Zwei von drei Unternehmen tun sich heute schwer damit, Beschäftigte zu finden. Der Fachkräftemangel ist laut dem Fachkräfteradar 2022 auf einem „Allzeithoch“, über viele Branchen hinweg – im Bereich Tourismus, Bau, Produktion oder Transportwesen. Aber auch im Pflegebereich oder in Schulen wird händeringend nach Personal gesucht. Diese Situation könnte sich zukünftig auch noch weiter verschärfen, weil in den nächsten Jahren große Pensionswellen bevorstehen und gleichzeitig weniger junge Menschen auf den Arbeitsmarkt nachkommen. Jetzt müsste man in Bildung, Gesundheit und gute Jobs investieren – doch die Regierung macht das Gegenteil.
Eigentlich ist die derzeitige Situation am Arbeitsmarkt eine gute Ausgangslage für die Verhandlungen von Arbeitnehmer:innen. Denn der Mangel bedeutet, dass weniger Arbeitskräfte für ungenügend bezahlte Jobs vorhanden sind. Gute Unternehmen werben einfach Arbeitskräfte von schlechten Unternehmen ab, wie Ökonom Markus Marterbauer erklärt.
Oder, wie es eine der führenden Online Job-Börsen ausdrückt: „Das Jobangebot treibt die Jobnachfrage nach oben: Je größer das Angebot, desto wechselwilliger werden die Menschen.“
Doch gegenwärtig dominiert die Sichtweise der Arbeitgebervertreter in der Politik, die eine derartige Arbeitsmarktsituation als großes Problem darstellt. Das war nicht immer so. Noch vor 50 Jahren war es positiv, dass Arbeitskräfte so stark nachgefragt wurden:
„Heute gilt Arbeitskräfteknappheit fälschlich als Hemmnis der wirtschaftlichen Entwicklung. In den 1970er Jahren nannte man sie Vollbeschäftigung, und sie war das wichtigste Ziel der Wirtschaftspolitik“, schreiben die Ökonomen Markus Marterbauer und Martin Schürz in ihrem aktuellen Buch.
Investitionen in Bildung, Gesundheit und gute Jobs würden das Problem lösen
Wenn die Arbeitskräfte fehlen, muss die Regierung besonders in Bildung, Qualifizierung und Gesundheit investieren – um den Wandel und auch den steigenden Wohlstand zu unterstützen. Auch Kindergärten sowie der Pflegebereich müssen ausgebaut werden, damit diese Tätigkeiten nicht unbezahlt zu Hause erledigt werden müssen, sondern von gut bezahltem Personal in gut ausgestatteten Einrichtungen. Dadurch können auch mehr Frauen in die Erwerbstätigkeit bzw. in die Vollbeschäftigung wechseln.
„Die Politik muss dabei unterstützen, Arbeitskräfte von miesen zu guten Unternehmen mit hoher Produktivität, hohen Löhnen und guten Bedingungen zu vermitteln. Miese Betriebe, die niedrige Löhne zahlen, oft kündigen, schlechte Qualität bieten, verdienen die Unterstützung der Politik und die Vermittlung durch das AMS nicht: Nicht jede offene Stelle ist es wert, besetzt zu werden“, sagt Ökonom Markus Marterbauer.
Fachkräftemangel in Gastro-Branche „selbst verschuldet“
Besonders auffällig ist der Zusammenhang von offenen Stellen und schlechten Arbeitsbedingungen in der Gastronomie- und Tourismusbranche. Dort ist die Nachfrage nach Personal in den letzten Monaten enorm gestiegen: Im November sind in diesem Bereich um 50 Prozent mehr Stellen ausgeschrieben worden als noch im Jänner 2022.
Eine Studie der AK Oberösterreich zeigt, dass der dortige Arbeitskräftemangel zu einem großen Teil „selbst verschuldet“ ist. Personal fehlt wegen „struktureller Mängel“ bei der Entlohnung, den Arbeitszeiten und Entwicklungsmöglichkeiten.
„Gastro und Tourismus sind harte Arbeitsfelder – und die Jobs dort werden unattraktiv gestaltet. Die Arbeitsorte sind dezentral, die Arbeitszeiten sind lang, es wird viel Aufopferung für den Betrieb abverlangt, man sieht die Familie wenig. Wenn ich will, dass Menschen für mich arbeiten und meine Gewinne erwirtschaften, muss ich sie gut behandeln und gut bezahlen“, erklärt Natascha Strobl die Situation in der Branche.
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Was will die Regierung: Dass Menschen länger arbeiten und erst später in Pension dürfen
Doch anstatt für gute Arbeitsbedingungen zu sorgen sowie in Aus- und Weiterbildung zu investieren, macht die Regierung genau das Gegenteil: ÖVP und Grüne wollen jetzt die blockweise Altersteilzeit abschaffen. Menschen über 60 haben derzeit noch den Anspruch, zuerst voll und dann gar nicht mehr zu arbeiten, bevor sie in Pension gehen – zu einem reduzierten Gehalt. Doch das soll es in Zukunft nicht mehr geben. Dabei verbessert das die Fachkräftesituation gar nicht, wie Expert:innen erklären.
“Tatsächlich sehe ich keinen Zusammenhang mit dem vorhandenen Arbeitskräfte- oder Fachkräftemangel. Durch diese Abschaffung wird dieses Problem meines Erachtens nicht adressiert”, sagt dazu WIFO-Expertin Christine Mayrhuber im Ö1-Morgenjournal.
ÖGB-Chef Wolfgang Katzian sieht darin vor allem einen Angriff auf die Rechte von älteren Arbeitnehmer:innen: „Menschen länger im Berufsleben zu halten, wird nicht funktionieren, indem man ihnen die geblockte Altersteilzeit verwehrt. Es funktioniert mit fairen Arbeitsbedingungen und besserer Bezahlung.“ Für die leitende Chef-Sekretärin des ÖGB, Ingrid Reischl, ist die geblockte Altersteilzeit insbesondere für psychisch oder physisch angeschlagene Personen eine wichtige Möglichkeit, die wenigen Jahre zur Pension noch durchzuhalten, wie der Standard berichtet. Ohne diese Option würden diese Menschen in die Invaliditätspension oder die Arbeitslosigkeit gedrängt werden.
Geht es nach den Arbeitgeber-Vertretern, soll darüber hinaus die tägliche Arbeitszeit auch für Schwangere und Jugendliche auf 10 Stunden ausgeweitet werden. Und das, obwohl es für diese Gruppen aus guten Gründen strengere Schutzbestimmungen gibt. Das ÖVP-geführte Arbeitsministerium lud zum Austausch darüber ein.
Auch dass die Regierung die sogenannte Mangelberuf-Liste so ausgeweitet hat wie noch nie, löst das Problem nicht – im Gegenteil. Auf dieser Liste stehen jene Jobs, für die es in Österreich bzw. im EU-Raum zu wenige Fachkräfte gibt, um den Bedarf zu decken. ÖVP und Grüne haben für 2023 insgesamt 100 Berufe auf Bundesebene und 58 weitere für einzelne Bundesländer zu Mangelberufen erklärt. Für diese Stellen können Unternehmen leichter Personen aus Drittstaaten anwerben. Anstatt also die Arbeitsbedingungen zu verbessern, Löhne zu erhöhen oder die Arbeitszeit zu verkürzen, können Unternehmen somit vermehrt billige Saisonarbeiter:innen aus dem Ausland einsetzen.
ÖVP und Grüne sparen auch bei Lehrlingen
Als „Fachkräfte von morgen“ werden gemeinhin die Lehrlinge bezeichnet, doch Betriebe bieten immer weniger Lehrstellen an. In den vergangenen 15 Jahren ging die Anzahl der Betriebe, die Lehrlinge ausbilden, um ein Viertel zurück.
„Für uns passt es nicht zusammen, einerseits zu jammern, dass es nicht genug Fachkräfte gibt, aber andererseits diese Fachkräfte nicht selbst ausbilden zu wollen“, sagt Stefan Laufenböck, Bundesjugendsekretär der PRO-GE.
Die Gewerkschaft fordert deshalb einerseits die Aufwertung der Lehre sowie die Verbesserungen der bestehenden Rahmenbedingungen. So müssen Jugendliche etwa für die Meisterprüfung mehrere hundert Euro hinblättern.
Wenn man keine Chance auf eine Lehrstelle hat, gibt es die Möglichkeit der überbetrieblichen Lehre. Dafür erhalten die jungen Erwachsenen in den ersten beiden Lehrjahren jedoch nur rund 361 Euro im Monat. Diese Bezahlung soll 2023 nur um rund 3 Prozent angehoben werden. Doch davon kann man kaum leben. Anstatt in die Ausbildung junger Menschen zu investieren, werden sie in Aushilfsjobs gedrängt. Denn dort verdienen sie zumindest kurzfristig das Dreifache.
Zuletzt hat die Regierung auch bei der Weiterbildung von Leiharbeitskräften gekürzt. 1,5 Millionen Euro jährlich sollten eigentlich an den Sozial- und Weiterbildungsfonds (SWF) fließen – womit Leiharbeitskräfte u.a. zu Kranführer:innen oder Stapler:innen ausgebildet werden. Doch dieses Geld strichen ÖVP und Grüne für die nächsten Jahre.
Längeres Arbeiten für Senioren? Unbedingt. Junge Absolventen hatten fast nie eine Chance, den sehr schwierigen Übergang von der Schule in den Beruf zu realisieren. In allen Inseraten wurde Berufserfahrung gefordert. Ohne das bekam man den ausgeschriebenen Arbeitsplatz nicht. Und wenn man nach dem Abschluss der Ausbildung es nicht sofort schaffte, einen Arbeitsplatz zu finden, war man für immer weg vom Fenster. Dieses Prinzip hat jahrzehntelang so dominert. Senioren, die einst solche Aktionen begangen haben und jedem Junior seine Atemluft weggeschnappt haben, gehören heute nicht in den Ruhestand.