Wenn es um viralen Internet-Humor geht, ist 9GAG im deutschsprachigen Raum ganz vorn dabei. Laut dem Analysedienst Similarweb zählt die Seite weltweit rund 85,8 Millionen Besuche im Monat, über 13 % davon stammen aus Deutschland. Vor allem junge Männer zwischen 18 und 34 sind die Hauptzielgruppe. Ursprünglich war 9GAG ein Ort für harmlose Witze, Katzenbilder und virale Memes. Doch in den letzten Jahren hat sich die Plattform gewandelt: Politische Postings sind häufiger geworden, viele davon mit rechtsextremen, rassistischen oder frauenfeindlichen Inhalten.
9GAG startete mit unpolitischen Inhalten
9GAG wurde ursprünglich 2008 von Ray Chan gemeinsam mit einem vierköpfigen Team in Hongkong als Nebenprojekt gestartet. Die Idee war simpel: Nutzer laden lustige Bilder oder Videos hoch, andere bewerten sie mit Up- oder Downvotes (Auf- oder Abwertungen). Was gut ankommt, landet auf der Startseite. Lange funktionierte das System gut. Die Seite wurde immer populärer, die Inhalte waren anfangs unpolitisch.
Doch schon wenige Jahre nach der Gründung tauchten auf 9GAG vereinzelt rechte Posts und Memes auf. Die blieben zunächst noch Randerscheinungen und fanden wenig Zustimmung beim Publikum. Während der Flüchtlingsdebatte und des US-Wahlkampfs von Donald Trump änderte sich das, es kam zu einer spürbaren Verschiebung der Community nach rechts.
Rechte Inhalte wurden sichtbarer und fanden zunehmend Unterstützung durch bestimmte Nutzergruppen, die sich gegenseitig verstärkten. Themen wie Migration, Gender oder LGBTQ-Rechte wurden immer öfter abgewertet oder ins Lächerliche gezogen.
Humor als Deckmantel für Diskriminierung
Der französische Linguist Albin Wagener untersuchte in einer bereits 2014 veröffentlichten Studie über 400 populäre Beiträge auf der Seite. In etwa elf Prozent der Beiträge fand er deutlich diskriminierende Inhalte, vor allem gegen Frauen, homosexuelle Menschen und ethnische Minderheiten. Solche Darstellungen machten zwar nicht die überwiegende Mehrheit der Posts aus, tauchten aber immer wieder auf. Es geht darin vor allem darum, sich über benachteiligte Gruppen lustig zu machen. Humor dient dann als Vorwand, um rassistische und sexistische Aussagen zu verbreiten.
Auch der Kommunikationsforscher Jose Gutierrez stellte 2015 fest, dass auf 9GAG sexistische, rassistische und nationalitätsbezogene Stereotype verbreitet wurden. Gleichzeitig fand er jedoch auch Beiträge, die sich deutlich für Pluralismus und gesellschaftliche Vielfalt aussprachen.
Wenig Kontrolle machte 9GAG anfällig für Extremismus
9GAG wurde über Jahre hinweg von einem sehr kleinen Team betrieben. Problematische Inhalte wurden meist nur dann gelöscht, wenn sie zuvor von Nutzerinnen oder Nutzern gemeldet worden waren. Für eine globale Plattform war das völlig unzureichend.
Hinzu kam, dass andere soziale Netzwerke wie Reddit oder Facebook ihre Regeln verschärften und härter gegen extremistische Inhalte vorgingen. So wurde etwa 2020 der bekannte Subreddit „r/The_Donald“ geschlossen, und auch Meta sperrte vermehrt radikale Trump-Anhänger. Damit verlagerte sich politisch aufgeladener Inhalt zwangsläufig auch zu 9GAG, wo es im Gegensatz zu den anderen Plattformen kaum Moderation gab.
Während der Corona-Pandemie verbreiteten sich dort massenhaft Anti-Impf-Memes, Falschinformationen und Verschwörungserzählungen. Auch LGBTQ-feindliche Inhalte nahmen deutlich zu. Selbst unter unpolitischen Posts tauchten zunehmend politische Spitzen auf. Zum Beispiel mit spöttischen Kommentaren über „woke culture“ oder angebliche „gender ideology“.

Ehemalige Nutzerinnen und Nutzer berichten, dass sie 9GAG verlassen haben, weil ihnen die inhaltliche Ausrichtung und der raue Umgangston zu viel wurden. Wer alleine schon versucht, Falschbehauptungen zu korrigieren oder für Toleranz zu argumentieren, wird häufig beleidigt oder mit Hass überzogen. Ein User auf Reddit beschreibt seinen Ausstieg von der Plattform wie folgt:
„Sie sind zu absolut hassenswerten Idioten geworden. Sie verspotten Menschen, die leicht zu provozieren’ sind, aber flippen selbst aus, wenn eine fiktive Figur schwarz oder schwul ist. Sie verbreiten Fake-News und falsche Statistiken. Es geht nicht mehr um Memes. Es ist nur noch Propaganda. Ich habe meinen Account gelöscht. Ich komme nicht zurück.“
“L’amour toujours” war wegen rassistischer Parolen auf der Plattform populär
2024 ging ein Video viral, in dem deutsche Jugendliche Neonazi-Parolen zu Gigi d’Agostinos Song „L’amour toujours“ grölten. Auf dem ersten Video war eine Gruppe Jugendlicher in der “Pony-Bar” auf Sylt zu sehen, die lauthals “Deutschland den Deutschen, Ausländer raus” zu dem Partyhit mitsangen. Es folgten weitere Videos, in denen junge Menschen die gleiche umgedichtete Version direkt in die Kamera schrien. Später wurde klar, dass viele dieser Clips auf 9GAG zu Tausenden geteilt wurden. Die Plattform war voll davon, ein Beitrag folgte dem anderen. Die Kommentarspalten waren voller Zuspruch.
Geschichten wie die des rassistisch umgetexteten Agostino-Songs zeigen, dass 9GAG längst nicht mehr bloß eine Anlaufstelle für harmlose Internetwitze ist. Im Gegenteil: Was auf 9GAG gepostet wird, landet nicht selten wenig später auf Telegram, X, Facebook oder Reddit. Im schlimmsten Fall beschränkt sich der Hass nicht aufs Internet. 2019 richtete sich ein sexistischer und transphober Shitstorm gegen das Frauenreferat der Universität Mainz. Zahlreiche Emails mit Hassnachrichten und frauenverachtenden Kommentaren erreichten das Referat. Mindestens eine E-Mail wurde sogar zur Anzeige gebracht. Auslöser war ein Beitrag, der mutmaßlich von 9GAG ausging und sich rasend schnell verbreitete.
9GAGs Inhalte bleiben rechts, trotz Besserungen
Erst in jüngerer Zeit scheint sich etwas zu ändern. Nutzerinnen und Nutzer berichten inzwischen von gelöschten Kommentaren und gesperrten Accounts. Außerdem können bestimmte Themen wie Politik in den Einstellungen ausgeblendet werden.
Ob 9GAG es mit der Moderation nun wirklich ernst meint, bleibt jedoch fraglich. Auf der Startseite tauchen weiterhin regelmäßig rassistische oder diskriminierende Inhalte auf. Zudem ist die Plattform juristisch schwer zu fassen: Der Unternehmenssitz in Hongkong schützt sie vor vielen Regulierungen, wie sie in der EU oder teilweise auch in den USA inzwischen üblich sind.
Incels: Wie sich junge Männer im Internet zu radikalen Frauenhassern entwickeln