Kampf gegen die Klimakatastrophe, öffentliche Investitionen, 4-Tage-Woche, ein neues Bankensystem, Demokratisierung der Wirtschaft: Das Wahlprogramm der Labour Partei unter Jeremy Corbyn könnte das politische Establishment in Großbritannien ins Wanken bringen – und Vorbild für die europäische Sozialdemokratie sein.
Großbritannien wählt. Auf der einen Seite steht Boris Johnson von den Konservativen. Ihn unterstützen rechtsextreme Politiker wie Nigel Farage und Tommy Robinson. Johnson verspricht einen “harten Brexit” und will sein Land näher das Amerika unter Donald Trump führen. Auf der anderen Seite steht Jeremy Corbyn von der Labour Party. Seine Partei vertritt mit dem Labour Manifest, das am 21. November 2019 veröffentlicht wurde, ein radikales Programm zur Umgestaltung der Wirtschaft.
Das Labour Manifes, das am 21. November 2019 veröffentlicht wurde, baut auf dem Programm von 2017 auf, mit dem die Partei die Wahlprognosen übertreffen und das politische Establishment ins Wanken bringen konnte. Damals wurden Maßnahmen wie die Verstaatlichung der Eisenbahn oder der Wasser- und Energieversorgung in den Medien lächerlich gemacht, haben sich aber als überaus beliebt erwiesen – insbesondere bei der Jugend. Dieses Mal legen die Umfragen nahe, dass die Partei, wenn sie diesen Coup wiederholen will, erneut gegen widrige Umstände zu kämpfen hat. Aber ob sie nun gewinnt oder verliert: Dieses zweite Parteiprogramm unter Corbyn könnte für alle, die jenseits des Neoliberalismus einen neuen Konsens suchen, zu einer maßgebenden Referenz werden. Die zweieinhalb Jahre seit den Wahlen 2017 sind hierbei nicht umsonst gewesen: Das neue Manifest reflektiert eine tiefere, anspruchsvollere und radikalere Politik als das vorherige.
Wie können wir eine demokratische und nachhaltige Volkswirtschaft aufbauen?
Wie bereits 2017 bemüht sich das britische Establishment, Labours Investitionspläne als Fantasiewirtschaft oder Rückkehr in die 1970er abzutun. Aber die wahre Bedeutung dieses Programms liegt nicht in seiner Haushaltspolitik, die sich von der vieler großer europäischer Volkswirtschaften gar nicht so sehr unterscheidet. Stattdessen liegt sie in den Ergebnissen einer zwei Jahre andauernden politischen Entwicklungsarbeit, die gemeinsam mit linken Intellektuellen und sozialen Bewegungen geleistet wurde. Die Frage, die es zu beantworten versucht, lautet: Wie können wir eine demokratische und nachhaltige Volkswirtschaft aufbauen?
Finanzpolitik für alle
Vielleicht zum ersten Mal überhaupt in der Geschichte der Partei wurde der Kampf gegen die Klimakatastrophe zum Herzstück eines Parteiprogramms erklärt. Dort finden sich Pläne für eine „grüne industrielle Revolution“, um die Wirtschaft zu dekarbonisieren und Hunderttausende grüner Arbeitsplätze zu schaffen. So weit, so notwendig. Aber Labour verspricht mehr als eine massive Erhöhung öffentlicher Investitionen. Die wahre Radikalität des Programms liegt darin, wie die nötigen Investitionen getätigt werden sollen: Sein Ziel ist es, neue Institutionen zu schaffen, die sich in öffentlicher und genossenschaftlicher Hand befinden und die britische Wirtschaft radikal demokratisieren und dezentralisieren sollen. Vordenker wie Joe Guinan und Martin O’Neill haben dies Labours „institutionelle Wende“ genannt.
Beispielsweise hat sich die Partei verpflichtet, ein neues öffentliches Bankensystem einzuführen. Eine Nationale Investitionsbank soll durch ein lokales Postbank-Netzwerk ergänzt werden, das grundlegende Bankdienstleistungen anbietet und kleine Unternehmen mit Krediten versorgt. (Disclaimer: Ich habe kürzlich an einem Bericht für die Partei mitgearbeitet, in dem diese Vorschläge entwickelt wurden.)
Außerdem beginnt Labour, über neue Ansätze für die Geld- und Regulierungspolitik nachzudenken, um damit die Kreditvergabe privater Banken auf soziale und ökologische Weise zu gestalten. Dies ist der stimmigste und potenziell transformativste Ansatz für das Bank- und Finanzwesen, der während meiner Lebenszeit von einer britischen politischen Partei den Wählern angeboten wurde. Zehn Jahre nach der Finanzkrise gibt er eine Antwort auf die größte wirtschaftliche Krankheit des Vereinigten Königreichs: eine aufgedunsene, spekulative City of London, die nicht in der Lage ist, in produktive und nachhaltige Aktivitäten zu investieren.
Für Labours internationale Verbündete ist interessant, dass ein großer Teil dieses politischen Programms von Kontinentaleuropa inspiriert ist: Ein direktes Vorbild für die Entwicklung der Labour-Politik in diesem Bereich war beispielsweise das deutsche System öffentlicher Banken. Dies gilt auch für die Pläne, die Energieversorgung in staatliches oder kommunales Eigentum zu überführen. Sie bauen auf der deutschen „Energiewende“ und dem Erfolg von Ländern wie Dänemark bei der Förderung dezentraler und demokratischer erneuerbarer Energieinfrastrukturen auf. In gewisser Hinsicht würde ein Labour-Sieg daher lediglich bedeuten, dass Großbritannien sich wieder dem europäischen sozialdemokratischen Mainstream angliedert. Für das Aushängeschild des Neoliberalismus wäre dies keine geringe Leistung.
Eine demokratischere Wirtschaft für das 21. Jahrhundert
Unser Anspruch als soziale Bewegung geht darüber allerdings noch hinaus. Daher würde die britische Linke von einem dauerhafteren Dialog mit europäischen Progressiven enorm profitieren. Dies könnte dazu beitragen, die Grenzen dieser Modelle zu verstehen und neue Ideen zu entwickeln, wie sie verbessert werden könnten.
So könnte Labour beispielsweise versuchen, die Prinzipien demokratischer Eigentümerschaft und die Kontrolle über wichtige Infrastruktur auf neue Bereiche auszuweiten. Als Beispiel dafür kann ein wichtiger Vorschlag im Programm dienen, allen Bürgern einen kostenfreien Breitbandanschluss zur Verfügung zu stellen. Dies ist kein ein schillerndes Wahlgeschenk, sondern soll Labours zentrales Angebot verdeutlichen: die Wirtschaft nicht nur zu demokratisieren, sondern auch zu modernisieren. Die Partei will den Vorwurf widerlegen, sie wolle in eine ferne Vergangenheit zurück. Stattdessen möchte sie den demokratischen Sozialismus für die Zukunft neu erfinden. Und dahingehend muss man die Frage stellen, welches die zentralen Einflussfaktoren der heutigen Wirtschaft sind. So wie die Eisenbahn und die Wasserwege die entscheidende Infrastruktur des 19. Jahrhunderts waren, so sind es im 21. Jahrhundert das Internet und das Bankensystem. Im Mittelpunkt von Corbyns politischem Projekt steht die Suche nach neuen Wegen, um diese Systeme einer kollektiven Kontrolle zu unterwerfen.
Außerdem geht Labour über die Ausweitung des öffentlichen Eigentums hinaus und denkt verstärkt darüber nach, wie der private Sektor demokratisiert werden kann. Dieser Ansatz kann anhand dreier Maßnahmen zusammengefasst werden: Erstens schlägt die Partei vor, große Unternehmen dazu zu verpflichten, Anteile in „inklusive Eigentumsfonds“ zu überführen, die unter der kollektiven Kontrolle der Belegschaft stehen. Dies wurde vom schwedischen Meidner-Plan inspiriert und zielt auf einen schrittweisen Übergang vom Aktionärskapitalismus hin zur Arbeitnehmerbeteiligung. Zweitens ist eine neue Agentur für Kooperative Entwicklung geplant, deren Mission darin besteht, die Größe des kooperativen Sektors zu verdoppeln. Und drittens soll der „Aufbau von Gemeinschaftseigentum“ gefördert werden – ein Ansatz, der auf den Stadtrat von Preston zurückgeht. Ziel dieser Maßnahme ist, örtliche und gemeinschaftliche Unternehmen dadurch zu unterstützen, dass in der lokalen Wirtschaft öffentliche Gelder in Umlauf gehalten werden.
Die Demokratisierung der Labour Party und Viertagewoche
Abschließend muss noch das Versprechen der Partei erwähnt werden, bis 2030 eine Viertagewoche einzuführen – das ist vielleicht eins ihrer radikalsten Versprechen. So hofft Labour, an ihre bisherigen Bemühungen zur Begrenzung der Arbeitszeit anknüpfen zu können, zu denen der Kampf für einen Achtstundentag und bezahlten Urlaub gehört. Radikale linke Denker vieler Richtungen setzen sich bereits seit langem für eine kürzere Arbeitswoche ein. Umweltschützer glauben, dies könne zur Lösung der ökologischen Krise beitragen, indem Produktivitäts-Verbesserungen nicht dazu verwendet werden, die wirtschaftlichen Aktivitäten auszuweiten, sondern dazu, mehr Freizeit zu haben. Und Feministinnen hoffen auf mehr Gleichheit und Wertschätzung für Haus- und Pflegearbeit.
Gemeinsam mit Schritten hin zu „universellen Grundleistungen“ (wie kostenloser Nahverkehr, Kindererziehung und Breitbandverbindung) spiegelt dies eine Hauptrichtung von Labours Denken wider: Die Partei zielt nicht nur darauf ab, durch mehr öffentliches und kooperatives Eigentum die Marktwirtschaft zu demokratisieren, sondern auch darauf, die Reichweite dieser Marktwirtschaft einzuschränken, indem wir immer mehr dazu in der Lage sind, unsere Bedürfnisse außerhalb des Marktes zu befriedigen.
Letztlich ist das Spannendste am Labour-Parteiprogramm von 2019 nicht, was drin steht, sondern was dahinter steckt. Die Maßnahmen zu vielen Themen, die von Arbeitsplätzen im Klimabereich bis hin zum Zugang zu Medikamenten reichen, stammen direkt aus den sozialen Bewegungen und Kampagnen. Die Labour-Mitglieder haben auf ihrem Jahresparteitag die Initiative übernommen, um die Politik ihrer Partei nach vorn zu bringen – vom Schutz der Freizügigkeit bis hin zur Abschaffung privater Schulen. Einige der führenden Denker der britischen Linken haben politische Berichte in Auftrag gegeben, darunter auch einen mit dem Titel „Land der Vielen“ („Land for the Many“), der eine Vision entwickelt, das Eigentum und die Verwendung von Grund und Boden radikal zu demokratisieren.
Nicht alles davon hat seinen Weg ins Parteiprogramm gefunden. Aber es reflektierte eine tiefe Diskussion und Mobilisierung in der britischen Linken, die vor zwei Jahren noch nicht vorhanden war. Unabhängig vom Ausgang der Wahl ist das sehr ermutigend. Von der Basis her bildet sich ein neuer politischer Konsens, der sich früher oder später sicherlich durchsetzen wird. Damit erfüllt sich gerade das alte Versprechen des Corbynismus, die Politik innerhalb der Labour-Bewegung zu demokratisieren. Wir können nur hoffen, dass diese Entwicklung auch auf das gesamte Königreich übergreift.
Christine Berry ist Ökonomin, freie Journalistin und Co-Autorin von People Get Ready! Preparing for a Corbyn Government
Die wichtigsten Punkte aus dem Labour-Programm
Kampf gegen die Klimakrise
Ein Herzstück des Parteiprogramms ist der Kampf gegen die Klimakrise. Mit einer „grünen industriellen Revolution“ will Labour die Wirtschaft dekarbonisieren. Davon erwartet man sich auch Hunderttausende grüner Arbeitsplätze.
Öffentliche Investitionen
Labour will eine massive Erhöhung öffentlicher Investitionen. Radikal gedacht ist, wie die nötigen Investitionen getätigt werden sollen: Mit neuen Institutionen, die sich in öffentlicher und genossenschaftlicher Hand befinden und die britische Wirtschaft demokratisieren und dezentralisieren sollen. Labour nennt das „Institutionelle Wende“.
4-Tage-Woche bis 2030
Das vielleicht radikalste Versprechen von Labour ist der Plan, bis 2030 eine 4-Tage-Woche einzuführen. Linke Denker vieler Richtungen setzen sich bereits seit langem für eine kürzere Arbeitswoche ein. Umweltschützer glauben, sie kann zur Lösung der ökologischen Krise beitragen, indem Produktivitäts-Verbesserungen nicht dazu verwendet werden, die wirtschaftlichen Aktivitäten auszuweiten, sondern dazu, mehr Freizeit zu haben. Und Feministinnen hoffen auf mehr Gleichheit und Wertschätzung für Haus- und Pflegearbeit.
Spziales und ökologisches Bankensystem
Labour will ein neues öffentliches Bankensystem einführen. Eine Nationale Investitionsbank soll durch ein lokales Postbank-Netzwerk ergänzt werden, das grundlegende Bankdienstleistungen anbietet und kleine Unternehmen mit Krediten versorgt.
Aber auch die Kreditvergabe privater Banken will Labour auf soziale und ökologische Weise umgestalten. Zehn Jahre nach der Finanzkrise ist das die Antwort auf die größte wirtschaftliche Krankheit des Vereinigten Königreichs: eine aufgeblasene, spekulative Finanzzentrum City of London, die nicht in der Lage ist, in produktive und nachhaltige Aktivitäten zu investieren.
Kollektive Kontrolle und Infrastruktur für Alle
Labour will nicht weniger als den demokratischen Sozialismus für die Zukunft neu erfinden. Dabei stellt sich die Frage, was die zentralen Einflussfaktoren der heutigen Wirtschaft sind. So wie die Eisenbahn und die Wasserwege die entscheidende Infrastruktur des 19. Jahrhunderts waren, so sind es im 21. Jahrhundert etwa das Internet und das Bankensystem. Im Mittelpunkt des Projekts von Jeremy Corbyn steht die Suche nach neuen Wegen, um diese Systeme einer kollektiven Kontrolle zu unterwerfen.
Demokratisierung des privaten Sektors
Labour denkt auch darüber nach, wie der private Sektor demokratisiert werden kann. Dieser Ansatz lässt sich in 3 Maßnahmen zusammenfassen:
Arbeitnehmer-Beteiligung
Labour will große Unternehmen dazu zu verpflichten, Anteile in „inklusive Eigentums-Fonds“ zu überführen, die unter der kollektiven Kontrolle der Belegschaft stehen. Dies wurde vom schwedischen Rehn-Meidner-Plan inspiriert und zielt auf einen schrittweisen Übergang vom Aktionärs-Kapitalismus hin zur Arbeitnehmer-Beteiligung.
Kooperative Entwicklung
Labour will eine neue Agentur für Kooperative Entwicklung, deren Mission darin besteht, die Größe des kooperativen Sektors zu verdoppeln.
Gemeinschaftseigentum
Darüber hinaus will Labour den „Aufbau von Gemeinschaftseigentum“ fördern. Ziel der Maßnahme ist, örtliche und gemeinschaftliche Unternehmen dadurch zu unterstützen, dass in der lokalen Wirtschaft öffentliche Gelder in Umlauf gehalten werden.
Auf den sozialen Medien verbreitet Jeremy Corbyn auch mit unorthodoxen Videos seine Ideen:
https://www.facebook.com/JeremyCorbynMP/videos/555745268336397/
Die direkt diagnostizierbare Krankheit dieses Artikels ist die grauenvolle Satzstellung und miserable Orthografie. Indirekt die verblendete, unkritische Wiedergabe von Corbyns Ideologie. Demokratisierung und Kollektivierung hatten wir in der DDR und in Osteuropa. Die verheerenden Folgen für Wohlstand und soziale Gerechtigkeit sind bis heute deutlich sichtbar. Aber ihr Linken hat genauso wenig aus der Geschichte gelernt, wie die ewig gestrigen Neonazis.