Europa

Klimaschutz in Barcelona: So erobert die linke Regierung die Straßen für Fußgänger und Kinder zurück

Foto: Unsplash.com/Alfons Taekema

Barcelona organisiert den Auto-Verkehr völlig neu – und wird damit jährlich rund 660 Menschen das Leben retten. Denn die starben bisher an den Folgen von Abgasen, Lärm und Hitze. Wie die Stadt das anstellt? Mit großen Begegnungszonen (“Superblocks”), niedrigen Tempolimits, autofreien Tagen, Begrünung und Fahrverboten. Und all das ist auch noch gut für die Wirtschaft. 

Zehntausende Emissions-Tote pro Jahr in Spanien

Der dichte PKW-Verkehr in Europas Metropolen ist zum massiven Problem geworden. Nicht nur weil er Staus verursacht, sondern auch weil Feinstaub und ausgestoßene Schadstoffe die Gesundheit der Stadtbewohner gefährden – besonders schädlich sind sie für Kinder und ältere Menschen.

Laut der Europäischen Umweltagentur (EEA) sterben jährlich Hunderttausende Menschen in Europa an den Folgen von Luftverschmutzung – und die geht auch auf den Autoverkehr zurück. Allein 2016 waren es 400.000.

Auch Spanien und seine Bevölkerung leiden unter schlechter Luft, vor allem in den Großstädten. Statistisch starben dort bis zu 30.000 Menschen pro Jahr an den Folgen. 2019 kündigte der Europäische Gerichtshof (EuGH) Sanktionen an, weil Spanien „systematisch“ die Obergrenze erlaubter Stickstoff-Emissionen überschritt. Im Fokus standen vor allem Madrid und Barcelona. Beiden Städten drohten Geldstrafen in Millionenhöhe.

Barcelona lässt nun beim Verkehr nichts beim Alten. Bürgermeisterin Ada Colau will die Stadt den Anrainern, Fußgängern, Kindern und Radfahrern zurückgeben. Dafür verlangsamt ihre Stadtregierung den Verkehr durch „Superblocks“ und verbannt CO2-Schleudern von den Straßen.

Wir müssen unsere Sicht auf die Stadt ändern, die Luftverschmutzung ist unerträglich und die EU hat uns bereits aufgefordert, zu handeln. Wir müssen das Design der Stadt ändern, es ist zu autozentriert.” (Ada Colau, Bürgermeisterin von Barcelona)

Eine Studie des Barcelona Institute for Global Health zeigt: Setzt Barcelona etwa 500 Superblocks um, könnte das jährlich über 660 vorzeitige Tode durch Luftverschmutzung verhindern.

„Superblocks“, weniger km/h und autofreie Tage

Ada Colau, seit 2015 Bürgermeisterin von Barcelona. (Foto: Andrea Ciambra/Flickr.com, CC BY 2.0, keine Änderungen)

Den Verkehr umzukrempeln ist für jede Stadt eine große Herausforderung. Schließlich hat man es mit dichter Bebauung und schon vorhandenen Straßen zu tun. Eine Stadt neu auf dem Reißbrett entwerfen, ist nicht möglich – man muss mit dem arbeiten, was vorhanden ist. Barcelona tut genau das.

Colau will nun die gesamte Stadt entschleunigen – zumindest was den PKW-Verkehr betrifft. Denn Autos, die schnell fahren, stoßen mehr CO2 und Feinstaub aus. Das Ziel: Auf 75 Prozent aller Straßen soll eine maximale Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h gelten. So kommt jeder zu seinem Ziel – nur etwas langsamer.

Zusätzlich werden am ersten Wochenende jedes Monats einige der größten Straßen in Barcelona gänzlich für Autos gesperrt. Wer also in die Stadt will, muss die gut ausgebauten öffentlichen Verkehrsmittel nutzen. Das soll sowohl Klima als auch Menschen schützen:

Wir müssen den Menschen Raum geben und ihn wirklich zu einem öffentlichen Raum machen, für Erwachsene und Kinder. Das ist ein Gesundheits- und Sicherheitsthema. Wir verringern die Geschwindigkeit auf 75% der Straßen, um Verkehrsunfälle zu reduzieren.” (Ada Colau, Bürgermeisterin von Barcelona)

Ein Weg, die Geschwindigkeit zu drosseln, sind „Superblocks“ – oder „Superilles“, wie sie im Katalanischen heißen.

Wie funktionieren „Superblocks“?

In Barcelona nehmen Straßen mitsamt den fahrenden Autos sehr viel Stadtfläche weg. Bei „Superblocks“ geht es darum, Häuserblöcke zusammenzufassen. In Barcelona geht das recht einfach, weil Häuser samt Straßen im Schachbrettmuster gebaut sind.

Anhand von 2×2 oder 3×3 Häuserblöcken wird der Verkehr neu organisiert. Diese Blöcke sind nach wie vor befahrbar. Immerhin müssen Anrainer zu ihren Wohnungen und Geschäfte zu ihren Lieferungen kommen. Doch: Innerhalb der Blöcke gilt eine Höchstgeschwindigkeit von 10 km/h.

Die Häuserblocks in Barcelona sind wie ein Schachbrett aufgebaut. (Foto: Kaspars Upmanis/Unsplash.com)

Studie: „Superblocks“ retten Menschenleben

Derzeit gibt es sechs „Superblocks“ in Barcelona. Laut Experten wären über 500 möglich. Setzt die Stadt alle von ihnen um, steigert sich die Luftqualität bedeutend. Laut dem Barcelona Institute for Global Health würde sich die Stickstoffdioxid-Belastung um fast ein Viertel reduzieren.

Doch die Rechnung geht noch weiter: Die bessere Luftqualität könnte die durchschnittliche Lebenserwartung einer Bewohnerin um 200 Tage verlängern – und der Stadt Kosten in der Höhe von 1,7 Milliarden Euro ersparen.

Und gut für das Klima ist es auch: Da „Superblocks“ auch begrünt werden und mehr öffentliche Verkehrsmittel genutzt werden, reduziert das die Hitze in der Stadt.

All das zusammen könnte 667 Menschen jährlich das Leben retten, weil sie nicht mehr an den Folgen von Luftverschmutzung, Hitze und lautem Verkehr erkranken.

All das ist auch noch gut für die Wirtschaft

Aber was ist mit der Wirtschaft? Schaden „Superblocks“ nicht den dem Handel? Anfangs begegnete man dem Projekt mit Skepsis. Doch die Realität zeigt: Die lokale Wirtschaft profitiert sogar vom neuen Verkehrskonzept.

Denn: Innerhalb von „Superblocks“ sind mehr Fußgänger unterwegs, machen Familien mit Kindern und mehr ältere Menschen Spaziergänge. Sie schlendern, gehen in Restaurants, Bäckereien und Geschäfte. Und wenn die mitunter begrünten – und kühleren – Straßen auch für Veranstaltungen und Treffen genutzt werden, fällt ebenfalls immer etwas für die Geschäfte ab.

In Poblenou, im Norden Barcelonas, wurde schon 2017 ein „Superblock“ eingeführt. Jetzt gibt es dort 30 Prozent mehr Geschäfte und Lokale als davor.

Weniger CO2-Schleudern und gratis Öffi-Tickets

All das ist Colau und ihrer Stadtregierung aber noch nicht genug. Seit diesem Jahr gehen sie auch alten Autos mit höherem Sprit-Verbrauch an den Kragen. Seit 2. Jänner 2020 gilt in Barcelona ein Fahrverbot: Diesel-Autos, die vor 2006 und Benzin-Autos, die vor 2000 zugelassen wurden, dürfen werktags nicht zwischen 7 und 20 Uhr nicht mehr im Stadtgebiet fahren. Wer umrüsten kann, bekommt eine „Umweltplakette“ für sein Auto.

Vom Verbot betroffen sind etwa 50.000 PKWs. Ab April gelten Strafen zwischen 100 und 500 Euro.

Damit Menschen dennoch zu ihren Jobs und zu anderen Zwecken in die Stadt fahren können, gibt es kostenlose Öffi-Tickets, die 3 Jahre gültig sind. Das soll den Umstieg auf Öffis erleichtern.

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