Bildung

Deutschförderklassen funktionieren nicht: 80 Prozent der Lehrer sind gegen getrennten Unterricht

Der getrennte Unterricht für Kinder mit Förderbedarf in Deutsch fällt bei den Lehrern durch. Soziale Ausgrenzung, falsche Ausbildung der Lehrenden und der Mangel an passenden Räumen und Materialien stehen auf der langen Liste an Kritikpunkten. Die SPÖ will das Modell reformieren.

Nicht Genügend, setzen! lautet das Urteil von Österreichs Lehrerinnen und Lehrern für die Deutschförderklassen der Regierung. Eine Umfrage der Universität Wien, an der 1.300 Lehrer aus ganz Österreich, ausgenommen Salzburg, teilnahmen, fällt vernichtend aus. 80 Prozent der Pädagogen erteilen dem Deutschunterricht in getrennten Klassen eine Absage.

Die Kritik: Die Kinder erfahren soziale Ausgrenzung, die Klassen sind mit Kindern und Jugendlichen verschiedener Altersgruppen und mit verschiedenen Sprachkenntnissen durchmischt und viel zu groß. Für das spielerische Lernen fehlen gleichaltrige Mitschüler mit Deutsch als Muttersprache. Außerdem hat ein Großteil der Pädagogen keine Ausbildung im Bereich Deutsch als Zweitsprache.

80 Prozent für gemeinsamen Unterricht

Für die nicht repräsentative Umfrage vom „Zentrum für LehrerInnenbildung“ der Universität Wien wurden Lehrer befragt, die an Schulen mit zumindest einer Deutschförderklasse oder einem Deutschförderkurs arbeiten. Hier werden Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher Altersgruppen und teils sehr unterschiedlichen Sprachniveaus in Deutsch unterrichtet, bis sie dem Regelunterricht folgen können.

Vor allem das Urteil jener Lehrenden, die selbst Deutsch als Fremdsprache unterrichten, fiel vernichtend aus. Der Betreuungsschlüssel von einem Lehrer auf 16 Schüler wird ebenso kritisiert wie die Abgrenzung der Kinder und Jugendlichen voneinander. Außerdem fehlen angemessene Räumlichkeiten, Personal und Lernmaterial.

80 Prozent der befragten Pädagogen bevorzugen ein integratives Modell, also Deutschförderung in der Klasse.

Keine Gleichaltrigen und hoher Druck

Die Lehrer kritisieren vor allem die soziale Ausgrenzung der Kinder, die den Sprachunterricht nachholen. Denn beim Modell der Deutschförderklassen lernen die Schüler Deutsch getrennt von den übrigen Schülern. Nur in Stunden für Zeichnen, Musik oder Turnen lernen sie mit ihren Altersgenossen in den Regelklassen. So können sie sich kaum mit Gleichaltrigen anfreunden, in keiner der Klassen entstehen wirklich Gemeinschaften.

Durch die Trennung der Klassenkameraden haben die Kinder keine Chance auf spielerisches Lernen im Austausch mit Freunden auf unterschiedlichen Sprachniveaus. So bleibt das Potenzial der „Mitschüler als Sprachvorbilder“ ungenutzt, heißt es in der Auswertung.

Zusätzlich macht die Sprachstandsfeststellung namens MIKA-D den Schülern Druck. Nur, wer hier gut abschneidet, darf in die Regelklasse wechseln. Nach dem Wechsel entspannt sich die Situation nicht, im Gegenteil: Den frischen Regelschülern fehlt der Unterricht in Fächern wie Mathematik oder Englisch. So können sie kaum mit den Mitschülern mithalten. Außerdem halten 48 Prozent der Deutschförderklassen-Lehrer  es für (eher) nicht möglich, mittels MIKA-D eine Entscheidung darüber zu treffen, wie gut ein Schüler Deutsch beherrscht.

Lehrer nicht für „Deutsch als Fremdsprache“ gerüstet

Ein gravierendes Problem der Sprachförderung ist, dass den Lehrenden die richtige Ausbildung fehlt: Nur 38 Prozent der Unterrichtenden in den Deutschförderklassen und 44 Prozent derjenigen, die einen Deutschförderkurs unterrichten, haben eine Ausbildung für Deutsch als Fremdsprache.

„Etwas zu vermitteln, von dem ich selbst kaum Ahnung habe, halte ich für bedenklich“, wird jemand in der Studie zitiert, der erst nach einem Jahr in der Deutschförderklasse eine Einschulung bekam.

Kinder lernen leichter und spielerisch voneinander als alleine.

Was die Studienautoren und Befragten nicht wollen, ist, dass Schüler mit sprachlichem Nachholbedarf „als Belastung erlebt werden und Deutschförderklassen in weiterer Folge als Entlastung für die Regelklassenlehrperson gesehen werden“. Deutschförderung soll der Integration dienen und nicht „dazu beitragen, dass Schüler mit anderen Erstsprachen in separaten Klassen getrennt und marginalisiert werden“.

„Ein bewussterer, rücksichtsvollerer und offenerer Umgang mit Mehrsprachigkeit vonseiten des Lehrpersonals sollte demnach vonseiten des Bildungssystems angestrebt werden“, heißt es in der Studie.

SPÖ fordert „Generalsanierung“ für Deutschförderklassen

Nun werden die Rufe nach einer Neugestaltung der Deutschforderung wieder laut. Die Studienleiterin Susanne Schwab bestätigt: „Der richtige Weg wäre, aufgrund von wissenschaftlichen Ergebnissen nach dem richtigen Fördermodell zu fragen und dafür auszubilden.“ Auch die Initiatoren der Petition zur Abschaffung der Deutschförderklassen fordern, wissenschaftlichen Erkenntnisse in der Frage der Deutschförderung einzubeziehen: „Schulen brauchen Konzepte, die sich an den Bedürfnissen der Kinder orientieren, auf die jahrelange Erfahrung der Lehrkräfte zurückgreifen und wissenschaftliche Expertise berücksichtigen“.

Für Sonja Hammerschmid, Bildungssprecherin der SPÖ, bestätigen die Studienergebnisse von Susanne Schwab vom Zentrum für LehrerInnenbildung „wieder einmal, dass das Modell der Deutschförderklassen anderen Sprachfördermodellen unterlegen ist.“

„Es braucht eine Generalsanierung der Deutschförderung an Schulen. Sowohl der Deutschförderklassen und -kurse als auch der Sprachstandsfeststellung“, sagt Hammerschmid und kündigt einen entsprechenden Antrag im Parlament an.

Mit Blick auf die Missstände sei es einleuchtend, dass mit diesen Bedingungen die Deutschförderung nicht optimal funktionieren kann, so die ehemalige Bildungsministerin. Deswegen habe sie während ihrer Zeit im Amt auf integrative Sprachförderung gesetzt.

Dass das segregierende Modell der Deutschförderklassen, welches unter Türkis-Blau eingesetzt wurde, auch unter Türkis-Grün weiterläuft, war für Hammerschmid überraschend. „Besonders weil es dem breiten wissenschaftlichen Konsens widerspricht, wie Sprachförderung am besten funktioniert.“ Für die SPÖ-Mandatarin geht es darum, „aufgrund von wissenschaftlichen Ergebnissen das richtige Fördermodell zu wählen und die Pädagogen dahingehend auszubilden. Auch die frühkindliche Sprachförderung im Kindergarten darf dabei nicht vergessen werden.“

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