Sebastian Kurz hat es versprochen: Bis Ende Juni sollen wir alle zumindest einmal gegen Corona geimpft worden sein. Bei genauerer Betrachtung der Zahlen wird aber deutlich: Der Impfplan wird nicht halten. Österreich impft viel zu langsam. Recherchen zeigen, dass Österreich bis zur Jahreshälfte eines der sechs EU-Länder mit der niedrigsten Impfquote sein wird.
Mittlerweile ist es fast zu einer österreichischen Ostertradition geworden. Der Bundeskanzler präsentiert seine Interpretation der Corona-Krise. Er redet von Ostern als Fest der Wiederauferstehung und behauptet: „Die österreichische Wirtschaft wird auch wiederauferstehen“. Das hätte sie auch dringend nötig. Ein Tag im Lockdown kostet Österreichs Wirtschaft mindestens 200 Millionen Euro. Doch Teil dieser Ostertradition ist es leider auch, dass die Versprechen des Kanzlers in der Regel nicht halten. Das zeigen zumindest aktuelle Zahlen.
Österreich verzichtete auf 7 Millionen Impfdosen
Vieles deutet darauf hin, dass Österreich eine Million Impfdosen vom russischen Hersteller Sputnik bekommen wird. Eine Zulassung der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) steht aber noch aus. Was die Bundesregierung dabei gerne unerwähnt lässt: Die russischen Impfdosen wären nicht nötig, hätte Österreich einfach das Impfstoff-Kontingent ausgeschöpft, das der Republik durch die EU-Bestellungen zugestanden hätte. Hätte man bei den Bestellvorgängen immer den maximalen Anteil für Österreich abgerufen, hätte man alleine von Johnson & Johnson im zweiten Quartal 2021 zusätzlich 750.000 Impfdosen erhalten. Alleine damit hätte man um 250.000 Menschen mehr impfen können als mit dem Sputnik-Impfstoff, da bei Johnson & Johnson eine Dosis für die Vollimmunisierung reicht. Rechnet man den Verzicht bei allen Impfstoff-Lieferungen zusammen, entgehen Österreich insgesamt rund 7 Millionen Impfdosen.
Blümel stand bei der Impfstoff-Beschaffung auf der Bremse
Warum lässt sich eines der reichsten Länder der Welt in einer der schwersten Gesundheitskrisen aller Zeiten so viele Impfungen entgehen? Das Gesundheitsministerium wollte ursprünglich Impfstoff in „(…) einem Gesamtkostenrahmen von mehr als 200 Millionen Euro (…)“ anschaffen. So stand es noch in einem Dokument aus dem Gesundheitsministerium, das die Plattform zackzack.at veröffentlichte. Das Finanzministerium unter Gernot Blümel akzeptierte diese Passage jedoch nicht und beharrte auf eine Änderung – der Änderungsvorschlag lautete: „(…) einem Gesamtkostenrahmen von bis zu 200 Millionen Euro (…)“. So wurde es auch von der Bundesregierung am 29. Juli 2020 beschlossen.
Der Rest ist ein Stück österreichische Geschichte: Als es im Herbst an den Ankauf von Impfstoffen ging, musste Österreich sparen. Darum setzte man wohl auch verstärkt auf den günstigen Impfstoff von AstraZeneca. Zum Vergleich: Eine Impfdose von AstraZeneca kostet 1,78 Euro – BioNTech-Pfizer (12 Euro) oder Moderna (18 Euro) sind damit mehr als zehnmal so teuer. Erst am 9. Februar reparierte die Regierung ihren Fehler und stockte das Impf-Budget auf fast 400 Millionen Euro auf. Das späte Handeln rächt sich heute: Bekanntlich gibt es einige Lieferprobleme mit dem AstraZeneca Impfstoff, das verlangsamt die österreichische Impfkampagne.
Österreich wird zum Schlusslicht in Europa
Durch den Verzicht auf die 750.000 Impfdosen von Johnson & Johnson und die Lieferprobleme mit AstraZeneca, fällt Österreich im EU-Vergleich weit zurück. Der Chef des Brüssel-Büros der Nachrichtenagentur Bloomberg veröffentlichte interne EU-Dokumente, die zeigen: Mitte des Jahres werden in Österreich 50,92 Prozent der Bevölkerung geimpft sein. Das ist der sechst-niedrigste Wert. Nur Estland (50,27 %), die Slowakei (45,59 %), Kroatien (45,29 %), Bulgarien (45,01 %) und die Tschechische Republik (44,33 %) impfen noch langsamer. Zum Vergleich: In Deutschland wird der Wert zu diesem Zeitpunkt bei über 60 Prozent liegen, in Dänemark bei knappen 80 und in Malta gar bei 93 Prozent.
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Will Kurz sein Versprechen halten, müssten täglich mindestens um 31.000 Menschen mehr geimpft werden
Doch nicht nur bei der Beschaffung des Impfstoffes ist einiges schiefgegangen – auch die vorhandenen Impfdosen werden recht langsam verabreicht. Wenn das Versprechen von Sebastian Kurz halten soll, bis zum Sommerbeginn am 21. Juni jeden, der es möchte, eine Erstimpfung anzubieten, muss das Impf-Management in die Gänge kommen. Im Durchschnitt werden derzeit in Österreich circa 27.000 Erstimpfungen pro Tag verabreicht. Rund 6,4 Millionen Menschen haben in Österreich noch keine Impfung erhalten und erfüllen prinzipiell die Kriterien (Alter, Gesundheitszustand) dafür. Wenn sich nur 66 Prozent von ihnen impfen lassen wollen, bräuchten wir rund 58.000 Impfungen pro Tag, damit der Kanzler sein Versprechen halten kann. Das Impftempo müsste sich also um 31.000 Impfungen täglich erhöhen. Bleibt das Tempo gleich, kann Kurz sein Versprechen erst zum Nikolaus, am 6. Dezember, einlösen. Sollten sich aber mehr Menschen impfen lassen wollen, wird sich das noch länger hinziehen: Bei einer Impfbereitschaft von 80 Prozent, hat jeder erst am 23. Jänner 2022 den ersten Stich erhalten.
SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner fordert die Regierung auf, beim Impfen endlich Tempo zu machen und Verantwortung zu übernehmen. „In den letzten Wochen hat man den Eindruck, dass die Bundesregierung am Beifahrersitz des Pandemie-Managements Platz genommen hat. Sie versteckt sich hinter den Landeshauptleuten, Gesetzen und Paragrafen“, kritisiert Rendi-Wagner. Die SPÖ-Vorsitzende fordert 100.000 Impfungen pro Tag – schließlich muss das Ziel sein, den ÖsterreicherInnen einen normalen Sommer zu ermöglichen.
Verzögerter Impfplan kostet Österreich bis zu 14 Milliarden Euro
Auch der industrienahe Thinktank Agenda Austria kritisiert das viel zu langsame Impftempo. “Selbst wenn es genügend Impfstoff gäbe, würde es noch Wochen dauern, bis Österreich auf dem jetzigen Stand der USA, des Vereinigten Königreichs oder von Israel ist”, erklärte die Ökonomin von Agenda Austria, Heike Lehner, in einer Aussendung. Die Wertschöpfungsverluste, die in dieser Zeit entstehen, erreichen fünf bis 14 Milliarden Euro, rechnete sie vor.