Kuhmist ist das neue Gold. Zumindest in Andhra Pradesh, dem achtgrößten Bundesstaat von Indien. Dort wollen sechs Millionen Bauernfamilien eine gänzlich pestizidfreie Landwirtschaft aufbauen. Das könnte die wichtigste Agrarwende der Geschichte einleiten.
Das womöglich wichtigste landwirtschaftliche Projekt der Welt findet laut Umweltprogramm der Vereinten Nationen (Unep) gerade im südindischen Andhra Pradesh statt. Die Provinz hat 49 Millionen Einwohner und ist etwa halb so groß wie Deutschland. Bis 2027 soll dort eine 100% natürliche Landwirtschaft ganz ohne Pestizide entstehen. Biologische Dünger, wie Kuhmist, sind dabei hoch im Kurs. Sie sollen die von Monokulturen und Chemiedünger verseuchten Böden wieder gesund machen. Und auch die Menschen, die durch die vormals industrielle Landwirtschaft krank geworden sind, blicken hoffnungsvoll in eine nachhaltigere Zukunft.
Jahrelanger Einsatz von Chemikalien zerstört Boden und Menschenleben
Pestizide, die am europäischen Markt längst verboten sind, werden in vielen Teilen Indiens nach wie vor inflationär eingesetzt. Zerstörte Böden und massive Ernteeinbußen zählen zu den oftmals unerwarteten Schattenseiten. Eine auf Monokultur basierende Landwirtschaft, also riesige Felder, die nur mit einer einzigen Fruchtsorte angebaut werden, bringt aber noch weitere Probleme mit sich: Monokulturen von Reis und Weizen beispielsweise verbrauchen etwa zehnmal so viel Wasser wie biologische und pestizidfreie Anbauweisen. Das führt zu Wasserknappheit in ganz Indien.
Aber nicht nur die Natur leidet unter dieser enorm unnachhaltigen Landwirtschaftsweise: Aufgrund des Pestizideinsatzes zählen brennende Augen, Schwindel und stechende Haut zum Alltag vieler Bauernfamilien. Die Chemikalien machen krank und Atemwegsbeschwerden sowie Krebserkranken sind in den vergangenen Jahren in die Höhe geschnellt. Viele gute Gründe, um die Landwirtschaft neu zu denken.
800.000 Bauern haben bereits auf pestizidfreie Landwirtschaft umgestellt
Die vielfach gepriesene und angeblich leistungsstarke industrielle Landwirtschaft macht gerade einmal ein Viertel der weltweiten Lebensmittelproduktion aus. Sie verbraucht aber drei Viertel aller weltweiten Ressourcen. Es ist ein höchst ineffzientes System, das die Bäuerinnen und Bauern in Indien über Jahrzehnte praktizieren mussten. Und ein System, das viele nicht nur in den wirtschaftlichen Ruin, sondern auch in den Selbstmord trieb. Verschuldung durch überteuerte Düngemittel, fallende Verkaufspreise und steigende Produktionskosten: Damit soll jetzt Schluss sein. Vijay Kumar Thalla ist landwirtschaftlicher Berater für die rund 6 Millionen Familien, die in Andhra Pradesh auf die Öko-Landwirtschaft umstellen wollen. Er sieht im Landwirtschaftsprojekt, das von der indischen Regierung mitgetragen wird, eine große Chance und meint: „Die Bauern im Land müssen glücklich sein, denn sie sind es, die uns mit Nahrung versorgen.“
Kommt jetzt die Agrarwende?
Seit 1991 versuchen auch Initiativen aus dem NGO-Bereich die Agrarwende und eine pestizidfreie Landwirtschaft ohne Monokulturen voranzutreiben. Unter anderem die NGO Navdanya, die von der Umweltaktivistin Vandana Shiva mitbegründet wurde.
Indien ist flächenmäßig das siebtgrößte Land der Erde und hat nach China die zweitgrößte Bevölkerung. Wenn dieses Land seine Agrarweise neu denkt, habe das laut Vandana Shiva nicht nur einen wichtigen Einfluss auf das Leben der Inderinnen und Inder. Es besteht auch die Hoffnung, dass dieses Vorzeigeprojekt auch den weltweiten Ausstieg aus der industriellen Landwirtschaft vorantreibt.