten zu bekämpfen. Diese Ungleichheiten existieren vor allem innerhalb des jeweiligen Landes.
Kontrast: Wie ist die Lage in Österreich?
Gethin: Auch in Österreich ist die ökonomische Ungleichheit gestiegen, aber in niedrigerem Maße als in anderen Ländern. Die Ungleichheit ist zum Beispiel weniger stark gestiegen als in Deutschland. Dennoch muss man festhalten, dass die Einkommen und Vermögen der reichsten fünf Prozent der Haushalte überproprotional gewachsen sind.
Kontrast: Was sind die Gründe für das Ansteigen von Ungleichheiten?
Gethin: Ein Grund ist unser globalisiertes Wirtschaftssystem, bis zu einem gewissen Grad tragen auch die technologischen Entwicklungen dazu bei. Das sind Dynamiken, die tendenziell den reichsten Haushalten einen Vorteil verschaffen. Aber zum anderen – das ist essentiell zu begreifen – gibt es auch ganz konkrete politische Gründe für Ungleichheiten: diese Tendenzen sind nicht etwa naturgegeben, sondern sind in einem großen Maße Konsequenzen von wirtschaftspolitischen Maßnahmen.
Kontrast: Welche politischen Maßnahmen haben die Ungleichheit befördert?
Gethin: Wenn wir uns die Steuern auf Unternehmen ansehen: 1980 lag die Besteuerung in Europa bei durchschnittlich 50%, heute liegt der Mittelwert bei ungefähr 25%. Natürlich besitzen die reicheren Teile der Bevölkerung die großen Unternehmen, das heißt:
Eine Steuersenkung für große Unternehmen nützt vor allem jenen, die am meisten besitzen. Gleichzeitig sinkt aber auch das Einkommen des Staates.
Dazu gab es in den letzten Jahren eine Tendenz, indirekte Massensteuern wie etwa die Mehrwertsteuer anzuheben. Diese ist eigentlich eine „ungerechte“ Steuer, denn sie belastet viel stärker niedrige und mittlere Einkommen.
Kontrast: Was sind die Konsequenzen von Ungleichheiten?
Gethin: Führen wir uns ein Beispiel vor Augen: In den USA können wir die desaströsen Folgen von enormer ökonomischer Ungleichheit beobachten. Dort beschert das Wirtschaftswachstum vor allem den Reichen und Superreichen mehr Gewinne, während niedrige und mittlere Einkommen schwächer steigen. In Europa hat der Wohlfahrtsstaat einen ausgleichenden Effekt, doch der wird zunehmend eingeschränkt. So machen sich auch in Europa die Folgen von ökonomischer Ungleichheit mehr und mehr bemerkbar, denken wir nur an die Proteste der Gilets Jaunes in Frankreich zum Beispiel.
Kontrast: Einer der Leitsprüche von Macron ist doch: “Der Erste am Seil zieht alle anderen mit.” Bröckelt dieser Mythos?
Gethin: In den letzten Jahren können wir einen Bewusstwerdungsprozess beobachten: Ungleichheit wird immer mehr zu einem Thema im öffentlichen Diskurs. In Europa gibt es derzeit tiefgreifende soziale Krisen, die den Mythos vom Trickling Down in Frage stellen – also man glaubt nicht mehr wirklich, dass kleine und mittlere Einkommen mitgenommen werden, solange nur die großen Einkommen steigen. Laut dieser Logik sollten Steuergeschenke an Firmen und die Superreichen dazu führen, dass es zu größeren Investitionen und besserer Arbeit kommt.
In den letzten 40 Jahren ist das oberste Prozent der Einkommen in Europa doppelt so stark gewachsen wie die untersten 50%.
Kontrast: Was könnten europäische Antworten auf das Problem der Ungleichheiten sein?
Gethin: Eine simple schnelle Maßnahme? Setzen wir dem Steuerdumping in Europa ein Ende. Den europäischen Staaten entgehen riesige Steuereinnahmen, die in Steuerparadiesen geparkt werden. Es gibt eine Art Steuerkonkurrenz in Europa, die die einzelnen Staaten dazu bringt, ihre Unternehmenssteuern zu senken. Irland und Luxemburg erheben zum Beispiel enorm niedrige Steuern und befeuern damit diesen Konkurrenzkampf. Das reduziert die finanziellen Mittel von Staaten, die wiederum im Sozialsystem fehlen und für das Aufbauen einer nachhaltigeren Wirtschaft.
Kontrast: Und wenn wir uns innerstaatliche Ungleichheiten ansehen, was sollte auf europäischer Ebene passieren, um diese zu verkleinern?
Gethin: Die politischen Maßnahmen der EU sind nahezu ausschließlich auf Unterschiede zwischen den Ländern ausgerichtet, die Ungleichheiten innerhalb der Mitgliedsstaaten wird ausgeblendet. Es bräuchte also vor allem EU-Maßnahmen, die auf das Wohl von benachteiligten Teilen der Bevölkerung abzielen und nicht nur rein territoriale Maßnahmen sind. In den letzten Jahren zeichnen sich gewisse Tendenzen in diese Richtung ab: zum Beispiel ist der Europäische Sozialfonds ein wichtigeres Instrument zur Bekämpfung von Armut und Arbeitslosigkeit geworden. Die finanziellen Mittel, die zur Verfügung stehen, sind aber noch immer um einiges geringer als bei den Regionalfonds.
Kontrast: Wird das Thema der ökonomischen Ungleichheit eine wichtige Rolle spielen bei den EU Wahlen?
Gethin: Von Ungleichheit ist schon vermehrt die Rede und besonders durch das Phänomen der Gilets Jaunes ist dieses Thema mehr in den Vordergrund gerückt. Aber im europäischen Kontext spricht man nach wie vor lieber über Staatsschulden oder über wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit. Dabei wird vergessen, dass ökonomische Ungleichheiten im Zentrum des Problems liegen.
Wir wollten mit dieser Studie nicht nur einen Überblick über das Phänomen ökonomischer Ungleichheiten in Europa geben: Um über politische und wirtschaftliche Phänomene sprechen zu können, braucht man Informationen und Daten. Unsere Daten stehen allen Bürgern und Bürgerinnen Europas zur Verfügung und sollen zur Schaffung eines öffentlichen, demokratischen und konstruktiven Diskurses über Ungleichheiten beitragen.
Link zur Studie:
How unequal is Europe? Evidence from Distributional National Accounts, 1980-2017
“How unequal is Europe” beschäftigt sich mit der Entwicklung von Einkommensungleichheiten in 38 europäischen Ländern im Zeitraum von 1980 bis 2017. Die Daten zeigen, dass das oberste Proezent der Einkommen doppelt so stark wuchs wie die untersten 50%. Die Studie wurde von Thomas Blanchet, Lucas Chancel und Amory Gethin im Rahmen des World Inequality Labs durchgeführt. Das Institut hat sich zum Auftrag gesetzt, globale Ungleichheit zu erforschen und zu einem informierten Diskurs über Verteilungsgerechtigkeit beizutragen.
In einem Währungsraum der seine Wertschöpfungsketten nicht mehr außerhalb verlängern kann prägt sich die Tendenz der Abwertung der Kaufkraft der Einkommen vom Konsumenten hin zu Rohstoff immer stärker aus (bei konstanten Preisen).
Wer nicht investiert stirbt und wer keinen Grund dafür hat ist heute schon ein Zombie. Das altern des Product Mixes wird versucht zu cachieren. Die E.U. und auch Deutschland hat sich bezogen auf Patente zwar verbessert, aber ein großer Teil des Zuwachses ging lange auf Prozess- und erst mit der Zeit verstärkter auf Produkte betreffende Patente. Der alte Wein wurde gekonnt in alte Schläuche, aber auf neuen Wegen abgefüllt. Die E.U. ist noch lange mit dem Prozess fertig, sondern eher bald am Ende.
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Für einen Ökonomen ist ein Gut das nur zu einem anderen Preis wird verkauft bereits wieder ein Neues. Zumal Tisch und Sesseln nur schwer addieren kann wird eher Geld betrachtet und der Rest drunter fällt unter ‘hat im Sinne wessen auch immer’ zu funktionieren.
Es gibt ein nettes Histoirchen zu dem Thema: Manager oder ein Herr aus deren Interessensvertretung (vor langer langer Zeit) aus dem Umfeld der Deutschen Autobauer im Interview. Wir müssen im nächsten Jahr doch wieder Innovation liefen, denn allein den Preisindikator abzusenken hat die Kunden nicht überzeugt, die haben die Autos nicht als neu empfunden. Kein Scherz.
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Flassbecksche Verwirrung. Die Unternehmen sollen ruhig sparen, aber sich nachher beschweren, dass diese keine Schulden resp. Kredit mehr halten. Damit verschiebt es die Schulden in Richtung Staat oder ‘Verbraucher’.
Die Festsetzung des Preisindikators passt immer weniger zu Anbieterseite. Das Geld hält jener der oder halten jene die den Preisindikator festsetzen.
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Das ganze Spiel funktionierte sowieso nur, da die Zinssätze abgesenkt werden konnten.
Es wird in Mitteleuropa viel zu wenig automatisiert bezogen auf den gealterten Product Mix. watch?v=p02Uyp7sZmM
Grund ist unser globalisiertes Wirtschaftssystem …
Das ist der Hauptgrund!
Produktionsberufe im Konsumgüterbereich wurden nach Asien verlagert. Das Nächste was wir verlieren sind Investitionsgüter. Und wen trifft es zuerst? Die Arbeiter! Design, Vertrieb und Management erfolgen vielfach nach wie vor in Europa. Der europäische Arbeiter hat langfristig die Wahl zwischen Arbeitslosigkeit oder fernöstlichen Sozialstandards. Danke Globalisierung, danke Soros und Co!
Auf Dauer kann sich diese Strategie solange auf ‘alte Produkte’ nicht verzichtet wird tatsächlich zu Problemen führen.
Glauben Sie alle diese Güter könnten hier noch produziert werden. Für einen Exportüberschuss bedarf es attraktiver Güter aber auch geringer Einkommen die den Zugriff auf Importe abdrehen ohne dabei die Sparguthaben explodieren zu lassen. Denkt man sich mal die Spekulation weg, dann werden sie sehen, dass die Vermögen gar nicht so unterschiedlich sind.
Das angesprochene Problem ist mehrschichtiger. Es ist aber allein in Mitteleuropa so, dass der Erfolg des Unternehmers in Menge von in die Tasche gestecktem Papiergeld wird beurteilt und nicht am bereitgestellten Gut und dessen Verbreitung wird bemessen. Deutschland ist ein Paradies gegenüber den U.S.
Es gibt keinen Arbeiter mehr sondern alle sind welche resp. werden so entlohnt. Der klassische Industrielohn wurde in den 1980ern frei und da er schon mal verhandelt war nurmehr angepasst und wieder eingeführt.
Im gleichen Atemzug begann der Rückbau der Mitarbeit in der Wirtschaft und eine Verbesserung der ‘echten Arbeiter’ (Selbstständigen) und auch der Mitarbeit im Rahmen der Gesellschaft.
Im Binnenmarkt in der E.U. innerhalb eines Währungsraums merken Sie die Tendenz der Abwertung der Einkommen in der (klassischen/anbieterseitig getriebenen) Industrielinie direkter.
Den Vergleich zu früher kann man halt in EUropa auch nur über das Haushaltseinkommen ziehen, d.h. vor die Zeit die shadowstats.com(ab Mitte der 80er) eher auch schon aus der Sicht eines Individualeinkommens vergleicht.
Wenn zwei Menschen in einem Haushalt arbeiten gehen teilen sie sich mal ein Haushaltseinkommen, aber dieses verdoppelt sich nicht. Das Tauschvolumen wächst so schnell nicht. Für Alleinstehende heißt das, dass ein zweites Einkommen gefordert ist. Das habe ich gemacht. In dem Punkt spießt es sich besonders in Mitteleuropa auf Dauer in Zukunft.
Das Thema hat Politik nicht angesprochen, da dieses zweite Einkommen aus der Spekulation mit Aktien und Dividenden sollte Stammen (Entwicklung Mitte 1980er bis 2005 so ca.).
Ich habe einfach intuitiv ein zweites Einkommen mir beschafft, dabei ist man zwar mit einem Fuß im Häfen (aber nicht da die Art des Geschäfts illegal wäre) und permanent von Entlassung bedroht.
Die IT der 90er hat sich angeboten. Zu der Zeit wurde der Monetarismus internal zu Grabe getragen, aber damit hielt auch immer mehr die Blasenwirtschaft in die Realwirtschaft Einzug.
Nein. Das ist kein Grund, sondern nur die Infrastruktur für den stattfindenden ‘Betrug’. Genauso ist auch der Planet Erde als solches Infrastruktur und den abzuschaffen wäre genauso unsinnig wie die Abschaffung der globalisierten Wirtschaft. Rohstoffe und Know-How sind sehr ungleichmässig verteilt auf dem Globus. Ohne die globale Zusammenarbeit, und mehr ist ein “globalisisertes Wirtschaftssystem” nicht, gäbe es den Grossteil der Waren, Dienstleistungen und Infrastruktur den wir heutzutage geniessen gar nicht. Dann wäre immernoch überall dunkles Mittelalter angesagt.
Der Grund ist, dass seit Anbeginn des durch Europa weltweit geprägten strukturierten Wirtschaftens der Starke den Schwachen mit allen erdenklichen Mitteln kontinuierlich übervorteilt hat. Das kumulierte Ergebnis sehen wir nun vor uns.
Was im Artikel hier noch fehlt, ich habe es hoffentlich nicht überlesen, ist die Wohlstandsschere zwischen den führenden Industrienationen und den Rohstoff- und Arbeitskraft liefernden Ländern in Afrika, Südamerika, dem mittleren Osten und Fernost.
Auch hier wurde direkt an die raubritterische Kolonialzeit angeknüpft und durch insbesondere die europäische Staaten und die USA und ihren Konzernen (Stichwort ‘Economic Hitman’) die Ausbeutung – in ein neues Gewand gekleidet – erweitert und fortgesetzt.
Die Elite mit ihrem heissgeliebten Kapitalismus wird unseren Planeten zerstören, wenn wir sie nicht daran hindern. Der unbedingte Erhalt unseres Status Quo – geprägt durch das Begehren unendlichen Wachstums – ist daher abzulehnen. Konsumverzicht und Protest sollten gelebte Realtität einer jeden verantwortungsvollen Person werden. Nur so hat die Welt eine Chance auf Genesung.
Mit sozialistischem Gruße
Ein Gutmensch